Sadie Jones : Der Außenseiter

Der Außenseiter
Originalausgabe: The Outcast Chatto & Windus, Random House, London 2008 Der Außenseiter Übersetzung: Brigitte Walitzek Schöffling & Co Verlagsbuchhandlung, Frankfurt/M 2008 ISBN: 978-3-89561-385-2, 412 Seiten Taschenbuch: Diana-Verlag, München 2009 ISBN: 978-3-453-35431-9, 412 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In ihrem Debütroman "Der Außenseiter" setzt Sadie Jones einen Jungen, der hilflos zusehen musste, wie seine Mutter ertrank, einer scheinheiligen Gesellschaft von Kirchgängern aus, hinter deren Fassaden Männer ihre Frauen und Töchter verprügeln. Der traumatisierte Junge wird ausgegrenzt, stigmatisiert und dazu getrieben, dass er sich immer wieder aufs Neue ins Unrecht setzt ...
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Kritik

Als auktoriale Erzählerin entwickelt Sadie Jones die Handlung rasch, schnörkellos und chronologisch-linear. Sie versetzt sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Protagonisten und leuchtet alles intensiv aus. "Der Außenseiter" liest sich leicht und schnell. Die melodramatische Geschichte ist mitreißend inszeniert.
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Der Tod der Mutter

Gilbert Aldridge kommt im November 1945 aus dem Krieg zurück nach Waterford, Surrey, zu seiner Ehefrau Elizabeth und dem am 29. Dezember 1937 geborenen Sohn Lewis.

1948 machen Mutter und Sohn ein Picknick am Fluss. Elizabeth trinkt eine Flasche Wein. Lewis taucht nach dem Wrack eines Bootes und versucht, ein Ruder zu bergen. Als ihm das nicht gelingt, zieht Elizabeth ihr Kleid aus und springt ins Wasser, aber während sie sich mit dem Ruder abmüht, verklemmt sich ihr Bein. Lewis zerrt an ihr, bekommt sie jedoch nicht frei und muss zwischendurch immer wieder nach oben, um Luft zu holen. Der Zehnjährige kann nicht verhindern, dass seine Mutter ertrinkt.

Ein Untersuchungsrichter, der Dorfarzt und zwei Polizisten vernehmen ihn. Eine Stenografin soll seine Aussage protokollieren. Aber Lewis steht unter Schock und ist nicht in der Lage, den Unfallhergang zu schildern.

Ein halbes Jahr später eröffnet ihm der Vater, er habe eine andere Frau kennengelernt und werde bald wieder heiraten. Lewis zieht sich in sein Zimmer zurück – und zertrümmert die Einrichtung. Zur Feier von Lewis elftem Geburtstag lädt Gilbert seinen Sohn und seine Braut Alice Fanshawe zum Essen in London ein und macht sie miteinander bekannt. Die Hochzeit findet im März 1950 statt.

Der traumatisierte Junge wird zum Außenseiter

An einem Tag im Sommer 1952 ist Lewis mit ein paar anderen Jugendlichen zusammen. Sie überlegen, was sie unternehmen sollen. Der sechzehnjährige Ed Rawlings, der die gleichaltrige Tamsin Carmichael umwirbt, schlägt vor, im Fluss zu schwimmen. Tamsin, die weiß, dass er sie nackt oder zumindest im Badeanzug sehen möchte, hält den Vorschlag im Beisein von Lewis für taktlos, widerspricht und weist darauf hin, dass Lewis wohl auch etwas anderes machen möchte. „Ist doch klar, dass Lewis nicht will“, meint Ed frustriert. Lewis fühlt sich provoziert und fragt: „Wieso ist klar, dass ich nicht will?“ Ed legt es auf eine Prügelei an, aber Lewis überrascht ihn mit einem harten Schlag, der ihm die Nase bricht.

Durch diesen Gewaltakt gerät Lewis in der Nachbarschaft in Verruf.

Wenn Gilbert und Alice schlafen, verlässt Lewis sein Zimmer, schleicht sich nach unten und trinkt heimlich Gin.

Gilbert Aldridges Arbeitgeber, Dicky Carmichael, ein reicher Unternehmer, der in Waterford den Ton angibt, schlägt seine Ehefrau Claire. Als er ihr den Arm bricht, muss sie dem Arzt sagen, sie sei beim Apfelpflücken von der Leiter gefallen. Im Dezember 1952 beginnt er, statt Claire seine elfjährige Tochter Katherine („Kit“) zu schlagen. Nach dem ersten Mal zieht sie sich im Bad aus und findet Blut an ihrem Slip. Einen Moment lang glaubt sie, das komme von den heftigen Ohrfeigen. Dann begreift sie, dass es sich um ihre Menarche handelt. Durch ihre fünf Jahre ältere Schwester Tamsin weiß sie darüber Bescheid.

Im Alter von fünfzehn Jahren kauft Lewis eines Abends eine Fahrkarte nach London, ohne sich bei seinen Eltern abgemeldet zu haben. In der Hauptstadt geht er in einen Club. An der Theke, wo er Gin bestellt, kommt er mit der Schwester des Besitzers ins Gespräch, und weil er den letzten Zug nach Waterford versäumt, lässt Jeanie Lee ihn auf dem Sofa im Büro schlafen. Am anderen Morgen, als Lewis nach Hause kommt, sind Gilbert und Alice aus Sorge um ihn nicht in der Sonntagsmesse.

Im Bad nimmt er das Rasiermesser seines Vaters und empfindet es trotz oder gerade wegen des Schmerzes befreiend, sich damit in den Unterarm zu schneiden. Er nimmt sich dann zwar vor, gleich wieder damit aufzuhören, tut es jedoch immer wieder und trägt lange Ärmel, um sein Geheimnis zu verbergen.

Bei seinem zweiten Besuch in dem Londoner Club schläft Jeanie mit ihm. So oft er kann, fährt er zu ihr nach London.

Zu Hause hat er inzwischen eine Flasche Gin unter seinem Bett versteckt [Alkoholkrankheit].

Als Alice ihn dabei ertappt, wie er sich in den Arm schneidet, ist sie entsetzt. Sie verbindet ihn und verspricht ihm, Gilbert nichts zu verraten.

Feuer in der Kirche

Nach der Sonntagsmesse trifft sich eine Gruppe von Bewohnern Waterfords üblicherweise zum Mittagessen. Dicky Carmichael brüskiert Lewis, indem er vor der Kirche zu ihm sagt: „Du wirst dich bei den Johnsons doch hoffentlich einigermaßen anständig benehmen, oder?“ Lewis geht nicht darauf ein und versucht, während des Besuchs bei David und Hillary Johnson nicht aufzufallen. Aber deren Sohn Fred, Ed Rawlings und ein weiterer Junge namens Tom Greene provozieren ihn, bis er auf sie losgeht. Weil Tamsin um Hilfe ruft, beenden die Erwachsenen rasch die Prügelei. Gilbert und Alice gehen mit ihrem Sohn vorzeitig nach Hause.

Alice hält es nun doch für erforderlich, ihren Mann darüber aufzuklären, dass Lewis sich autoaggressiv verletzt. Die Schmähungen, Provokationen und der Vertrauensbruch sind zu viel für den Jungen. Nachts geht er betrunken zur Kirche. Zunächst zündet er einige Bibeln an. Dann holt er Paraffin und setzt Kirchenbänke in Brand. Als die Polizei kommt, lässt er sich widerstandslos festnehmen. Im Juni 1955 verurteilt ein Gericht den Siebzehnjährige wegen Brandstiftung zu zweieinhalb Jahren Haft.

Neuanfang

Wegen guter Führung wird Lewis im August 1957 vorzeitig aus dem Gefängnis in London-Brixton entlassen. Die Eltern besuchten ihn kein einziges Mal.

Gilbert ersucht seinen Arbeitgeber um eine Anstellung für seinen Sohn. Dicky Carmichael beschäftigt Lewis widerwillig als Hilfskraft im Büro des Steinbruchs, der zu seinem Wirtschaftsimperium gehört. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er es nur wegen Gilbert tut und erklärt Lewis:

„Ich werde dir so gut wie nichts für eine mehr oder weniger sinnlose Arbeit bezahlen.“

Trotz allem bemüht Lewis sich, seine Arbeit ordentlich zu machen und beeindruckt mit seiner Leistung seinen anfangs skeptischen Vorgesetzten Mr Phillips.

Alice

Während eines Empfangs bei den Carmichaels betrinkt Alice sich. Gilbert gibt seinem Sohn die Autoschlüssel und lässt Alice von ihm nach Hause bringen.

Sein Vater fing an, ihm zu vertrauen. Er konnte eigenständig zur Arbeit gehen und das Haus abschließen und seine Stiefmutter nach Hause fahren, wenn sie sich unwohl fühlte.

Alice klagt darüber, dass sie Lewis die Mutter nicht besser ersetzen konnte. Das schmerzt sie. In der Gefühlsaufwallung küssen die beiden sich. Alice zerrt an ihrer Unterwäsche, führt Lewis‘ Hand an ihre Vulva. Mit Lust, Scham und Entsetzen zugleich penetriert er seine Stiefmutter. Danach fährt er verwirrt mit dem Auto seines Vaters los. Unterwegs trinkt er Gin. In einer Kurve verursacht er beinahe einen Zusammenprall mit einem entgegenkommenden Auto und kann gerade noch in die Böschung ausweichen.

Tamsin

Gilbert fordert Lewis auf, mit in die Messe zu kommen, denn er nimmt an, dass danach alles wie früher sein wird. Vor der Kirche schlägt Dora Cargill dem Jungen ins Gesicht. Ihre Schwester Bridget zerrt sie weg. Tamsin hakt sich bei Lewis ein und geht demonstrativ mit ihm ins Gebäude. Beim anschließenden Mittagessen lobt Gilbert seinen Sohn mehrmals und schenkt ihm ausnahmsweise ein Glas Rotwein ein. Das ist für Lewis zu viel; er kann sich nicht länger beherrschen, schlägt seinem Vater die Flasche aus der Hand und springt auf.

Lewis bekommt seine Einberufung. Am 26. August 1957 wird er sich in einer Kaserne in Maidstone, Kent, melden müssen.

Als er Dicky Carmichael fragt, ob er Tamsin ausführen dürfe, wirft ihn der Unternehmer hinaus. Ohne Wissen ihres Vaters geht Tamsin mit Lewis im Wald spazieren. Sie küssen sich. Dabei reißt ein Knopf von ihrem Kleid ab. Er spürt, dass sie ihn begehrt, aber er zwingt ihr nichts auf. Zunächst versucht Tamsin, ihn zu verführen, aber dann erschrickt sie darüber und rennt kopflos davon. Ihr Vater, der sie aus dem Wald kommen sieht, nimmt sofort an, dass Lewis sie zu vergewaltigen versuchte. Tamsin beteuert, dass Lewis sie nur geküsst habe. Ihr Vater prügelt auf sie ein. Am Ende kann sie nur noch stammeln, sie sei von Lewis geschlagen worden. Das soll sie sagen, wenn jemand sie nach dem blauen Auge fragt.

Kit

Lewis will zu Tamsin, um sich dafür zu entschuldigen, dass er sie im Wald erschreckte. Kit läuft ihm entgegen. Sie hat die Schlüssel für den Jaguar ihres Vaters dabei und drängt Lewis, mit ihr nach London zu fahren. Dort geht er mit ihr in den Club, und als sie ihn zusammen mit Jeanie sieht, spürt die Fünfzehnjährige, die in Lewis verliebt ist, dass die beiden miteinander im Bett waren.

Auf der Rückfahrt am nächsten Morgen holen zwei Streifenwagen den Jaguar ein. Einer bleibt hinter ihnen, der andere blockiert die Straße vor ihnen. Lewis wird in Handschellen abgeführt und kommt erst am Nachmittag wieder frei.

Zu Hause sperrt er sich im Bad ein und schneidet sich wie besessen mehrmals in den Unterarm.

Nachdem Kit von ihrem Vater verprügelt wurde, läuft sie zu den Aldridges – und sieht durch die offene Türe, wie Alice vor ihrem Stiefsohn kniet und er ihr durchs Haar streicht. Sie kann nicht ahnen, dass Alice gerade seinen übel zugerichteten Arm verband, durchschaut jedoch, dass die beiden intim miteinander waren. Sie berichtet Lewis, von wem Tamsins Verletzungen stammen und lässt ihn wissen, dass auch sie von ihrem Vater geschlagen wird. Dann läuft sie fort. Lewis will verhindern, dass Kit noch einmal geschlagen wird. Als kurz darauf sein Vater nach Hause kommt, hofft er auf dessen Unterstützung. Gilbert, der sich gerade bei Dicky Carmichael für seinen Sohn entschuldigte und von seinem Arbeitgeber gedemütigt wurde, hört jedoch nicht zu. Stattdessen beschwert er sich über Lewis – bis dieser ihn packt und zu Boden drückt. Statt ihn zu schlagen, tritt Lewis auf einen Schrank ein und stürmt davon.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Spoiler

Vor der Villa der Carmichaels ruft Lewis nach Kit. Er zertrümmert Fensterscheiben. Als ihn Dickys Chauffeur Preston zu Boden reißt, tritt Lewis ihm ins Gesicht und springt auf. Dicky schießt mit der Schrotflinte auf ihn, aber der Junge entkommt unverletzt.

Inzwischen hat Gilbert einen Psychiater konsultiert. Als Alice sieht, dass er ein Formular für die Beantragung einer zwangsweisen Einlieferung seines Sohnes in die Psychiatrie mitgebracht hat, protestiert sie, denn sie weiß, dass Lewis dadurch zugrunde gehen würde.

Am 25. August 1957, einem Sonntag, einen Tag bevor Lewis sich zum Militär melden muss, lauert er vor dem Haus der Carmichaels, bis Claire und die Töchter bei Preston im Auto sitzen, um zur Kirche zu fahren. Dann dringt ins Haus ein, beschuldigt Dicky Carmichael, ein gewalttätiger Vater zu sein – und lässt sich widerstandslos von ihm zusammenschlagen. Während Lewis bewusstlos am Boden liegen bleibt, steigt der Unternehmer ins Auto, als sei nichts geschehen und verbirgt seine blutigen Handknöchel.

Während der Messe reißt Lewis die Kirchentüre auf. Er packt Kit, hält sie wie eine Geisel vor sich, zerrt ihre Bluse hoch, damit alle die Striemen auf ihrem Körper sehen. Nun wird auch Dicky Carmichaels aufgeplatzte rechte Hand bemerkt und in Verbindung mit Lewis‘ schrecklichem Aussehen gebracht.

Bei den Carmichaels ist an diesem Mittag der Tisch für sechzehn Personen gedeckt. Aber die Eingeladenen sagen einer nach dem anderen ab.

Claire Carmichael kündigt Kit an, dass man sie am Mittwoch für zwei Jahre in ein Schweizer Internat schicken werde.

Am Montagmorgen läuft Kit zu den Aldridges und erfährt, dass Lewis bereits fort ist. Sie rennt zum Bahnhof. Während der Einfahrt seines Zuges fallen sie sich um den Hals und küssen sich. Lewis verspricht, Kit nach seinem Wehrdienst in der Schweiz abzuholen.

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In ihrem Debütroman „Der Außenseiter“ setzt Sadie Jones einen Jungen, dessen Mutter vor seinen Augen ertrank, einer scheinheiligen Gesellschaft von Kirchgängern aus, hinter deren Fassaden Männer ihre Frauen und Töchter verprügeln. Der traumatisierte Junge wird ausgegrenzt, stigmatisiert und dazu getrieben, dass er sich ins Unrecht setzt. Immer wenn man als Leser glaubt, der Leidensweg von Lewis Aldridge sei zu Ende, dreht Sadie Jones die Spirale noch ein Stück weiter.

Als auktoriale Erzählerin entwickelt sie die Handlung rasch, schnörkellos und – abgesehen vom Prolog – chronologisch-linear. Sie versetzt sich in die Gefühls- und Gedankenwelt von Lewis Aldridge – mitunter auch von Katherine („Kit“) Carmichael – und leuchtet alles intensiv aus. Das ist interessant, aber Sadie Jones schießt übers Ziel hinaus und versucht einfach alles zu erklären. Dabei bleibt kein Rätsel, kein Geheimnis, nichts Nebulöses. Dazu kommt, dass „Der Außenseiter“ nicht frei von Klischees und Küchenpsychologie ist. Gerade durch ihren Übereifer rutscht Sadie Jones beinahe ins Triviale.

„Der Außenseiter“ liest sich leicht und schnell. Die melodramatische Geschichte ist mitreißend inszeniert. Als heiter-unterhaltsam kann man die Geschichte nicht bezeichnen, aber es handelt sich auch nicht um ein deprimierendes Buch, zumal am Ende ein klein wenig Hoffnung aufkeimt.

Den Roman „Der Außenseiter“ von Sadie Jones gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Rainer Strecker (Hörbuchfassung: Franziska Paesch, Regie: Franziska Paesch, Hamburg 2008, 5 CDs, ISBN 978-3-8337-2246-2.)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2011/18
Textauszüge: © Schöffling & Co Verlagsbuchhandlung

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