Isadora Duncan
Die Amerikanerin Isadora Duncan tanzte als Erste zu sinfonischer Musik und führte den modernen Ausdruckstanz ein. Dabei bewegte sie sich nicht nach einer vorher festgelegten Choreografie oder nach den Regeln des klassischen Balletts; vielmehr fühlte sie sich in die Musik ein und ahmte die »natürlichen« Bewegungen auf antiken Vasenbildern nach. Ihr Plan, in einem griechischen Tempel gegenüber der Akropolis zu leben, ließ sich nicht realisieren, aber an ihrer künstlerischen Vision hielt sie trotz vieler Rückschläge zeitlebens fest.
Isadora Duncan:
Liebesaffäre mit Gordon Craig
Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2004 / Piper Taschenbuch, München 2008 (5. Auflage: 2011)
Am 14. Dezember 1904 erlebt Edward Gordon Craig die avantgardistische Tänzerin in Berlin und sucht sie nach der Vorstellung in ihrer Garderobe auf. Isadora Duncan verliebt sich auf der Stelle in den ebenso genialen wie exaltierten Bühnenbildner. Sie hält es für »die Liebe zweier verschwisterter Zwillingsseelen« und kann sich »des Gefühls einer verbrecherischen Blutschande« nicht erwehren. »Wir brannten in einem einzigen hellen Feuer«, schreibt sie später. Aber selbst durch noch so heftige Gefühle lässt sich die
ehrgeizige Künstlerin nicht von ihrer Karriere ablenken. Wie vereinbart, reist sie neun Tage nach der ersten Begegnung mit Craig zu Gastspielen nach Sankt Petersburg und Moskau.
Im Winter 1905/06 merkt sie, dass sie schwanger ist. Für ihren Liebhaber ist das nichts Besonderes:
Gerüchten zufolge hat der Dreiunddreißigjährige bereits acht Kinder mit seiner Ehefrau und zwei Geliebten. Trotz ihrer sonst eher unkonventionellen Einstellung empört Dora Duncan sich über die Absicht ihrer Tochter, das Kind als ledige Mutter auf die Welt zu bringen und aufzuziehen; nach einem heftigen Streit reist sie allein nach New York. Auch die Leitung des im Februar 1906 gegründeten »Vereins zur Unterstützung und Erhaltung der Tanzschule von Isadora Duncan e. V.« ist entrüstet über deren »Sittenlosigkeit«. Die Schwangere steht den Anfeindungen fassungslos gegenüber und zieht sich nach Gastspielen in Kopenhagen und Stockholm in den holländischen Küstenort Nordwijk zurück, wo sie am 24. September 1906 von einer Tochter entbunden wird, der sie den Namen Deirdre gibt.
Ihr Verhältnis mit Gordon Craig ist nicht von Dauer. Ein Grund dafür ist seine Überzeugung, Frauen seien nicht zu wahrer Kunst fähig. »Warum hörst du denn nicht mit diesem Unsinn auf?«, fragt er seine Geliebte. Um die Liebesbeziehung zu erhalten, müsste sie auf ihre Kunst verzichten und ihre Persönlichkeit aufgeben. Dazu ist sie nicht bereit.
Quelle: Dieter Wunderlich, WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
© Pustet Verlag, Regensburg 2004
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