Arnaldur Indriðason : Frevelopfer

Frevelopfer
Originalausgabe: Myrká Reykjavík 2008 Frevelopfer Übersetzung: Coletta Bürling Bastei Lübbe, Köln 2010 ISBN: 978-3-7857-2393-7, 381 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Kommissarin Elínborg leitet die Ermittlungen in einem Mordfall. Bei dem Toten, der mit durchschnittener Kehle und heruntergelassener Hose in seiner Wohnung in Reykjavík liegt, handelt es sich um einen Telefontechniker namens Runólfur. Indizien wie ein benutztes Kondom deuten darauf hin, dass vor der Bluttat eine Frau bei ihm war. Die Polizei stellt Rohypnol-Tabletten sicher, wie Vergewaltiger sie mitunter verwenden, um ihre Opfer zu betäuben ...
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Kritik

Der Island-Krimi "Frevelopfer" von Arnaldur Indriðason ist weder besonders spannend noch einfallsreich. Die Handlung weist auch keine überraschenden Wendungen auf.
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Während Kommissar Erlendur Sveinsson in den Ostfjorden seine traumatischen Kindheitserlebnisse aufzuarbeiten versucht, vertritt ihn seine Kollegin Elínborg bei der Mordkommission in Reykjavík.

Elínborg war mit ihrem Kommilitonen Bergsteinn verheiratet. Sie brach das Studium ab und ging zur Polizei; er promovierte, und nachdem er einen leitenden Posten bei einer staatlichen Firma für Erdbohrungen übernommen hatte, verließ er Elínborg wegen einer anderen Frau. Inzwischen lebt Elínborg ohne Trauschein mit Theodór („Teddi“), dem Besitzer einer Autowerkstatt, zusammen. Als Teddis Schwester an Krebs starb, nahmen er und Elínborg deren damals sechsjährigen Sohn Birkir auf. Außerdem bekamen sie drei eigene Kinder: ValÞor, der ältere Sohn, ist jetzt siebzehn, die hochbegabte Tochter Theodóra elf, und Aron liegt altersmäßig dazwischen. Birkir verließ vor einiger Zeit seine Pflegefamilie und suchte seinen Vater, obwohl dieser sich nie um ihn gekümmert hatte. Er lebt jetzt bei ihm in Schweden. ValÞor macht seiner Mutter Sorgen, weil er in seinem Blog allzu freimütig über die Familie Auskunft gibt.

Mit Unterstützung ihres Kollegen Sigurður Óli leitet Elínborg die Ermittlungen in einem Mordfall. Bei dem Toten, der mit durchschnittener Kehle und heruntergelassener Hose in seiner Wohnung im Stadtteil Þingholt liegt, handelt es sich um einen Telefontechniker Anfang dreißig. Runólfur scheint seinen Mörder selbst hereingelassen zu haben, denn es gibt keine Einbruchspuren. Er stammte aus einem Dorf. Dort lebt noch seine Mutter Kristjana. Sein Vater Baldur prallte vor einigen Jahren mit seinem Wagen frontal gegen einen Lastwagen und starb noch an der Unfallstelle. Der Aussage des LKW-Fahrers Ragnar Þór zufolge handelte es sich um einen Suizid. Runólfur wohnte seit zehn Jahren in Reykjavík. Die Nachbarn schildern ihn als höflichen, unauffälligen Einzelgänger. Indizien wie ein nach Tandoori duftendes Tuch und ein benutztes Kondom deuten darauf hin, dass vor der Bluttat eine Frau bei ihm in der Wohnung war. Elínborg wundert sich über die sichergestellten Rohypnol-Tabletten. Das Schlaf- und Beruhigungsmittel wurde kürzlich dazu verwendet, eine junge Frau namens Unnur vor der Vergewaltigung wehrlos zu machen. Dazu passt die Feststellung des Gerichtsmediziners, dass Runólfur unmittelbar vor seinem Tod Geschlechtsverkehr hatte. Allerdings ist es seltsam, dass er selbst mit Rohypnol vollgepumpt war.

Eine Spur führt zu dem Dealer Valur in Fellsmúli. Widerstrebend gibt er zu, vor etwa einem halben Jahr einem Fremden Rohypnol verkauft zu haben. Der Mann habe sich zwar Runólfur genannt, sagt er, aber anders ausgesehen als der Tote auf dem Foto. Die Beschreibung des Käufers passt auf Runólfurs Freund Eðvarð. Der Lehrer leugnet nicht, das Rohypnol besorgt zu haben, beteuert jedoch, von Runólfur darum gebeten worden zu sein.

Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass Eðvarð an der Gesamtschule in Akranes unterrichtete, als dort 1999 die neunzehnjährige Schülerin Lilja spurlos verschwand. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem vermissten Mädchen und Runólfurs Ermordung?

Die Zeugin Petrína gibt zu Protokoll, sie habe in der Mordnacht durchs Fenster einen Mann mit einem geschienten Bein gesehen, der in großer Eile in Richtung Tatort hinkte und dabei telefonierte.

In Jóhannas Asien-Shop in Reykjavík erkundigt Elínborg sich danach, ob in letzter Zeit ein Tandoori-Topf verkauft wurde. Als sie hört, dass der einzige Käufer eines Tandoori-Topfes gehbehindert war, lässt sie sich die Kopie des Kreditkartenbelegs heraussuchen.

Der Mann heißt Konráð und ist über sechzig Jahre alt. Er behauptet, in der besagten Nacht seinen geparkten Wagen geholt und währenddessen mit seiner ungeduldig wartenden Frau telefoniert zu haben. Der Tandoori-Topf war ein Geschenk für seine achtundzwanzigjährige Tochter Nina. Weitere Nachforschungen ergeben, dass Runólfur zweimal als Telefontechniker bei Nina Konráðsdóttir in der Wohnung gewesen war. Die an dem nach Tandoori duftenden Tuch und in Runólfurs Bett sichergestellten Haare stammen von ein und derselben Person. Konráð und Nina werden wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft genommen.

Runólfur hatte die junge Frau, die ihn aufgrund seiner beiden Arbeitseinsätze in ihrer Wohnung kannte, in einer Kneipe angesprochen. Als sie splitternackt in einem fremden Bett erwachte, wunderte sie sich über den Blackout, denn sie hatte nur wenig getrunken. Dann habe sie das Blut und Runólfurs Leiche gesehen, sagt sie, ihr Handy gesucht und ihren Vater zu Hilfe gerufen. Ob sie Runólfur die Kehle durchgeschnitten hatte, vermag sie nicht zu sagen, denn ihr fehlt jede Erinnerung an die Stunde bevor sie wieder zu sich kam.

Schließlich gesteht der Vater, den Vergewaltiger seiner Tochter umgebracht zu haben. Elínborg geht jedoch davon aus, dass er lügt, um seine Tochter zu entlasten.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Elínborg fliegt ein zweites Mal zu dem Fischerdorf, in dem Runólfur aufgewachsen war. Von keinem der Bewohner, mit denen Elínborg über ihn spricht, erhält sie einen brauchbaren Hinweis. Die Gemeinschaft hält zusammen und schweigt gegenüber der Fremden. Nur ein junges Mädchen, das Elínborg während ihres ersten Aufenthalts in dem Dorf flüsternd darauf hingewiesen hatte, dass Runólfur mit dem Mechaniker Valdimar („Valdi“) befreundet gewesen sei, klopft im Dunkeln an das Fenster des Pensionszimmers, in dem Elínborg übernachtet. Vala, so heißt das Mädchen, führt die Kommissarin zum Friedhof und zeigt ihr das Grab einer Frau, die vor zwei Jahren ins Wasser gegangen war. Es handelt sich um Valdimars Halbschwester Aðalheiður („Addý“). Runólfur hatte sie während einer Tanzveranstaltung vergewaltigt und war dann nach Reykjavík gezogen. Über das Trauma war Aðalheiður nie hinweggekommen.

Elínborg erinnert sich daran, dass Konráð in Runólfurs Wohnung Petroleum zu riechen glaubte. Als Ehefrau eines Werkstattbesitzers weiß sie aus eigener Erfahrung, dass es sich dabei auch um den Geruch von Schmieröl gehandelt haben kann, wie er sich in der Kleidung von Mechanikern festsetzt. War Valdimar zur Tatzeit in Runólfurs Wohnung? Sie sucht ihn in seiner Werkstatt auf. Ohne zu zögern, legt er ein umfassendes Geständnis ab. Als Aðalheiður vergewaltigt wurde, war er auf einem Gefriertrawler unterwegs. Erst Jahre später, unmittelbar vor ihrem Selbstmord, weihte sie ihn in ihr Geheimnis ein. An dem Tag, an dem sie wieder Geburtstag gehabt hätte, steckte Valdimar ein Rasiermesser ein und fuhr nach Reykjavík. Runólfur öffnete, und er drängte sich an ihm vorbei in die Wohnung. Durch die angelehnte Schlafzimmertüre sah er eine nackte junge Frau auf dem Bett liegen. Offensichtig war sie bewusstlos. Runólfur hatte also nicht aufgehört, Frauen zu vergewaltigen. Valdimar hielt ihm das Rasiermesser an den Hals, zwang ihn, die Hose herunterzulassen und einige der Rohypnol-Tabletten zu schlucken, die er bei ihm fand. Dann schnitt er ihm die Kehle durch.

Im Dorf haben alle Bescheid gewusst.

Valdimar wird verhaftet.

1999, als die Schülerin Lilja spurlos verschwand, teilten Runólfur und Eðvarð sich eine Wohnung in Reykjavík. Elínborg hält es für möglich, dass Lilja ihren Lehrer besuchen wollte, dabei stattdessen auf Runólfur traf und von ihm vergewaltigt und ermordet wurde. Eðvarð beteuert allerdings, keinen privaten Kontakt mit dem Mädchen gehabt zu haben. Der Fall lässt sich nicht aufklären.

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In dem Island-Krimi „Frevelopfer“ verzichtet Arnaldur Indriðason (* 1961) auf die gewohnte Figur des Kommissars Erlendur Sveinsson und macht stattdessen die Ermittlerin Elínborg zur Protagonistin. Obwohl er Einzelheiten aus ihrem Privatleben schildert, wie das in Kriminalromanen en vogue ist, bleibt Elínborg ein farbloser Charakter. Ein auktorialer Erzähler, der mitunter den Blickpunkt wechselt, führt uns durch die Handlung, die weder besonders einfallsreich noch spannend ist und auch keine überraschenden Wendungen aufweist. Lange Zeit wird in „Frevelopfer“ einfach ein Zeuge nach dem anderen vernommen. Das walzt Arnaldur Indriðason auf einen Prolog und fünfunddreißig Kapitel aus. Nicht einmal bei der Auflösung strengte er sich übermäßig an: Der Täter trägt Elínborg auf den Seiten 356 bis 362 und 369 bis 373 mehr oder weniger von sich aus ein umfassendes, schlüssiges und ordentlich gegliedertes Geständnis vor und wird dann verhaftet. Dazwischen schildert Arnaldur Indriðason die letzten Minuten im Leben des Ermordeten aus dessen Perspektive.

Den Roman „Frevelopfer“ von Arnaldur Indriðason gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Walter Kreye (Regie: Kathrin Weick, Köln 2010, 4 CDs, ISBN: 978-3-7857-4282-2).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Bastei Lübbe

Arnaldur Indriðason: Nordermoor (Verfilmung)
Arnaldur Indriðason: Todeshauch

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