Johann Wolfgang von Goethe : Die Leiden des jungen Werther

Die Leiden des jungen Werther
Die Leiden des jungen Werther Manuskript: Februar / März 1774 Erstausgabe: Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774 Überarbeitete Version: G. J. Göschen, Leipzig 1787 Insel-Taschenbuch, Frankfurt/M 2006 ISBN 3-458-35200-7
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein junger empfindsamer Mann verliebt sich unsterblich in eine 19-Jährige, die einem anderen versprochen ist und diesen auch heiratet. Verzweifelt versucht Werther sich aus ihrem Bann zu befreien. Nach eineinhalb Jahren sieht er keinen anderen Ausweg mehr, als sich zu erschießen.
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Kritik

Der authentisch wirkende Briefroman, in dem Johann Wolfgang von Goethe eigene Erlebnisse verarbeitete, traf den Nerv der Zeit. Junge Menschen verstanden das Buch als Anklage gegen die Gesellschaft, die mit strengen Regeln die Individualität zu unterdrücken versuchte.
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Um für seine Mutter eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln, ist der etwa zwanzig Jahre alte Werther in eine Stadt gereist, deren Namen nicht genannt wird, damit keine Personenrechte verletzt werden.

In einem Brief vom 4. Mai 1771 berichtet Werther seinem Bruder Wilhelm, die Schwester eines von ihm hofierten Mädchens habe sich in ihn verliebt, aber er erwidere die Gefühle nicht.

Er streift viel durch die Landschaft und fühlt sich dabei wie im Paradies. Obwohl er das Zeichnen vernachlässigt, meint er, nie ein größerer Maler gewesen zu sein. Etwa eine Stunde von der Stadt entfernt begegnet er der jungen Mutter von drei Jungen, deren Mann in die Schweiz gereist ist, um ein ihm vorenthaltenes Erbe einzutreiben. Gleich darauf kommt er mit einem Knecht ins Gespräch, der sich in die verwitwete Bäuerin, für die er arbeitet, verliebt hat und darauf hofft, von ihr erhört zu werden.

Im Juni findet ein Ball auf dem Land statt. Werther führt ein Mädchen hin, das ihm nichts bedeutet. Die Base seiner Begleiterin kommt ebenfalls mit, und unterwegs hält die Kutsche bei einem fürstlichen Jagdhaus. Dort wohnt der verwitwete Amtmann S. mit seinen neun Kindern. Seine älteste Tochter, die neunzehnjährige Charlotte („Lotte“), führt den Haushalt und ersetzt ihren Geschwistern die Mutter. Ihr Tanzpartner hat Werther darum gebeten, sie in seiner Kutsche mitzunehmen. Lotte ist so gut wie verlobt mit dem elf Jahre älteren gutmütigen, anständigen und charakterfesten Albert, der gerade verreist ist, um nach dem Tod seines Vaters Familienangelegenheiten in Ordnung zu bringen. Werther ist von der Kinderschar begeistert und von der Anmut Lottes hingerissen. Ein Gewitter zieht auf und entlädt sich während des Tanzabends.

Werther verliebt sich in Lotte: „Sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart.“ Er weiß, dass sie Albert versprochen ist und seine Liebe deshalb unerfüllt bleiben wird, aber er kommt nicht von ihr los. Am 26. Juli schreibt er Wilhelm: „Ich habe mir schon manchmal vorgenommen, sie nicht so oft zu sehn. Ja, wer das halten könnte! Alle Tage unterlieg‘ ich der Versuchung, und verspreche mir heilig: morgen willst du einmal wegbleiben, und wenn der Morgen kommt, finde ich doch wieder eine unwiderstehliche Ursache, und ehe ich mich’s versehe, bin ich bei ihr.“

Ende Juli kehrt Albert von seiner Reise zurück, und die beiden Männer werden Freunde. Zwei Wochen später fallen Werther die beiden Pistolen in die Augen, die bei Albert an der Wand hängen. Albert erzählt ihm, wie er sie einmal putzen ließ: Der Bedienstete, den er damit beauftragt hatte, wollte ein Mädchen erschrecken und verletzte es unabsichtlich mit der Waffe. Zum Spaß drückt Werther sich eine der Pistolen an die rechte Schläfe. Albert findet das gar nicht lustig: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mensch so töricht sein kann, sich zu erschießen; der bloße Gedanke erregt mir Widerwillen.“

Das Paradies wird Werther zur Pein. Jetzt mutet ihm die Natur wie ein Grab an: „Der harmloseste Spaziergang kostet tausend armen Würmchen das Leben.“ Er will fort, um sich aus dem Bann zu befreien. Im Herbst tritt er in den Dienst eines Gesandten. Einige Wochen lang fühlt er sich wohl und denkt kaum noch an Lotte. Im Dezember beginnt er sich über die Pedanterie, Umständlichkeit und Unentschlossenheit des Gesandten zu ärgern. Außerdem wird er auf einer Gesellschaft von Aristokraten gedemütigt. Am 20. Januar 1772 schreibt er Lotte einen Brief: „Des Abends nehme ich mir vor, den Sonnenaufgang zu genießen, und komme nicht aus dem Bette; am Tage hoffe ich, mich des Mondscheins zu erfreuen, und bleibe in meiner Stube. Ich weiß nicht recht, warum ich aufstehe, warum ich schlafen gehe.“

Einen Monat später erfährt er, dass Lotte und Albert geheiratet haben. Eigentlich wollte er an ihrem Hochzeitstag den Schattenriss, den er von Lotte angefertigt hatte, von der Wand nehmen und unter anderen Papieren begraben. Nun hängt das Bild noch da. „Und warum nicht?“, fragt er sich.

Im März verlangt er seine Entlassung und am 6. Mai reist er ab. Seine Absicht, irgendwo in den Krieg zu ziehen, redet ihm ein im Dienst des Fürsten stehender General aus. Anfang August trifft er in der Stadt ein, in deren Nähe Lotte und Albert leben. Werther trifft die junge Mutter wieder, die er von seinem ersten Aufenthalt her kennt. Sie hat ihren jüngsten Sohn verloren, und ihr Mann ist krank und erfolglos aus der Schweiz zurückgekehrt.

Am 12. September sieht Werther Lotte wieder und nimmt seine häufigen Besuche bei ihr und Albert erneut auf.

Während eines Spaziergangs begegnet er Ende November einem Verrückten und erfährt danach, dass es sich um einen ehemaligen Schreiber von Lottes Vater

handelt, den seine leidenschaftlichen Gefühle für Lotte zugrunde gerichtet haben.

Der Knecht, mit dem sich Werther damals unterhalten hatte, versuchte in seiner Verzweiflung, die Bäuerin mit Gewalt für sich zu gewinnen, aber ihr Bruder kam dazu und jagte ihn davon. Der Bruder wollte ihn schon lang aus dem Haus haben, um eine zweite Ehe seiner Schwester zu verhindern und ihr Erbe in der Familie zu behalten. Bald darauf erschlug der entlassene Knecht den neuen Burschen der Bäuerin. In der von Albert in seiner Eigenschaft als Amtmann geleiteten Gerichtsverhandlung setzt Werther sich für den verzweifelten jungen Mann ein, findet aber kein Gehör.

Am 20. Dezember ermahnt Lotte ihn, seine Besuche einzuschränken. Die Leute tuscheln schon. „O, warum mussten Sie mit dieser Heftigkeit, dieser unbezwinglich haftenden Leidenschaft für alles, was Sie einmal anfassen, geboren werden!“ Gleich darauf meint sie: „Warum denn mich, Werther? just mich, das Eigentum eines andern? Just das? Ich fürchte, ich fürchte, es ist nur die Unmöglichkeit mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht.“

Werther kommt zu dem Schluss, dass einer von ihnen drei weg muss: Lotte, Albert oder er. Und er beschließt, sich selbst zu opfern.

Gegen ihren ausdrücklichen Wunsch sucht er Lotte bereits vor dem Weihnachtsabend erneut auf. Vor einiger Zeit hat er ihr seine Übersetzung einiger Gedichte des gälischen Barden Ossian aus dem 3. Jahrhundert übergeben. Jetzt liest er ihr aus den traurigen Gesängen vor. Sie werden beide von ihren Gefühlen überwältigt. Werther wirft sich vor Lotte hin. „Ihre Sinne verwirrten sich, sie drückte seine Hände, drückte sie wider ihre Brust, neigte sich mit einer wehmütigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wangen berührten sich.“ Trotz ihres Sträubens zieht Werther sie an sich und küsst sie. Lotte befreit sich und schließt sich im Nebenzimmer ein.

Am folgenden Tag gegen Mittag schickt Werther einen Knaben zu Albert. Er plane eine Reise und wolle sich dafür die Pistolen ausleihen. Albert liest den Zettel und bittet Lotte, die Waffen von der Wand zu nehmen und dem Jungen mitzugeben. Sie zittert und zögert, bis Albert sie fragend ansieht.

Werther röchelt noch, als er frühmorgens gefunden wird, aber jede Hilfe kommt zu spät.

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Unverkennbar trägt „Die Leiden des jungen Werther“ autobiografische Züge.

„Dass alle Symptome dieser wunderlichen, so natürlichen als unnatürlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran lässt Werther wohl niemanden zweifeln. Ich weiß noch recht gut, was es mich damals für Anstrengungen kostete, den Wellen des Todes zu entkommen.“
(Johann Wolfgang von Goethe 1815 in einem Brief an Carl Friedrich Zelter)

Ende Mai 1772 begann der im Vorjahr promovierte Jurist Johann Wolfgang Goethe mit einem Praktikum am Reichskammergericht in Wetzlar. Dort lernte der Zweiundzwanzigjährige den pfälzischen Sekretär Karl Wilhelm Jerusalem kennen und besuchte mit ihm am 9. Juni einen Ball in Volgertshausen, an dem auch Charlotte Buff und ihr Verlobter Johann Christian Kestner teilnahmen. Goethe verliebte sich in die drei Jahre jüngere Tochter eines Amtmanns, freundete sich mit dem hannoverschen Gesandtschaftssekretär Kestner an und traf sich häufig mit den beiden. Als er Charlotte dreist zu küssen versuchte, begriff sie, dass sie Klarheit schaffen musste. Daraufhin reiste Goethe am 11. September 1772 überstürzt aus Wetzlar ab. (Erst im September 1816 sahen sich Goethe und Charlotte Kestner – beide inzwischen verwitwet – in Weimar bei einem Mittagessen wieder. Daran knüpft Thomas Mann in seinem Roman „Lotte in Weimar“ an.)

In Ehrenbreitstein besuchte er die Schriftstellerin Sophie von La Roche, deren sechzehnjährige Tochter Maximiliane ihm besonders gut gefiel.

Im Oktober erschoss sich Karl Wilhelm Jerusalem mit einer von Johann Christian Kestner entliehenen Pistole, weil er hoffnungslos in eine verheiratete Frau verliebt war.

Maximiliane heiratete den mehr als doppelt so alten Kaufmann Peter Anton Brentano und zog mit ihm Anfang 1774 nach Frankfurt am Main. Obwohl die verheiratete Frau für Goethe unerreichbar war, umschwärmte er sie, und es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann.

Im Frühjahr 1774 schrieb Johann Wolfgang Goethe „Die Leiden des jungen Werther“, ein Buch, das offenbar den Nerv der Zeit traf und deshalb innerhalb von kurzer Zeit in mehreren Auflagen erschien. Die jungen Leute sahen in Werther einen verzweifelten Mann, der durch leidenschaftliche Gefühle und künstlerische Empfindsamkeit geadelt und zugleich zerstört wurde. Sie verstanden den Briefroman aber auch als Anklage gegen die Gesellschaft, die mit strengen Regeln die Individualität zu unterdrücken versuchte. Gegen den Zwang des absolutistischen Staates richtete sich eine Revolte, die in der als „Sturm und Drang“ bezeichneten Epoche ihren literarischen Ausdruck fand.

„Die Leiden des jungen Werther“ ist ein Briefroman. Da die Leser nichts über den Adressaten Wilhelm erfahren, können sie sich angesprochen fühlen. Indem Namen durch Initiale oder Sternchen ersetzt sind und in einer Fußnote darauf hingewiesen wird, dass man Ortsnamen geändert habe, entsteht der Eindruck von Authentizität, der sich noch steigert, wenn am Ende der (fiktive) Herausgeber die (angeblich) vorhandenen Briefe und Aufzeichnungen Werthers durch die Ergebnisse eigener Nachforschungen ergänzt.

Jules Massenet machte aus „Die Leiden des jungen Werther“ die Oper „Werther“ (Libretto: Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann), die am 16. Februar 1892 an der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde. Auf originelle Weise griff Ulrich Plenzdorff den Stoff in seinem 1968 entstandenen Filmskript „Die neuen Leiden des jungen W.“ auf. Die gleichnamige Erzählung erschien 1973; es folgten eine Bühnenfassung und eine Filmversion (Regie: Eberhard Itzenplitz, 1976).

Verfilmt wurde der Roman „Die Leiden des jungen Werther“ bereits 1910 zum ersten Mal (Drehbuch: Charles Decroix, Regie: Henri Pouctal, Titelrolle: André Brulé). Unter den weiteren Adaptationen fürs Kino ragt die von Max Ophüls heraus.

Originaltitel: Werther – Regie: Max Ophüls – Drehbuch: Hans Wilhelm und Max Ophüls, nach dem Roman „Die Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe – Kamera: Fédote Bourgasoff, Paul Portier, Eugen Schüfftan – Schnitt: Gérard Bensdorp, Jean Sacha – Musik: Paul Dessau alias Henri Herblay – Darsteller: Pierre Richard-Willm, Annie Vernay, Jean Galland, Jean Périer, Henri Guisol, Roger Legris u.a. – 1938; 85 Minuten

Eine radikal ins moderne Berlin verlegte Filmversion stammt von Uwe Janson: „Werther“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

Uwe Janson: Werther

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Katharina Hacker - Die Habenichtse
Katharina Hacker beschreibt in "Die Habenichtse" weder die Orientierungslosigkeit der Personen, noch stellt sie Thesen auf, sondern sie veranschaulicht alles in Szenen. Während sie von Abschnitt zu Abschnitt den Handlungsstrang wechselt, bleibt sie gelassen, lakonisch und nüchtern.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.