Der große Bagarozy

Der große Bagarozy

Der große Bagarozy

Originaltitel. Der große Bagarozy - Regie: Bernd Eichinger - Drehbuch: Bernd Eichinger, nach dem Roman "Der große Bagarozy" von Helmut Krausser - Kamera: Gernot Roll - Schnitt: Alexander Berner - Musik: Henning Lohner und Stephan Zacharias - Darsteller: Corinna Harfouch, Til Schweiger, Thomas Heinze, Detlev Buck, Neza Selbuz, Christine Neubauer, Sonja Kerskes, Patricia Lueger, Christof Wackernagel u.a. - 1999; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Am Schreibtisch der Psychotherapeutin Cora Dulz sitzt ein Mann, der erzählt, wie ihm Maria erschienen ist – nicht die Mutter Gottes, sondern die 1977 verstorbene Maria Callas. Cora nimmt zunächst an, sie habe es wieder einmal mit einem ziemlich hoffnungslosen Fall zu tun und hört nur halb zu. Als dem Mann die Zigarette hinunterfällt und er Cora von unten anblickt, erschrickt sie über seine leuchtend blauen Augen.
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Kritik

"Der große Bagarozy" ist ein witziges und exzellent inszeniertes Märchen über den Teufel, der endlich sterblich sein möchte, aber ein wenig Angst davor hat, ein Mensch zu werden, weil es so viele abschreckende Beispiele gibt.

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Im Vorspann sehen wir ein kleines Mädchen mit einer zierlichen Spieluhr und einen schwarzen Pudel, der sich neben das Kind setzt. –

Am Schreibtisch der 38-jährigen Psychotherapeutin Cora Dulz (Corinna Harfouch) sitzt ein Mann namens Stanislaus Nagy (Til Schweiger), der erzählt, wie ihm Maria erschienen ist – nicht die Mutter Gottes, sondern die 1977 verstorbene Maria Callas. Cora nimmt zunächst an, sie habe es wieder einmal mit einem ziemlich hoffnungslosen Fall zu tun und hört nur halb zu. Als dem Mann die Zigarette hinunterfällt und er Cora von unten anblickt, erschrickt sie über seine leuchtend blauen Augen.

Zu Hause sitzt Cora ihrem Mann Robert (Thomas Heinze) gegenüber, der ohne Genuss eine Portion Spaghetti verschlingt. Nur als er das Album aufschlägt, in dem er Zeitungsausschnitte über kuriose Todesfälle sammelt, flackert etwas von Begeisterung auf. Als sie ihn fragt, ob er Sex mit ihr haben möchte, schluckt er und versichert stammelnd: „Ja, sicher.“ Aber er erinnert sie daran, dass er wegen seines Herzinfarktes vorsichtig sein müsse. Cora entgegnet, wer keine Risiken eingehe, lebe nicht richtig, muss sich aber fragen lassen, welche Risiken sie denn auf sich nehme.

In einer weiteren Sitzung gesteht Nagy seiner Therapeutin, er habe ihr einen falschen Namen genannt, eines seiner vielen Pseudonyme wie zum Beispiel auch Bagarozy. Auch die Altersangabe stimme nicht: er sei nicht 32, sondern sehr viel älter. Bei ihm handele es sich nämlich um den Teufel! Als sie ihn spöttisch fragt, was er mit den Seelen seiner Opfer gemacht habe, antwortet er: „Ich warf sie weg. Was denn sonst?“

Nagy arbeitet als Kaufhausdetektiv in Frankfurt am Main und lädt Cora ein, mit ihm einmal nachts durch das geschlossene Kaufhaus zu gehen. Dort sieht sie durch ein Panoramafenster, wie auf seinen Fingerschnipp in allen Büros der benachbarten Hochhäuser das Licht angeht. Sie ist verblüfft, aber ihr Begleiter sagt, er wolle ihr nichts vormachen: Er habe einfach gewusst, dass es jeden Abend um 21 Uhr so ist. Cora lässt sich von ihm überreden, ein schickes Abendkleid anzuprobieren, und als sie aus der Umkleidekabine tritt, steht er in Frack und Zylinder vor ihr. Sie trinken Sekt, und er zeigt ihr Fotos von Maria Callas mit ihrem schwarzen Pudel: „Maria beim Espressotrinken im Café. Mein Lieblingsfoto von uns.“

Nach dem nächtlichen Besuch im menschenleeren Kaufhaus kommen Cora und Nagy an einem Schaufenster vorbei, in dem eine Spieluhr steht. Er macht sie darauf aufmerksam: So eine Spieluhr habe sie doch als Kind gehabt. Überrascht fragt sie, woher er das wisse, aber er geht nicht darauf ein, sondern zertrümmert mit einer Mülltonne die Scheibe, ergreift die Spieluhr und läuft mit Cora davon.

Die nach außen hin spröde Therapeutin fühlt sich immer stärker zu dem außergewöhnlichen Mann hingezogen, der ihre geheimen Wünsche erahnt, längst vergessene Sehnsüchte und erotisches Verlangen in ihr weckt. Einmal klagt sie: „Ich konnte das Glück nicht halten. Es wurde immer weniger.“ Doch als sie bereit ist, sich von ihm küssen zu lassen, stößt er sie weg. Treibt er ein Spiel mit ihr?

Während des Zweiten Weltkriegs hätten die Menschen seine Aufgaben übernommen, sagt Nagy,

böser und grausamer als er sich das hätte vorstellen können. Damals habe er dafür gesorgt, dass die pummelige Sopranistin Maria Callas mit eiserner Disziplin abnahm, schlank wurde und sich zum Weltstar entwickelte. Um so wirkungsvoller glaubte er sie vernichten zu können, denn sein Werk sei es auch gewesen, dass sie am Ende kaum noch singen konnte. Doch als sie starb, habe sich sein Sieg in eine Niederlage verwandelt, denn nun ist ihr vollendeter Gesang für ewige Zeiten auf Platten zu hören. Noch schlimmer sei gewesen, dass er sich zum ersten Mal verliebt hatte. Er, der Teufel!

Immer wieder verblüfft Nagy seine Therapeutin damit, dass er Einzelheiten über sie weiß, die er nicht beobachtet haben kann – bis sie eines Tages herausfindet, dass er ein Verhältnis mit ihrer Sprechstundenhilfe hat. Zur Rede gestellt, gibt die junge Frau zu, geplaudert zu haben. Cora entlässt sie.

Als Nagy sie auffordert, sich auf der Straße auszuziehen, legt Cora Rock und Bluse ab. „Weiter!“, verlangt er von der anderen Straßenseite her. Sie ziert sich. Da zuckt er mit den Schultern, dreht sich um und lässt sie halbnackt stehen. Vor Zorn über die Demütigung stampft sie mit dem Fuß auf.

Auf Plakaten wird für den Auftritt des „großen Bagarozy“ geworben. Cora kauft das Kleid, das sie bei ihrem nächtlichen Besuch im Kaufhaus anprobierte, besucht eine Vorstellung und beobachtet Nagy auf der Bühne, der gerade ihre entlassene Sprechstundenhilfe zum Schweben bringt. Als der Zauberkünstler Cora im Publikum erblickt, lässt er seine Assistentin zu Boden fallen und läuft von der Bühne. Der Veranstalter kündigt ihm auf der Stelle.

Als Cora ihren Patienten in seiner finsteren Behausung aufsucht, hält er ihr das letzte Foto von Maria Callas hin und zeigt ihr im Spiegel, dass sie der Operndiva ähnlich sieht. Entsetzt fragt sie: „So hast du mich die ganze Zeit über gesehen? Als alte, zerstörte Frau!“

Um Nagy zu provozieren, sagt Cora: „Deiner Geschichte fehlt das Ende.“ Er entgegnet: „Warum soll ich es dir erzählen, wo du es sowieso nicht glaubst?“ Da antwortet sie leise: „Damit die Geschichte wahr wird.“ Er gesteht ihr, dass er sich seit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs für überflüßig hält und deshalb sterben möchte. „Ich habe mir eine sehr langwierige Todesart ausgesucht: Ich werde Mensch.“ Er fragt Cora: „Wie ist es, ein Mensch zu sein? Ich habe ein wenig Angst davor. Es gibt so viele abschreckende Beispiele. Vermutlich wäre ich gar kein guter Mensch. Was meinst du? Womöglich käme ich als Verbrecher zur Welt – oder als Rechtsanwalt.“

Als Cora nach Hause kommt, wacht Robert mit vom Schrecken geweiteten Augen auf: Er träumte gerade, der Tod (Detlev Buck) sei wie ein Versicherungsvertreter bei ihm gewesen, um die Modalitäten seines Ablebens zu besprechen. Zum Schluss habe der Tod offenbar einen Einfall gehabt. Cora erschießt ihren Mann. Dann ruft sie die Kommissarin Lioba (Christine Neubauer) an, mit der sie befreundet ist, und behauptet, Nagy begehre sie und drohe, Robert umzubringen. Sie mache sich deshalb Sorgen. Ein Sanitätsauto bringt Robert ins Krankenhaus. In Nagys Apartment findet die Polizei nur einen schwarzen Pudel. Als Cora, die mit einem Polizeiaufgebot auf der Straße vor dem Haus wartet, den Pudel laufen sieht, reißt sie einem Polizisten die Maschinenpistole weg und schießt das Magazin leer.

Die Ärzte stehen fassungslos neben Robert am Operationstisch: Aufgrund eines Herzdurchschusses müsste er tot sein. Doch er lebt. Währenddessen flieht Cora, die ebenfalls in das Krankenhaus gebracht wurde, auf das Flachdach der Klinik in 80 m Höhe. Als sich Dutzende von Ärzten und Pflegern in weißen Kitteln nähern, droht sie, zu springen. Da taucht plötzlich Nagy auf und beschwört sie, es nicht zu tun: „Wenn du jetzt springst, wirst du es nie erfahren, das Ende unserer Geschichte.“ Er umarmt sie und flüstert: „Erlöse mich.“ Was dann aus dem Teufel werde, möchte sie wissen, doch er meint leichthin, da finde sich schon jemand. Cora küsst ihn. Im nächsten Augenblick stürzt er sich in die Tiefe.

Cora wird festgenommen und muss sich wegen der versuchten Ermordung ihres Ehemanns vor Gericht verantworten. Weil der Richter aufgrund eines Gutachtens annimmt, dass die Psychiaterin zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig war, kommt sie mit einer kurzen Haftstrafe davon. Ihre Ehe wird geschieden. Robert heiratet wieder. Sein Arzt kann es nicht fassen, dass sein Herz gesünder denn je ist: „Das muss mit dem Teufel zugehen!“ Da leuchten Roberts Augen grell auf …

Nach ihrer Haftentlassung begegnet Cora in der Mitte einer Mainbrücke einem Mann, der Nagy ähnlich sieht. Sie spricht ihn an, entschuldigt sich dann wegen der Verwechslung und stellt sich vor. Der Fremde nennt ebenfalls seinen Namen: Stanislaus Bagarozy! In diesem Augenblick ist Maria Callas zu hören. Es ist Punkt 21 Uhr. Die Lichter der Großstadt gehen an.

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Jetzt wissen wir es: Bei dem schwarzen Pudel von Maria Callas handelte es sich um den, der schon Faust begegnet war! – So wie der Gelehrte einen Pakt mit dem Teufel schloss, um die Welt mit anderen Augen sehen zu können, wünscht sich die unerfüllte Psychotherapeutin Cora Dulz den Teufel herbei.

In seiner Verfilmung von Helmut Kraussers witzigem Roman „Der große Bagarozy“ hält Bernd Eichinger sich bis auf den Schluss eng an die literarische Vorlage. Details baut er filmwirksam aus. Von den unerwarteten Wendungen der kuriosen Handlung ging nichts verloren, und die funkelnden Dialoge Helmut Kraussers ergänzt Bernd Eichinger sogar noch um zwei oder drei Pointen. Brillant ist Gernot Rolls Kameraführung, und Alexander Berner trägt mit rasanten Schnitten maßgeblich zum Sehvergnügen bei. Ein Hörgenuss sind die Arien der Maria Callas. Besonders hervorgehoben seien Til Schweiger und Corinna Harfouch, aber auch Thomas Heinze und Detlev Buck, die sich alle in bester Spiellaune zeigen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

Stefanie Bachstein - Du hättest leben können
"Du hättest leben können" ist kein abstrakter, sondern ein szenisch umgesetzter Bericht, in dem eine um ihr Kind trauernde Mutter differenziert und ohne Larmoyanz das Gefühlschaos darstellt, in dem sie sich zurechtfinden muss. Gleichzeitig untersucht sie die strukturellen Mängel im Umgang mit ärztlichen Kunstfehlern und fordert Verbesserungen.
Du hättest leben können