Einfach das Ende der Welt
Einfach das Ende der Welt
Inhaltsangabe
Kritik
Vor zwölf Jahren verließ Louis (Emile Rondeau / William Boyce Blanchette / Gaspard Ulliel) seine auf dem Land lebende Familie und zog in die Stadt, wo er als Dramatiker reüssierte. Seinen Angehörigen schickte er zwar regelmäßig Postkarten mit Geburtstagsgrüßen, aber darüber hinaus gab es keine Kontakte. Nun hat der inzwischen 34-Jährige überraschend seinen Besuch angekündigt. Seine Mutter Martine (Nathalie Baye) und seine jüngere Schwester Suzanne (Léa Seydoux) bereiten das Essen vor, schminken sich und kleiden sich dem Anlass entsprechend. Er steigt aus einem Taxi. Warum er so viel Geld ausgegeben habe, statt sich von ihr mit dem Auto vom Flughafen abholen zu lassen, fragt Suzanne.
Zum ersten Mal sieht Louis seine Schwägerin Catherine (Marion Cotillard), die Ehefrau seines älteren Bruders Antoine (Théodore Pellerin / Vincent Cassel), der mit ihr ebenfalls zu dem Familientreffen gekommen ist. Louis und Catherine wissen nicht recht, ob sie sich per Du oder per Sie ansprechen sollen. In ihrer Verlegenheit erzählt Catherine von ihren beiden Kindern, bis Antoine mit der Bemerkung dazwischenfährt, das interessiere Louis alles nicht.
Suzanne nimmt Louis mit in ihr Zimmer. Sie wirft ihm vor, dass er sich von der Familie getrennt habe und deutet an, dass auch sie lieber in der Stadt leben würde, aber die Mutter nicht im Stich lassen wolle.
Louis‘ Lebensgefährte ruft an und fragt, ob er der Familie schon mitgeteilt habe, dass er bald sterben werde. Nein, dazu habe er noch keine Gelegenheit gehabt, antwortet Louis. Er warte noch auf einen geeigneten Augenblick.
Auch als er mit seiner heimlich im Gartenhaus rauchenden Mutter allein ist, kommt Louis nicht dazu, mit ihr darüber zu reden. Martine plappert unaufhörlich, ohne Antworten von ihm abzuwarten. Sie drängt ihn, Suzanne einzuladen, ihn in der Stadt zu besuchen.
Als Louis sich von seinem Bruder zu dem verlassenen und verfallenen Haus fahren lässt, in dem sie aufwuchsen, erzählt er ihm, dass er schon am Vorabend angereist sei, aber noch in einer Pension übernachtet habe. Antoine unterbricht ihn: Er wolle die Geschichten des Dramatikers nicht hören, bei denen er nie wisse, ob sie wahr oder fiktiv seien. Worte, nichts als Worte, schimpft er, genau wie früher. Immerhin berichtet er Louis, dass dessen Jugendliebe Pierre Jolicoeur (Antoine Desrochers) kürzlich starb.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Beim Dessert hält Louis eine kleine Ansprache. Aber statt seinen bevorstehenden Tod anzukündigen und sich von der Familie zu verabschieden, sagt er, was die anderen gern hören: Er verspricht, von nun an häufiger zu kommen und versichert Suzanne, sie sei jederzeit bei ihm in der Stadt willkommen.
Antoine springt auf, behauptet, Louis habe noch eine Verabredung und müsse zum Flugzeug. Er werde ihn fahren. Martine und Suzanne sind entsetzt. Vergeblich fordern sie Louis zum Bleiben auf. Es wird geschrien und geweint. Antoine schlägt Louis ins Gesicht. Statt sich zu verteidigen, bestätigt Louis leise die Behauptung seines Bruders, er müsse zum Flughafen. In dem Chaos verlässt eine Person nach der anderen den Raum, bis Louis allein zurückbleibt.
Die Kuckucksuhr springt auf. Ein Singvogel flattert heraus, prallt gegen eine Scheibe. Der Vogel liegt tot am Boden, als Louis das Haus verlässt, ohne sich von der Familie verabschiedet und seinen Tod angekündigt zu haben.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Xavier Dolan verfilmte das 1990 in Berlin geschriebene und veröffentlichte Theaterstück „Juste la fin du monde“ / „Einfach das Ende der Welt“ von Jean-Luc Lagarce, der am 30. September 1995 im Alter von 38 Jahren an den Folgen einer HIV-Infektion gestorben war und weder die Uraufführung 1999 am Théâtre National de la Colline in Paris noch die Deutschlandpremiere 2001 am Theater Bremen erlebt hatte. Die Übertragung ins Deutsche stammt von Uli Menke. Xavier Dolan schrieb das Drehbuch für die Verfilmung, führte Regie, schnitt den Film und gehörte zu den Produzenten.
Jean-Luc Lagarce nennt die Krankheit, an der Louis leidet – AIDS –, beim Namen. Im Film erfahren wir nur, dass Louis schwul und todkrank ist.
Xavier Dolan beginnt „Einfach das Ende der Welt“ mit einer Parallelmontage, in der wir Louis im Taxi sehen und sowohl seine Mutter als auch seine Schwester bei den letzten Vorbereitungen für seinen Besuch. Als Orts- und Zeitangabe wird „Irgendwo, vor einiger Zeit“ eingeblendet.
In der Familie wird ständig attackiert und gestritten, angeklagt, gebrüllt und geweint. Antoine, der frustrierte ältere Sohn, legt sich mit allen andern an und provoziert sie. Louis ist für ihn, Suzanne und Martine eine Projektionsfläche. Während der Besucher nicht zu Wort kommt, reden die anderen auf ihn und auf einander ein. Lediglich zwischen Louis und seiner Schwägerin Catherine gibt es einmal einen Augenblick des Schweigens und Verstehens. „Einfach das Ende der Welt“ ist ein kammerspielartiges Drama über eine zur Kommunikation unfähige Familie. Wir hören denn auch Camille Dalmais mit dem Chanson „Home Is Where It Hurts“.
Bei der Verfilmung von „Einfach das Ende der Welt“ setzt Xavier Dolan nicht auf Bühneneffekte, sondern vor allem auf Nah- und Großaufnahmen. Dabei können sich André Turpin und er auf das hochkarätige Schauspieler-Ensemble verlassen: Gaspard Ulliel, Marion Cotillard, Nathalie Baye, Léa Sedoux und Vincent Cassel. Dass sie selten alle zusammen im Bild sind und es sich bei den Dialogen zumeist um (scheiternde) Zweiergespräche handelt, spiegelt die Dysfunktion der Familie.
Die Uraufführung von „Juste la fin du monde“ / „Einfach das Ende der Welt“ fand am 19. Mai 2016 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes statt. Der Film von Xavier Dolan wurde mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Xavier Dolan: Sag nicht, wer du bist!