Pete Dexter : Unter Brüdern

Unter Brüdern
Originalausgabe: Brotherly Love Random House, New York 1991 Unter Brüdern Übersetzung: Götz Pommer Wilhelm Goldmann Verlag, München 1996 Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2015 ISBN: 978-3-95438-042-8, 302 Seiten ISBN: 978-3-95438-046-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Handlung spielt 1961 bis 1986 in Philadelphia. Dort kontrolliert die Mafia die Straße und teilt sich die Macht mit irisch­stämmigen Gewerkschaftern wie den Brüdern Flood. Deren grundverschiedene Söhne wachsen wie Brüder auf. Michael Flood übernimmt nach der Ermordung seines Vaters dessen Rolle, und sein introvertierter Cousin Peter Flood hält loyal zu ihm, obwohl er Gangster verabscheut ...
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Kritik

Pete Dexter schildert in seinem meisterhaften Gangsterroman "Unter Brüdern" nichts, sondern inszeniert alles prägnant. Die Hauptcharaktere leuchtet er tief aus, aber nicht durch Beschreibungen, sondern indem er sie agieren lässt. Dadurch werden sie lebendig.
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Der achtjährige Peter Flood passt 1961 im Garten des Elternhauses in Philadelphia auf seine kleine Schwester Angela auf, die noch Windeln trägt. Gerade als sie davonzulaufen versucht, hört Peter das Auto des im Nachbarhaus wohnenden Polizei-Lieutenants Victor Kopec, der nach Hause kommt. Und da ist auch dessen Hund, vor dem Peter sich fürchtet. Statt seiner Schwester nachzurennen, bleibt Peter wie erstarrt stehen. Der Wagen gerät an einer vereisten Stelle von der Straße ab, und Peter beobachtet, wie seine Schwester durch die Luft geschleudert wird. Sobald das kleine Mädchen auf dem Boden liegt, packt der Hund es und schüttelt es, bis der Nachbar ihn mit dem Griff seines Revolvers auf den Kopf schlägt. In der Haustür taucht Peters Mutter im Bademantel auf. Sie fängt zu weinen an. Nachdem Victor Kopec einen Krankenwagen gerufen hat, telefoniert er noch ein weiteres Mal, und zwar mit einem Mann namens Sally.

„Sally“, sagt er, und es klingt erleichtert, „ich habe hier ein Problem … nein, bei Charley Flood.“

Dann schießt er auf den Hund und hört erst auf, als die Trommel des Revolvers leer ist.

Angela ist tot.

Peters Vater kommt am Abend nach Hause. Der Mann, der Sally heißt, besucht ihn. Peter hört, wie er sagt: „Du kannst ihn nicht umbringen, Charley.“ Auf der Straße steht nun rund um die Uhr ein Polizeifahrzeug mit laufendem Motor. Daraus schließt Peter, dass der Nachbar sich vor seinem Vater fürchtet und Kollegen Wache halten. Später klingelt Peters mit einer Italienerin verheirateter Onkel Phillip („Phil“), und dann taucht auch noch ein alter Mann auf, den alle respektvoll behandeln und mit „Constantine“ ansprechen.

„Ich habe gehört“, setzt Constantine noch einmal an, „Sie haben sich noch nicht so weit wieder beruhigt, dass Sie einsehen können, es war ein Unfall.“

„Er hat uns einige Male geholfen, Charley“, sagt er. Sein Vater gibt keine Antwort.
„Und jetzt sagt er zu mir, Constantine, Sie müssen mir auch helfen. Ich muss mit Charley reden, muss das aus der Welt schaffen. Er sagt, Constantine, ich kann nicht als Nachbar von diesem verrückten Iren leben, der solche Sachen von mir denkt …“

Peters Vater meint, der Mörder seiner Tochter komme ihm nicht ins Hause.

Der alte Herr betrachtet seine Finger und nickt, und als er wieder spricht, ist die Freundlichkeit aus seiner Stimme verschwunden. „Doch“, sagt er. „Der kommt hier rüber und entschuldigt sich, und damit basta.“

Victor Kopec, der offenbar bereits vor der Türe gewartet hat, drückt Charley Flood sein Beileid aus. Constantine kommentiert:

„Wenn etwas passiert, muss man den Leuten entweder verzeihen oder sie umbringen.“

Am nächsten Morgen wird Peters Mutter Catherine Estelle von Sanitätern abgeholt, und als Peter fragt, ob man sie ins Krankenhaus bringe, antwortet der Vater:

„Ja, aber es ist nicht die Art Krankenhaus, wo du sie besuchen kannst.“

Sie werde auch nicht zurückkommen, sagt er.

Zwei Monate später steht noch immer ein Polizeiauto auf der Straße. Peter sieht am frühen Morgen durchs Fenster, dass die Insassen eingeschlafen sind. Sein Vater tritt aus der Tür des Nachbarhauses, mit Victor Kopecs Leiche über der Schulter. Von den Polizisten unbemerkt, hievt er sie in den Kofferraum von Victor Kopecs Cabriolet. Danach bringt Charley Flood seinen Sohn zur Schule, wie sonst auch. Erst nach drei Tagen wird der Tote gefunden.

Phil Flood bleibt bei seinem Neffen Peter im Haus. Charley taucht erst nach Einbruch der Dunkelheit auf. Nach einer kurzen Unterredung fahren die beiden Männer zusammen weg. Am nächsten Morgen kommt der Onkel allein zurück. Seinem Vater sei etwas Schlimmes zugestoßen, sagt er zu Peter. Der läuft daraufhin zum Fenster und springt hinaus.

Peter hat sich beide Beine gebrochen. Sein Vater bleibt spurlos verschwunden. Onkel Phil, Tante Theresa und ihr Sohn Michael sind zu ihrem verwaisten Neffen bzw. Cousin ins Haus gezogen. Phil möchte, dass die beiden Jungen wie Brüder aufwachsen.

1966 beobachtet Nicholas („Nick“) Dimaggio, ein früherer Boxer, der sich über seiner Autowerkstatt eine Boxsporthalle gebaut hat, wie Michael und Peter von drei afroamerikanischen Jugendlichen auf der Straße überfallen werden. Er weiß, dass Charley Flood im Gegensatz zu seinem Bruder Phillip mit den Händen gearbeitet hatte, bevor er es in der Dachdeckergewerkschaft zu etwas brachte. Weder mit Phillip Flood noch mit den Jungen will er etwas zu tun haben. Aber nachdem Michael und Peter nicht nur ihre Taschen ausleeren, sondern auch ihre neuen Turnschuhe hergeben mussten, geht er hin. Robert, der 15-jährige Anführer der Schwarzen, nimmt Nick nicht ernst, aber der gibt ihm zunächst eine harmlose Ohrfeige, und als Robert abwehrend die Hände hochreißt, schlägt er ihm mit voller Wucht in die Rippen. Michael, der inzwischen weggelaufen ist und seinen ein Jahr älteren Cousin allein gelassen hat, schreit aus sicherer Entfernung: „Nigger!“

Als Phil die Jungen ohne Schuhe nach Hause kommen sieht, herrscht er sie zornig an. Michael lügt zwar, sie seien von sechs erwachsenen Niggern überfallen worden, aber dazu meint sein Vater:

„Charley und ich wären in eurem Alter eher ohne Füße nach Hause gekommen als ohne Schuhe.“

Kurz darauf bringt er die beiden Jungen zu Nick in die Sporthalle:

„Sie müssen keinen Meistertitel gewinnen“, sagt er. „Sorgen Sie nur dafür, dass sie ein bisschen Mumm kriegen.“

Peter lässt sich auf das harte Boxtraining ein, obwohl er mehrmals heftig einstecken muss. Aber Michael zieht es vor, das Fernsehgerät in der Halle einzuschalten und dem jüdischen Tänzer Jimmy Measles zuzuschauen. Als Phil Flood sich nach den Leistungen der Jungen erkundigt, behauptet Nick, beide würden sich gut machen. Aber der Gewerkschaftsführer glaubt ihm nicht:

„Verraten Sie mir eins, Nick“, sagt er. „Wenn sie sich ganz gut machen – warum kommt Peter dann immer mit polierter Fresse nach Hause und Michael hat nicht mal ’nen blauen Fleck, verdammt noch mal?“

Phil bringt die Jungen zu Hause dazu, miteinander zu ringen. Peter ist weitaus kräftiger als sein korpulenter Cousin und drückt diesen zu Boden. Als er eine Stunde später schlafend auf der Couch liegt, schlägt der zwölfjährige Michael ihn mit einem Hammer krankenhausreif.

Eines Nachts hört Peter seinen Onkel mit Italienern und Männern von der Dachdecker­gewerkschaft reden. Constantine wurde ermordet. Der Mafiapate war Ende 70. Weil Phil Flood als Drahtzieher des Anschlags verdächtigt wird, lässt er Michael und Peter auf Schritt und Tritt von zwei Männern bewachen.

Als Peter 15 und Michael 14 Jahre alt sind, brechen sie die Schule ab.

1972 erfährt Peter durch ein Anwaltsschreiben, dass seine Mutter Catherine Estelle Flood gestorben ist und ihm ein kleines Hause in Cape May/New Jersey hinter­lassen hat. Während Peter inzwischen als Dachdecker arbeitet und weiter bei Nick trainiert, ließ Michael sich von seinem Vater, der den Vorsitz des Gewerkschafts­rats übernommen hat, einen Bürojob vermitteln.

Mehrmals bricht Nicks Sohn Harry dem drei Jahre älteren Peter beim Sparring die Nase. Er spricht mit seinem Vater über den Neffen des berüchtigten Gewerkschaftsführers:

„Ich mag diese Leute nicht“, sagt Harry ruhig. „Die machen uns alles kaputt …“
„Er kann nichts für seinen Onkel.“ […]
„Peter ist nicht so wie sein Onkel“, sagt Nick.
„Es ist eine Familie.“
„Aber vielleicht will er nicht zu dieser Familie gehören.“

1974 liegt Peter mit einer Frau im Bett, als um 4 Uhr morgens das Telefon klingelt. Es ist Michael. „Sie haben Phil erledigt“, sagt er. An seiner Haustüre explodierte eine Sprengfalle. Zweifellos waren es die Italiener; sie rächten Constantine.

„Ich brauch dich“, sagt Michael.
„Wozu?“
„Wenn ich die Sache weiterführen will, muss ich jemand haben, dem ich vertrauen kann“, sagt Michael.

Der letzte Teil der Handlung spielt 1986.

Michael und Peter Flood sind inzwischen mit James Katz – Künstlername: Jimmy Measles – befreundet. Die drei Freunde und zwei für Michael arbeitende Kerle – Monk und der Halbire Robert O’Meara, der wegen seines Aussehens „Bobb der Japse“ gerufen wird – klettern nachts über die Feuerleiter auf das Dach eines Kaufhauses in Philadelphia. Sie trinken von Jimmy beigesteuerten Champagner, aber auch Apfelwein, den Monk mitgebracht hat. Zwischendurch schnupfen Michael und Jimmy Kokain. Als Peter zur Dachkante geht, nehmen die anderen an, er werde auf die Straße hinunter urinieren, aber stattdessen springt er wortlos vom Dach. Ein Sandhaufen bremst seinen Aufprall ab. Der Fall und die Rücken­schmerzen beruhigen Peter, lenken ihn von seinen Schuldgefühlen ab. Seit dem Schulabbruch macht er immer wieder solche Sprünge.

Obwohl er eigentlich keine Lust dazu hat, geht er vier-, fünfmal pro Woche mit seinem Cousin in den Club ihres gemeinsamen Freundes Jimmy Measles. Seit dieser für viel Geld den europäischen Koch Otto beschäftigt, statt weiter Hamburger und Grillhähnchen anzubieten, ist der Umsatz um die Hälfte eingebrochen. Der Club macht jetzt Verluste, aber Jimmy Measles versteht das alles nicht.

Inzwischen haben die Barkeeper spitzgekriegt, was Jimmy seinem Otto zahlt, und klauen, als würden sie für die Stadt arbeiten.

Wenn Michael etwas haben möchte, dann nimmt er es sich. Jetzt will er mit Jimmys Ehefrau Grace ins Bett und bringt Peter dazu, den Freund zu Boxkämpfen mitzunehmen, damit er und Grace ungestört sind. Um ganze Nächte mit ihr verbringen zu können, verlangt Michael nach zwei Monaten von seinem Cousin, dass dieser mit Jimmy über Nacht in Atlantic City bleibt.

Als die beiden wieder einmal am Morgen aus Atlantic City zurückkommen, liegt Michael im Krankenhaus. Vor den Augen seiner Geliebten schossen Italiener mit Schrotflinten auf ihn. Die Bewacher Monk und Bobby der Japse waren im Auto eingeschlafen. Als Bobby aufwachte und aus dem Auto sprang, flohen die überraschten Gangster. Deshalb überlebte Michael, aber die Kugeln verletzten ihn schwer. In den Nachrichten werden Michael Flood Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachgesagt und es heißt, der Mordversuch stehe im Zusammenhang mit einem Machtkampf zwischen der Mafia in Philadelphia und der Dachdeckergewerkschaft.

Eine Woche später wird Peter von einem Italiener angerufen.

Der Mann meint: „Wie ich höre, gibt es in Ihrer Familie gesundheitliche Probleme. Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken, das Geschäft zu übernehmen …“
Peter gibt keine Antwort.

Dann wird Robert O’Meara alias Bobby der Japse in einem Müllsack am Straßenrand tot aufgefunden. Hände und Füße sind mit Draht gefesselt, hinter dem Ohr klafft eine Schusswunde. Michael und Peter erfahren es durch einen Anruf, als sie gerade bei Stadtrat Benjamin Taylor im Büro sitzen.

In jüngster Zeit haben die Medien enthüllt, dass neunzehn Verwandte des Stadtrats – einschließlich seiner zweiundneunzigjährigen Mutter – Gehälter von der Stadt beziehen. Also hat der Stadtrat, der ahnt, dass es Ärger geben wird, Michael zu sich gebeten, um zu sehen, ob er einigen von seinen Verwandten einen neuen Job bei der Gewerkschaft besorgen kann.

Eine Woche später dringt Michael mit Monk und Bobbys Ersatz Leonard Crawley in das Reihenhaus eines dementen Italieners ein. Sie holen ihn aus dem Bett, fesseln ihn an einen Durchlauferhitzer im Keller und schlagen ihn tot.

Peter erfährt es aus der Zeitung. Er wundert sich darüber, dass sich Jimmy Measles von Michael herumkommandieren lässt und Botengänge für ihn erledigt. Dann findet er heraus, dass Michael dem überschuldeten Clubbesitzer eine große Geldsumme geliehen hat. Eines Nachts, als Peter den Club verlässt, fallen ihm zwei ältere Italiener in einem geparkten Wagen auf, und er befürchtet, dass sie es auf ihn abgesehen haben. Aber sie beachten ihn nicht weiter. Noch in derselben Nacht wird das Gebäude niedergebrannt. Grace zieht zu ihrer jüngeren Schwester in die bewachte Wohnanlage Cherry Hill in New Jersey.

Michael lässt sich von niemandem davon abhalten, den Hengst Helen’s Dream zu kaufen. Nach kurzer Zeit muss er das Tier einschläfern lassen. Den jungen Tierarzt Dr. Walter Craddock zwingt er, das tote Pferd aufs Maul zu küssen. Danach droht er Jimmy, ihm auch so eine Spritze zu verpassen.

Der lässt sich von Peter zur Familie seiner Schwägerin fahren, um mit seiner Frau zu reden. Peter wartet im Wagen auf ihn. Auf der Rückfahrt fragt Jimmy, wie lange die Affäre zwischen Michael und seiner Frau dauerte und ob Peter davon wusste. Offenbar hat Grace ihm jetzt davon erzählt, um ihn loszuwerden.

„Ich war wie ein Freund zu euch beiden“, sagt Jimmy.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Kurz darauf findet Peter ihn tot in der Badewanne. Jimmy hat sich mit gehorteten Tabletten vergiftet.

Als Michael mit seinem Cousin nach Hause kommt, liegt ein junger italienischer Rechtsanwalt mit gebrochenen Beinen im Schlafzimmer und stöhnt jedes Mal vor Schmerzen, wenn die Klimaanlage anspringt und den Boden vibrieren lässt.

Nicht einer von den alten Männern aus Constantines Zeit, sondern ein jüngerer, ein Anwalt.
Er liegt schon den zweiten Tag da.
Er war am Nachmittag zuvor aufgetaucht, als Michael nicht zu Hause war, und Leonard und zwei seiner Leute, die einen Italiener nicht vom anderen unterscheiden können, haben ihm im Wohnzimmer die Beine gebrochen. […]
„Ich kann’s nicht glauben“, sagt Michael. […]
„Was wollte er denn?“ erkundigt sich Peter.
Michael blickt ins Wohnzimmer. „Keine Ahnung“, sagt er […].

Peter rät seinem Cousin, sich mit den Italienern in Verbindung zu setzen, ihnen die Wahrheit zu sagen und die drei Schuldigen auszuliefern, aber Michael glaubt, die Sache vertuschen zu können. Als er in einer abgelegenen Gegend ein Grab für die im Kofferraum liegende Leiche schaufeln lässt, fragt ihn Leonard Crawley nach einiger Zeit:

„Hast du das Loch hier schon mal benutzt? Hier sind überall Knochen und so ’n Scheiß.“

Da ahnt Peter, dass sein Vater von Phil Flood ermordet und hier begraben wurde.

Auf der Rückfahrt erklärt er Michael, er mache nicht länger mit. In der Folgezeit hält er sich von Michael fern; er trainiert tagsüber bei Nick in der Sporthalle und übernachtet in dem von seiner Mutter geerbten Haus in Cape May.

Eines Abends taucht Michael mit Monk, Leonard Crawley und einem Mann namens Eddie Bone auf, der durch Boxen reich und berühmt geworden war, bevor er ins Gefängnis musste, weil er seine Freundin und deren Mutter ermordet hatte. Michael will, dass Nicks Sohn Harry mit Eddie Bone in den Ring steigt. Augenscheinlich will er sich daran ergötzen, wie der junge Mann zusammen­geschlagen wird. Aber statt das zulassen, ohrfeigt Nick den Gewerkschaftsführer. Daraufhin zieht dieser sich mit seinen Männern zurück und fordert seinen zögernden Cousin auf, mitzukommen.

Im Keller eines Hauses, das dem greisen Dachdecker William O’Connor gehört, der früher für Phil Flood arbeitete, erklärt Michael, wie Nick und Harry am nächsten Morgen sterben sollen.

„Wir stellen am Morgen einen Wagen vor seiner Werkstatt ab“, sagt Michael. „Und wenn Harry rauskommt und die Tür aufmachen will, legen wir ihn um, zack, auf dem Bürgersteig, wo’s der Alte sehen kann. Er muss es sehen, bevor wir ihn abknallen.“

Monk erhält die Aufgabe, Harry umzulegen, und Peter soll Nick erschießen. Die Waffen, zwei doppelläufige Schrotflinten mit abgesägten Läufen, und die dazugehörige Munition kauft Michael von William O’Connor. Monk steckt ein halbes Dutzend Patronen in die Jackentasche und gibt die Schachtel Peter. Der nimmt nur zwei und lädt damit die Waffe. Dann hebt er sie langsam und erschießt Michael.

Peter sieht das alles wie aus großer Entfernung, und dann sieht er sich selbst, wie er aufsteht, den Stuhl umstößt und die Mündung der Waffe gegen Leonards Hals drückt. Wieder reißt es ihm den Arm hoch, ein zweiter Knall füllt den Raum und überfüllt ihn, und dann ist alles still […].

Monk lädt seine Schrotflinte, weiß nicht, was er tun soll. Als er mit Peter nach oben geht, befürchtet der alte Mann, dass sie gekommen sind, um ihn zu erschießen, aber sie tun ihm nichts.

Am Abend sieht Peter durchs Fenster des Hauses in Cape May drei bewaffnete Italiener, die aus einem Auto aussteigen und zu ihm kommen. Sie brechen die Türe auf. Als sie das Zimmer betreten, steht Peter im offenen Fenster. Er lässt sich fallen.

Am 11. Juni 1986 steht in der Zeitung, dass im Keller eines Reihenhauses in Philadelphia die Leichen von Michael Flood, 32, und Leonard Crawley, 29, aufgefunden wurden. Der 77-jährige, an Alzheimer erkrankte Hausbesitzer könne sich jedoch nicht an eine Schießerei erinnern, heißt es. Nur wenige Stunden zuvor habe man auch Michael Floods Bruder (!) Peter im Garten eines Hauses in Cape May tot aufgefunden.

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Dass es in dem Roman „Unter Brüdern“ kein Happyend gibt, erfahren wir auf der ersten Seite durch einen Zeitungsartikel vom 11. Juni 1986. Dann springt Pete Dexter ins Jahr 1961 zurück und entwickelt die Handlung chronologisch in fünf Teilen, die mit den Jahreszahlen 1961, 1966, 1972, 1974 und 1986 überschrieben sind. Handlungsort ist fast ausschließlich Philadelphia. Dort üben irische Gangster über die Dachdeckergewerkschaft Macht aus, und die Mafia kontrolliert die Straße. Beide Organisationen arbeiten mit korrupten Polizisten und anderen Staatsbediensteten zusammen.

Im Mittelpunkt stehen zwei Cousins, die immer wieder für Brüder gehalten werden: Michael Flood, der als Nachfolger seines von den Italienern ermordeten Vaters zum Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates von Südost-Pennsylvania avanciert, und Peter Flood, dessen Vater ebenfalls einem unauf­geklärten Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Der großmäulige, skrupellose Michael und der introvertierte, charakterstarke Peter könnten nicht unter­schied­licher sein. Peter fühlt sich seit seinem achten Lebensjahr schuldig am Tod seiner kleinen Schwester. Ein Boxtrainer wird zum Ersatzvater für den einsamen und verlorenen Jungen. Obwohl Peter im Gegensatz zu Michael zwischen Moral und Unmoral unterscheidet, hält er lange Zeit loyal zu seinem kriminellen Cousin, auch noch, als er bereits ahnt, dass er dabei zugrunde gehen wird.

Im ersten Kapitel des Romans „Unter Brüdern“ erleben wir den Unfalltod des kleinen Mädchens und die unmittelbaren Folgen aus der Sicht ihres achtjährigen Bruders Peter, der die Reaktionen der Erwachsenen nur bruchstückhaft versteht. Auch in den folgenden Teilen sind wir vorwiegend an Peters Seite. Auch wenn Pete Dexter zwischendurch die Perspektive wechselt, nimmt er nie die Position eines auktorialen Erzählers ein, sondern bleibt stets bei der subjektiven und unvollständigen Wahrnehmung einer Romanfigur.

Pete Dexter schildert in „Unter Brüdern“ nichts, sondern inszeniert alles prägnant und treffsicher. Die Hauptcharaktere leuchtet er tief aus, aber nicht durch Beschreibungen, sondern indem er sie agieren lässt. Dadurch werden sie lebendig. Als Leser glaubt man, zumindest wie in einem Kinofilm dabei zu sein. Darauf arbeitet Pete Dexter auch durch die Wahl des Präsens hin. Seine Sprache ist klar, stringent und unsentimental. Geschickt streut er immer wieder Hinweise ein, die Schlimmes ahnen lassen. „Unter Brüdern“ ist voller Grausamkeit, aber Gewalt ist hier weder Selbstzweck noch dient sie der Effekthascherei.

Übrigens spielt der Originaltitel des packenden Romans – „Brotherly Love“ – auf den von philos (Liebe) und adelphos (Bruder) abgeleiteten Spitznamen des Handlungsortes Philadelphia an: „City of Brotherly Love“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Textauszüge: © C. Bertelsmann Verlag

James Baldwin - Beale Street Blues
Die Handlung des mitreißenden Romans "Beale Street Blues" spielt vor dem Hintergrund einer rassistischen Gesellschaft in den USA um 1970, aber es geht James Baldwin nicht nur um Gesellschaftskritik, sondern mehr noch um die Veranschaulichung seiner Überzeugung, dass Liebe, Solidarität und Zusammenhalt lebenswichtig sind.
Beale Street Blues