Süßes Gift

Süßes Gift

Süßes Gift

Süßes Gift - Originaltitel: Merci pour le chocolat - Regie: Claude Chabrol - Buch: Claude Chabrol und Caroline Eliacheff, nach dem Roman "The Chocolate Cobweb" von Charlotte Armstrong - Kamera: Renato Berta - Schnitt: Monique Fardoulis - Musik: Matthieu Chabrol - Darsteller: Isabelle Huppert, Jacques Dutronc, Anna Mouglalis, Rodolphe Pauly, Brigitte Catillon, Mathieu Simonet, Isolde Barth u.a. - 2000; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Mika Muller, die zweite Ehefrau des berühmten Pianisten André Polonski, lebt mit ihrem Mann und ihrem Stiefsohn Guillaume in einer Villa hoch über dem Genfer See. Sie führen ein stilvolles, harmonisches Familienleben. Eines Tages taucht eine Achtzehnjährige auf, die am Tag ihrer Geburt für kurze Zeit mit Guillaume vertauscht worden war und sich gerade auf einen internationalen Klavierwettbewerb vorbereitet ...
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Kritik

Auf der Grundlage von Charlotte Armstrongs Roman "The Chocolate Cobweb" inszenierte Claude Chabrol einen leisen, fast kammerspielartigen Psychothriller, in dem er wieder einmal Abgründe hinter der Fassade einer vermeintlich glücklichen bürgerlichen Familie zeigt: "Süßes Gift".
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Marie-Claire („Mika“) Muller (Isabelle Huppert) heiratet den berühmten André Polonski (Jacques Dutronc). Bei der Trauung erwähnt der Pfarrer, dass es sich um ihre zweite Eheschließung handelt. Mikas Vater starb vor ihrer Scheidung von dem damals noch unbedeutenden Musiker und hinterließ ihr eine Schokoladenfabrik in Lausanne. Für André ist es die dritte Eheschließung; er war zuvor schon mit Mikas Schwester Lisbeth verheiratet. Lisbeth kam ums Leben, als sie zehn Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Guillaume (Rodolphe Pauly) mit ihrem Mann während eines Aufenthalts in Lausanne bei Mika übernachteten und sie in eine Apotheke fuhr, um für André ein Schlafmittel zu besorgen. Sie scheint am Steuer eingeschlafen zu sein. Obwohl sie selbst nie ein Schlafmittel genommen hatte, fand man in ihrem Körper bei der Obduktion nicht nur Alkohol, sondern auch Barbiturate.

Mika, André und Guillaume bewohnen eine Villa hoch über dem Genfer See, die nur durch eine steile Serpentinenstraße zu erreichen ist. Sie führen ein stilvolles, harmonisches Familienleben.

Die achtzehnjährige Nachwuchspianistin Jeanne Pollet (Anna Mouglalis) sitzt mit ihrer Mutter Louise (Brigitte Catillon), ihrem Freund Axel (Mathieu Simonet) und dessen Mutter Pauline (Isolde Barth) in einem Café. Weil sie und Axel am Abend ins Kino gehen wollen, schaut Pauline nach dem Programm in der Zeitung. Dabei fällt ihr Blick auf einen Artikel über die zweite Hochzeit von André Polonski und Marie-Claire Muller. Sie erinnert sich daran, dass Guillaume Polonski und Jeanne Pollet nach ihrer Geburt am selben Tag beinahe vertauscht worden wären, und als sie merkt, dass Louise ihrer Tochter davon noch nie etwas erzählt hat, holt sie es nach: André Polonski war bei einem Konzert, als seine Frau Lisbeth niederkam. Als er anschließend ins Krankenhaus eilte, zeigte eine Schwester auf eines der neugeborenen Mädchen, doch von seiner Frau erfuhr er kurz darauf, dass sie von einem Sohn entbunden worden war. Die Krankenschwester hatte sich geirrt. Das Mädchen war nicht seine Tochter, sondern die des Architekten Pollet.

Die Mitteilung irritiert Jeanne. Wurden die Babys vielleicht doch vertauscht? Hat sie die musikalische Begabung von André Polonski geerbt? Ist er ihr Vater? Sie sucht den berühmten Pianisten auf, lässt sich an der Haustür nicht von Guillaume abweisen und stellt sich als das Baby vor, das Polonski vor achtzehn Jahren kurz im Arm gehalten hatte. Er erinnert sich an den Vorfall, und als er erfährt, dass Jeanne sich auf einen internationalen Wettbewerb in Budapest vorbereitet, lädt er sie ein, mit ihm zusammen zu üben.

Mika zeigt der Besucherin an der Wand in Guillaumes Zimmer Fotos von Lisbeth und weist sie auf die Ähnlichkeit hin. Im Glas eines der Bilder beobachtet Jeanne, wie die Unternehmerin absichtlich eine Thermoskanne heißer Schokolade aufschraubt und zu Boden fallen lässt. Sie hilft ihr dabei, die Schokolade aufzuwischen und beschmiert sich dabei einen Ärmel. Mika redet davon, wie ungeschickt sie sei und erzählt Jeanne, dass sie ihrem Stiefsohn jeden Abend eine Thermoskanne heißer Schokolade zubereitet.

Wieso hat Mika die Kanne verschüttet? Jeannes Freund Axel arbeitet in dem von ihrer Mutter geleiteten gerichtsmedizinische Institut in Lausanne. Ihn bittet sie, den Schokoladenfleck an ihrem Ärmel heimlich zu untersuchen. Tatsächlich weist er ein Schlafmittel in der Schokolade nach.

Als Louise Pollet spürt, wie ihre Tochter durch die Geschichte über die vertauschten Babys verunsichert ist, gesteht sie ihr, dass ihr Mann zwar nicht impotent, aber zeugungsunfähig war und deshalb eine künstliche Befruchtung vorgeschlagen hatte. Wer Jeannes leiblicher Vater ist, wisse man also nicht.

Mika schlägt vor, Jeanne zwei Tage im Haus aufzunehmen, damit sie ungestört mit ihrem Mann üben kann. Die junge Frau wird von dem Ehepaar wie eine Tochter behandelt. Mika erzählt ihr sogar, dass sie weder ihren Vater noch ihre Mutter gekannt hat und bei Adoptiveltern aufwuchs. Als Guillaume neben Mika in der Küche steht, kippt sie einen Topf mit kochendem Wasser vom Herd und verbrüht ihm den Fuß. Dann bemüht sie sich, seine Schmerzen durch einen Verband zu lindern.

Am Abend trinkt Jeanne statt der angebotenen Schokolade lieber Kaffee. Als André nach seinem Schlafmittel sucht, stellt er fest, dass keines mehr im Haus ist. Mika entschuldigt sich, dass sie vergessen habe, welches zu kaufen. Jeanne ist sofort bereit, zur Apotheke zu fahren. Guillaume begleitet sie. Als die beiden fort sind, meint André beunruhigt: „Das letzte Mal, als …“, aber er spricht nicht weiter. Dann beobachtet er, wie Mika in der Küche sorgfältig die Kaffeekanne und die Tassen ausspült. „Was machst du da?“, fragt er. „Beim letzten Mal hast du die Gläser ausgespült …“

Während der Fahrt fallen Jeanne die Augen zu und sie rast in eine Hauswand. Doch zum Glück ist nur das Auto kaputt.

Mika verteidigt sich: „Ich war immer überflüssig, habe nie um etwas gebeten, auch nicht um meine Existenz.“ Sie kauert sich vor einer großen, wie ein Spinnennetz aussehenden Häkelarbeit zusammen.

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Auf der Grundlage des 1948 veröffentlichten Romans „The Chocolate Cobweb“ von Charlotte Armstrong schrieb die Kinderpsychologin Caroline Eliacheff mit Claude Chabrols Unterstützung das Drehbuch zu „Merci pour le chocolat“ bzw. „Süßes Gift“.

Zwanghaft versucht die stets höfliche, freundliche und hilfsbereite Schokoladenfabrikantin Mika, jeden Menschen auszuschalten, der sie eifersüchtig macht. Sie streut ihrer Schwester ein Schlafmittel in den Cognac und sorgt für einen tödlichen Autounfall, um die Frau ihres Schwagers André werden zu können, und sie plant, seinen Sohn aus der ersten Ehe zu töten. Da taucht eine junge Frau auf, die bei André väterliche Gefühle weckt. Der berühmte Pianist hilft Jeanne bei der Vorbereitung für einen internationalen Klavierwettbewerb – und Mika fühlt sich von dieser Beziehung ausgeschlossen. Um sich zu wehren, gibt sie ein Schlafmittel in Jeannes Kaffee.

Immer wieder zeigt Claude Chabrol, wie sich hinter der Fassade einer vermeintlich glücklichen bürgerlichen Familie ein Abgrund auftut.

André studiert mit seiner Schülerin einen Trauermarsch von Franz Liszt ein und ermutigt sie, den letzten Ton so abrupt abzubrechen, dass es bei den Zuhörern wie eine Frage wirkt. Auch Claude Chabrol bietet allenfalls Andeutungen von Erklärungen und lässt den Zuschauer verunsichert zurück. „Süßes Gift“ ist ein leiser, fast kammerspielartiger Psychothriller, in dem Claude Chabrol mit den Erwartungen des Publikums spielt.

Wie viele Filme von Claude Chabrol ist auch dieser, sein 52., als Kammerspiel inszeniert, dessen Akteure in einer unentrinnbaren Spirale sitzen. Der Ablauf der Handlung wird von ihm aber nicht plan durchgespielt; er lässt an jeder Windung dieser Spirale einen Zweifel aufscheinen, lässt Andeutungen aufblitzen, irritiert mit scheinbaren Widersprüchen zur sozialen Wirklichkeit, in der die Handlung angesiedelt ist. Erst ganz am Schluss begreift man, dass die Logik dieser Umsetzung der Psychologie der Protagonistin Mika entspricht, die nicht im banalen Sinne böse ist. Sie kann in ihrem unbedingten Streben nach Glück Gut und Böse nicht mehr unterscheiden. „Süßes Gift“ ist in diesem berunruhigenden Sinne fraglos ein ideal besetztes filmisches Meisterwerk. (Johannes Willms, Süddeutsche Zeitung, 24. Dezember 2007)

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 / 2007

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