Anne Boleyn


Wo und wann Anne Boleyn geboren wurde, ist unbekannt. Einige Biografien nennen das Jahr 1507, aber es spricht einiges dafür, dass Anne Boleyn bereits 1501 zur Welt kam, und zwar vermutlich in Hever Castle (Kent) oder in Blickling Hall (Norfolk). Ihr Vater Thomas Boleyn, der dem niederen Adel angehörte, wurde unter König Heinrich VII. Diplomat. Elizabeth Howard, seine Ehefrau, die Mutter der drei Kinder Anne, Mary (um 1500 – 1543) und George (um 1504 – 1536), war die Tochter des Herzogs von Norfolk und stand damit im Rang über ihrem Mann.

Während Thomas Boleyn englischer Botschafter bei Margarete von Österreich war, gelang es ihm 1513, seine beiden Töchter als Hofdamen der Statthalterin der spanischen Niederlande in Mechelen unterzubringen. Nach zwei Jahren in Flandern wechselten Anne und Mary Boleyn an den Hof des französischen Königs.

Mary Boleyn, der man eine Affäre mit König Franz I. nachsagte, kehrte 1519 nach England zurück, wurde Hofdame der Königin Katharina von Aragon (1485 – 1536) und heiratete am 4. Februar 1520 den Höfling Sir William Carey. Bald nach der Hochzeit machte König Heinrich VIII. sie zu seiner (allerdings nicht offiziell anerkannten) Mätresse.

Anne Boleyn kam im Jahr darauf wie ihre Schwester an den Hof des englischen Königs. Thomas Boleyn beabsichtigte zunächst, Anne mit James Butler zu verheiraten, dem Erben eines Vermögens und eines Grafentitels, aber aus diesem Plan wurde nichts. Bei einem Maskenball im März 1522 fiel Anne Boleyn durch ihre im Ausland erworbene Eleganz, Selbstsicherheit und Schlagfertigkeit auf. Ihr Liebesverhältnis mit Henry Percy, dem 6. Earl of Northumberland, wurde von ihrem aufgebrachten Vater rasch beendet.

1525 trennte sich Heinrich VIII. von Mary Carey, die inzwischen bereits eine Tochter hatte (Catherine, 1524 – 1568), und am 4. März 1525 von einem Sohn entbunden wurde (Henry, 1525 – 1596). (William Carey starb 1528. Die Witwe heiratete sechs Jahre später William Stafford. Sie lebten in ärmlichen Verhältnissen in Essex. Mary Stafford starb am 19. Juli 1543.)

Heinrich VIII. verliebte sich nun in Marys Schwester Anne. Siebzehn Liebesbriefe, die er ihr 1527/28 schrieb, blieben erhalten. Einige Biografien unterstellen Anne Boleyn, dass sie ehrgeizig, zielstrebig und raffiniert darauf hingearbeitet habe, an der Seite Heinrichs VIII. Königin zu werden. Sicher ist, dass sie nicht das Schicksal ihrer verstoßenen Schwester teilen wollte und deshalb Sicherheit für sich und ihre Kinder verlangte, bevor sie dem Werben nachgab. Ungewöhnlich war der Mut, mit dem sie sich dem König widersetzte.

1503 hatte sich Heinrich VIII. von Papst Julius II. eigens einen Dispens für seine Eheschließung mit Katharina von Aragon erteilen lassen, weil es sich bei ihr um die Witwe seines Bruders Arthur handelte. Nun verlangte er das päpstliche Plazet für die Scheidung. Das Ansinnen des Papstes Klemens VII., den Fall in Rom zu verhandeln, wies er jedoch zurück.

Obwohl Anne Boleyn sich weigerte, die Mätresse des Königs zu werden, erhob dieser ihren Vater zum Viscount Rochford und behandelte sie bei Hoffesten bevorzugt. Nur bei offiziellen Anlässen zeigte er sich weiterhin mit Katharina von Aragon. Zu einem Treffen mit dem französischen König Franz I. im Oktober 1532 ließ er sich jedoch nicht von seiner Ehefrau, sondern von Anne Boleyn begleiten, die er kurz zuvor zur Marchioness of Pembroke erhoben hatte.

Offenbar ließ Anne Boleyn sich deshalb dazu bewegen, dem König nachzugeben. Jedenfalls wurde sie Ende 1532 schwanger. Um zu verhindern, dass das Kind als Bastard zur Welt kam, ließ sich König Heinrich VIII. am 25. Januar 1533 in einer Kapelle in der Nähe des Greenwich-Palastes mit Anne Boleyn trauen.

Thomas Cranmer, der am 30. März 1533 auf Veranlassung des Königs zum Erzbischof von Canterbury geweiht wurde, erklärte als Erstes dessen Ehe mit Anne Boleyn für gültig. Als der Papst den Kirchenfürsten daraufhin 1534 mit dem Bann belegte, trennte sich der englische Monarch von der römisch-katholischen Kirche. Ein Scheidungsgericht der anglikanischen Kirche annullierte am 23. Mai 1533 wunschgemäß die Ehe von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon.

Am 1. Juni 1533 wurde Anne Boleyn zur Königin gekrönt.

Drei Monate später, am 7. September 1533, gebar sie eine Tochter: Elizabeth. Weil sich Heinrich VIII. endlich einen Thronfolger erhofft hatte, nahm der König nicht an der Taufe des Kindes teil. Immerhin ließ er das Neugeborene als legitim anerkennen, während er seine siebzehnjährige Tochter Maria aus seiner ersten Ehe zwang, 1536 in einem Brief die Annullierung der Ehe ihrer Eltern und damit ihre eigene Illegitimität zu akzeptieren.

Papst Clemens VII. erklärte im März 1534 die Ehe von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon ausdrücklich für gültig. Daraufhin ließ sich der König am 3. November 1534 vom Parlament zum Oberhaupt der von Rom unabhängigen Kirche Englands erklären (Suprematsakte).

Nach einer, vielleicht auch zwei Fehlgeburten wandte sich Heinrich VIII. enttäuscht von Anne Boleyn ab – und deren Hofdame Jane Seymour (um 1509 – 1537) zu. Am 2. Mai 1536 ließ er Anne Boleyn verhaften und wegen mehrfachen Ehebruchs und Inzests mit ihrem Bruder anklagen. George Boleyn und die anderen angeblichen Liebhaber wurden ebenfalls festgenommen. Sir Henry Norris, Sir Francis Weston, William Brereton und Marc Smeaton wurden am 12. Mai 1536 in Westminster Hall zum Tode verurteilt. Drei Tage später standen die Geschwister Anne und George Boleyn vor dem Gericht, bei dem ihr Onkel Thomas Howard, der 3. Herzog von Norfolk, den Vorsitz führte. Sie wurden ebenfalls zum Tode verurteilt. Außerdem erklärte Erzbischof Thomas Cranmer die Ehe von Heinrich VIII. und Anne Boleyn nachträglich für ungültig und ihre Tochter Elizabeth – die spätere Königin Elizabeth I. – für illegitim.

Am 19. Mai 1536 musste Anne Boleyn sich vor dem Tower in London aufs Schafott knien, und der Henker schlug ihr mit einem Schwert den Kopf ab.

Elf Tage später vermählte sich König Heinrich VIII. mit Jane Seymour. Sie war die dritte seiner insgesamt sechs Ehefrauen.

Die Oper „Anna Bolena“ (Libretto: Felice Romani, Musik: Gaetano Donizetti) wurde am 26. Dezember 1830 im Teatro Carcano in Mailand uraufgeführt. Franz Königshofer (1901 – 1970) schrieb 1955 ein Werk für Blasorchester mit dem Titel „Anna Boleyn Symphonische Musik“.

Spielfilme über Anne Boleyn und Heinrich VIII.

  • William G. B. Barker: Henry VIII. (1911, nach dem Theaterstück „King Henry VIII or All Is True“ von William Shakespeare)
  • Ernst Lubitsch: Anna Boleyn (1920; mit Henny Porten als Anna Boleyn und Emil Jannings als Heinrich VIII.)
  • Alexander Korda: Das Privatleben Heinrichs VIII. (1933; mit Charles Laughton als Heinrich VIII. und Merle Oberon als Anne Boleyn)
  • Charles Jarrott: Königin für tausend Tage (1969; nach dem Theaterstück „Anne of the Thousand Days“ von Maxwell Anderson; mit Richard Burton als Heinrich VIII. und Geneviève Bujold als Anne Boleyn)
  • Waris Hussein: Heinrich VIII. und seine sechs Frauen (1972; mit Charlotte Rampling als Anne Boleyn)
  • Pete Travis: Henry VIII. (2003; mit Helena Bonham Carter als Anne Boleyn)
  • Justin Chadwick: Die Schwester der Königin (2009; nach dem gleichnamigen Roman von Philippa Gregory; mit Natalie Portman als Anne Boleyn und Scarlett Johansson als Mary Boleyn)

© Dieter Wunderlich 2010

Justin Chadwick: Die Schwester der Königin

Joy Fielding - Blind Date
In dem witzigen und einfallsreichen Roman "Blind Date" gibt es zwar einen Serienmörder, aber weder das Verbrechen noch die Aufklärung stehen im Mittelpunkt. Joy Fielding entwickelt die gut durchdachte Handlung im temporeichen Wechsel zwischen den Perspektiven der Figuren. Dabei greifen die einzelnen Elemente wie bei einem gut geölten Räderwerk ineinander.
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