Milan Kundera : Die Identität
Inhaltsangabe
Kritik
Inhaltsangabe und Buchbesprechung von Irene Wunderlich:
„Die Männer drehen sich nicht mehr nach mir um.“ Mit diesem nur so dahingesagten Satz löst Chantal eine Kette von Ereignissen aus, deren Auswirkungen nicht abzusehen sind.
Chantal, die erfolgreich in einer Werbeagentur arbeitet, ist ein paar Jahre älter als ihr langjähriger Lebenspartner Jean-Marc, der es sich an ihrer Seite bequem eingerichtet hat. Er verdrängt seine nicht so glänzende Vergangenheit, und auch von Chantals früherem Leben will er nichts wissen.
Um ihr Selbstgefühl zu stärken, schickt er ihr anonyme Briefe, in denen er ihre Schönheit und Attraktivität bewundert. Damit fangen die Missverständnisse an.
Milan Kundera bringt die Leserin bzw. den Leser zum Nachdenken über das eigene Ich. „Ich kann zwei Geschichter haben, aber ich kann sie nicht gleichzeitig haben“, sagt Chantal einmal. Kommunikationsdefizite, Eifersucht, Verlustängste und Misstrauen gefährden die Lebensgemeinschaft der beiden. Gespannt beobachten wir das Paar bei dem Versuch, durch Anpassung, nicht durch Unterwerfung, ihre Liebe zu erhalten. Der Roman, eigentlich eine Erzählung, ist nicht nur als Liebesgeschichte zu lesen, in der sich am Schluss Traum und Wirklichkeit verwischen, sondern auch als philosophischer Anstoß, ob und wie ein abhängiges Ich seine Identität bewahren kann.
Ein außergewöhnliches Thema, das Milan Kundera psychologisch einfühlsam beobachtet und in atemberaubender, knapper Sprache beschreibt. Das Buch ist ein literarischer Genuss und eine spannende Lektüre zugleich.
Milan Kundera, der 1929 in Brünn (Böhmen) geboren wurde, ging 1975 ins Exil nach Paris und ist seit 1980 französischer Staatsbürger. „Die Identität“ ist seine zweite Prosa, die er in französischer Sprache geschrieben hat.
Inhaltsangabe und Buchbesprechung von Dieter Wunderlich:
Chantals Sohn starb im Alter von fünf Jahren. Als ihr Mann auf sie einredete, sie müsse wieder ein Kind bekommen, um den Verlust zu verschmerzen, konnte sie nicht mehr mit ihm schlafen; sie nahm eine gut bezahlte Stelle in einer Werbeagentur an, lernte nach einiger Zeit den etwas jüngeren Jean-Marc kennen, der gerade als Skilehrer jobte, kaufte sich eine Wohnung und trennte sich von ihrem Mann. Jean-Marc, der sein Medizinstudium nach sechs Semestern abgebrochen hat, richtete sich bei ihr ein.
Als Chantal eines Tages melancholisch wird und Jean-Marc sie nach dem Grund fragt, sagt sie, ohne lange nachzudenken: „Die Männer drehen sich nicht mehr nach mir um.“ Kurze Zeit später erhält sie einen anonymen Brief: „Ich folge Ihnen wie ein Spion, Sie sind schön, sehr schön.“ Weitere Briefe folgen. Chantal versteckt sie im Schrank unter ihren Büstenhaltern und überlegt, wer sie wohl schreibt. Sie wird von einem Unbekannten begehrt! Sie achtet wieder darauf, wie sie sich kleidet und schreit vor Lust, wenn Jean-Marc sie umarmt. Schreibt ihr der Stammgast im Bistro? Nein, er kann es nicht sein. Es ist der Bettler, der immer unter dem einzigen Baum in der Straße steht! Als sie ihm jedoch einen größeren Geldschein zusteckt, blickt er sie nur überrascht an.
Ihre Büstenhalter liegen nicht mehr wie gewohnt im Schrank: Jean-Marc hat ihr also nachspioniert und die Briefe gefunden. Schließlich begreift sie: Er schreibt sie auch. Sie fühlt sich hintergangen, versteht nicht, dass er sie trösten und ihr seine Bewunderung wie Cyrano von Bergerac in einer anderen Identität mitteilen wollte. Als er jedoch beobachtete, wie sie die anonymen Briefe vor ihm verheimlichte und aufgrund des Begehrens eines Unbekannten leidenschaftliche Gefühle entwickelte, wurde er eifersüchtig. Die Folge dieser Missverständnisse ist ein Albtraum …
„Die Identität“: Eine nicht mehr ganz junge Frau, die ihr Selbstwertgefühl aus dem Begehren eines anderen ableitet, ein Mensch, der von der Wertschätzung eines liebevollen Partners abhängig ist – bis diese Liebe durch gut gemeinte und missverstandene Taten bedroht wird. Elegant und scheinbar spielerisch arrangiert Milan Kundera unerwartete Situationen, in denen sich seine Figuren verirren. Wie immer bei diesem tschechisch-französischen Dichter entwickelt sich das Geschehen nur langsam; immer wieder halten essayistische Abschweifungen die Handlung auf. Aber das ist genau der Stil, den ich an Milan Kundera so schätze.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Irene und Dieter Wunderlich 2002
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