Henry James : Washington Square

Washington Square
Originalausgabe: Washington Square, New York 1881 Washington Square auch: Die Erbin vom Washington Square Übersetzung: Karl Ludwig Nicol Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1998
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein reicher Witwer hält den jungen Mann, in den sich seine Tochter verliebt, für einen Mitgiftjäger und versucht sie in einer jahrelangen Auseinandersetzung vor Schaden zu bewahren, stürzt sie aber gerade dadurch in eine psychische Krise. Zugleich handelt der Roman von einer jungen Frau, die sich aus der Abhängigkeit von ihrem dominanten Vater befreit.
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Kritik

Ruhig und mit sehr viel Liebe zum Detail veranschaulicht Henry James die Charaktere und das großbürgerliche Milieu, in dem sie sich bewegen. Eindrucksvoll ist vor allem der Gegensatz zwischen dem zwar souveränen, aber gefühlsarmen und großbürgerlichen Konventionen verhafteten Vater und seiner sensiblen Tochter.
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Dr. Austin Sloper verschaffte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in New York einen hervorragenden Ruf als Arzt und vergrößerte das Vermögen, das seine Frau Catherine mit in die Ehe gebracht hatte. Er selbst stammte aus einfacheren Verhältnissen. Trotz seines medizinischen Wissens konnte er nicht verhindern, dass sein erstes Kind, ein Junge, im Alter von drei Jahren starb. Zwei Jahre später verschied Catherine kurz nach der Geburt einer Tochter, die der untröstliche Vater auf den Namen seiner toten Frau taufen ließ. Als das Kind zehn Jahre alt war, nahm Dr. Sloper seine verwitwete Schwester Lavinia Penniman mit in sein Haus auf.

Umsorgt von Lavinia Penniman wächst Catherine zu einer verhuschten, linkischen und etwas einfältigen jungen Dame heran. Ihren Vater hält sie für den klügsten und stattlichsten Mann auf der Welt. Sie liebt ihn und fürchtet ihn zugleich. Austin Sloper wäre gern stolz auf seine Tochter, aber er findet nichts, worauf er stolz sein könnte. Dabei hütet er sich davor, sie aus Verbitterung über den Tod seiner geliebten Frau ungerecht zu behandeln. Einmal allerdings entschlüpft ihm der Satz: „Wie obszön: Deine Mutter musste ihr Leben lassen, damit du deinen Platz auf dieser Erde einnehmen kannst.“

Im Alter von 22 Jahren lernt Catherine im Haus ihrer Tante Elizabeth Almond einen ungefähr zehn Jahre älteren, gut aussehenden Mann kennen, der sich jahrelang in der Welt herumtrieb und dabei sein bescheidenes Erbe verbrauchte. Catherine ist überwältigt, als Morris Townsend ihr den Hof macht. Lavinia ist ebenfalls von ihm hingerissen und begeistert über die Aussicht auf eine romantische Liebesaffäre ihrer Nichte. Austin Sloper dagegen hält Morris Townsend für einen Nichtsnutz, der es auf das Vermögen seiner Tochter abgesehen hat. Als der Bewerber behauptet, er halte Catherine für ein reizendes Mädchen, entgegnet er: „Ich zögere nicht, Ihnen zu versichern, dass es mir nie in den Sinn gekommen ist, sie für ein reizendes Mädchen zu halten, und ich habe auch nie von jemand anderem erwartet, dass er das tut.“ Dr. Sloper sucht Mrs. Montgomery auf, die Schwester von Morris Townsend, eine Witwe, die fünf Kinder zu versorgen hat. Obwohl sie nichts Ungünstiges über ihren Bruder verrät, findet Austin Sloper doch seinen Verdacht bestätigt: Der charmante junge Mann lebt auf Kosten seiner Schwester. Daraufhin weigert er sich kategorisch, seinen Segen für die von den jungen Leuten beabsichtigte Eheschließung zu geben. Catherine muss sich zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Vater und der Liebe zu Morris Townsend entscheiden.

Um Catherine auf andere Gedanken zu bringen, nimmt Austin Sloper sie auf eine Europareise mit, und als er nach sechs Monaten merkt, dass sie immer noch entschlossen ist, Morris Townsend zu heiraten, verlängert er den Aufenthalt um ein weiteres halbes Jahr. Am Ende meint er sarkastisch: „Dein Wert ist jetzt doppelt so groß durch all die Kenntnisse und den Geschmack, die du dir erworben hast. … Wir haben das Schaf für ihn gemästet, bevor er es umbringt.“ Er hat seine Meinung nicht geändert, und seine Tochter gibt ebenso wenig nach. Als erwachsene und selbstsichere Frau kehrt Catherine Sloper mit ihrem Vater nach New York zurück.

Dort erfahren sie unabhängig voneinander, dass sich Lavinia beinahe täglich mit Morris Townsend getroffen hat. Vor einer Woche ging er eine Partnerschaft mit einem Kommissionskaufmann ein, verfügt also jetzt über eine berufliche Tätigkeit und ein Einkommen.

Deshalb will er erneut bei Dr. Sloper um Catherines Hand anhalten. Sie bringt ihn jedoch davon ab, es habe keinen Zweck, erklärt sie ihm. Nichtsdestotrotz ist sie nach wie vor bereit, ihn zu heiraten. Die Ablehnung dieser Eheschließung durch ihren Vater bereite ihr kein Kopfzerbrechen mehr, versichert sie. Morris Townsend ist sich klar darüber, dass Catherine von ihrem Vater enterbt wird, wenn sie ihn gegen dessen Willen heiratet, und er versucht ihr zu erläutern, dass er ihr nicht auf diese Weise schaden dürfe. Schließlich kündigt er ihr an, aus geschäftlichen Gründen für einige Zeit nach New Orleans zu müssen und sie nicht mitnehmen zu können. Da fühlt sich Catherine tief verletzt und es kommt ihr vor, als falle eine Maske von seinem Gesicht. Ohne ihre Briefe zu beantworten, verlässt er New York.

Obwohl sich einige Herren um sie bewerben, bleibt Catherine unverheiratet. Niemals spricht sie von Morris Townsend – bis Austin Sloper viele Jahre später sagt, er sei jetzt 68 Jahre alt und müsse in naher Zukunft mit dem Tod rechnen. Deshalb bitte er sie um das Versprechen, auch nach seinem Ableben niemals Morris Townsend zu heiraten. Damit hätte er seine Tochter früher in Gewissensnöte gestürzt. Jetzt aber empfindet sie eine solche Forderung als Anmaßung, und obwohl sie ihrem Vater versichert, kaum noch an Morris Townsend zu denken, verweigert sie ihm die gewünschte Zusage. Das ist sie ihrer Würde schuldig.

Ein Jahr danach erkältet sich Austin Sloper und stirbt nach dreiwöchiger Krankheit. Seinem ursprünglichen Testament zufolge sollte seine Tochter den größten Teil seines beträchtlichen Vermögens erben. In einem erst kürzlich verfassten Zusatz strich er Catherines Anteil auf ein Fünftel zusammen und vermachte das meiste Geld verschiedenen Krankenhäusern und medizinischen Fakultäten.

Wieder vergehen viele Jahre. Da beginnt Lavinia Penniman, die seit dem Tod ihres Bruders allein mit ihrer Nichte im Haus wohnt, erneut von Morris Townsend zu sprechen. Mit seinen Geschäften hat er nicht viel Erfolg gehabt. Nun ist er wieder in New York und möchte sie unbedingt sprechen. Catherine Sloper weigert sich, aber ihre Tante ermutigt den inzwischen etwa 45 Jahre alten Morris Townsend, eines Abends seine Aufwartung zu machen. Catherine sieht ihn an: Dieser Mann, der einmal alles für bedeutete, ist ihr gleichgültig. Enttäuscht und verärgert zieht sich der Besucher nach einer Weile zurück.

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Henry James (1843 – 1916) beschäftigte sich immer wieder mit der Frage, welche Chancen der Reichtum eröffnet, aber auch welche Versuchungen er mit sich bringt. In seinem Roman „Washington Square“ geht es um einen Witwer, der den jungen Mann, in den sich seine Tochter verliebt, für einen Mitgiftjäger hält und sie in einer jahrelangen Auseinandersetzung vor Schaden bewahren möchte – sie aber gerade dadurch in eine psychische Krise stürzt. Zugleich handelt der Roman von einer jungen Frau, die sich aus der Abhängigkeit von ihrem dominanten Vater befreit.

Ruhig und mit sehr viel Liebe zum Detail veranschaulicht Henry James die Charaktere und das großbürgerliche Milieu, in dem sie sich bewegen. Eindrucksvoll ist vor allem der Gegensatz zwischen dem souveränen, aber gefühlsarmen und großbürgerlichem Besitzdenken verhafteten Vater und der sensiblen Tochter, die ihre Schwäche überwindet, aber aufgrund ihrer Erziehung nicht glücklich werden kann.

In deutscher Sprache erschien der Roman von Henry James unter den Titeln „Washington Square“ (Tauchnitz Verlag, Stuttgart 1953), „Die Erbin vom Washington Square“ (Übersetzung: Alfred Kuoni, Verlag Die Arche, Zürich 1956), „Die Erbin“ (Übersetzung: Alfred Kuoni, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M 1960).

Agnieszka Holland verfilmte den Roman 1997: „Washington Square“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

Agnieszka Holland: Washington Square

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.