Gert Hofmann : Casanova und die Figurantin
Inhaltsangabe
Kritik
Karl Joseph Fürst von Ligne (1735 – 1814) erzählt dem portugiesischen Gesandten Da Silva in einem Brief von Giacomo Girolamo Casanova und berichtet von einer unheimlichen Begegnung, die dieser gehabt haben soll.
Nach seiner Flucht aus den Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig kaufte Casanova in Mailand einem englischen Major, der sein Vermögen im Spiel verloren hatte, einen Reisewagen mit zwei kräftigen Pferden ab und ließ sich die Sitzbank so umbauen, dass er sie in ein Bett verwandeln konnte. Von da an lebte, aß und schlief er in seiner Kutsche.
Mit einem Empfehlungsschreiben des Grafen Bonafede aus Parma, mit dem er sich vor fünfzehn oder zwanzig Jahren eine Woche lang eine Geliebte teilte – auch im selben Bett – meldet er sich in Genf bei der Baronin Memma, aber die behauptet, weder ihn noch den Grafen Bonafeda zu kennen und will ihn nicht empfangen.
Was wir aber gar nicht erzählen wollten, zumal die unheimliche Begegnung ja gar nicht in Genf gewesen ist. (Seite 44)
In Straßburg ergeht es Casanova bei dem Advokaten Foscarini nicht sehr viel besser:
Der Advokat lässt dem Herrn Casanoa sagen, er ist nicht zu Hause, sagt der Lakai. (Seite 44)
Obwohl es mitten in der Nacht ist, bleibt Casanova nichts anderes übrig, als weiterzureisen.
Aber nun endlich zur Sache! Die Begegnung, von der hier erzählt werden soll, fand also nicht in Straßburg statt. (Seite 45)
In der Küche des Apothekers Belli fordert Casanova die Köchin Angela Caldi auf, ihre Bluse zu öffnen und ihm ihre Brüste zu zeigen. Weil sie jedoch die Nächte mit dem Koch verbringt und kein Verlangen nach weiteren Liebkosungen hat, schiebt sie Casanova zurück, als dieser sich ihr mit offener Hose zu nähern versucht.
In Paris lässt Casanova sich hinter dem Gasthaus „Zum Mohren“ einen Stellplatz für die Kutsche geben und übernachtet darin.
Um eine Anstellung zu bekommen, sucht er die Gräfin D’Urfé auf, eine steinreiche sechsundfünfzigjährige Witwe, und macht ihr Komplimente. Er könne mit ihr ausreiten, meint er, aber sie gab das Reiten längst auf; einen Sekretär hat sie bereits; für ihre Kinder benötigt sie keinen Erzieher mehr, denn sie sind erwachsen, „wenn auch nicht erzogen“; und ob Casanova ein guter Unterhalter wäre, bezweifelt sie.
Schade, dass mein Alter und meine Erscheinung es nicht gestatten
Und Casanova: Ihr Alter, wie meinen Sie das?
Ja, finden sie mich denn nicht alt, fragt sie.
Madame stehen auf der Höhe Ihrer Schönheit!
Finden Sie?
Madame machen auf mich, versichert Casanova und legt nun sogar die Hand aufs Herz, und wir bitten noch einmal um Vergebung, wenn dieses erbärmliche, von beiden Seiten aber durchaus ernst geführte Gespräch nun in eine Farce übergeht oder schon übergegangen ist. Jedenfalls macht die reiche alte Frau auf den alten armen Mann angeblich noch immer einen begehrenswerten Eindruck. Und so jung, fügt er hinzu, sei er ja auch nicht mehr.
Aber noch im Besitz der Kräfte?
Und Casanova, nach einem Augenblick der inneren Prüfung: In den meisten Fällen: Ja.
[…] Nun, sagt die D’Urfé, die plötzlich gegen alle Vernunft, auch gegen alle Erfahrung zu hoffen anfängt, dass sie sich mit dem Verfall ihrer Reize zu schnell abgefunden haben […] könnte. Nun, sagt sie, vielleicht haben Sie Recht. In diesem Fall könne sie ihm eine Stelle bei der Lotterie verschaffen, da hätte er nicht viel zu tun […] (Seite 52)
Als Casanova im Eifer dieses Gesprächs unachtsam von seinem Sessel aufspringt, knickt er mit dem Fuß um und muss zu seiner Kutsche getragen werden.
Doch lassen wir das, und sagen wir nur so viel, dass dies die Begegnung gleichfalls nicht gewesen ist. (Seite 53)
Von Paris reist Casanova über Padua und Ferrara nach Rom. Dort überreicht er dem ebenfalls aus Venedig stammenden Papst Clemens XIII. eine Bittschrift: Man möge seine Verbannung aufheben und ihn in seine Vaterstadt zurückkehren lassen. Aber der Papst schläft während der Audienz ein.
In Bologna gerät Casanoa mit seinem Reisewagen in einen Leichenzug, und als er die eingekeilte Kutsche wütend verlässt, wird er von den Trauergästen bis zum Grab mitgerissen. Beim Verlassen des Friedhofes fällt ihm eine Frau auf. Er folgt ihr und spricht sie an. Da dreht sie sich um und er stellt erschrocken fest, dass es sich um seine alte Mutter handelt, von der er annahm, sie sei vor dreiunddreißig Jahren in Dresden an den Pocken gestorben. Sie nimmt ihn mit in ihre Dachkammer im Gasthof „Zum Standhaften Heiligen“. Dort betrachtet sie ihn genauer und wundert sich über seine ungesunde Erscheinung, seine Korpulenz, seine Atemnot, sein Schwitzen.
Ich weiß, wie alt du bist, sagt die Mutter. Leider siehst du aber noch älter aus, viel älter. (Seite 69)
Wegen seiner Zähne, von denen viele nur noch Stummel sind oder ganz fehlen, sind seine Wangen eingefallen.
Schon vor zwei Jahren, in Wien, als ich dich sah, habe ich mir gedacht, dass du Schwierigkeiten hast mit dem Gebiss. (Seite 72)
Casanova ist überrascht, dass sie ihn vor zwei Jahren in Wien sah. Sie sei damals bei Fürst Kaunitz zum Souper eingeladen gewesen, erzählt sie.
Sag mir das Große, Giacomo, sagt die Mutter und zieht mit ihrer freien Hand einen weiten Kreis, für die Kleinigkeiten habe ich keine Zeit. Sag mir, was du mit deinem Leben im Großen gemacht hast, und ob du glücklich bist.
Ob ich, fragt Casanova und erschrickt.
Ja, sagt die Mutter. Und da er betreten schweigt: Glücklich bist du also nicht! Und was hast du gemacht mit deinem Leben?
Nun, sagt Casanova, zum Beispiel bin ich den Bleikammern entronnen.
Das weiß ich, sagt sie. Und was sonst? Und da er wieder schweigt: also hast du nichts gemacht mit deinem Leben? Also bist du tatsächlich der oberflächliche und frivole Mensch geworden, wie mir die Leute sagen und ich immer gefürchtet habe. Und dabei hattest du als Kind so wunderschöne Augen! (Seite 75)
Casanova beruft sich darauf, ständig auf der Flucht gewesen zu sein, aber das lässt seine Mutter nicht gelten. Da versucht er ihr zu erklären, er sei ein Dichter, müsse jedoch nicht, wie Voltaire, etwas auf die Bühne bringen.
Für ihn (Casanova) habe es, um ein Dichter zu sein, bis jetzt immer genügt, in jedem Augenblick die Unwirklichkeit seiner Existenz ganz zu empfinden. Er sei, figürlich natürlich, das Kunstwerk immer selber gewesen, aber das verstehe sie wohl nicht. (Seite 78)
Er sei ein lebendes Kunstwerk, kein Schauspieler, und habe seine Fantasie nicht aufs Papiers gegossen, sondern mit ins Leben hineingenommen.
In Turin beobachtete seine Mutter von der Bühne aus, was er mit zwei Begleiterinnen in seiner Loge trieb.
Jetzt bin ich nur noch Figurantin, sagt die Mutter, aber früher war ich einmal Schauspielerin. Sogar Tänzerin bin ich einmal gewesen. (Seite 82)
Und sie hebt die Röcke an, damit er ihre Beine sehen kann. Zum Beweis, dass sie auch Sängerin war, breitet sie die Arme aus, und singt mit weit geöffnetem Mund.
Sodass er bei der Mutter nun nicht nur das unterm Rock, sondern auch das im Rachen kennt. (Seite 83)
Im Morgengrauen, sagt sie, habe sie von ihrem Fenster aus beobachtet, wie er mit einer jungen Frau in seiner Kutsche im Bett lag. Casanova fühlt sich dadurch peinlich berührt, denn die Pocchini kam erst nach langem Zureden und gegen hohe Bezahlung mit, und auch das nur, weil er ihr eingeredet hatte, er brauche zur Linderung starker Schmerzen einen warmen nackten Körper an seiner linken Seite.
Casanovas Mutter ist enttäuscht von ihrem Sohn.
Und ihre vier Männer seien längst begraben, und ihr einziger Sohn sei so einer wie er, der sich nicht um sie kümmert, sondern vielleicht in die Geschichte eingeht als das größte Ferkel von Europa. (Seite 90)
Während Casanova beabsichtigt, mit einem Empfehlungsschreiben des Grafen Scarpi nach Neapel zu fahren, hat seine Mutter in drei Tagen eine Vorstellung in Cremona.
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In der hier vorgestellten Groteske „Casanova und die Figurantin“ porträtiert Gert Hofmann den berühmten Venezianer auf witzige und vergnügliche Weise.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Residenz Verlag
Giacomo Girolamo Casanova (Kurzbiografie)
Gert Hofmann: Die kleine Stechardin