E. T. A. Hoffmann : Rat Krespel
Inhaltsangabe
Kritik
Rat Krespel ist als angesehener Jurist im Staatsdienst tätig. Deshalb würde man nicht erwarten, dass er in seiner äußerlichen Erscheinung und seinem Verhalten einen extrem schrulligen und kuriosen Eindruck macht.
Als er zum Beispiel von seinem Fürsten als Anerkennung für erfolgreich geführte Verhandlungen ein Grundstück übertragen bekommt und ein Haus bauen darf, lässt er sich dafür keinen Bauplan erstellen, sondern zieht selbst einen viereckigen Graben für das Fundament. Die Mauern werden ohne Fenster und Türen hochgezogen, bis er meint, dass die richtige Höhe erreicht sei. Dann bestimmt er, wo er Fenster und Türen haben will; an diesen Stellen werden die Wände eingeschlagen. Auf diese Weise entsteht ein ungewöhnliches Haus, dessen Räume er jedoch gemütlich einrichtet.
Krespel ist ein außergewöhnlich künstlerisch begabter Mann. Er kann nicht nur aus Hasenknochen mit Hilfe einer kleinen Drehbank Döschen und Kügelchen drechseln, auch seine Hosen entwirft er selbst. Seine besondere Liebhaberei gilt aber der Musik: Er spielt Violine, und um den absolut perfekten Klang hervorbringen zu können, baut er aus anderen Geigen Teile aus und fügt sie zu neuen Instrumenten zusammen. Auf andere Menschen wirkt er durch sein ungeduldiges und zeitweise aggressives Wesen verschroben; seine dürre Statur und sein fahriges Wesen unterstreichen diesen Eindruck. Außerdem bewegt er sich oft tänzelnd und hüpfend, wobei er vor sich hinpfeift und Unverständliches murmelt. Man hält ihn für einen Hagestolz, was er nicht ungern hört.
Krespel hatte ein paar Jahre in Italien gelebt und dort eine attraktive Sängerin mit einer unvergleichlich schönen Stimme geheiratet. Allerdings war Angela charakterlich wenig einnehmend; sie war zänkisch, eitel, bösartig und machte ihm die Ehe zur Hölle. Nach einem Streit mit seiner Frau warf der cholerische Krespel sie aus dem Fenster. Den Sturz hatte sie aber unbeschadet überstanden. Nach diesem Eklat kehrte Krespel allein in seine Heimatstadt zurück. Angela teilte ihm dann später mit, dass sie ein Mädchen geboren hatte.
Mehrere Jahre später: Rat Krespel, der einige Monate verreist gewesen war – keiner wusste, wo er sich befand –, kommt mit einem jungen Mädchen namens Antonia zurück. Es fällt auf, dass er die junge Frau wie seinen Augapfel bewacht. Ganz selten führt er sie auf Gesellschaften, wo er ihr erlaubt, ihre Gesangskünste zum Besten zu geben. Ihre Stimme wird als engelsgleich und überirdisch bezeichnet. Es ist nicht verwunderlich, dass Antonia musikalisch so talentiert ist: sie ist Angelas Tochter.
Eines Abends ereignen sich tumultartige Szenen: Antonias Verlobter, ein Komponist und Musiker, ist im Hause Krespel zu Besuch. Als der Bräutigam Antonia auffordert, für ihn zu singen, wird er von ihrem Vater auf das Übelste beschimpft und gewaltsam aus dem Haus geworfen. Krespel könne nicht hinnehmen, dass sich Antonia mit ihrem Gesang körperlich verausgabe, und überhaupt werde er nicht zulassen, dass die Verbindung zwischen den Brautleuten aufrecht erhalten bleibe, denn aufgrund des Berufes des jungen Mannes, bestehe die Versuchung, dass Antonia öfter singen würde als ihr gut tue.
Rat Krespel ist deshalb so um die Gesundheit Antonias besorgt, weil er beobachtete, wie nach ihren Gesangsdarbietungen rote Flecken auf ihren Wangen erschienen und sie am Ende ihres Vortrags körperlich erschöpft war. Ein Arzt konstatiert, dass die außergewöhnlich schöne Stimme Antonias auf einen „organischen Fehler in der Brust“ zurückzuführen sei. Und gerade diese Missbildung verleihe „ihrer Stimme die wundervolle Kraft und den seltsamen, über die Sphäre des menschlichen Gesanges hinaustönenden Klang“. Ihre im allgemeinen geschwächte Konstitution deute auf einen frühen Tod hin. Der Arzt gibt ihr noch höchstens sechs Monate Zeit zu leben.
Der einstige Verlobte will Antonia noch einmal treffen. „Nur einmal ihn sehen und dann sterben“, fleht auch sie ihren Vater an. Schweren Herzens gewährt Krespel seiner Tochter den Wunsch. Der Bräutigam spielt am Flügel, Krespel auf der Geige und Antonia singt – bis sich auf ihrem Gesicht die roten Flecken zeigen. Beim Abschied von ihrem Liebsten sinkt Antonia mit einem lauten Schrei zusammen.
„Da Sie, verehrungswürdiger Klaviermeister, wie Sie gewollt und gewünscht, Ihre liebe Braut wirklich ermordet haben, so können Sie nun ruhig abgehen, es wäre denn, Sie wollten so lange gütigst verzeihen, bis ich Ihnen den blanken Hirschfänger durch das Herz renne, damit so meine Tochter, die, wie Sie sehen, ziemlich verblasst, einige Couleur bekomme durch Ihr sehr wertes Blut. – Rennen Sie nur geschwind, aber ich könnte Ihnen auch ein flinkes Messerchen nachwerfen!“ – Ich muss wohl bei diesen Worten etwas graulich ausgesehen haben; denn mit einem Schrei des tiefsten Entsetzens sprang er, sich von mir losreißend, fort durch die Türe, die Treppe herab. (Seite 28)
Antonia erwacht aus ihrer Ohnmacht und erholt sich schneller als Krespel zu hoffen wagte. Sie versichert ihrem Vater, dass sie nicht mehr singen werde, damit sie für ihn leben kann.
Eines Nachts glaubt Krespel, aus dem Nebenzimmer jemand auf dem Piano spielen und Antonia in „leisen hingehauchten Tönen“ singen zu hören. Einerseits empfindet er eine nie gefühlte Wonne, andererseits ergreift ihn eine entsetzliche Angst. Als er in Antonias Zimmer nachsieht, findet er sie dort lächelnd und mit fromm gefalteten Händen tot auf dem Sofa liegend.
Das 1816 entstandende Manuskript von E. T. A. Hoffmann ist beispielhaft für die Romantik. Im Gegensatz zur Klassik wird auf seelische Abartigkeiten, menschliche Schwächen, widersprüchliche Charaktere und Traumfantasien eingegangen. Realität und Fiktion vermischen sich teilweise. So wird in der Novelle „Rat Krespel“ die Exaltiertheit des Protagonisten und seine groteske Erscheinung eingehend dargestellt. Kunst, in diesem Fall die Suche nach dem absoluten Klang einer Violine oder der Stimme, wird mit Morbidität gleichgesetzt und in der Krankheit Antonias versinnbildlicht. Das Dilemma, in dem sich der Vater befindet, ob er seiner Tochter weiterhin das Singen erlauben soll, das ihr gesundheitlich schadet, Antonia andererseits aber ohnehin nicht mehr lange zu leben hat, wird ausführlich behandelt. Welche Alternative Krespel auch wählt, schuldig wird er sich in jedem Fall fühlen.
Die Person Krespel hat es im übrigen tatsächlich gegeben. Johann-Bernhard Crespel verkehrte regelmäßig im Hause Goethe. Der unorthodoxe Hausbau wird von Zeitzeugen bestätigt und seine Hosen soll er auch selbst „fabriciret“ haben.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2007
Textauszüge: © Philipp Reclam jun., Stuttgart
Romantik
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