Nuruddin Farah : Maps

Maps
Originalausgabe: Maps, 1986 Maps Übersetzung: Inge Uffelmann Ammann Verlag, Zürich 1992 Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 66, München 2007, 363 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Somali Askar wird im Ogaden geboren. Sein Vater ist bereits tot, und seine Mutter stirbt gleich nach der Niederkunft. Zufällig findet die Äthiopierin Misra den verwaisten Säugling und nimmt sich seiner an. Durch den Krieg um den Ogaden werden Misra und Askar getrennt. Als sie sich zehn Jahre später wiedersehen, ist nichts mehr wie früher: Misra wird nachgesagt, sie habe somalische Freiheitskämpfer verraten, und Askar überlegt, ob er sich, statt zu studieren, der Western Somali Liberation Front anschließen soll ...
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Kritik

Nuruddin Farah erzählt abwechselnd in der ersten, zweiten und dritten Person Singular, stets sehr ausführlich, hin und wieder in der Zeit hin- und herspringend. Breiten Raum nehmen in "Maps" auch die Träume der Hauptfigur ein.
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Askar wird Ende der Sechzigerjahre in Kallafo, einem Dorf im Ogaden, geboren. Sein Vater, der für die Western Somali Liberation Front gekämpft hatte, war einige Monate zuvor im Gefängnis ums Leben gekommen. Seine Mutter Arla stirbt unmittelbar nach der Niederkunft in einem Versteck. Zufällig findet die mit sieben Jahren von einem Krieger entführte Äthiopierin Misra den verwaisten Säugling und nimmt sich seiner an. Ihr eigener unehelicher Sohn war wenige Monate zuvor im Alter von 18 Monaten gestorben. Nun wird Askar zum Mittelpunkt ihres Lebens.

Nach ein paar Jahren merkt Askar, dass seine Ersatzmutter sowohl mit seinem Onkel Qorrax als auch mit Aw-Adan, dem Vorsteher der Koranschule in Kallafo, ins Bett geht. (Später erklärt sie ihm, sie habe es tun müssen, um bei ihm bleiben zu dürfen.) Als sie schwanger wird, helfen die Nachbarinnen zusammen, um den Embryo abzutreiben.

[…] sie lag auf dem Rücken, und die Frauen traten ihr in den Leib. Als ob das nicht schon genug gewesen wäre, zerrten sie sie hoch, setzten sie auf und ließen sie Dämpfe von glühendem Kardamom einatmen und verabreichten ihr Zäpfchen aus Zimt und Myrrhe. Danach flößten sie ihr ein Gebräu ein, das unter anderem Wurzelsäfte und Pflanzenextrakte enthielt, von denen man sagte, sie hätten abtreibende Wirkung. Und als ob auch das noch nicht ausgereicht hätte, stieß eine der Frauen ihr noch einen Metallstab in die Tiefen ihres Innersten. (Seite 81)

Obwohl es Askar wie allen Kindern im Viertel verboten ist, lässt er sich von einem jemenitischen Nachbarn Schokolade schenken. Er versteht nicht, dass es sich bei dem Mann um einen Perversen handelt, der nicht nur kleine Jungen vergewaltigt, sondern es auch mit Tieren treibt.

Wenige Wochen nachdem Askar beschnitten wurde, versucht Somalia, den zu Äthiopien gehörenden Ogaden gewaltsam zu erobern. Erst jetzt begreift Askar, dass Misra keine Somali ist wie die anderen Dorfbewohner.

„Eines Tages“, prophezeite sie und sprach in jene Leere einer Zukunft, in der mir wiederzubegnen sie hoffte, „eines Tages wirst du dich mit deinem Volk identifizieren und mich als jemanden einordnen, der außerhalb dieser Gemeinschaft steht. Wer weiß, du könntest mich sogar töten, um den Traum deines Volkes zu verwirklichen.“
„Töten?“, fragte ich.
„Ja. Töten, umbringen. Im Namen deines Volkes plündern, vergewaltigen, töten.“
„Ich, ich sollte dich eines Tages töten können?“
„Vielleicht“, sagte sie und ging aus dem Zimmer. (Seite 146)

Nach Kriegsbeginn schickt Onkel Oorrax seinen Neffen Askar zu seinem Schwager Hilaal Cabdullahi und dessen Ehefrau Salaado nach Mogadischu. Onkel Hilaal, der Bruder von Askars Mutter Arla, lehrt dort an der Universität. Salaado kann keine Kinder bekommen, weil ihr die Eierstöcke entfernt wurden. Man drängte Hilaal, seine unfruchtbare Frau zu verlassen, aber er blieb bei ihr und nahm in Kauf, dass sich seine Familie von ihm abwandte.

„Diese Gesellschaft hat absolut kein Verständnis für einen Mann der eine Frau liebt, die ihm keine Kinder gebiert, ihm sein Essen nicht kocht, ihm das Haus nicht in Ordnung hält und ihm nicht die Unterhosen wäscht. Eine Frau, die am Steuer des Wagens sitzt und fährt, während er auf dem Beifahrersitz Platz nimmt – das ist in unserer Gesellschaft unverzeihlich. Es geht um Sex – früher oder später. Und um die Hierachien, die den Begriff Sex begleiten.“ (Seite 214)

Während Askar mit Malaria im Bett liegt, verhelfen die Sowjets Äthiopien zum Sieg im Krieg um den Ogaden.

Auch nach seiner Genesung besucht Askar keine Schule, sondern sein Onkel Hilaal beschäftigt einen Hauslehrer für ihn.

Zehn Jahre nachdem Askar Misra zum letzten Mal sah, erfährt der inzwischen Siebzehnjährige, dass sie sich verkleidet und unter falschem Namen nach Mogadischu durchgeschlagen hat. Hilaal und Salaado nehmen sie ebenfalls auf, aber Askar spricht kaum ein Wort mit ihr und geht ihr aus dem Weg, denn sie soll ihrem Liebhaber, einem äthiopischen Leutnant, ein Camp der Western Somali Liberation Front verraten haben. 600 Freiheitskämpfer wurden dort getötet.

Misra gibt zwar zu, mit dem Äthiopier, der aus dem selben Dorf wie sie stammte, zwei Jahre lang ein Verhältnis gehabt zu haben, aber sie beteuert, keine Verräterin zu sein. Askar glaubt ihr nicht und zeigt kein Mitgefühl, als sie davon erzählt, wie sie von einem Dutzend Männern vergewaltigt wurde, auch nicht, als die Ärzte in Mogadischu bei ihr Brustkrebs diagnostizieren.

Misra erholt sich von der Brustamputation im Krankenhaus. Als es Hilaal endlich gelingt, Askar zu überreden, ihn bei einem Krankenbesuch zu begleiten, ist sie nicht mehr da. Drei Männer holten sie ab, sagen die Schwestern. Tagelang wird Misra vermisst. Dann wird ihre Leiche gefunden: Jemand hat ihr das Herz herausgerissen und ihren verstümmelten Körper ins Meer geworfen.

Unschlüssig sitzt Askar Calki-Xamari vor unausgefüllten Anmeldeformularen der Universität in Mogadischu und der Western Somali Liberation Front.

Die Polizei nimmt in fest und erhebt Mordanklage gegen ihn: Der inzwischen Achtzehnjährige soll Misra umgebracht haben.

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Du sitzt nachdenklich, mit gequälten Zügen und schmerzverzerrter Miene, du sitzt Stunde um Stunde, starrst schlaflos in das Dunkel und lauschst auf das leise Schnarchen, das aus dem Nebenzimmer herüberdringt. Und du beschwörst eine Vergangenheit: eine Vergangenheit, in der du ein Pferd seinen Reiter abwerfen siehst, eine Vergangenheit, in der du einen Vogel die Schale eines Eies aufbrechen siehst, damit er in die Freiheit der Himmel auffliegen kann. Und aus ebendieser Vergangenheit taucht ein Mann auf, ein Mann, der in einen weiten, ungeflickten Umhang voller Löcher gehüllt ist, jedes Loch groß wie ein Fenster – und jedes Fenster groß wie das Geheimnis, an das du dich klammerst, als wäre es die einzige Seele, die du je besessen. Und jeden Gedanken, der dir durch den Kopf geht, stellst du in Frage, zweifelst du an. (Seite 9)

Nuruddin Farah erzählt in „Maps“ abwechselnd in der ersten, zweiten und dritten Person Singular, stets sehr ausführlich, hin und wieder in der Zeit hin- und herspringend. Breiten Raum nehmen auch die Träume der Hauptfigur ein. In „Maps“ geht es um den im Ogaden geborenen Somali Askar, der von Misra, einer äthiopischen Pflegemutter, aufgezogen wird. Durch den Krieg um den Ogaden werden Misra und Askar getrennt, und als sie sich zehn Jahre später wiedersehen, ist nichts mehr wie früher: Misra wird nachgesagt, sie habe somalische Freiheitskämpfer verraten, und Askar überlegt, ob er sich, statt zu studieren, der Western Somali Liberation Front anschließen soll.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Nuruddin Farah (Kurzbiografie / Bibliografie)

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.