Mark Z. Danielewski : Das Fünfzig-Jahr-Schwert

Das Fünfzig-Jahr-Schwert
Originalausgabe: The Fifty Year Sword Pantheon Books, New York 2012 Das Fünfzig-Jahr-Schwert Übersetzung: Christa Schuenke Tropen Verlag, Stuttgart 2013 ISBN: 978-3-608-50126-1, 288 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Näherin Chintana, die unlängst von ihrem Ehemann Pravat wegen einer anderen Frau verlassen wurde, nimmt an einer Halloween-Party teil. Unter den Gästen entdeckt Chintana ihre Rivalin Belinda Kite. Überraschungsgast ist ein Geschichten­erzähler. Fünf Waisenkinder hören ihm zu, als er davon berichtet, wie er in den Besitz eines geheimnisvollen Schwertes gekommen ist, das keine Klinge zu haben scheint. Am Ende packt er es aus ...
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Kritik

Mark Z. Danielewski erzählt in "Das Fünfzig-Jahr-Schwert" ein makabres Märchen für Erwachsene. Aber die Geschichte ist nur ein Teil des Ganzen, denn der Text ist in ein optisches und haptisches Erlebnis eingebettet.
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Die texanische Näherin Chintana folgt einer Einladung zu einer Halloween-Party bei Mose Dettledown, einer durchgeknallten 112-Jährigen. Zum Entsetzen Chintanas entdeckt sie Belinda Kite unter den Gästen. Ihretwegen trennte Pravat sich von seiner Ehefrau Chintana, aber inzwischen hat Belinda ihn auch bereits wieder verlassen. Eine Sozialarbeiterin kommt mit fünf zwischen vier und neun Jahre alten Waisen zu der Holloween-Party: Tarff, Ezade, Iniedia, Sithis, Micit. Es heißt, ein Geschichtenerzähler solle der Überraschungsgast sein. Und um Mitternacht, so kündigt die Gastgeberin an, werde man auch noch einen 50. Geburtstag feiern.

„– die Haustür stand halt ganz
weit offen.
„Obwohl, wann sie so aufgerissen
worden war, daran konnte Chintana sich nicht
mehr erinnern.
„Das Licht auf der Veranda war gleichfalls aus,
komischerweise,
„und, was noch wichtiger ist,
gerade fiel ein Schatten über die Schwelle,
„obwohl
dies ohne Mond und ohne Sterne am Texas-Himmel
eine furchtbare Unmöglichkeit war,.
„denn was hier
nach ihr griff, war, wie es schien, ein Schatten, der
geworfen von nichts
„anderem war
„als einzig
von der Finsternis allein.

Beim Anblick des Geschichtenerzählers in seinem silbrigschwarzen Umhang prallen die fünf Waisen erschrocken zurück. Sie beruhigen sich jedoch, als er sich im Schneidersitz niederlässt. Nun folgen die Kinder seinem Beispiel.

„Was die Sozialarbeiterin betrifft, welche der
Last der wachsamen Verantwortung für den
Moment enthoben war,
„so ließ sich diese nun in
einem Liegesessel ganz weit hinten in der Ecke nieder,
„legte die Beine hoch und
„gähnte.

Der Geschichtenerzähler hat einen mit vier Scharnieren und fünf Riegeln verschlossenen Kasten mitgebracht. „D50JS“ liest Chintana darauf. Und nun beginnt der Geschichtenerzähler zu sprechen:

„‚Ich bin ein böser Mann und habe ein sehr
schwarzes Herz. Und diese Bosheit war’s und diese
Schwärze, die mich zwangen, auf die Suche mich zu
machen nach dem, was ich
„’schon viele Jahre lang
mit mir herumtrage und was ich euch heut Abend
mitgebracht hab.
„‚Weil ihr noch jung seid, will ich
euch erZählen von meiner Suche nach einer Waffe.

Auf der Suche nach der Waffe sei er weit herumgekommen, behauptet der Geschichtenerzähler.

„‚Zuerst ging ich an Orte, die ich kannte.
„‚Vertraute Orte.
„‚Ich prüfte Stricke,
prüfte Messer aller Art.
„‚Ich zog auch Öle sowie
Gifte in Erwägung.
„‚Spielte sogar mit dem
Gedanken: Sprengstoff.
„‚Und auch mit
Feuerwaffen habe ich hantiert. Mit kleinen und mit
großen Feuerwaffen, stark genug, um
„‚etwas zu
zerreißen,
„‚irgendwas entzwei zu reißen mit nur
einem Schuss.

Nirgendwo fand er die richtige Waffe, aber schließlich traf er jemanden, der ihm von einem Einsiedler berichtete. Der fertige fürchterliche Waffen an, sagte er, und verkaufe diese auch, allerdings nicht für Geld. Der Geschichtenerzähler ließ sich alles genau schildern und tötete seinen Gesprächspartner dann, bevor er loszog, um den Waffenschmied zu suchen.

Dazu musste er zunächst das Tal des Salzes durchqueren.

„Nur Schatten weilten dort noch,
„‚Selbst
der meine ließ eine kohleschwarze
Schmierspur zurück.

Dann kam er in den Wald der Fallenden Töne.

„‚Denn, wisst ihr, in dem sonderbaren Wald der
„‚Fallenden
„‚Töne konnten die Klänge nicht
beisammen-
„‚bleiben.
„‚Sie kullerten wild auf
„‚dem
Boden herum,
„‚wie Perlen von ’nem gerissenen
„’seidenen Faden.

Ein unwegsamer Pfad führte aus dem Wald der Fallenden Töne heraus auf den Berg der Vieleinzelnen Pfade, wo der Geschichtenerzähler durch den Nebel viele andere Kletter sah, die sich nicht nur untereinander alle glichen, sondern auch genauso aussahen wie er.

Bei einem Teich stieß er auf eine kleine Hütte, deren Tür offen stand. Er ging hinein, bemerkte auf dem Tisch eine Tasse mit heißem Tee und trank davon. Dann erst nahm er den Mann Mit Keinen Armen wahr.

„‚“Du bist hierhergekommen wegen
eines meiner Schwerter.“

Der Mann Mit Keinen Armen zeigte ihm verschiedene seltsame Schwerter. Eines davon werde sogar eine Idee töten, sagte der Waffenschmied.

„‚“Eine Idee“, sinnierte ich.
„‚“Aber die kosten zu viel für dich.“
Und seine violetten Wimpern schienen zu
„‚zittern
vor Ergötzen.
„‚“Wie viel denn?“, drängte ich.
„‚“Der es schwingt, muss sterben, ehe er
„‚“schwingen
es kann.“

Eines der Schwerter fiel dem Geschichtenerzähler besonders auf, und er erkundigte sich danach. Es handele sich um SEIN Fünfzig-Jahr-Schwert, antwortete der Mann Mit Keinen Armen. Die Klinge schneide immer, behauptete er, aber die geschlagenen Wunden würden bis zum 50. Geburtstag des Opfers unsichtbar bleiben.

„‚“Ja, und was kostet nun mein Schwert?“
„‚“Eine Erinnerung, die du hast, und die
„‚“dich hätte
„‚“überleben können.“

Da nahm der Mann Mit Keinen Armen einen Schwertgriff zwischen die Zähne, und als er seinen Besucher zwischen die Schulterblätter stach, verspürte dieser einen durchdringenden Schmerz. Der Mann Mit Keinen Armen holte einen Schmetterling aus dem Rücken seines Gastes.

Gebannt lauschen die fünf Waisen und Chintana dem Geschichtenerzähler, der nun zum Ende kommt.

„‚Und erst in den folgenden Jahren
sollte ich merken, was
„‚er mir genommen hatte.
Mein Herz blieb genauso
„’schwarz, und meine
Bosheit breitete sich
„‚leichter noch aus, doch
„‚die
Erinnerung
„‚und der Grund
„‚hinter solch einer
Schwärze und Bosheit war
„‚verschwunden
ganz und gar.
„‚Und das ist meine
„‚Geschichte.
Mehr
„‚gibt
„‚es nicht.‘

Nachdem die Kinder die Geschichte gehört haben, möchten sie das Schwert sehen, das sie in dem geheimnisvollen Kasten mit der Inschrift „D50JS“ vermuten. Nacheinander schieben die Waisen je einen Riegel zurück. Dann beugt der Geschichtenerzähler sich vor und hebt den Deckel an. Auf den ersten Blick scheint der Kasten leer zu sein, aber dann nimmt er ein scheinbar klingenlosen Schwert heraus. Chintana, die sich vor fünf Wochen beim Durchtrennen der Vorhänge eines Patentanwalts mit der Schere in den Daumen stach, spürt das schmerzhafte Pochen der Narbe.

„Da zwang Chintana sich, aus ihrem Sessel
aufzustehen, aber sie war
„zu –
„viel zu
„spät,
der Geschichten-
„erZähler schwenkte hinab schon
und über den Hälsen der fünf Waisen
„einen bösen
und schrecklichen Bogen
„mit gar noch
schlimmeren Intenplikationen, hätten nicht
seine Hände gepackt
„rein gar nichts; […]

Die Hände des Geschichtenerzählers lösen sich in Luft auf.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Belinda Kite eilt herbei.

„‚Schnickschnack, Rumgeeier, Blabla und
Geseier‘, fauchte laut Belinda Kite, als sie mit großen
Schritten herbeigestürmt kam
„und sich der Griff
nun
„irgendwie, wie durch ein Wunder,
„in ihrem
Besitz befand.

„Schaut ge    nau       hin, meine Kinder
das ist ni       nchts we     iter als   ei     n
Stü     ckche   n von
‚verpfusc   hte   m Pfu   ite   ufelk       ram.‘

Belinda Kite wirbelt das augenscheinlich klingenlose Schwert herum, als habe sie vor, sich selbst in Stücke zu schneiden. Auf diese Weise versucht sie den Kindern zu demonstrieren, dass ihnen der Geschichtenerzähler nur ein Märchen aufgetischt habe. Dann jagt sie den Mann samt seinem Kasten hinaus.

Die Sozialarbeiterin lässt die Kinder in einen Kleinbus einsteigen, aber der Motor springt nicht an. Ein Angestellter der Kreisverwaltung muss deshalb einen Abschleppwagen holen. So kommt es, dass die Kinder noch da sind, als es auf Mitternacht zugeht.

Höhnisch sagt Belinda Kite zu Chintana:

„‚Hey, Baby, dein Alter war ein lausiger Fick.‘

Es stellt sich heraus, dass der von Mose Dettledown angekündigte Geburtstag der von Belinda Kite ist. Sie wird 50 Jahre alt. Als es Mitternacht ist, spritzt Blut. Zunächst fallen Belinda Kite fünf Finger ab, scheibchenweise folgen die Reste der Hand und des Körpers. Ein goldener Armreif klirrt auf den Boden.

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Eine Nacherzählung des Inhalts kann nur unzureichend wiedergeben, was den Reiz des Buches „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ von Mark Z. Danielewski ausmacht, denn die aus der Perspektive der Näherin Chintana erzählte Gespenstergeschichte – ein makabres Märchen für Erwachsene – ist nur ein Teil des Ganzen. Der Text ist nämlich in ein optisches und haptisches Erlebnis einge­bettet. Ihm sind die geraden Seiten vorbehalten, aber von rechts greifen mitunter Illustratio­nen auf die Textseite, also in die linke Hälfte des Buches, über. Auch mit dem Layout des Textes spielt Mark Z. Danielewski in „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“. Dazu kommen Anführungszeichen in fünf verschiedenen Farben, die ebenso vielen Stimmen zugeordnet sind.

In einer Vorbemerkung schreibt Mark Z. Danielewski über die fünf Figuren:

[…] wovon die eine in jungen Jahren mit einer anderen geschlafen hat und sich nun endlos über die herbstlichen Seen verwundert, an denen einst ein wieder anderer gewandert ist; zwei davon hegen immer noch Zuneigung für einander, was sich in einer Masse von Zetteln und transatlantischen Telefonaten manifestiert; eine vierte hat drei verloren; und die letzte, aus dem Gefängnis eines späteren Lebens, hasst sie alle – oder repräsentiert sie durchgehend mit charakteristischen Sentenzen, zeitlichen Bezügen, und sogar mehr noch mit Anführungszeichen, die hoffnungslos nisten in wiederholten Nestern von noch mehr Zeichen […]

Diese fünf Stimmen, über die wir nicht mehr erfahren, lassen sich allerdings nicht leichter unterscheiden als die Farben der Anführungszeichen. (Vielleicht hat der Verlag aus Kostengründen schwer definierbare Mischfarben statt beispielsweise gelb, grün, blau, zinnoberrot und dunkelbraun verwendet.)

Nicht gespart hat der Tropen Verlag jedenfalls an Buchdeckel, Vorsatz, Papierqualität und roter Fadenheftung. Und auf dem Schutzumschlag sind erhabene Punkte zu spüren. Bei „Das Fünfzig-Jahr-Schwert“ handelt es sich um ein aufwendig gestaltetes und illustriertes Buch.

Bemerkenswert sind Wortneuschöpfungen oder unübliche Schreibweisen wie zum Beispiel: Konsekawenz, Luxus-Krähatur, Barmercigkeit, Kollillusion, Intenplikationen und Immumifizierung.

Am 31. Oktober 2005 (Halloween) veröffentlichte der Verlag De Bezige Bij in Amsterdam eine frühere Version des Buches von Mark Z. Danielewski. Es wurden 1000 Exemplare in englischer Sprache – „The Fifty Year Sword“ – und ebenso viele in niederländischer Übersetzung – „Het Vijftig Jaars Zwaard“ – gedruckt. Mark Z. Danielewski signierte ein Buch mit seinem Namen und jeweils 10 Exemplare mit der Initiale Z in einer von fünf Farben. Die amerikanische Originalausgabe der vorliegenden Version erschien 2012 bei Pantheon Books in New York: „The Fifty Year Sword“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH

Mark Z. Danielewski (kurze Biografie / Bibliografie)

Mark Z. Danielewski: Das Haus. House of Leaves
Mark Z. Danielewski: Only Revolutions

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