Deniz Ohde : Ich stelle mich schlafend

Ich stelle mich schlafend
Ich stelle mich schlafend Originalausgabe Suhrkamp Verlag, Berlin 2024 ISBN 978-3-518-43170-2, 251 Seiten ISBN 978-3-518-77862-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Protagonistin Yasemin steht vor dem explodierten Haus, in dem sie gerade noch wohnte – und vor den Trümmern ihres Lebens. In der Retrospektive versucht sie zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Schon als Jugendliche hasste sie sich selbst, und mit 35 verstrickte sie sich in eine Beziehung mit einem Mann, der sie zu zerstören drohte.
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Kritik

"Ich stelle mich schlafend" lässt sich als Coming-of-Age-Roman lesen, aber Deniz Ohde geht es um mehr. Sie lässt uns das Gefühlschaos der Protagonistin miterleben und beendet die Geschichte mit einer Befreiung. Ihr gelingen bildstarke Szenen, aber in der Rolle der allwissenden Autorin erläutert und kommentiert sie unnötig viel.
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Yasemin

Yasemins Mutter kann sich nicht an die Zeugung der Tochter erinnern, denn zu dem Zeitpunkt war sie betrunken. Ein Kind wollte weder sie noch der triebgesteuerte Vater.

Yasemin war aus einem gebrochenen Willen gezeugt worden.

Erst elf Jahre nach Yasemins Geburt heirateten die Eltern. Der Vater ist die meiste Zeit auf Montage unterwegs.

Über die Jahre hatte er gelernt, dass seine Einschätzung der Dinge überflüssig war.

Die Mutter bügelt fortwährend und ermahnt ihre Tochter: „Sitz gerade!“

Sieben Wochen vor ihrem 14. Geburtstag verliebt sich Yasemin in den drei Jahre älteren Vito, der mit seiner Mutter in der Nachbarschaft wohnt. Zuerst beachtet er sie nicht weiter, aber dann wird er ihr fester Freund.

Nach der Feier zu ihrem 14. Geburtstag übernachtet Yasemin bei ihrer mütterlichen Freundin Lydia, einer ausgebildeten Krankenpflegerin, die sich nach zehn Berufsjahren mit Kosmetik und Fußpflege selbstständig gemacht hat. Nachts wacht Yasemin auf, weil Lydia ins Bett geht und dabei vergeblich versucht, einen Mann zurückzuweisen. Yasemin stellt sich schlafend.

Sie hörte, wie Lydia Nein sagte und sich dann doch hingab. Sie hörte, wie sie aufgab. […] Sein auf dem ihren ausgestreckter Körper aber erstickte jeden weiteren Widerstand. […] Ein Zauberer war er, der seinen Willen durchsetzte. […] In sie eingebläut, dass der Wunsch des Mannes in Wirklichkeit auch der ihre sei.

Bald darauf stürzt Yasemin bei der Reitstunde vom Pferd und muss sich wegen einer Idiopathischen Adoleszenten-Skoliose vom lumbalen Typ nicht nur einer Behandlung in einer Reha-Klinik unterziehen, sondern sich dann auch noch ein Korsett anpassen lassen. Als ihr ein Mitarbeiter die Gipsbinden um den nackten Körper wickelt, streicht er ihr über die Brüste und feixt dabei.

Weil Yasemin sich wegen ihres deformierten Körpers, des Korsetts und des Erlebnisses beim Eingipsen schämt, weicht sie nun Vito aus und geht nicht ans Telefon, bis er begreift, dass es aus ist zwischen ihnen.

Body Count

Nachdem Vito sich vergeblich mit einem Lieferdienst und anderen Start-ups versucht hat, fährt er mit seinem Freund Sascha nach Italien. Sehr zum Missfallen Saschas schlafen sie in Parks, denn Vito hat kein Geld für Hotels. Während Sascha sich Sehenswürdigkeiten in Rom anschaut, lehnt Vito das als „Mainstreamscheiß“ ab und fotografiert stattdessen überquellende Mülltonnen. Die Freundschaft der beiden zerbricht, und sie trennen sich noch in Rom.

Als Yasemins Eltern mit neuen Partnern wegziehen, mietet sie die Dachwohnung über der benachbarten Kneipe „KlickKlack“ und beginnt eine Ausbildung in der Buchhaltung eines Kaufhauses.

Sie schläft wahllos mit Männern und nennt das ihren „Body Count – killed or fucked“.

Yasemin übte sich darin, ihren eigenen Willen zu brechen.

Mit Mitte 20 besinnt sich Yasemin und beginnt eine feste Beziehung mit einem grundanständigen Mann namens Hermann, der dann auch bei ihr einzieht.

Vito

Zehn Jahre später setzt ihre Menopause ein, und es ist zu befürchten, dass sich die Skoliose wieder verschlimmert.

Zufällig läuft die 35-Jährige Vito über den Weg – und übernachtet bald darauf bei ihm in seiner verdreckten und verwahrlosten Wohnung in Bad Kissingen. Als er zudringlich wird und sie ihn zurückweisen will, fasst er das als Spiel auf.

Als Vito dennoch weiter an ihrem Pullover nestelte, dennoch weiter unter Grunzen und Lachen seine Lippen an ihrem Hals entlanggleiten ließ und einen Biss andeutete, erstarrte sie in ihrer Haltung und des verließ sie die Kraft. Statt ihren Worten Taten folgen zu lassen, statt auf ihr eigenes Nein zu hören, wurde etwas anderes stärker: das Pflichtgefühl, Vito das zu geben, was er verlangte […].

Hermann entgeht nicht, dass Yasemin ihn betrügt und er beendet deshalb die Lebensgemeinschaft. An seiner Stelle zieht Vito bei ihr ein.

Nachts schleicht er sich davon; tagsüber repariert er im Hinterhof Fahrräder, bietet sie in Online-Kleinanzeigen an und verkauft sie. Erst nach einer Weile begreift Yasemin, dass er die Fahrräder stiehlt.

Ihre Jugendfreundin Immacolata wird ermordet, als sie trampt. Yasemin malt sich aus, wie sie selbst umgebracht wird.

Befreiung

Schließlich trennt sie sich von Vito. Aber er lauert ihr im Parkhaus des Kaufhauses auf. Statt ihn einsteigen zu lassen, weist sie ihn mit deutlichen Worten zurück, fährt nach Hause und beginnt ihre von ihm vermüllte Wohnung aufzuräumen.

Als sie schlafen geht, liegt Vito in ihrem Bett. Er kletterte auf ein Schuppendach und stieg durchs Fenster ein. Yasemin gibt nicht nach und fordert ihn auf, ihre Wohnung zu verlassen.

Sicherheitshalber schläft Yasemin bei Lydia auf dem Sofa. Mitten in der Nacht wird sie durch einen Knall geweckt. Eine Explosion hat den Dachstuhl über der Kneipe „KlickKlack“ weggerissen. Aus der zerstörten Wohnung wird Vito geborgen. Er hatte den Kopf in den Gasherd gesteckt. Im Krankenhaus stirbt er.

Das Haus muss abgerissen werden.

Der Rausch meiner Verliebtheit bestand darin, endlich die Gewalt zu erfahren, die ich glaubte verdient zu haben. Ich bin in Vito gelaufen wie in ein offenes Messer. Ich habe geglaubt, in ihm ein neues Leben zu finden, dabei war es Vernichtung, die ich mir in Wirklichkeit erhoffte.

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Gleich zu Beginn des Romans „Ich stelle mich schlafend“ von Deniz Ohde (*1988) steht die Protagonistin Yasemin im Alter von 35 Jahren vor dem explodierten Haus, in dem sie gerade noch wohnte – und vor den Trümmern ihres Lebens. In der Retrospektive versucht sie zu verstehen, wie es dazu kommen konnte und erinnert sich an entscheidende Erlebnisse um ihren 14. Geburtstag herum. „Ich stelle mich schlafend“ lässt sich als Coming-of-Age-Roman lesen, aber Deniz Ohde geht es um mehr; sie porträtiert eine Frau, die weiß, dass sie ungewollt gezeugt wurde, sich selbst hasst und in eine toxische Beziehung mit ihrer vermeintlichen Jugendliebe verstrickt. Lange Zeit kommt sie von dem Mann nicht los, aber „Ich stelle mich schlafend“ klingt als ermutigende Geschichte einer Befreiung aus.

Deniz Ohde entwickelt den Roman aus Yasemins Perspektive und als auktoriale Erzählerin. Ihr gelingen bildstarke Szenen, aber in der Rolle der allwissenden Autorin erläutert und kommentiert sie unnötig viel. Yasemins psychische Deformation korrespondiert mit der ihrer Wirbelsäule, und Vito vermüllt nicht nur ihre Wohnung, sondern stürzt auch ihr Innenleben ins Chaos. Das sind gute Metaphern. Außerdem verwendet Deniz Ohde Elemente aus dem Thriller-Genre und lässt Schlimmes befürchten, das dann im weiteren Verlauf auch eintritt.

Sprachlich holpert es allerdings in „Ich stelle mich schlafend“, und es haben sich Grammatikfehler eingeschlichen.

„Du bist ein kühler Sommertyp“, ermahnte sie Lydia.

Gemeint ist es andersherum: Lydia ermahnt Yasemin.

Es war ein langsamer Abend, da Dienstag, und noch nicht besonders spät.

Hermann aber brauchte nicht getröstet werden.

Mit ihrem Debütroman „Streulicht“ hatte es Deniz Ohde 2020 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Deniz Ohde: Streulicht

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.