Erster Weltkrieg: Kriegsbeginn
Nachdem die Wiener Regierung dem serbischen Königreich am 28. Juli 1914 den Krieg erklärt hatte, gab es kein Halten mehr: Die Europäer schlitterten in den Weltkrieg hinein. Am 29. Juli beschossen österreichisch-ungarische Truppen die serbische Hauptstadt Belgrad.
In der Nacht vom 29./30. Juli erklärte Bethmann Hollweg dem britischen Botschafter in Berlin, seine Regierung sei bereit, sich in einem Krieg mit Frankreich mit kolonialen Erwerbungen zu begnügen, falls Großbritannien neutral bleiben würde. Schroff wurde dieses Ansinnen zurückgewiesen.
Obwohl der irische Bürgerkrieg gerade auszubrechen drohte und kaum jemandem in Großbritannien an einem kontinentalen Krieg gelegen war, wollte die Londoner Regierung auf keinen Fall eine Schwächung Frankreichs zulassen.
Frankreich war zwar im Sommer 1914 noch nicht für einen Krieg mit den Mittelmächten gerüstet, aber bei einem Staatsbesuch vom 20. bis 23. Juli in Sankt Petersburg hatten der französische Staatspräsident Raymond Poincaré und der französische Ministerpräsident René Viviani dem russischen Zaren ausdrücklich zugesichert, Russland im Ernstfall unterstützen zu wollen.
Russland bereitete sich zwar auf eine militärische Auseinandersetzung vor, benötigte dafür aber noch zwei, drei Jahre. Dass die Habsburger auf dem Balkan weiter vordrangen, wollten die Russen dennoch verhindern – daran ließen sie keinen Zweifel.
Als sich die Krise Ende Juli zuspitzte, drängte die russische Militärführung den Zaren, die Mobilmachung anzuordnen, da sie dafür wesentlich längere Zeit benötige als das hochorganisierte deutsche Heer. Am 29. Juli ließ der Zar in den südwestlichen Grenzbezirken mobilmachen, und am Abend des folgenden Tages ordnete er die Gesamtmobilmachung an.
Die Mittelmächte gingen nun entschlossen vorwärts. Am 31. Juli um die Mittagszeit wurde in Wien die Gesamtmobilmachung befohlen. Dazu hatte Generalstabschef Helmuth von Moltke seinem österreichischen Amtskollegen Conrad Franz Graf von Hötzendorf ausdrücklich geraten.
Um den Schlieffen-Plan verwirklichen zu können, mussten die Deutschen unverzüglich den Krieg im Westen vorbereiten. Um einen Kriegsgrund zu schaffen, wurde der deutsche Botschafter in Paris am Nachmittag des 31. Juli beauftragt, von der französischen Regierung eine Neutralitätserklärung und gegebenenfalls die französischen Festungen Toul und Verdun als Pfand zu verlangen. Das Ultimatum war bis vier Uhr morgens am darauffolgenden Tag befristet.
Um Mitternacht erklärte der deutsche Botschafter in Petersburg, seine Regierung müsse mobilisieren, wenn Russland nicht binnen zwölf Stunden seine eigene Mobilmachung zurücknähme.
Die französische Regierung beantwortete das deutsche Ultimatum ausweichend und ordnete am 1. August um 16 Uhr die Mobilmachung an. Die russische Regierung antwortete überhaupt nicht. Um 17 Uhr wurde die deutsche Mobilmachung befohlen, und das Deutsche Reich erklärte Russland den Krieg.
Tags darauf forderte das Deutsche Reich ultimativ von Belgien ein Durchmarsch-Recht (2. August 1914). Die Belgier lehnten ab. Noch am gleichen Tag besetzten deutsche Truppen Luxemburg. In der deutschen Presse erschienen Falschmeldungen von französischen Übergriffen auf deutschem Gebiet. Am 3. August erklärte das Deutsche Reich der französischen Republik den Krieg.
Am nächsten Morgen marschierten deutsche Truppen in Belgien ein.
Als sich die Belgier zäh gegen die übermächtigen Deutschen wehrten, schwenkte die öffentliche Meinung in Großbritannien um. Am 4. August überreichte der britische Botschafter in Berlin dem deutschen Reichskanzler ein bis Mitternacht befristetes Ultimatum mit der Forderung, die belgische Neutralität zu achten. Da deutsche Truppen die belgische Grenze bereits überschritten hatten, kam dies einer Kriegserklärung gleich.
Damit waren endgültig alle deutschen Illusionen zerstoben, Großbritannien werde nicht in den Krieg eingreifen. Auch diese Prämisse der deutschen Außenpolitik hatte sich als falsch erwiesen.
Es folgten Kriegserklärungen Serbiens an das Deutsche Reich (6. August), Österreich-Ungarns an Russland (6. August), Frankreichs und Großbritanniens an die Doppelmonarchie (11./12. August), Japans an das Deutsche Reich (23. August), Österreich-Ungarns an Japan (23. August). Nur einige wenige Staaten der Erde blieben im Ersten Weltkrieg neutral; die Mittelmächte führten am Ende Krieg gegen fast die ganze Welt.
Italien und Rumänien wollten trotz ihrer Bündnisverträge mit den Mittelmächten neutral bleiben und beriefen sich darauf, dass der casus foederis nur im Fall eines unprovozierten Verteidigungskrieges gelte.
Die beiden Verlierer der Balkankriege, die Osmanen und die Bulgaren, verbündeten sich mit den Mittelmächten (türkisch-deutsches Bündnis, 2. August 1914; bulgarisches Bündnis mit dem Deutschen Reich und mit Österreich-Ungarn, 6. September 1914).
© Dieter Wunderlich 2006
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