Hinterkaifeck
Hinterkaifeck war ein Einödhof 500 m außerhalb von Gröbern, 6 km von Schrobenhausen (Oberbayern) entfernt.
Der reiche Bauer Andreas Gruber, der Hinterkaifeck bewirtschaftete und stets eine größere Barschaft auf dem Hof aufbewahrte, entdeckte Ende März 1922 Abdrücke von Schuhsohlen im Schnee, die zwar zum Hof hin- aber nicht mehr wegführten. Ein Haustürschlüssel fehlte, und an der Tür des Maschinenhauses hatte jemand das Vorhängeschloss aufgebrochen. Auf dem Dachboden hörten die Grubers Schritte, aber als Andreas Gruber nachsah, fand er keinen Eindringling.
Am 31. März, einem Freitag, traf Maria Baumgartner in Hinterkaifeck ein, um dort als Magd anzufangen.
Cäzilia Gabriel, die siebenjährige Enkelin von Andreas Gruber, fehlte sowohl am Samstag als auch am Montag in der Schule, und den Bewohnern von Gröbern fiel auf, dass die Familie am Sonntag nicht zum Gottesdienst kam. Am Montag, den 3. April, wunderte sich der Briefträger Josef Mayer darüber, dass die Post vom Samstag noch nicht ins Haus geholt worden war. Der Monteur Albert Hofner, der am nächsten Tag den Motor der Futterschneidemaschine in Hinterkaifeck reparierte, fand es seltsam, dass er in den fünf Stunden, die er auf dem Hof verbrachte, niemanden sah, obwohl er angemeldet war.
Am Dienstagnachmittag gingen drei Männer aus Gröbern nach Hinterkaifeck, um dort nach dem Rechten zu sehen. Sie stießen auf sechs Leichen.
Gegen 18 Uhr fuhren Gendarme aus Hohenwart nach Hinterkaifeck und drängten die Schaulustigen zurück. Noch in der Nacht trafen sechs Beamte der Polizeidirektion München in Hinterkaifeck ein. Kriminaloberinspektor Georg Reingruber leitete die Ermittlungen.
Auf einem in Hinterkaifeck aufgestellten behelfsmäßigen Seziertisch untersuchte der Landgerichtsarzt Dr. Johann Baptist Aumüller aus Neuburg die Leichen und schnitt dabei die eingeschlagenen Schädel ab.
Aufgrund der Spuren wurde vermutet, dass Andreas Gruber (* 9. November 1858), seine Ehefrau Cäzilia (* 27. November 1849), ihre verwitwete Tochter Viktoria Gabriel (* 6. Februar 1887) und deren Tochter Cäzilia (* 9. Januar 1915) in der Nacht auf den 1. April aus irgendeinem Grund nacheinander in den Stadel gingen und dort mit einer Kreuzaxt erschlagen wurden. Maria Baumgartner (* 1. Januar 1877) kam in ihrer Kammer ums Leben, und Viktorias zweijährigen Sohn Josef (* 7. September 1919) brachte der Mörder im Stubenwagen um.
Das Vieh war in den Tagen nach dem sechsfachen Mord weiter versorgt worden. Offenbar war noch jemand in Hinterkaifeck gewesen, zumal die Polizei in der Speisekammer frisch angeschnittenes Rauchfleisch fand.
Am 8. April, dem Tag, an dem die kopflosen Leichen in Waidhofen bestattet wurden, setzte man 100 000 Mark Belohnung für Hinweise auf den oder die Täter aus.
Zeugen sagten aus, dass Andreas Gruber geizig und eigenbrötlerisch gewesen sei. Niemand hatte einen engeren Kontakt zu ihm oder seinen Angehörigen. Um niedrige Löhne zahlen zu können, soll Andreas Gruber immer wieder Herumtreiber als Gelegenheitsarbeiter auf dem Hof beschäftigt haben. Deshalb überprüfte die Polizei Hausierer und Vagabunden.
Manche Bewohner von Gröbern bezweifelten, dass Andreas Grubers Schwiegersohn Karl Gabriel im Dezember 1914 gefallen war und spekulierten, er könne von dem unehelichen Sohn seiner Frau erfahren, Andreas Gruber für Josefs Vater gehalten und in seinem Zorn die Familie ermordet haben.
Immerhin waren Andreas Gruber und Viktoria Gabriel 1915 wegen Inzests verurteilt worden, der Vater zu einem Jahr Zuchthaus, die Tochter zu einem Monat Haft. Als Josef 1919 geboren wurde, kamen Gerüchte auf, nicht der Witwer Lorenz Schlittenbauer, der ein Verhältnis mit Viktoria Gabriel hatte und die Vaterschaft abwechselnd leugnete und anerkannte, habe das Kind gezeugt, sondern Andreas Gruber. Manche hielten Lorenz Schlittenbauer für den Mörder, aber nachgewiesen konnte ihm nichts werden und er wehrte sich gerichtlich gegen die Anschuldigungen.
Viktoria Gabriels Schwiegervater Karl Gabriel erwarb Hinterkaifeck und riss die Gebäude 1923 ab. Dabei wurde das Tatwerkzeug gefunden.
Oberinspektor Georg Reingruber ging am 28. Februar 1930 in Pension und wurde ein halbes Jahr später von Martin Riedmayer abgelöst. 1955 schloss die Polizei die Akten des unaufgeklärten Verbrechens.
Der Journalist Peter Leuschner schrieb darüber zwei Sachbücher: „Hinterkaifeck. Deutschlands geheimnisvollster Mordfall“ (1978) und „Der Mordfall Hinterkaifeck. Spuren eines mysteriösen Verbrechens“ (1997). In einer Fernsehdokumentation beschäftigte sich Kurt K. Hieber 1991 damit. Die Bluttat aus dem Jahr 1922 liegt auch dem Roman „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel und dem Film „Hinter Kaifeck“ von Esther Gronenborn zugrunde.
© Dieter Wunderlich 2007
Andrea Maria Schenkel: Tannöd