Jakobsweg

Der heilige Jakobus und Santiago de Compostela

Jakobus der Ältere, ein Sohn des Zebedäus, gehörte wie sein Bruder Johannes zu den zwölf Aposteln. Den Evangelisten Markus und Matthäus zufolge ließ ihn König Herodes Agrippa I. (41 – 44) in Jerusalem mit dem Schwert hinrichten. Unabhängig vom Neuen Testament entwickelten sich in Spanien vom 7. bis 13. Jahrhundert Legenden über Jakobus. Dem „Breviarium Apostolorum“ zufolge hatte Jakobus nach Christi Himmelfahrt in der römischen Provinz Hispania missioniert. Eine andere Legende erzählt, die Leiche des hingerichteten Apostels sei an der Küste des Heiligen Landes heimlich in ein unbemanntes Boot gelegt worden und damit zur Iberischen Halbinsel getrieben. Dort habe man sie bestattet. Über einem zu Beginn des 9. Jahrhunderts entdeckten Grab, das Theodemir, der Bischof von Iria Flavia, Jakobus zuordnete, ließ König Alfons II. von Asturien (791 – 842) eine Kirche errichten, die den Kristallisationskern einer Siedlung bildete, aus der sich Santiago de Compostela entwickelte.

Der erste Teil des Stadtnamens stellt eine abgeschliffene Version von „Sanctus Iacobus“ (heiliger Jakobus) dar. Das Wort „Compostela“ bezieht sich möglicherweise auf die an dieser Stelle entdeckte römische Nekropole (lateinisch: compostum).

Jakobus der Ältere entwickelte sich zu einem Nationalheiligen und Schutzpatron der asturischen Königsfamilie. Alfons III. von Asturien (866 – 910) behauptete, seine militärischen Siege Jakobus zu verdanken. Deshalb erhielt Jakobus den Beinamen Matamoros (Maurentöter) und wurde später als Ritter dargestellt.

Als die Kirche in Santiago de Compostela für den Strom der Pilger zu klein wurde, ließ Alfons III. 872 den Grundstein für ein größeres Gotteshaus legen, das allerdings 997 von Almansor, einem Heerführer des Kalifen von Córdoba, zerstört wurde. Christliche Sklaven der Mauren mussten die Glocken von Santiago de Compostela nach Córdoba schleppen.

In den Siebzigerjahren des 11. Jahrhunderts ließ König Alfons VI. in Santiago de Compostela die Ruine beseitigen und eine Kathedrale bauen, die 1120 Sitz eines Erzbischofs wurde.

Nach der Rückeroberung Córdobas durch kastilische Truppen am 29. Juni 1237 brachte man die von den Mauren geraubten Glocken der Kathedrale von Santiago de Compostela zurück.

Die seit dem 16. Jahrhundert verschollenen Reliquien des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela wurden 1879 wiedergefunden, und Papst Leo XIII. erklärt sie 1884 für echt. (Die armenische Jakobskathedrale in Jerusalem beansprucht, im Besitz des Schädels von Jakobus dem Älteren zu sein.)

Der spanische Staatschef General Francisco Franco bestätigte Jakobus den Älteren 1937 als Nationalheiligen Spaniens.

1989 behauptete der Linguist Don Isidoro Millán González-Pardo, Graf von Quirós (1923 – 2003), er habe in der Kathedrale von Santiago de Compostela eine „Athanasios martyr“ (Märtyrer Athanasios) lautende griechische Grabinschrift aus dem 1. Jahrhundert entdeckt. Da es sich bei Athanasios um einen neben dem Heiligen beerdigten Schüler Jakobus‘ des Älteren gehandelt habe, sei damit die Echtheit der Reliquien bewiesen. Allgemein wird heute bezweifelt, dass es sich bei den an diesem Ort gefundenen Gebeinen um die des Apostels handelt. Ob Athanasios bzw. Anastasios – den wir aus in einer Wundererzählung aus dem 12. Jahrhundert kennen – wirklich lebte, wissen wir nicht, und bisher wurden die Angaben von Isidoro Millán González-Pardo offenbar nicht überprüft.

So oder so gilt Santiago de Compostela als einer der bedeutendsten katholischen Wallfahrtsorte der Welt. Die Kathedrale besteht heute aufgrund umfangreicher Erweiterungungen aus romanischen, gotischen, barocken und klassizistischen Teilen. Zusammen mit der Altstadt von Santiago de Compostela gehört sie zum Weltkulturerbe.

Jakobus-Jahr

1434 und 1445 gewährte König Johann II. von Aragón „den Einwohnern der Königreiche Italien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Schweden, Norwegen oder von jedweder anderen Nation“ freies Geleit auf dem See- und dem Landweg, in der Nacht und am Tage. Um diese Zeit entstand der Brauch, die Jahre, in denen der Namenstag des heiligen Jakobus (25. Juli) auf einen Sonntag fällt, zu „Gnadenjahren“ zu erklären.

Das „Gnadenjahr“ – auch: „Jakobus-Jahr“, „Heiliges Compostelanisches Jahr“, „Año Santo Compostelano“, „Año Santo Jacobeo“, kurz: „Xacobeo“ – ist mit einem Plenarablass verbunden, den allerdings nicht nur die auf dem Jakobsweg eintreffenden Pilger bekommen können, sondern alle gläubigen Besucher eines Gottesdienstes in der Kathedrale von Santiago de Compostela. Dieser Brauch geht angeblich auf die am 25. Juni 1179 von Papst Alexander III. (1159 – 1181) promulgierte Bulle „Regis aeterni“ zurück. Alexander III. beruft sich dabei auf Privilegien, die Papst Calixt II. (1119 – 1124) gewährt haben soll. Da in dem Text der römische Jubiläumsablass erwähnt wird, den erst Papst Bonifatius VIII. 1300 einführte, handelt es sich bei der Bulle „Regis aeterni“ wahrscheinlich um eine Fälschung.

Das „Jakobus-Jahr“ beginnt mit dem Aufbrechen einer zugemauerten Pforte durch den Erzbischof am 31. Dezember des Vorjahres. Die „Pforte der Vergebung“ (auch: „Heilige Pforte“) befindet sich an der Ostseite der Kathedrale von Santiago de Compostela zwischen der Erlöserkapelle (Capilla del Salvador) und der Peterskapelle (Capilla de San Pedro). Sie führt in den Chorumgang.

Am 31. Dezember 2009 schlug Erzbischof Julian Barrio dreimal mit einem Hammer gegen die Ziegelwand der „Heiligen Pforte“ in der Kathedrale von Santiago de Compostela, die daraufhin einstürzte. Damit eröffnete er das Jakobus-Jahr 2010.

Jakobsweg

Den Jakobsweg (Camino de Santiago) – der Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela – verdanken wir dem Jakobsbuch (Liber Sancti Jacobi) zufolge Karl dem Großen. Die Sammlung von Handschriften aus dem 12. Jahrhundert, die fälschlicherweise Papst Calixt II. zugeschrieben wurde und deshalb auch unter der Bezeichnung „Codex Calixtinus“ bzw. „Codex Calixtus“ bekannt ist, enthält Predigten, liturgische Texte, Berichte über Wunder des heiligen Jakobus, eine Darstellung, wie dessen Leichnam von Palästina nach Santiago de Compostela kam und eine Art Pilgerführer. Der vierte der fünf Teile des Jakobsbuches stammt angeblich von Bischof Turpin von Reims (748 – 795). Weil dieser jedoch nicht der Autor war, spricht man vom „Pseudo-Turpin“. Beschrieben wird der Feldzug, den Karl der Große 778 gegen die Mauren führte, angeblich um den Weg von Frankreich nach Santiago de Compostela für die Christen zurückzuerobern.

Unter der Bezeichnung Jakobsweg werden mehrere Wege nach Santiago de Compostela zusammengefasst. Als klassischer Jakobsweg gilt der unter König Sancho III. Garcés von Navarra (1004 – 1035) entstandene, 800 Kilometer lange Camino Francés, der die Königsstädte Jaca, Pamplona, Estella, Burgos und León verband. Er wird in einer Urkunde des Hospitals von Arconada (Palencia) aus

dem Jahr 1047 erstmals erwähnt und dabei auch gleich als Pilgerweg bezeichnet. Der Camino Francés beginnt an den Pyrenäenpässen Somport in Aragón bzw. Roncesvalles in Navarra. Beide Wege vereinigen sich in Puente la Reina (Navarra). An mehreren Stellen münden andere Routen in den Camino Francés, so zum Beispiel in Burgos ein von Bayonne ausgehender Pilgerweg. Camino Francés heißt der Pilgerweg, weil von Anfang an französische Siedler angeworben wurden. Schon im Mittelalter wurden entlang des Camino Francés Kirchen und Hospitäler zu Ehren des heiligen Jakobus gestiftet.

Als Pilgerabzeichen gilt die Jakobsmuschel. Den Pilgern, die wenigstens die letzten hundert Kilometer zu Fuß oder zu Pferd oder zweihundert Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt haben und dies durch entsprechende Stempel in ihrem Pilgerausweis (Credencial de peregrino) glaubhaft machen können, stellt das Pilgerbüro des Domkapitels der Kathedrale von Santiago de Compostela eine Beglaubigungsurkunde aus (la Compostela).

Der spanische Priester Elías Valiña Sampedro, der über die historischen und kirchenrechtlichen Grundlagen des Jakobswegs promoviert hatte, initiiierte zu Beginn der Achtzigerjahre eine bessere Markierung des Pilgerwegs (gelbe Pfeile) und den Bau neuer Pilgerherbergen.

Der Europarat erklärte den Jakobsweg am 23. Oktober 1987 zur ersten europäischen Kulturroute (Council of Europe Cultural Route), und 1993 nahm die UNESCO den Camino Francés in die Liste des Weltkulturerbes der Menschheit auf.

Der böhmisch-deutsche Komponist Fidelio Friedrich Finke (1891 – 1968) schrieb die am 17. Oktober 1936 in Prag uraufgeführte Oper „Die Jakobsfahrt“, und von dem niederländischen Komponisten Dick le Mair (* 1955) stammt das Album „Impressions of a Pilgrimage“ (2004).

2006 veröffentlichte Hape Kerkeling ein Buch mit dem Titel „Ich bin dann mal weg“, in dem er von seinen Erlebnissen im Sommer 2001 auf dem Jakobsweg erzählt. Die Zahl der deutschen Pilger stieg daraufhin laut der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft von 8097 (2006) auf 13 837 (2007). Die Gesamtzahl der Pilger auf dem Jakobsweg stieg bis 2009 auf 145 877.

Literatur über den Jakobsweg und Santiago de Compostela (Auswahl)

  • Kurt Benesch: Die vier Wege nach Santiago de Compostela. Geschichte eines Schicksalswegs (Herder, Freiburg i. B. / Basel / Wien 2009)
  • Yves Bottineau: Der Weg der Jakobspilger (Bastei–Lübbe, Bergisch-Gladbach 1992)
  • Ingrid Chiari: Auf dem Jakobsweg von Deutschland nach Santiago de Compostela. Ein Pilgerbericht (Imhof, Petersberg 2009)
  • Paulo Coelho: Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela (Diogenes, Zürich 1999)
  • Sabine Dankbar: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit – Wendezeit. Mein Weg nach Santiago de Compostela (Laumann, Dülmen 2009)
  • Bettina Forst: Südwestdeutsche Jakobswege. Von Würzburg nach Konstanz, Strassburg und Waldshut-Tiengen. Alle Etappen, mit Varianten und Höhenprofilen (Rother, Ottobrunn 2010)
  • Bettina Forst: Französischer Jakobsweg. Von Le Puy-en-Velay bis Roncesvalles. Alle Etappen, mit Varianten und Höhenprofilen (Rother, Ottobrunn 20092)
  • Anette Goebel: Nach dem Jakobsweg. Geschichten vom und nach dem Pilgerweg (Cornelius, Halle 2009)
  • Peter Gruß: Mein Rückweg aus Santiago. Auf dem Rad nach Regensburg (Buntehunde, Regensburg 2009)
  • Christine Halfmann: Jakobsweg Rheinhessen. Von Bingen nach Worms mit allen Schleifen und der Alternativroute (Halfmann, Appenheim 2009)
  • Klaus Herbers: Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt (Beck, München 2006)
  • Winfried Hille: Der innere Jakobsweg. Sieben Schritte zu mir selbst (Kaufmann, Lahr 2009)
  • Raimund Joos: Keiner Pilgersprachführer. Spanisch und mehr für den Jakobsweg (Stein, Welver 2009)
  • Raimund Joos, Elisabeth Graf, Ludwig Mödl: 1 000 000 Schritte. Jakobsweg live. Eindrücke, Begegnungen, Geschichte und Spiritualität (Hörbuch, Auditorium Verlag, Schwarzach 2008)
  • Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg (Malik, München 2006)
  • Dietmar Klabuschnig: Mein Abenteuer Jakobsweg. Von Jaca nach Santiago de Compostela (Edition Fischer, Frankfurt/M 2009)
  • Christoph Kühn: Die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela. Geschichte, Kunst und Spiritualität (Plöttner, Leipzig 2005)
  • Rosemarie Lang: Geführt vom gelben Pfeil. Vier Pilgerwege nach Santiago de Compostela (Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft e.V., 2009)
  • Wolfgang Lipp: Das Erbe des Jakobus. Zur Vorgeschichte und Geschichte, zur theologischen und religiösen Bedeutung der Jakobuswallfahrt. Mit einem Anhang über die deutschen Pilgerwege (C&S, Laupheim 2008)
  • Gerhard Mall: Laufend loslassen. Auf dem Jakobsweg von Taizé nach Santiago de Compostela (Cornelius, Halle 2009)
  • Tim Moore: Zwei Esel auf dem Jakobsweg. Wie ein Engländer sein Herz an Spanien verlor (Piper, München 2009)
  • Jürgen Pflug: Gereimtes vom Jakobsweg (Cornelius, Halle 2009)
  • Hartmut Pönitz: Bildschöner Jakobsweg (Bruckmann, München 2009)
  • Cordula Rabe, Stefan Rosenboom: Jakobsweg (Rother, Ottobrunn 2010)
  • Carmen Rohrbach: Jakobsweg. Wandern auf dem Himmelspfad (Piper, München / Zürich 2009)
  • Paolo Caucci von Saucken (Hg.): Pilgerwege. Santiago de Compostela (Bechtermünz, Augsburg 1998)
  • Klaus-Peter Stock: Vom „weg“ zum Weg. Tagebuch meines Jakobsweges von Solingen nach Santiago de Compostela 1992 – 2002. Ein Pilgerbuch (Mainz, Aachen 2009)
  • Edgar Weiser: Ein Pilger auf dem Jacobsweg. Erlebnisse und Begegnungen auf der langen Wanderung über die Pyrenäen quer durch ganz Nordspanien nach Santiago de Compostela und bis Finisterre, dem legendären „Ende der Welt“ am Atlantik (Winterwork, Grimma 2009)

© Dieter Wunderlich 2010

Hape Kerkeling: Ich bin dann mal weg

Germán Kratochwil - Scherbengericht
Germán Kratochwil erzählt in einem tragikomischen Debütroman "Scherbengericht" von einem Dutzend Personen, wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive und ordnet jeder Stimme eine eigene Sprache zu.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.