Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland
Parlamentarischer Rat
Die Londoner Sechs-Mächte-Konferenz (23. Februar – 6. März, 24. April – 2. Juni 1948) beschloss, die Ministerpräsidenten in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands zu beauftragen, die Bildung eines deutschen Bundesstaates vorzubereiten. Am 1. Juli 1948 bestellten die drei westlichen Militärgouverneure die Regierungschefs nach Frankfurt am Main und übergaben ihnen dort drei Papiere („Frankfurter Dokumente“). Sie wurden aufgefordert, spätestens am 1. September 1948 eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Die Grenzen der Länder sollten überprüft werden. Das dritte der Dokumente enthielt Grundsätze über die Kompetenzverteilung zwischen den Besatzungsmächten und einer zukünftigen Bundesregierung (Besatzungsstatut).
Vom 8. bis 10. Juli 1948 berieten die Ministerpräsidenten in Koblenz über die Frankfurter Dokumente. Schwere Bedenken gegen eine Teilung Deutschlands wurden vorgetragen. Vermieden werden sollte eine irreversible Ausgrenzung der Ostzone durch eine endgültig erscheinende Staatsgründung in Westdeutschland. Um das Fragmentarische und Provisorische der beabsichtigten Schritte zu unterstreichen, verständigten sich die alliierten Militärregierungen und die deutschen Ministerpräsidenten nach mehreren Beratungen am 26. Juli 1948 in Frankfurt darauf, statt einer direkt gewählten Verfassunggebenden Versammlung einen „Parlamentarischen Rat“ einzuberufen, nicht eine Verfassung, sondern ein „Grundgesetz“ ausarbeiten zu lassen und dieses nicht – wie in den Frankfurter Dokumenten vorgesehen – dem Volk, sondern den Landtagen zur Ratifikation vorzulegen.
Die Ministerpräsidenten beriefen einen „Ausschuss von Sachverständigen für Verfassungsfragen“ ein, der vom 10. bis 23. August 1948 in Herrenchiemsee tagte und unverbindliche Vorschläge über die Gestaltung des Grundgesetzes zu Papier brachte („Herrenchiemseer Verfassungskonvent“).
Am 1. September 1948 nahm der Parlamentarische Rat in Bonn seine Arbeit auf. 65 Abgeordnete waren von den westdeutschen Landtagen entsandt worden: 27 gehörten der SPD an, ebensoviele der CDU/CSU, fünf der FDP, je zwei der Deutschen Partei, dem Zentrum und der KPD. Weitere fünf Mitglieder stammten aus Berlin; sie waren allerdings nicht stimmberechtigt. Konrad Adenauer wurde zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt; er repräsentierte das Gremium in der Öffentlichkeit und gegenüber den Militärgouverneuren. Der sozialdemokratische Völkerrechtsprofessor Carlo Schmid (1896 – 1979) übernahm den Vorsitz des für die Formulierung des Grundgesetzes massgeblichen „Hauptausschusses“.
Die Besatzungsmächte bekräftigten ihre in London vereinbarten Richtlinien in mehreren Noten (22. November 1948, 2. März, 5./8./14. April 1949). Die Vorschläge des Parlamentarischen Rates über die föderative Beschränkung der Zentralgewalt gingen ihnen zunächst nicht weit genug. Als sich die SPD jedoch in dieser Frage kompromisslos zeigte („historisches Nein“), lenkten die Alliierten ein (Note vom 8. April, übergeben am 22. April 1949).
Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat mit 53 gegen 12 Stimmen das inzwischen ausgearbeitete „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“. Vier Tage später billigten es die Militärgouverneure. Bis zum 21. Mai ratifizierten es die Landtage. Lediglich im bayerischen Parlament fand sich dafür keine Mehrheit, da die CSU eine stärkere Eigenständigkeit der Länder forderte. Da aber die Zweidrittelmehrheit der Länder ausreichte, konnte das Grundgesetz am 23. Mai 1949 verkündet und mit Ablauf dieses Tages in Kraft gesetzt werden. Seine Rechtsverbindlichkeit wurde auch vom Freistaat Bayern anerkannt.
Als Bundeshauptstadt schien die zentral gelegene Großstadt Frankfurt am Main prädestiniert zu sein, doch der Parlamentarische Rat entschied sich am 12. Mai 1949 mit 33 gegen 29 Stimmen für Bonn. Konrad Adenauer, der von seiner Villa in Rhöndorf aus in wenigen Minuten nach Bonn gelangen konnte, hatte argumentiert, diese Provinzstadt sei besser als Frankfurt geeignet, bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung in Berlin als „provisorische Hauptstadt“ der Bundesrepublik Deutschland zu dienen.
Grundgesetz
Der Herrenchiemseer Verfassungskonvent hatte angeregt, einen „Bund deutscher Länder“ zu gründen, doch der Parlamentarische Rat verwarf diese Bezeichnung; „Bundesrepublik Deutschland“ sollte der neue Staat heißen, dessen „Grundgesetz“ in der Präambel ausdrücklich als Provisorium dargestellt wird, das dazu diene, „dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“. Die Autoren des Grundgesetzes beanspruchten, „auch für jene Deutschen gehandelt“ zu haben, „denen mitzuwirken versagt war“, und sie mahnten: „Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“
Zuvorderst katalogisiert das Grundgesetz die Grundrechte des einzelnen und regelt das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Danach beschreibt es die Bundesorgane: Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung. Es folgen Bestimmungen über die Gesetzgebung, die Ausführung der Bundesgesetze und die Rechtsprechung. Ein eigener Abschnitt ist dem Finanzwesen vorbehalten.
Das Scheitern der Weimarer Republik stand den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates vor Augen, als sie die Ämter des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs ausgestalteten. Der Bundespräsident wird nicht unmittelbar,
sondern von einer „Bundesversammlung“ gewählt, die sich eigens dazu aus Mitgliedern des Bundestages und der Landtage zusammensetzt. Seine Amtszeit dauert fünf Jahre. „Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich“ (Artikel 59). Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten, beglaubigt die Gesandten, ernennt und entlässt die Bundesbeamten. Ihm steht es zu, einen Straftäter zu begnadigen. Ein Notverordnungsrecht gesteht das Grundgesetz dem Bundespräsidenten nicht zu. Seine Befugnis, den Bundestag aufzulösen, wenn der Bundeskanzler dort nicht mehr über eine Mehrheit verfügt, „erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt“ (Artikel 68).
Dem Bundeskanzler räumt das Grundgesetz eine vergleichsweise starke Position ein. „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“ (Artikel 65). Die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannten Bundesminister können konsequenterweise auch nicht einzeln vom Bundestag entmachtet werden. Der Bundestag kann lediglich den Bundeskanzler – und damit das gesamte Kabinett – stürzen. Um häufige Regierungswechsel zu verhindern, ist dieses Recht mit der Bedingung des „konstruktiven Misstrauensvotums“ verknüpft: „Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muss dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.“ (Artikel 67)
Der Bundestag geht aus „allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl“ hervor (Artikel 38). Die Legislaturperiode beträgt vier Jahre. Obwohl bei den Bundestagswahlen die politischen Parteien konkurrieren, sind die Abgeordneten nach den Bestimmungen des Grundgesetzes „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Artikel 38). Der Bundestag repräsentiert das Staatsvolk, verabschiedet die Gesetze, kontrolliert den Haushalt und die Amtsführung der Bundesregierung. Bei parlamentarischen Anfragen hat ihm jedes Kabinettsmitglied Rede und Antwort zu stehen (Interpellationsrecht); überdies kann der Bundestag parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit weitreichenden Befugnissen einsetzen. Völkerrechtliche Verträge bedürfen seiner Zustimmung.
Sollte das föderative Organ der Bundesrepublik Deutschland ein vom Volk gewählter Senat oder eine Länderkammer von Regierungsvertretern sein? Die Väter des Grundgesetzes wählten die zweite Alternative. „Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit.“ (Artikel 50). Der Bundesrat kann selbst Gesetze einbringen und Stellung nehmen zu Vorlagen der Bundesregierung. Verabschiedet aber werden die Gesetze im Bundestag, und der Bundesrat ist dabei lediglich befugt, Einspruch zu erheben. Gelingt es in diesem Fall einem Vermittlungsausschuss des Bundestages und des Bundesrates nicht, eine Einigung zu erzielen, kann der Bundestag sich in der Regel durch eine erneute Abstimmung über die Bedenken des Bundesrates hinwegsetzen.
Alliierte Hohe Kommission
In den Frankfurter Dokumenten hatten die Besatzungsmächte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie zunächst nicht beabsichtigten, dem westdeutschen Staat die oberste Gewalt zu überlassen. Auf einer Konferenz, die vom 5. bis 8. April 1949 in Washington stattfand, verabschiedeten die drei westlichen Außenminister Dean G. Acheson, Ernest Bevin und Robert Schuman ein Besatzungsstatut, das am 10. April dem Parlamentarischen Rat ausgehändigt wurde und zum Zeitpunkt der Bildung der ersten Bundesregierung in Kraft trat. Die Besatzungsmächte behielten sich vor, „die Ausübung der vollen Regierungsgewalt ganz oder teilweise wieder aufzunehmen, wenn sie der Ansicht sind, dass dies aus Sicherheitsgründen oder zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform in Deutschland oder in Verfolg der internationalen Verpflichtungen ihrer Regierungen unumgänglich ist“. Sie bildeten eine gemeinsame „Alliierte Hohe Kommission“, die es als ihre Aufgabe ansah, die deutschen Landesregierungen und die zukünftige deutsche Bundesregierung zu kontrollieren (Satzung vom 20. Juni 1949). Hohe Kommissare lösten die Militärgouverneure ab: André François-Poncet nahm den Platz des Generals Pierre M. Koenig ein, John Jay McCloy trat an die Stelle des Generals Lucius D. Clay, Sir Brian Hubert Robertson ließ sich von der britischen Armee beurlauben und blieb in Deutschland (bis er 1950 den Oberbefehl der britischen Streitkräfte im Nahen Osten übernahm).
Die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland wurde zudem eingeschränkt durch das am 28. Dezember 1948 geschlossene Abkommen über die Internationale Ruhrbehörde (Ruhrstatut), das am 22. April 1949 in Kraft trat. In dieser Behörde, die über die „Aufteilung der Kohlen-, Koks- und Stahlproduktion“ des Ruhrgebietes zu entscheiden hatte, besaß jedes der Benelux-Länder eine Stimme, die USA, Großbritannien, Frankreich und – das zu diesem Zeitpunkt noch von den drei Militärgouverneuren vertretene – Westdeutschland verfügten über je drei Stimmen.
Vom 23. Mai bis 20. Juni verhandelten Acheson, Bevin und Schuman in Paris mit Andrei Januarjewitsch Wyschinski, der am 4. März 1949 den sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow abgelöst hatte. Die amerikanische Einladung an die Länder der sowjetischen Besatzungszone, das Bonner Grundgesetz zu übernehmen und damit einen gesamtdeutschen Bundesstaat zu gründen, war für die Sowjetunion unannehmbar und auch nur propagandistisch gemeint. Andererseits verwarfen die Westmächte den sowjetischen Vorschlag, die ursprüngliche Viermächte-Kontrolle in ganz Deutschland wiederherzustellen. Die Konferenzteilnehmer beschlossen lediglich, durch ein „Interzonenhandelsabkommen“ den Warenaustausch zwischen der Sowjetischen Besatzungszone und den drei westlichen Zonen zu intensivieren.
Die Konstituierung der Bundesorgane
Die Wahl des ersten Bundestages wurde für den 14. August 1949 anberaumt. Im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand die Frage der zukünftigen Wirtschaftsordnung. Während die SPD an ihren planwirtschaftlichen Konzepten festhielt und nach wie vor die Verstaatlichung von Banken und Großunternehmen anstrebte, war die CDU inzwischen vom „christlichen Sozialismus“ ihres Ahlener Programmes (3. Februar 1947) abgerückt; sie befürwortete nun gemeinsam mit der FDP die „Soziale Marktwirtschaft“ (Düsseldorfer Leitsätze des CDU-Wirtschaftsausschusses, 15. Juli 1949). 78,5 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihr Votum ab; 31,0 Prozent von ihnen entschieden sich für die CDU/CSU, 29,2 Prozent bevorzugten die SPD. Aus 115 CDU-, 24 CSU-, 131 SPD-, 52 FDP-Mitgliedern sowie 80 Angehörigen anderer Parteien und Wählervereinigungen setzte sich der erste Bundestag zusammen. Zur ersten Sitzung versammelten sich die Abgeordneten am 7. September 1949 in dem schlichten Gebäude der ehemaligen Pädagogischen Akademie in Bonn. Der frühere Reichstagspräsident Paul Löbe fungierte dabei als Alterspräsident.
Am selben Tag konstituierte sich auch der Bundesrat, und am 12. September trat die Bundesversammlung zusammen, um den Bundespräsidenten zu wählen. Es kandidierten Theodor Heuss, Kurt Schumacher und der Zentrumspolitiker Rudolf Amelunxen. Keiner von ihnen erreichte die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit; im zweiten Wahlgang wurde Theodor Heuss mit 460 von 804 Stimmen gewählt.
Konrad Adenauer, der zu diesem Zeitpunkt dreiundsiebzig Jahre alt war, hatte sich – besonders bei einem informellen Gespräch mit führenden CDU-Politikern am 21. August in seinem Rhöndorfer Haus – für die Wahl von Theodor Heuss zum Bundespräsidenten eingesetzt, zugleich aber auch für eine CDU/CSU-, DP-, FDP-Koalition geworben und sich selbst als Kanzler empfohlen. Tatsächlich wählte der Bundestag am 15. September 1949 Konrad Adenauer zum Bundeskanzler – mit der Mehrheit einer einzigen Stimme. Am 20. September wurden die vierzehn Kabinettsmitglieder vereidigt. Am folgenden Tag stattete der Bundeskanzler den drei Hohen Kommissaren auf dem Petersberg bei Bonn seinen Antrittsbesuch ab.
© Dieter Wunderlich 2006
Konrad Adenauer (Kurzbiografie)
Die Adenauer-Ära