Wilhelmine Reichard


Wilhelmine Reichard war die erste Deutsche, die es wagte, mit einem Ballon aufzusteigen. Obwohl sie bei der dritten Alleinfahrt in über 7000 Meter Höhe das Bewusstsein verlor und abstürzte, führte die Mutter von acht Kindern insgesamt siebzehn Ballonfahrten durch. Dann zog Wilhelmine Reichard sich ins Familienleben zurück.


Wilhelmine Reichard:
»Gleich einem Sonnenstäubchen im Weltall schwebend«

Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2004 / Piper Taschenbuch, München 2008 (5. Auflage: 2011)

Im Sommer 1811 zieht die Familie Reichard von Berlin nach Dresden. Mit Erlaubnis des sächsischen Königs bereitet sich Wilhelmine auch dort auf eine Ballonfahrt vor, obwohl sie schwanger ist. Neugierige, die bereit sind, Eintritt zu zahlen, können sich von ihr ab 6. September im Hof des Hotels »de Pologne« den Ballon zeigen und erklären lassen.

Der zunächst für den 22. September angekündigte Start muss wegen ungünstiger Witterung um eine Woche verschoben werden. Am 29. September trifft die Schwefelsäure verspätet ein, und das gelieferte Eisen ist von so schlechter Qualität, dass die Hülle sich erst in der Abenddämmerung bläht. Am nächsten Morgen regnet es. Ein Sturm zerfetzt Teile des über den Ballon gespannten Hanfnetzes, das den Korb tragen soll. Trotz des schlechten Wetters stehen tausende Schaulustige auf den Feldern, weil sie den Start »der ersten deutschen Luftschifferin« (»Dresdner Anzeiger«) miterleben möchten. Um das Publikum nicht durch eine weitere Verschiebung des Ereignisses zu verärgern, wagt Wilhelmine Reichard um 15.30 Uhr trotz der ungünstigen Bedingungen den Aufstieg. Sobald die Leinen los sind, reißen heftige Windböen den Ballon abwechselnd nach oben, nach unten und zur Seite. Der Korb pendelt

Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen © Piper Verlag 2008

beängstigend hin und her. Wilhelmine wirft Ballast ab, um möglichst rasch der Gefahr zu entgehen, in Baumkronen getrieben zu werden. Sogar den Anker schleudert sie über Bord. Nach zwölf Minuten verschwindet der Ballon in den Regenwolken.

In 6931 Meter Höhe notiert Wilhelmine Reichard noch einmal den Barometerstand und die Temperatur.
Sie versucht, ein Ventil zu öffnen, also Gas entweichen zu lassen, um nicht weiter zu steigen. Vergeblich. Es klemmt. Ihr Mann wird später behaupten, sie habe eine Höhe von 7800 Meter erreicht. Sie verliert das Bewusstsein. Die Ballonhülle reißt. Wilhelmine Reichard stürzt ab. Sie kommt noch einmal zu sich, erkennt den zerfetzten Ballon über sich und begreift, was geschieht. »Mein Blick fiel sogleich auf den Ball. Man denke sich, welches Entsetzen mich ergriff, als ich ihn gänzlich zersprengt, alles Gases entledigt, und stückweise durch das zerrissene Netz flattern sah.« An einem Hang des Wachbergs bei Saupsdorf in der Sächsischen Schweiz bremsen junge Fichten den Aufschlag ab. Ein Bauer, der in der Nähe gearbeitet hat, findet in dem zerbrochenen Korb eine aus einigen Platzwunden blutende Frau, die mit blauen Lippen und weit geöffneten Augen auf dem Rücken liegt und kein Lebenszeichen von sich gibt.

Einen Teil des finanziellen Schadens, der durch den Verlust des Ballons entstanden ist, gleicht Gottfried Reichard durch den Verkauf von Broschüren aus, in denen er die Unglücksfahrt seiner Frau schildert. Um den Absatz der Hefte zu fördern, wirbt er auch bei seinen populärwissenschaftlichen und durch Demonstrationen aufgelockerten Vorträgen über chemisch-physikalische Erscheinungen im Hotel »de Pologne« dafür.

Trotz dieses Unfalls während der Schwangerschaft bringt Wilhelmine Reichard am 10. März 1812 eine gesunde Tochter zur Welt: Minna Angelika.

Quelle: Dieter Wunderlich, WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
© Pustet Verlag, Regensburg 2004
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.