Bertha von Suttner


Mit ihrem Roman »Die Waffen nieder!« wurde Bertha von Suttner im Alter von sechsundvierzig Jahren zur Symbolfigur der Friedensbewegung. 1905 erhielt sie als erste Frau den Friedensnobelpreis.


Bertha von Suttner:
Neun Jahre im Kaukasus

Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2004 / Piper Taschenbuch, München 2008 (5. Auflage: 2011)

Als die Töchter der Familie von Suttner ihrer entlassenen Erzieherin schreiben, [ihr Bruder] Arthur sei nach ihrer Abreise »wie in Trübsinn verfallen«, hält Bertha nichts mehr in Paris. Weil Alfred Nobel in Stockholm zu tun hat, bedankt sie sich schriftlich für die gute Aufnahme und kündigt ihre soeben erst angetretene Stelle. (Obwohl Alfred Nobel sehr enttäuscht ist, wird seine durch die kurze Begegnung begründete Freundschaft mit Bertha ein Leben lang halten.) Sie verkauft ein mit Diamanten besetztes Kreuz aus dem Erbe ihres Paten, besorgt sich von dem Geld eine Zugfahrkarte und kehrt Hals über Kopf nach Wien zurück. »Ich handelte wie im Traum, wie unter unwiderstehlichem Zwang. Dass es Torheit sei, dass ich vielleicht von einem Glück davon und einem Unglück in die Arme renne, das blitzte mir wohl durch das Bewusstsein, aber ich konnte, konnte nicht anders […]«

Natürlich dürfen Karl und Karoline von Suttner nicht erfahren, dass ihr Sohn sich wieder mit der früheren Gouvernante trifft. Bertha will nach wie vor in den Kaukasus, jetzt aber mit Arthur. Ein halbes Jahr dauert es, bis er trotz fehlender Sicherheiten von mehreren Gläubigern genügend Geld für die geplante Reise bekommen hat. Endlich ist es soweit. Bei der heimlichen Trauung am 12. Juni 1876 in einer Wiener Vorstadtkirche trägt das Paar bereits Reisekleidung. Nachdem Arthurs Eltern von der Eheschließung erfahren haben – und von aufgebrachten Gläubigern ihres Sohnes angegangen wurden –, wollen sie nichts mehr von ihm hören. »Den leichtsinnigen Streich konnten sie uns nicht verzeihen«, schreibt Bertha von Suttner in ihren Memoiren. »Wir warben auch nicht um Verzeihung. Wir hatten trotzig verkündet, dass wir uns selber durchschlagen würden, und das mussten wir nun auch tun.«

Das Paar fährt die Donau hinunter bis nach Galatz, dann mit der Postkutsche nach Odessa und per Schiff weiter übers Schwarze Meer nach Poti. Im Gasthaus dort versuchen die beiden in Sesseln zu schlafen, weil es ihnen vor den schmutzigen Betten und dem Ungeziefer graust. Am Morgen reichen die Gäste die einzige Waschschüssel aus Zinn mit dem dazugehörigen Handtuch von Zimmer zu Zimmer weiter. In einer Troika der russischen Post reisen Arthur und Bertha von Suttner das letzte Stück von Kutaisi nach Gordi, wo sie von Fürst Nikolaus – [dem Sohn von Ekaterina Dadiani, die Bertha 1864 eingeladen hatte] – empfangen und in einer aus Holz gebauten Villa in der Nähe des Schlosses untergebracht werden.

Ungeachtet des herzlichen Empfangs zerschlägt sich Berthas Hoffnung, der Fürst könne ihnen eine Anstellung am glanzvollen Hof in Sankt Petersburg vermitteln. Um etwas Geld zu verdienen, geben Arthur und Bertha Klavier- und Gesangstunden, bis das Zarenreich – zu dem Mingrelien seit 1867 gehört – und die Osmanen 1877/78 zum achten Mal Krieg gegeneinander führen. Da hat niemand mehr Interesse an Musikunterricht, und es gibt Tage, an denen das Ehepaar sich nicht einmal etwas zu essen kaufen kann.

Bescheidene Honorare erhält Arthur von Suttner für die von ihm verfassten Berichte über den Krieg in Kaukasien, die eine Zeit lang in der Wiener »Neuen Freien Presse« erscheinen.

Dieter Wunderlich: WageMutige Frauen © Piper Verlag 2008

Als sie schließlich wegen ihrer prorussischen Tendenz abgelehnt werden, schreibt er für verschiedene Wochenzeitungen Artikel über Land und Leute. Auf Streifzügen in der Umgebung öffnet er auch seiner Frau die Augen für die Schönheit der Natur. »Er hat mich gelehrt, die Natur zu genießen«, heißt es in Bertha von Suttners Memoiren, »ich habe ihm dazu verholfen, sie zu verstehen.« Bertha macht es ihrem Mann nach und versucht es mit Beiträgen für »Die Presse« in Wien. Allerdings verfasst sie diese unter dem geschlechtsneutralen Pseudonym »B. Oulot«, um nicht an den Vorbehalten gegen Frauen zu scheitern. Der zuständige Redakteur ist begeistert von der Arbeit des unbekannten Autors – auf die Idee, es könne sich um eine Autorin handeln, kommt er gar nicht – und schickt sofort ein Honorar an die angegebene Adresse in Zugdidi, der Hauptstadt Mingreliens, wo Bertha und Arthur von Suttner inzwischen wohnen.

Nach dem Tod ihrer Gönnerin Ekaterina Dadiani im August 1882 haben die beiden in Mingrelien endgültig nichts mehr zu erwarten. Frustriert ziehen sie zunächst nach Tiflis, in die Hauptstadt Georgiens, wo Arthur für einen französischen Unternehmer lustlos Tapetenmuster entwirft, um Geld zu verdienen. Doch ihre finanziellen Schwierigkeiten verschärfen sich weiter, als Berthas Mutter 1884 stirbt und sie für deren hohe Schulden einstehen müssen. Zum Glück versöhnen Arthurs Eltern sich nach neun Jahren endlich mit ihnen und nehmen sie 1885 in Schloss Harmannsdorf auf. (Das Stadtpalais hatte Baron von Suttner inzwischen aus Kostengründen aufgegeben.) Die liberal und antiklerikal eingestellte Schwiegertochter, die gewohnt ist, aufgrund ihrer Bildung und Intelligenz, Tatkraft und Willensstärke von ihrem Mann als gleichberechtigte Partnerin akzeptiert zu werden, ist zwar froh, dass sie in Harmannsdorf wieder ein Zuhause hat – jetzt nicht mehr als Bedienstete, sondern als Familienangehörige –, aber die Atmosphäre findet sie »mittelalterlich« und »erstickend«. Dazu kommt die Abgeschiedenheit: Vom Schloss bis zum Bahnhof Eggenburg ist man mit dem Einspänner eine ganze Stunde unterwegs, und die Eisenbahnfahrt nach Wien dauert noch einmal zwei Stunden.

Quelle: Dieter Wunderlich, WageMutige Frauen. 16 Porträts aus drei Jahrhunderten
© Pustet Verlag, Regensburg 2004
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.