Beate Klarsfeld und Serge Klarsfeld


Beate Auguste Künzel wurde am 13. Februar 1939 in Berlin geboren. Ein Jahr vor dem Abitur wechselte sie vom Lyzeum auf eine Handelsschule, und nach dem Abschluss wurde sie Sekretärin. Im Alter von 21 Jahren ging Beate Künzel als Au-pair-Mädchen nach Paris – eigentlich nur für ein Jahr, doch sie blieb in Paris, nachdem sie in der Metro den Franzosen Serge Klarsfeld kennen gelernt hatte, einen gut vier Jahre älteren Studenten der Geschichts- und Politikwissenschaften, dessen Vater in Auschwitz ermordet worden war. Am 7. November 1963 heirateten die beiden, und Beate Klarsfeld erhielt dadurch zusätzlich zur deutschen die französische Staatsbürgerschaft. Das Paar zeugte zwei Kinder: Arno (* 1965) und Lida (* 1973).

Das Thema Holocaust ließ Beate Klarsfeld nicht mehr los, und sie machte es sich zur Lebensaufgabe, Nationalsozialisten zu entlarven, die im Ausland untergetaucht waren oder unverfroren eine neue Karriere in Deutschland machten. Es gehe ihr nicht um Rache, betonte sie, sondern um Gerechtigkeit. Der APO warf sie vor, sich zwar antifaschistisch zu gebärden, sich jedoch nicht die Mühe sorgfältiger Recherchen über Kriegsverbrecher zu machen. »Der Achtundsechziger-Generation war die Dokumentensammelei viel zu mühselig«, meinte Beate Klarsfeld in einem Interview mit der »Zeit«.

Als sie 1967 in der französischen Zeitschrift »Combat« einen Artikel veröffentlichte, in dem sie den am 1. Dezember 1966 zum Bundeskanzler gewählten CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger (1904 – 1988) wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft und engen Zusammenarbeit mit dem Reichspropagandaministerium anprangerte, kündigte ihr das Deutsch-Französische Jugendwerk in Paris – wo sie seit 1963 als Sekretärin beschäftigt war – fristlos.

Das hielt Beate Klarsfeld nicht davon ab, Kiesinger am 3. April 1968 im Deutschen Bundestag in Bonn von der Besuchertribüne aus zuzurufen: »Nazi Kiesinger abtreten!« Es kostete übrigens viel mehr Mut, als sie gedacht hatte, die zahlreichen Menschen in dem riesigen Raum durch einen provozierenden Ruf auf sich aufmerksam zu machen. Beate Klarsfeld konzentrierte sich schließlich auf die Zeiger ihrer Uhr und nahm sich vor, in Aktion zu treten, sobald der Zeiger auf die Zwölf vorrückte. Der Bundeskanzler unterbrach seine Rede. Saaldiener stürzten auf Beate Klarsfeld zu und brachten sie hinaus.

Weil zwar einige Zeitungen über den Vorfall berichteten, aber keine Debatte über Kiesingers Rolle im »Dritten Reich« begann, dachte sich Beate Klarsfeld einen skandalöseren Auftritt aus:

Am 7. November 1968 verschaffte sie sich mit einer Pressekarte Zugang zum CDU-Parteitag in der Berliner Kongresshalle, stieg unmittelbar vor der Abschlussrede des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden mit einem Stenoblock in der Hand auf die Bühne, trat unbemerkt von den Sicherheitsleuten von hinten an Kiesinger heran, beschimpfte ihn als »Nazi« und ohrfeigte ihn. Damit löste sie einen Tumult unter den Delegierten aus. Man zerrte sie in einen Nebenraum. In einem Schnellverfahren – in dem Horst Mahler sie verteidigte – wurde Beate Klarsfeld noch am selben Tag zu einem Jahr Haft verurteilt, musste die Strafe aber wegen ihrer französischen Staatsangehörigkeit nicht antreten. (Im Jahr darauf reduzierte ein Gericht die Haftdauer auf vier Monate und setzte sie zur Bewährung aus.) Mit ihrer wohlüberlegten Aktion sorgte Beate Klarsfeld weltweit für Schlagzeilen. Manche diffamierten sie als Nestbeschmutzerin, aber im Ausland registrierte man sehr wohl, dass es Deutsche gab, die sich gegen eine Verdrängung der jüngsten Vergangenheit auflehnten und dagegen protestierten, dass aktive Nationalsozialisten wieder hohe Ämter bekleideten.

Der promovierte Jurist und ehemalige SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka (1909 – 1987), der von November 1940 bis September 1943 als Gestapo-Chef in Paris für die Deportation von 76 000 Personen nach Auschwitz gesorgt hatte und deshalb am 18. September 1950 von einem französischen Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, fühlte sich in Deutschland so sicher, dass er nicht einmal zu verbergen versuchte, wo er wohnte: Neben seiner Klingel stand sein richtiger Name. Er wusste, dass er in der Bundesrepublik nicht für Taten belangt werden konnte, für die ihn ein französisches Gericht bereits rechtskräftig verurteilt hatte. Die Auslieferung eines deutschen Staatsbürgers an Frankreich kam aufgrund der geltenden Rechtslage ebenso wenig in Frage.

Über diese Ungerechtigkeit empörten sich Beate Klarsfeld und ihr Ehemann Serge so, dass sie beschlossen, Kurt Lischka nach Frankreich zu entführen und der französischen Justiz vor den Fernsehkameras zu übergeben.

Am Morgen des 22. März 1971 lauerten Beate und Serge Klarsfeld mit drei Gleichgesinnten Kurt Lischka vor dessen Haus in Köln-Holweide auf. Um 7.25 Uhr trat der Einundsechzigjährige vor die Tür, um mit der Straßenbahn in die Innenstadt zu fahren, wo er als Prokurist eines befreundeten Getreidegroßhändlers beschäftigt war. Weil zu viele Passanten unterwegs waren, ließen die Verschwörer zunächst von ihrem Vorhaben ab. Erst als Lischka wieder zurückkam, um die Mittagspause zu Hause zu verbringen, packten sie ihn und schlugen auf ihn ein. Der Überfallene wehrte sich jedoch heftig und schrie um Hilfe. Als ihm ein Bahnpolizist zu Hilfe eilte, flüchteten die Kidnapper.

Von Paris aus informierte Beate Klarsfeld die deutschen Medien über den Entführungsversuch und die Hintergründe. Um möglichst viel Aufsehen zu erregen, kündigte sie an, auch noch dreihundert andere unbestrafte Kriegsverbrecher entführen zu wollen. Damit löste sie zwar das erhoffte Medienecho aus, doch während Lischka unbehelligt blieb, erließ das Kölner Amtsgericht Haftbefehle gegen Beate und Serge Klarsfeld.

Am 1. April 1971 meldete sich Beate Klarsfeld überraschend bei der Kölner Staatsanwaltschaft. Sie übergab dort ein Dossier über Kurt Lischka und meinte: »Wenn Sie Lischka nicht festnehmen, dann müssen Sie mich festnehmen.« Tatsächlich sperrte man sie gut zwei Wochen lang in ein Untersuchungsgefängnis. Für den Entführungsversuch wurde Beate Klarsfeld 1974 zu zwei Monaten Haft verurteilt, aber sie brauchte die Strafe nicht zu verbüßen, denn im Berufungsverfahren setzte das Gericht die Strafe zur Bewährung aus.

Erst nach einer Änderung der Rechtslage – die von den Medien als »Lex Klarsfeld« bezeichnet wurde – konnte gegen Kurt Lischka in Deutschland Anklage erhoben werden. Das Hauptverfahren gegen ihn und die Mitangeklagten Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn begann am 23. Oktober 1979 vor dem Amtsgericht Köln, das die drei Männer am 11. Februar 1980 zu Haftstrafen zwischen sechs und zwölf Jahren Dauer verurteilte.

Obwohl jemand den Klarsfelds 1972 eine Paketbombe geschickt hatte und 1979 ihr Auto explodiert war, machten sie weiter. Durch ihre Nachforschungen, Dokumentationen und politischen Aktionen trugen sie zur Aufspürung bzw. Entlarvung mehrerer nationalsozialistischer Verbrecher bei.

Als wichtigsten Erfolg wertete Beate Klarsfeld die Verurteilung von Klaus Barbie (1913 – 1991). Dieser war von November 1942 bis August 1944 Gestapo-Chef in Lyon gewesen. »Schlächter von Lyon« hatte man ihn genannt. 1951 setzte er sich unter dem Namen Klaus Altmann nach Bolivien ab, wo er es zum Berater des Diktators Hugo Banzer Suárez brachte. In Frankreich verurteilte man ihn wegen seiner Kriegsverbrechen am 16. Mai 1947, 28. November 1952 und 25. November 1954 in Abwesenheit zum Tod. Beate Klarsfeld spürte Klaus Barbie 1972 in La Paz auf und kettete sich zusammen mit ihrer jüdischen Mitstreiterin Itta Halaunbrenner vor seinem Haus an, um für seine Auslieferung zu demonstrieren. Die Staatspräsidenten Hugo Banzer Suárez (1971 – 1978) und Luis García Meza Tejada (1980/81) hielten jedoch ihre schützende Hand über den Kriegsverbrecher; erst 1983 wurde er festgenommen und an Frankreich ausgeliefert. Der Prozess gegen ihn begann am 11. Mai 1987 und endete am 4. Juli mit seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (Klaus Barbie starb am 25. September 1991 im Gefängnis in Lyon.)

Laurent Jaoui drehte über die Jagd von Serge von Beate Klarsfeld auf Klaus Barbie den Spielfilm „Die Hetzjagd“.

Die Hetzjagd – Originaltitel: La traque – Regie: Laurent Jaoui – Drehbuch: Alexandra Deman, Laurent Jaoui – Kamera: Jean-Louis Sonzogni – Schnitt: Claudine Dumoulin – Musik: François Staal – Darsteller: Franka Potente (Beate Klarsfeld), Yvan Attal (Serge Klarsfeld), Hanns Zischler (Klaus Barbie), Jesus Rojas, Benjamin Alazraki, Laurent Klug, Fernando Arze, Sophia Eva Wilhelmi, Christophe Brault, Marion Game, Jean-Marie Winling, Germain Wagner u.a. – 2008; 110 Minuten

Am 27. Februar 2012 wurde Beate Klarsfeld von der Partei „Die Linke“ für die anstehende Wahl zum Bundespräsidenten als Gegenkandidatin zu Joachim Gauck nominiert. In der 15. Bundesversammlung am 18. März 2012 erhielt Beate Klarsfeld 126 Stimmen; es müssen also mindestens auch drei Delegierte anderer Parteien für sie gestimmt haben.

2015 veröffentlichten Beate und Serge Klarsfeld ihre Autobiografie mit dem Titel „Mémoires“ („Erinnerungen“, Übersetzung: Andrea Stephani und Barbara Heber-Schärer, Piper Verlag, München 2015, 512 Seiten, ISBN 978-3-492-05707-3).

© Dieter Wunderlich 2007 / 2012 / 2015

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