August Engelhardt


August Engelhardt wurde am 27. November 1875 in Nürnberg geboren. Er brach die Schule vorzeitig ab, absolvierte eine Apothekenhelferausbildung statt das Abitur zu machen und hörte in Erlangen einige Vorlesungen über Physik und Chemie.

Unter dem Einfluss der Lebensreformbewegung schloss er sich im Herbst 1899 dem „Jungborn“ an, einer drei Jahre zuvor im Eckertal bei Stapelburg von den Brüdern Adolf und Rudolf Just (1859 – 1936; 1877 – 1948) gegründeten Vereinigung für naturnahes Leben. Weil Adolf Just sich unrechtmäßig als Naturheilkundler ausgab und die Mitglieder seiner Organisation mit dem von ihnen praktizierten Nudismus gegen Gesetze verstießen, wurde der Gründer zu einer Haftstrafe verurteilt.

Das Verbot des Nudismus in Deutschland gehörte zu den Gründen, die August Engelhardt bewogen, 1902 nach Deutsch-Neuguinea auszuwandern, wo er am 2. Oktober mit dem Geld, das er von seinen Eltern geerbt hatte, eine 75 Hektar große Kokosplantage auf der Insel Kabakon erwarb und sich dort als einziger Europäer unter Melanesiern ansiedelte.

Endlich konnte er seine Vorstellungen von einer gesunden Lebensführung verwirklichen. August Engelhardt lebte nackt, ließ das Haar wachsen und ernährte sich nicht nur strikt vegetarisch, sondern ausschließlich von Früchten (Frugivorismus). Die Kokosnuss hielt er für die edelste aller Nahrungsquellen (Kokovorismus). Ihren Genuss verglich August Engelhardt mit der Kommunion in der römisch-katholischen Kirche; er glaubte, der regelmäßige Verzehr von Kokosnüssen könne Menschen durch Theophagie unsterblich machen. Außerdem war er überzeugt, dass das Gehirn nicht vom Stoffwechsel abhängig sei,

sondern seine Energie über die Haare aus der Sonne gewönne.

Um seine Lehre zu verbreiten, ließ er in Europa Pamphlete verteilen. Damit erreichte er den etwa fünf Jahre jüngeren Helgoländer Heinrich Aueckens, der daraufhin Ende 1903 zu ihm auf die Insel Kabakon kam. Nach sechs Wochen, am 27. Januar 1904, starb Heinrich Aueckens jedoch unter ungeklärten Umständen. Im Jahr darauf schloss sich der Musiker Max Lützow dem von August Engelhardt auf Kabakon gegründeten „Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft“ an. In seinen Briefen berichtete der Künstler begeistert über seine Erfahrungen und lockte damit weitere Menschen an. Angeblich zählte der „Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft“ bis zu 30 Jünger.

Als Max Lützow ernsthaft erkrankte und deshalb im Februar 1905 ins Hospital in Herbertshöhe (heute: Kokopo) gebracht werden sollte, starb er während eines Zwischenaufenthalts auf der Insel Lamassa.

August Engelhardt lebte nahezu wieder allein auf Kabakon, als der elf Jahre ältere Naturschriftsteller August Bethmann mit seiner Verlobten Anna Schwab 1905 eintraf. Mit in Deutschland publizierten Schriften warb August Bethmann für den Sonnenorden.

Aber nun erkrankte August Engelhardt. August Bethmann überredete ihn Mitte Januar 1906, sich ins Hospital in Herbertshöhe bringen zu lassen. Der 1,66 Meter große Patient wog nur noch 39 Kilo, konnte vor Entkräftung kaum gehen, und sein Körper war mit Geschwüren übersät. Einigermaßen erholt verließ er am 8. Februar das Krankenhaus und kehrte nach Kabakon zurück.

Mit dem Eiter der Geschwüre hätten die allerletzten ungesunden Substanzen seinen Körper verlassen, meinte er. Aber August Bethmann zweifelte nun an der Lehre seines bisherigen Idols und kündigte im Juni 1906 an, er werde Neuguinea verlassen. Bevor er jedoch abreisen konnte, starb er. August Engelhardt beschuldigte Anna Schwab, ihren Lebensgefährten vergiftet zu haben. Sie kehrte daraufhin nach Deutschland zurück und wurde zu einer scharfen Kritikerin August Engelhardts.

Der beabsichtigte jedoch, ein fast die gesamte südliche Hemisphäre umspannendes, auf Nudismus, Sonnenanbetung und Frugivorismus basierendes „internationales tropisches Kolonialreich“ zu gründen.

Die vom deutschen Gouverneur Albert Hahl (1868 – 1945) erbetene offizielle Anerkennung des Sonnenordens erhielt August Engelhardt nicht. Im Gegenteil: Der Gouverneur, der ihn für geistesgestört hielt, untersagte ihm die Aufnahme neuer Mitglieder. Seine Plantage bewirtschaftete August Engelhardt mit dem Verwalter Wilhelm Bradtke. 1910 wollte er zusätzlich dazu ein 50 Hektar großes Grundstück auf der westlich von Kabakon liegenden Insel Towalik erwerben.

Im Ersten Weltkrieg wurde August Engelhardt vorübergehend in Rabaul interniert. Die Australier erlaubten dem Sonderling schließlich die Rückkehr auf die inzwischen von ihnen besetzte Insel Kabakon, aber damit seine Kokosplantage nicht enteignet wurde, verpachtete er sie an den mit einer Australierin verheirateten und in leitender Position bei der Hamburger Südsee Aktiengesellschaft angestellten Deutschen Wilhelm Mirow.

Am 6. Mai 1919 wurde August Engelhardt tot aufgefunden.

Willi Bradtke starb vier Tage später in Bitabolo bei Herbertshöhe.

„Das neue Evangelium für eine sorgenfreie Zukunft“ (1906) von August Engelhardt und August Bethmann wurde 2012 von Dieter Kiepenkracher neu herausgegeben und kommentiert: „Hoch der Äquator! Nieder mit den Polen! Eine sorgenfreie Zukunft im Imperium der Kokosnuss“ (BoD, 132 Seiten, ISBN 978-3848204427).

Die Biografie des „Aussteigers“ August Engelhardt inspirierte Marc Buhl und Christian Kracht zu den Romanen „Das Paradies des August Engelhardt“ (Frankfurt/M 2011) bzw. „Imperium“ (Köln 2012).

© Dieter Wunderlich 2012

Christian Kracht: Imperium

Tanguy Viel - Das Mädchen, das man ruft
Mit seinem Roman "Das Mädchen, das man ruft" veranschaulicht Tanguy Viel an einem konkreten Beispiel das Me-Too-Thema. Er zeigt Verstrickungen durch Korruption, Abhängigkeiten und Machtmissbrauch. Tanguy Viel fühlt sich tief in die psychischen Entwicklungen ein. Subtil, differenziert und facettenreich stellt er sie dar.
Das Mädchen, das man ruft

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.