Christian Kracht : Imperium

Imperium
Imperium Originalausgabe: Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012 ISBN: 978-3-462-04131-6, 243 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Nudist und Veganer August Engelhardt entflieht der verdorbenen deutschen Gesellschaft und wandert 1902 in die Südsee aus. Weil er sich nur noch von Kokosnüssen ernähren möchte, erwirbt er die Insel Kabakon mit einer Palmen-plantage. Ein erster Jünger aus Helgoland findet sich ein, aber nach ein paar Wochen ist er tot. Im Ersten Weltkrieg besetzen die Australier Kabakon, und Engelhardt verschwindet im Urwald ...
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Kritik

Der Roman "Imperium" von Christian Kracht lässt sich als Persiflage eines Abenteuerromans und als Satire auf das Wilhelminische Reich, Hitler, Sekten und radikale Ideologien lesen: Unterhaltung auf hohem Niveau.
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So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewusstsein dringen, der vielleicht besser bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent.

Der junge Nürnberger August Engelhardt trifft sich in den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts in München mit dem Wanderprediger Gustaf Nagel. Die beiden sonnen sich im Englischen Garten. Dann fahren sie nach Murnau und besuchen einen Landwirt. Sie ziehen sich aus und setzen sich mit dem Nudisten nackt an den Tisch. Seine Ehefrau und eine Magd, beide ebenfalls unbekleidet, servieren dem Bauern Brot und Schinken, den vegetarischen Besuchern dagegen Äpfel und Trauben.

Danach reist August Engelhardt nach Norden. In der kurischen Nährung legt er sich nackt an den Strand. In einiger Entfernung wandert ein Sommerfrischlerpaar aus München vorbei. Der Herr, ein Schriftsteller und Redakteur des Simplicissimus, bemerkt den Nackten, aber es gelingt ihm, seine Begleiterin, die Tochter eines Mathematikers, so abzulenken, dass sie ihn übersieht. Am nächsten Morgen wird August Engelhardt von drei Polizisten wegen Landstreicherei und Unsittlichkeit festgenommen, denn der Wanderer hat ihn angezeigt. Der sitzt inzwischen mit seiner Braut im Zug nach München und wird das Bild des nackten jungen Mannes nicht los.

[…] und er erkennt in diesem Augenblick den eigentlichen Grund, weswegen er Anzeige erstattet hat, und dass sein gesamtes zukünftiges Leben von einer schmerzhaften Selbstlüge überlagert sein wird, sein muss, deren Gewaltigkeit alles verfärben wird bis zu seinem Todestag […]

Am Nachmittag des nächsten Tages kommt August Engelhardt wieder frei. Er reist nach Berlin, wo er mit Silvio Gesell zusammen eine vegetarische Gemeinschaft gründen möchte. Aber es stellt sich heraus, dass der Sozialreformer inzwischen nach Argentinien ausgewandert ist. August Engelhardt will auch nicht länger in Deutschland bleiben, in …

[…] dieser vergifteten, vulgären, grausamen, vergnügungssüchtigen, von innen heraus verfaulenden Gesellschaft, die lediglich damit beschäftigt ist, nutzlose Dinge anzuhäufen, Tiere zu schlachten und des Menschen Seele zu zerstören […]

Mit der Erbschaft seiner vor zwei Jahren in der Schweiz verstorbenen Tante Marthe macht sich der 27-Jährige auf den Weg in die Südsee.

In Port Said werden seine elf Überseekisten mit 1200 Büchern irrtümlich ausgeladen. Sie verschwinden, aber als er unter den Hafenarbeitern Geld verteilt, bekommt er sein Gepäck zurück.

Nach der Ankunft in Colombo lässt er sich mit einer Rikscha zum Grand Hotel bringen. Der barfüßige Rickscha-Walla rennt nach Leibeskräften. August Engelhardt weiß nicht, ob er das tut, weil er glaubt, dass alle Reisenden es eilig haben oder weil der Asphalt so heiß ist. Jedenfalls bedeutet er ihm, es nicht eilig zu haben, aber der Ceylonese versteht ihn nicht. Vor dem Hoteleingang bricht er zusammen, und der uniformierte Portier, ein hochgewachsener Sikh, flucht über den am Boden liegenden Rickscha-Walla und beeilt sich, dem neuen Gast unter Dutzenden von Entschuldigungen das Handgepäck abzunehmen.

Im Zug von Colombo nach Kandy kommt August Engelhardt mit dem Tamilen K. V. Govindarajan ins Gespräch, der begeistert reagiert, als der Deutsche sich als Fruktrivore outet. Endlich ein Gleichgesinnter, meint Govindarajan, er esse auch nur Früchte. In Kandy schlägt er vor, dass sie sich aus Kostengründen ein Hotelzimmer teilen und überredet Engelhardt zu einem gemeinsamen Besuch des buddhistischen Zahntempels. Während der Besichtigung verschwindet der Tamile plötzlich. Engelhardt ahnt Schlimmes, und als er ins Zimmer zurückkommt, findet er seine Befürchtungen bestätigt: Govindarajan hat ihm das Geld aus dem Gepäck gestohlen und ist fort. Engelhardt wendet sich an den Hotelier. Der verzichtet glücklicherweise auf die Bezahlung, bringt ihn zum Bahnhof und löst für ihn eine Bahnfahrkarte nach Colombo.

Schließlich trifft August Engelhardt auf dem alle zwölf Wochen von Hongkong nach Sydney fahrenden deutschen Dampfer „Prinz Waldemar“ in Deutsch-Neuguinea ein, und zwar im Hafen der Hauptstadt Herbertshöhe (heute: Kokopo) auf der Gazelle-Halbinsel im Norden der zum Bismarck-Archipel gehörenden Insel Neupommern (heute: Neubritannien). Dort quartiert er sich erst einmal im Hotel Fürst Bismarck ein.

Den aus Niederbayern stammenden Gouverneur Albert Hahl hat Engelhardt verpasst, denn dieser war an Schwarzwasserfieber erkrankt und kehrte deshalb kürzlich nach Deutschland zurück, um sich auszukurieren.

August Engelhardt möchte eine Palmen-Plantage kaufen, denn er hält die Kokosnuss für die edelste aller Nahrungsquellen (Kokovorismus). Ihren Genuss vergleicht er mit der Kommunion in der römisch-katholischen Kirche; er glaubt, der regelmäßige Verzehr von Kokosnüssen könne Menschen durch Theophagie unsterblich machen. Als Hoteldirektor Hellwig hört, was sein neuer Gast vorhat, verweist er ihn an Emma Forsayth-Coe. „Queen Emma“, die 52-jährige Tochter eines amerikanischen Walfängers und einer samoanischen Prinzessin, gilt als reichste Frau in Deutsch-Guinea. Sie empfängt den jungen Mann, und er kauft ihr unbesehen und ohne zu feilschen, die zum Neulauenburg-Archipel (heute: Duke-of-York-Inseln) gehörende Insel Kabakon ab. Einen Teil bezahlt er in bar, für den Rest beleiht er seine zukünftige Produktion.

Queen Emma dachte nicht lange nach, hier kam ein zartes Jesulein zu ihr, das ohne zu handeln sechzehntausend Mark für ein wertloses Inselchen zahlen und dann noch, rasch grob gerechnet, sich zwei Jahre verpflichten wollte, seine gesamten Erträge ihr zu überschreiben, und all dies für ein Stückchen Land, das sie einem Tolaihäuptling für zwei alte Gewehre, eine Kiste Beile, zwei Segel und dreißig Schweine abgeschwatzt hatte.

Eine Dampfbarkasse bringt August Engelhardt nach Mioko, wo er in ein Segelkanu umsteigt.

Ein schätzungsweise 13-jähriger Melanesier namens Makeli empfängt ihn auf Kabakon und zeigt ihm, wo er seine Hütte bauen soll. Vierzig Männer fragen den neuen Besitzer nach Arbeit in der Plantage.

Statt das Palmöl für die Herstellung von Kokosfett nach Deutschland zu liefern, lässt der Veganer es in Flaschen abfüllen und in Herbertshöhe einlagern, denn er möchte nicht, dass in seinem Produkt Fleisch gebraten wird.

Während einer Reise nach Queensland, wo er Abnehmer für sein Öl finden möchte, begegnet er beim Frühstück in einer Pension dem amerikanischen Adventisten Halsey. Der Veganer, der Cornflakes verabscheut, weil man sie üblicherweise mit Milch isst, wurde von der Firma Kellogg nach Australien abgeschoben. Engelhardt versucht ihn zu überreden, mit ihm nach Kabakon zu kommen und erzählt ihm, dass er dort nackt herumläuft. Das hält den Puristen davon ab, die Einladung anzunehmen.

Als Engelhardt zurückkommt, wartet bereits seit mehr als einer Woche ein junger Mann aus Helgoland auf ihn. Heinrich Aueckens, so heißt er, erfuhr durch eine Schrift Richard Ungewitters von dem Landsmann, der in Deutsch-Neuguinea die Nacktkultur eingeführt hat. Er wird Engelhardts erster Jünger.

Engelhardt weiß, dass Richard Ungewitter die deutsche FKK-Bewegung und völkische Ideen vertritt. Letzteres missfällt ihm.

Engelhardt teilte nicht jene aufkommende Mode der Verteufelung des Semitischen, die der fürchterliche Richard Wagner mit seinen Schriften und seiner schwülstig-komischen Musik wenn nicht initiiert, dann aber allerorten salonfähig gemacht hatte.

Es war doch wohl strikt abzulehnen, über Menschen aufgrund ihrer Rasse zu urteilen.

Einige Wochen nach seiner Ankunft versucht Heinrich Aueckens den jungen Melanesier Makeli in einem Palmenhain zu vergewaltigen. Zu diesem Zweck hat er eigens etwas Kokosöl mitgebracht. Aber kurz darauf liegt er tot am Boden. Entweder wurde er von einer herabfallenden Kokosnuss am Kopf getroffen, oder der Plantagenbesitzer ertappte ihn bei dem Verbrechen und erschlug ihn.

Engelhardt hört auf, sich Gedanken über seine Schulden zu machen, und mit der Begründung, den Kapitalismus abzulehnen, nimmt er sich vor, kein Geld mehr in die Hand zu nehmen.

Als er von einem Lichtesser und Pranaisten auf den Fidschi-Inseln erfährt, reist er hin. Der aus Berlin-Dahlem stammende Guru Erich Mittenzwey soll seit einem halben Jahr nichts außer Licht zu sich genommen haben. Um ihm zu huldigen, bringen ihm die Menschen Geld, Schmuck und Uhren. Zur Mittagszeit beobachtet Engelhardt, wie der Meister ins Freie tritt, sich bis auf ein schnupftuchgroßes Lätzchen über seinen Genitalien entkleidet und wie ein Karpfen schnappt, um Sonnenlicht aufzunehmen.

Nachdem Mittenzwey wieder in seiner Hütte verschwunden ist, reißt Engelhardt die Türe auf – und überrascht den angeblichen Lichtesser beim Mittagsmahl. An seiner Seite sitzt ein Tamile: K. V. Govindarajan! Wenn Engelhardt sich nicht vorgenommen hätte, kein Geld mehr anzufassen, würde er jetzt sein Geld von dem Dieb zurückverlangen.

Ohne den Betrug aufzudecken, kehrt Engelhardt als blinder Passagier auf dem deutschen Kreuzer SMS Cormoran zurück.

Während seiner Abwesenheit wurde die Hauptstadt von Herbertshöhe nach Rabaul verlegt.

Ein weiter Adept aus Deutschland trifft auf Kabakon ein: der Musiker Max Lützow. Er fühlte sich ausgebrannt und krank, aber die Ärzte fanden nichts, und Sigmund Freud, den er eigens konsultierte, hielt seine Neurosen für zu wenig interessant. Auf der Rückfahrt von Wien warf Lützow plötzlich das Schinkenbrot aus dem Zugfenster, das er sich im Bahnhofsbuffet gekauft hatte …

[…] und beschloss, er müsse augenblicklich Vegetarier werden, da sich das Leiden der im Schlachthaus sterbenden Tiere stante pede, durch die Nahrungsaufnahme quasi, im Hallraum seines eigenen Körpers morphologisch fortsetzte.

Dass Max Lützow mit dem Nudisten und Kokovoristen August Engelhardt auf Kabakon lebt, spricht sich in Deutschland herum. Zwei Dutzend junge Männer und Frauen reisen nach Deutsch-Guinea und stranden in Rabaul.

Gouverneur Albert Hahl, der längst genesen ist und sein Amt wieder ausübt, gefällt das gar nicht, zumal auch Wilhelm Solf, der Leiter des Reichskolonialamtes in Berlin, sich darüber auslässt, dass die heimische Presse über Orgien feiernde, sich von Blumen und Schmetterlingen ernährende nackte Deutsche im Schutzgebiet berichtet. Der Gouverneur müsse dieses Treiben unverzüglich beenden, meint Solf.

Hahl lässt daraufhin Christian Slütter, den Kapitän des gerade in den Hafen eingelaufenen Frachtschiffes „S. S. Jedda“, zu sich kommen. Nachdem er ihm erklärt hat, dass die Zustände auf Kabakon untragbar geworden seien, fordert er ihn auf, August Engelhardt zu töten. Slütter, der vor Jahren Schach mit dem Sonderling gespielt hatte, sträubt sich, aber der Gouverneur erpresst ihn: Er weiß, dass der Kapitän sich in ein junges Mädchen verliebte, das sich in Sydney an Bord geschmuggelt hatte. Pandora, die einzige Tochter von Frederic Thesiger, 1. Viscount Chelmsford, des Gouverneurs von New South Wales, war aus dem Internat davongelaufen. Nun droht Hahl, das Mädchen festnehmen und nach Australien zurückschicken zu lassen.

Auch Max Lützow ist wieder in Rabaul. Nach einem Streit mit August Engelhardt verließ er Kabakon. Er überredet Queen Emma, mit ihm an den Strand zu gehen. Nachdem sie dort miteinander geschlafen haben, beschließen sie, Deutsch-Guinea gemeinsam zu verlassen. Vorher soll der Gouverneur sie noch verheiraten. Albert Hahl, der heimlich in Emma Forsayth-Coe verliebt ist, verweist das Paar an Kapitän Christian Slütter. Der traut die beiden Verliebten an Bord der „Jeddah“. Inzwischen ist die „Prinz Waldemar“ eingelaufen, mit der Max Lützow und Emma Forsayth-Lützow abreisen wollen. Im Übermut klettert der Musiker mit einer brennenden Zigarette im Mundwinkel und zwei gefüllten Champagner-Gläsern in der Hand über die Reling, um auf die „Prinz Waldemar“ hinüberzuspringen. Aber er ist keine Schuhe mehr gewöhnt, rutscht ab und stürzt mit einem Salto mortale ins Wasser, wo er zwischen den beiden in diesem Augenblick durch eine Strömung aufeinander zutreibenden Schiffsrümpfen zerquetscht wird.

Nach diesem unglücklichen Zwischenfall fährt Christian Slütter zur Insel Kabakon, um seinen Auftrag zu erledigen. August Engelhardt beklagt sich bei ihm darüber, dass niemand mehr auf der Plantage arbeitet. Nur Makeli ist bei ihm geblieben. Die Melanesier dulden ihn nicht mehr in ihren Reihen, weil er inzwischen Deutsch gelernt hat. Slütter fällt auf, dass Engelhardt den blutigen Stumpf eines Daumens zu verbergen versucht. Auch dem Jungen fehlen zwei Finger. Engelhardt, der schon seit langem seine Fingernägel abknabbert und seine Fußnägel isst, glaubt inzwischen herausgefunden zu haben, dass nicht die Kokosnuss, sondern Menschenfleisch die optimale Ernährung darstellt, und er erläutert seinem Besucher, es sei falsch gewesen, dass sich die Einheimischen durch das Geschwätz der Missionare vom Kannibalismus abbringen ließen. Er verzehrt seinen abgeschnittenen Daumen und zerknackt die Knochen mit den Zähnen.

Dann schlägt er einen Rundgang durch die verwahrloste Plantage vor. Dort hat er unlängst Fallgruben angelegt. Aber Slütter bleibt unmittelbar vor einer der abgedeckten Gruben stehen und vertraut Engelhardt an, dass ihn der Gouverneur mit einem Mordauftrag herschickte. Er bringe es jedoch nicht fertig, einen Menschen zu töten, sagt er. Engelhardt umarmt ihn. Bestimmt habe ihn der Gouverneur erpresst, meint er, und weil er Hahl für einen Juden hält, wird er nun zum Antisemiten.

Während die Männer miteinander reden, schleicht Makeli sich fort. Zwei Finger sind genug.

Zur gleichen Zeit liegt Pandora splitternackt auf dem Vorderdeck der „Jeddah“ im Hafen von Rabaul und lässt sich – auf ein Stück Schiffstau beißend – von dem Maori-Seemann Apirana den ganzen Rücken tätowieren, obwohl sie weiß, dass Slütter keine Tattoos auf ihrer schönen Haut sehen möchte.

Kurz darauf segelt sie mit Makeli fort.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sprengt ein australisches Vorauskommando die Funkstation in Rabaul, die über die Großfunkstelle Nauen mit dem Deutschen Reich verbunden war. Ein australisches Schlachtschiff und ein U-Boot kreuzen in den Gewässern. Australien erobert den Bismarck-Archipel.

Soldaten fangen einen Paradiesvogel und rupfen ihn. Wäre nicht Krieg, könnten sie mit den Federn in New York und Buenos Aires astronomische Preise erzielen. Sie schmücken sich damit und kicken das kreischende nackte Tier wie einen Rugbyball hin und her.

Eine Einheit setzt auch nach Kabakon über. Am Strand kommt ihnen August Engelhardt nackt entgegen. Der Befehlshaber gibt ihm 6 Pfund Sterling für die Plantage und stellt es ihm frei, nach Deutschland zurückzukehren. Engelhardt wirft jedoch dem Offizier den kümmerlichen Geldbetrag vor die Füße und verschwindet im Urwald.

Christian Slütter befestigt vor Samoa eine Sprengladung am Bug der „Jeddah“ und steuert sie geradewegs auf einen französischen Kohlefrachter zu. Beide Schiffe sinken nach der Explosion. Slütter, Apirana und der Heizer November haben sich zuvor mit einem Rettungsboot in Sicherheit gebracht. Aber der Kapitän wird von Australiern aufgegriffen, wegen Piraterie angeklagt, an eine Palme gestellt und erschossen.

Die beiden anderen Männer entkommen. November fällt bei einem Orkan über Bord und ertrinkt. Apirana Turupa Ngata dagegen wird später als erster Maori ins neuseeländische Parlament gewählt.

Die Betrüger Erich Mittenzwey und K. V. Govindarajan werden auf Samoa verhaftet. Ein deutscher Kreuzer versenkt das Schiff, das sie in Ketten nach Australien bringen sollte.

Albert Hahl schreibt nach seiner Rückkehr zehn Jahre lang in Berlin an einer Autobiografie, findet jedoch keinen Verlag dafür.

Emma Forsayth-Lützow bricht in Monte Carlo am Spieltisch tot zusammen, nachdem sie ihr letztes Geld verloren hat.

August Engelhardt wird nach dem Zweiten (!) Weltkrieg von einer amerikanischen Marineeinheit auf der Salomoneninsel Kolombangara entdeckt. Er haust in einer Erdhöhle und hat sich offenbar nur von Nüssen, Gräsern und Käfern ernährt. Dem Greis fehlen beide Daumen und er ist stark abgemagert. Eine junge Ärztin untersucht ihn und stellt verblüfft fest, dass er jahrzehntelang an einer multibazillären Form der Lepra litt, aber wie durch ein Wunder geheilt ist. Die Amerikaner bringen ihn zu ihrer Militärbasis auf der Insel Guadalcanal.

Sein Leben wird in Hollywood verfilmt.

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Protagonist des Romans „Imperium“ ist August Engelhardt. Den skurrilen Nudisten und Kokovoristen hat es – ebenso wie Gustaf Nagel, Silvio Gesell, Albert Hahl, Emma Forsayth-Coe, Heinrich Aueckens, Richard Ungewitter, Max Lützow, Wilhelm Solf und Sir Apirana Turupa Ngata – tatsächlich gegeben, aber Christian Kracht weicht an vielen Stellen von den historischen Tatsachen ab und macht daraus weitgehend fiktive Figuren.

Die kurz vor dem Ersten Weltkrieg in der Südsee spielende Geschichte ist nicht nur die Persiflage eines Abenteuerromans, sondern auch eine Satire auf das Wilhelminische Reich, sie spiegelt den Irrsinn des Nationalsozialismus und kann auch als Parabel über den Untergang des Deutschen Reiches verstanden werden. Gleichzeitig ist „Imperium“ eine Satire auf Sekten und radikale Ideologien, in diesem Fall über gesunde Ernährung.

Uwe Timm vergleicht Christian Krachts sprachliche Kraft mit der von Joseph Conrad in „Herz der Finsternis“. Christian Kracht selbst sagt, er habe sich am Schreibstil Erich Kästners orientiert.

Der Roman „Imperium“ beginnt mit der letzten Etappe von August Engelhardts Schiffsreise nach Deutsch-Neuguinea. Im zweiten Kapitel erzählt Christian Kracht von früheren Erlebnissen auf der Reise, und das vierte Kapitel besteht aus einer Rückblende auf die Vorgeschichte in Deutschland. Abgesehen davon führt uns der auktoriale Erzähler chronologisch durch die Handlung, und in den letzten beiden Kapiteln erfahren wir in wenigen Sätzen, was aus den verschiedenen Figuren geworden ist.

Einmal weist Christian Kracht in „Imperium“ auf einen jungen, bei einem Schweizer Patentamt beschäftigten Vegetarier hin und wir freuen uns, Albert Einstein zu erkennen. In einer Miniatur zeigt ein Münchner Schriftsteller und Redakteur des „Simplicissimus“ den nackt am Ostseestrand liegenden August Engelhardt bei der Polizei an und wird sich dann seiner eigenen homoerotischen Neigungen bewusst. Damit ist selbstverständlich Thomas Mann gemeint. Auch eine Anspielung auf Hermann Hesse kommt in „Imperium“ vor: August Engelhardt begegnet ihm in den Boboli-Gärten in Florenz.

Gegenüber, diesseits des Kiesweges, hatte ein hagerer, eine kleine stählerne Brille tragender, asketisch wirkender Mann gesessen, dem die florentinische Ostersonne bereits einen kräftigen Nusston ins Antlitz gebrannt hatte, und in einem aufgeschlagenen Buch gelesen, kein Italiener wohlgemerkt, sondern der Wahrscheinlichkeit nach Schwede oder Norweger. Beide hatten sich in Augenschein genommen, der Romancier – denn das war er wohl, und kein Skandinavier, sondern Schwabe – hatte mit interessierten Blicken den jungen Bärtigen vermessen, um dann zu entscheiden, ihn nicht anzusprechen, obwohl er so Taxierte darauf zu hoffen schien. Und beide waren wieder ihrer Wege gegangen, Engelhardt hinauf zur San Miniato al Monte und der schwäbische Schriftsteller in eine einfache Gaststube im Stadtteil San Niccolò, wo er sich, in einer kühlen Ecke niederlassend, ein Stück Landschinken und einen Viertelliter blutroten Valpolicella bestellt, an einem mit dem etwas schmucklosen Titel Gertrud versehenen Manuskript weitergearbeitet und den jungen Mann alsbald wieder vergessen hatte.

Charakteristisch für Christian Krachts Stil ist auch folgende Passage:

Erst läuft also der Student Gavrilo Princip, nachdem er in Moritz Schillers Café hastig ein Schinkenbrot hinuntergeschlungen hat, hinaus auf die Straße jener kleinen, beschaulichen Stadt auf dem Balkan und schießt aus nächster Nähe, Stücke des Sandwichs noch im Mund, Brotkrümel noch am spärlichen Moustacheflaum, mit dem blanken Revolver mittenmang auf den verhassten Despoten und seine Ehefrau Sophie. Dann kommt, gelinde gesagt, eines zum anderen.

So wie er hier mit dem Schinkenbrot überrascht uns Christian Kracht in „Imperium“ immer wieder mit Nebensächlichkeiten, die jedoch ungemein zu dem außerordentlichen Lesevergnügen beitragen.

Georg Diez nennt Christian Kracht aufgrund des Romans „Imperium“ einen „Türsteher der rechten Gedanken“ und unterstellt ihm eine „rassistische Weltsicht“ und ein „antimodernes, demokratiefeindliches und totalitäres Denken“ (Georg Diez: Die Methode Kracht, „Der Spiegel“, 13. Februar 2012). Das ist nicht nachvollziehbar, und der Briefwechsel, den Christian Kracht 2004 bis 2009 mit dem amerikanischen Verschwörungstheoretiker David Woodhard über Nueva Germania in Paraguay führte (Christian Kracht und David Woodard: Five Years. Briefwechsel 2004 – 2009, Hg. Johannes Birgfeld und Claude D. Conter, Wahrhahn Verlag 2011, 264 Seiten, ISBN 978-3-86525-235-7), hat mit dem Roman nichts zu tun.

Marc Buhl, der Autor des Romans „Das Paradies des August Engelhardt“ (Eichborn-Verlag 2011, 263 Seiten, ISBN 978-3-8218-6148-7), wirft Christian Kracht vor, nicht nur Fakten, sondern auch fiktive Einzelheiten wie zum Beispiel die Schlachtung eines Ferkels oder die Reproduktion von Arnold Böcklins „Toteninsel“ im Palast des Gouverneurs aus seinem Buch übernommen zu haben, ohne die Quelle anzugeben.

NB: Dass auch Lektorate nicht fehlerfrei arbeiten, zeigt sich auf Seite 44 an dem Wort „Rinnsaal“.

Jan Bosse brachte den Roman „Imperium“ von Christian Kracht im Thalia Theater in Hamburg auf die Bühne (Uraufführung: 26. April 2015, Hauptdarsteller: Christoph Bantzer). Walter Adler machte aus dem Roman „Imperium“ von Christian Kracht ein zweiteiliges Hörspiel (21./28. November 2021). Die Musik komponierte Pierre Oser. Darsteller: Axel Milberg, Jens Harzer, Sylvester Groth, Judith Engel, Florian Lukas, Tom Schilling, Judith Altmeyer, Felix von Manteuffel, Wolfram Koch u. a.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012 / 2015
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

August Engelhardt (kurze Biografie)

Christian Kracht: Faserland
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