In den Süden
In den Süden
Inhaltsangabe
Kritik
Haiti, Ende der Siebzigerjahre. Während der ältere dunkelhäutige Hotelangestellte Albert (Lys Ambroise) am Flughafen in Port-au-Prince auf eine amerikanische Touristin wartet, fleht ihn eine verzweifelte Haitianerin (Marie-Laurence Hérard) an, ihre fünfzehnjährige Tochter mit ins Hotel zu nehmen, denn sie befürchtet, dass sie in der Stadt einem der Machthaber auffällt und dann vergewaltigt wird. Albert erklärt ihr müde, er könne ihr nicht helfen.
Bei der neu angekommenen Touristin handelt es sich um eine siebenundvierzigjährige Blondine namens Brenda (Karen Young). Albert fährt sie in das paradiesische Ferienresort „La Petite Anse“.
Als Brenda vor drei Jahren mit ihrem Ehemann hier war, nahm dieser einen fünfzehnjährigen Schwarzen aus Mitleid mehrmals zum Essen mit. Einmal lag Brenda mit dem Jungen Legba an einem abgelegenen Strand und konnte nicht widerstehen, ihn zu berühren. Sobald ihre Hand seinen Penis berührte, eregierte dieser. Da stürzte sich Brenda auf den Jugendlichen und erlebte erstmals einen Orgasmus. Seither dachte sie jede Nacht an Legba, und nun ist die naive, romantische Amerikanerin glücklich, ihn wiederzusehen.
Der Achtzehnjährige (Ménothy Cesar) ist jetzt allerdings der Favorit einer anderen Amerikanerin, der fünfundfünfzig Jahre alten Französisch-Dozentin Ellen (Charlotte Rampling) aus Boston, die jedes Jahr für ein paar Wochen nach Haiti reist, weil Frauen über vierzig in Amerika keinen begehrenswerten Mann mehr bekommen, während sie hier von gut gebauten jungen Schwarzen verwöhnt werden, wenn sie ihnen Geschenke zukommen lassen.
Nicht nur reiche Damen wie Ellen reisen „in den Süden“; auch die mollige Fabrikarbeiterin Sue (Louise Portal) gehört zu den Sextouristinnen.
Eifersüchtig belauern sich Brenda und Ellen. Legba lässt sich zwar kaufen, aber er bestimmt selbst, mit welcher der weißen Frauen er ins Bett geht. Für Ellen ist es schmerzvoll, lernen zu müssen, dass sie für ihr Geld nicht alles kriegen kann. Sie drängt Legba, mit ihr nach Boston zu kommen und verspricht ihm nicht nur einen Pass, sondern auch ein Leben ohne Arbeit und Sorgen. Aber der Achtzehnjährige will seine Freiheit nicht aufgeben.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Während die Touristinnen in dem idyllischen Ferienresort die grausame Wirklichkeit in Haiti ausblenden, führt Legba auch ein Leben in Port-au-Prince, und er kümmert sich um den jüngeren Waisen Eddy (Jackenson Pierre Olmo Diaz). Seine einheimische Jugendfreundin (Anotte Saint Ford) sitzt inzwischen in einer Luxuslimousine mit abgedunkelten Scheiben: Sie prostituiert sich wie Legba und ist die Mätresse eines einflussreichen Mannes, der an ihr nur als Sexualobjekt interessiert ist. Weil er ihre Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft nicht erfüllt, drängt sie Legba zu einer Verabredung. Doch als sie sich heimlich treffen, werden sie beide ermordet. – Albert findet die nackten Leichen am Morgen in einem Tümpel in der Nähe des Ferienhotels.
Ellen kehrt verbittert nach Boston zurück. Brenda nimmt sich vor, andere Karibik-Inseln zu erkunden.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Der 1997 von dem aus Haiti stammenden Schriftsteller Dany Laferrière (* Port-au-Prince, 17. April 1953) veröffentlichte Roman „La Chair Du Maître“ inspirierte Laurent Cantet und Robin Campillo, den Film „In den Süden“ („Vers le sud“) zu drehen.
In dem Gesellschaftsdrama geht es um Amerikanerinnen, die zu alt sind, um in ihrer Heimat noch begehrenswerte Männer finden zu können und deshalb für ein paar Wochen „in den Süden“ fliegen, in diesem Fall nach Haiti, wo sie gegen ein paar Geschenke von jungen, gut gebauten Schwarzen verwöhnt werden. In ihrem paradiesischen Urlaubsressort außerhalb von Port-au-Prince bekommen die Sextouristinnen von dem Terrorregime nichts mit, das Jean-Claude Duvalier („Baby Doc“, * 1951) als Erbe seines Vaters François Duvalier (1907 – 1971) führt; sie blenden die Realität aus.
Laurent Cantet und Robin Campillo lassen sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln. Sie erzählen nüchtern, unaufgeregt und schnörkellos aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dass Brenda, Ellen, Sue und Albert längere Statements in die Kamera sprechen, stört eher.
Sehenswert ist „In den Süden“ vor allem wegen Charlotte Rampling (* 1946), die wieder einmal eine hervorragende schauspielerische Leistung zeigt und dabei auch den Mut aufbringt, ihr Alter zu thematisieren: Ellen bewahrt fast immer Haltung, aber in ihrem Gesicht sind Schmerz, Verbitterung und Verzweiflung unübersehbar.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
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