Liebe und andere Verbrechen
Liebe und andere Verbrechen
Inhaltsangabe
Kritik
Anica (Anica Dobra) ist die Lebensgefährtin des deutlich älteren Ganoven Milutin (Fedja Stojanović), hat aber ihre eigene Wohnung behalten. Beide Behausungen befinden sich in einer trostlosen Plattenbausiedlung in Belgrad. Schließlich erträgt Anica die Perspektivlosigkeit nicht länger und beschließt, Milutin ebenso wie Belgrad zu verlassen. Um sich anderswo eine neue Existenz aufbauen zu können, will sie seinen Tresor ausrauben. Die Kombination zum Öffnen des Schlosses kennt sie. Ohne etwas von ihrem Vorhaben zu verraten, besucht Anica noch einmal ihre demente Großmutter (Semka Sokolovic-Bertok) im Pflegeheim und die befreundete Kiosk-Besitzerin Nikolija (Anita Mancic) und bringt ihnen Geschenke. Milutins 14-jährige, leicht autistische Tochter Ivana (Hanna Schwamborn) bekommt von ihr Ohrringe aus dem Familienschmuck.
Ivana, deren Mutter bei ihrer Geburt starb, wollte sich an diesem Morgen vom Dach des Hochhauses stürzen. Sie stand bereits an der Dachkante, als Milutin sie von der Straße aus sah. Mit Hilfe von Anica und des für ihn arbeitenden Kleinkriminellen Stanislav (Vuk Kostić) konnte er seine Tochter vom Selbstmord abhalten. Den Ausschlag gab, dass Stanislav mit ihr zusammen an der Dachkante „Bésame mucho“ sang.
Milutin betreibt zur Tarnung mit einer Angestellten (Ana Markovic) ein Solarium. Tatsächlich verdient er sein Geld mit der Erpressung von Schutzgeldern von Kiosk- und Videotheken-Besitzern. Dabei helfen ihm Stanislav und Nikola (Ljubomir Bandović). Buca (Strahinja Bojovic), der Besitzer eines Kiosks, der sich genau an der Grenze von Milutins Viertel befindet, versucht ihm zu erklären, dass er bereits an Radovan (Josif Tatic) im benachbarten Viertel Schutzgeld habe entrichten müssen und nicht in der Lage sei, doppelt zu bezahlen. Milutin beachtet den verzweifelten Mann gar nicht. Kurz darauf befiehlt er Stanislav, Bucas Kiosk abzufackeln.
Dadurch verschärft sich der Streit zwischen den beiden älteren Bandenführern, die ohnehin noch eine Rechnung miteinander offen haben, weil Milutin glaubt, dass sein Hund von Radovans Leuten getötet wurde und darauf dessen Vogel umbringen ließ. Ein für Radovan arbeitender junger Heißsporn (Boris Jager) kann gerade noch davon abgehalten werden, auf Stanislav zu schießen.
Stanislav wohnt noch bei seiner psychisch kranken Mutter Majka (Milena Dravić), die von seinem Vater früh verlassen wurde, ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolgen als Sängerin in Paris nachtrauert und die Wirklichkeit nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Sie bildet sich ein, noch immer eine gefeierte Sängerin zu sein und lebt nur für die Auftritte in einer Gaststätte. Dabei muss Stanislav dem Wirt (Dragan Krtolina) Geld zustecken, damit dieser sie nicht hinauswirft.
Vom Fenster seines Zimmers aus kann Stanislav in Anicas Wohnung im Plattenbau gegenüber sehen. Er ahnt, dass sie vorhat, Belgrad zu verlassen. Seit seiner Schulzeit ist er in sie verliebt, aber er hat nie gewagt, es ihr zu sagen. An diesem Tag nun spricht er sie an und gesteht ihr, dass er sich von ihr Nachhilfe-Unterricht in Russisch geben ließ, obwohl er in der Schule Englisch hatte. Er wolle ihr etwas zeigen, sagt er, und sie begleitet ihn zu einer Videothek, wo er Schutzgeld kassiert und ein Video abholt, das der Besitzer Zoran (Zoran Cvijanovic) für ihn schnitt. Die Aufnahmen zeigen Stanislav beim Vorführen von Zauberkunststücken. Er träume davon, mit Anica in den Westen zu ziehen, sagt Stanislav.
Sie lässt sich zwar nicht von ihm küssen, nimmt ihn jedoch mit zu ihrem früheren Freund, der inzwischen verheiratet ist, ein Kind hat und eine Fahrschule betreibt. Stolz führt er sie in die Garage und präsentiert ihr seinen neuen Kleinwagen. Anica steigt ein – und fährt absichtlich ein halbes Dutzend Mal abwechselnd vorne und hinten gegen die Wand. Als sie endlich aus dem zu Schrott gefahrenen Auto steigt, entschuldigt sich der Besitzer bei ihr. Offenbar hatte er sie verlassen und versteht ihren Zorn.
Anica weiht Stanislav in ihre Pläne ein und verabredet sich mit ihm um 20 Uhr im Solarium. Mit dem Geld aus Milutins Safe wollen sie noch am selben Abend abreisen.
Am Nachmittag vertraut Milutin Stanislav an, dass er krank sei und nicht mehr lange leben werde. Der Gangster sagt, er habe die ganze Zeit auf eine positive Veränderung gewartet, aber es sei alles eher schlechter geworden und nun werde man in seinem Viertel auch noch einen Supermarkt eröffnen, der zu groß für Schutzgelderpressungen sei und die Kioske verdränge. Milutin schickt Stanislav mit Rosen zu seiner früheren Geliebten. Nachdem Stanislav die Blumen vor dem Hauseingang einzeln in den Schnee gesteckt hat, klingelt er und singt „Bésame mucho“. Die Frau bewirtet zwar den Boten ihres ehemaligen Liebhabers mit Tee, lässt Milutin jedoch ausrichten, dass sie ihm die Trennung vor 17 Jahren niemals verzeihen werde.
Währenddessen öffnet Anica den Tresor im Solarium. Zunächst nimmt sie das ganze Geld heraus, dann legt sie einen Teil der Banknotenbündel wieder zurück und ein Foto von ihr dazu. Auf der Fahrt zum Flughafen überlegt sie es sich plötzlich anders und kehrt zurück.
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Nun trifft sie sich doch, wie vereinbart, mit Stanislav im Solarium. Aber der Junge, der kurz zuvor Ivana ein weiteres Mal davon abhielt, vom Hausdach zu springen, erklärt ihr, dass er Belgrad nicht verlassen könne. Zaghaft versucht er, sie zum Bleiben zu überreden. Anica küsst ihn zum Abschied und fährt dann erneut zum Flughafen.
Während sie eincheckt, sitzt Milutin in dem Lokal, in dem Stanislavs Mutter singt. Er hat zehnmal das Lied „Bésame mucho“ bestellt. Er wundert sich, als Stanislav hereinkommt und in Belgrad bleiben will. Milutin ahnte Anicas Pläne und nahm an, dass der Junge mit ihr fortgehen würde. Er habe eigens etwas mehr Geld als sonst in den Safe gelegt, erklärt er Stanislav.
Der geht kurz nach draußen, um ein letztes Mal mit Anica zu telefonieren. Nachdem er das Gespräch beendet hat, merkt er, dass der Heißsporn aus Radovans Bande hinter ihm steht und eine Pistole auf ihn gerichtet hat. Verächtlich wendet Stanislav dem anderen jungen Gangster den Rücken zu und geht weg. Zwei Schüsse strecken ihn nieder. Er liegt auf dem Boden und sieht ein startendes Flugzeug über die Plattenbauten hinwegziehen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)„Liebe und andere Verbrechen“ ist eine Mischung aus Sozialdrama, Milieustudie, Großstadtmärchen und Tragikomödie. Dieser erste abendfüllende Kinofilm des Serben Stefan Arsenijević (* 1977) spielt nach den Balkankriegen in Belgrad und thematisiert die Trostlosigkeit und Perspektivlosigkeit des Lebens, das die Menschen vor die Wahl stellt, sich anzupassen oder die Stadt zu verlassen, sich umzubringen oder in eine psychische Krankheit zu flüchten. Mit moralischen Bewertungen hält Stefan Arsenijević sich in „Liebe und andere Verbrechen“ zurück. Er beobachtet die Personen im Verlauf eines einzigen Tages und benötigt nicht viel, um sie zu charakterisieren und ihre Beweggründe nachvollziehbar zu machen. Lakonisch, chronologisch und ohne Effekthascherei entwickelt er die bewegende Geschichte. Dabei baut er trotz des ernsten Themas komische Szenen ein und schreckt auch nicht vor Slapstick zurück, etwa bei dem running gag mit der Sonnenbank, die sich immer wieder ohne Zutun einschaltet.
Das in „Liebe und andere Verbrechen“ immer wieder erklingende Liebeslied „Bésame mucho“ (küsse mich) wurde 1941 von der Mexikanerin Consuelo Velázquez (1906 – 2005) komponiert und getextet. Die Melodie stammt ursprünglich von dem Spanier Enrique Granados y Campiña (1867 – 1916). Er verwendete sie sowohl in seinem Klavierstück „Quejas ó la Maja y el Ruiseñor“ (1911) als auch in der gleichnamigen Oper (1915).
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015