John Williams : Butcher's Crossing

Butcher’s Crossing
Originalausgabe: Butcher's Crossing, 1960 Neuausgabe: New York Review of Books Classic, 2007 Butcher's Crossing Übersetzung: Bernhard Robben dtv Verlagsgesellschaft, München 2016 ISBN: 978-3-423-14518-3 , 364 Seiten ISBN: 978-3-423-42770-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

William Andrews, der 23-jährige Sohn eines Geistlichen, bricht um 1873 sein Studium in Boston ab und reist nach Butcher's Crossing in Kansas, um seinen Weg in der Wildnis zu suchen. Als ihm der Jäger Miller von einer Büffelherde in den Rocky Moun­tains erzählt, finanziert er die Jagd. Zu viert brechen sie auf. Nach zwei Wochen erreichen sie das Hochtal und sehen von einem Pass aus schätzungsweise 5000 Büffel. Miller gießt Bleikugeln und füllt Patronen. Dann beginnt er zu schießen ...
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Kritik

"Butcher's Crossing" ist das Gegen­stück zu "Stoner": Der Sohn eines Geistlichen in Boston sucht seinen Weg in der Wildnis. Lakonisch und mit stupender Sachkenntnis schildert John Williams in dem außer­gewöhn­lichen Western eine Büffeljagd um 1873 in einem Hochtal der Rocky Mountains.
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Zu Beginn der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts lässt sich William Andrews mit der Kutsche von Ellsworth in Kansas nach Butcher’s Crossing bringen. Zwei Wochen zuvor stieg er in Boston in den Zug. Der 23-jährige Sohn eines Geistlichen hatte sein Studium am Harvard College abgebrochen, denn durch die Beschäftigung mit dem Philosophen Ralph Waldo Emerson war der Drang übermächtig geworden, sich in der wilden Natur zu bewähren. „Ich will nur ich selbst werden!“, sagt er. Klare Vorstellungen darüber hat er allerdings nicht.

In Butcher’s Crossing – wo auf dem Schild über dem Frisörsalon „Joe Long, Barbar“ steht – nimmt er sich ein Zimmer im einzigen Hotel und sucht am nächsten Tag den Fellgerber J. D. McDonald auf, für den er einen Brief seines Vaters bei sich hat. Vor zwölf oder vierzehn Jahren, als McDonald noch in Boston lebte, nahm er an Treffen teil, die Benjamin Andrews, ein Laienpriester der Unitarischen Kirche, organisierte.

„Ich bin in die Kirche Ihres Vaters gegangen, weil ich dachte, ich würde wen kennenlernen, der mir einen besseren Job verschaffen könnte, und aus demselben Grund fing ich an, zu seinen kleinen Treffen zu gehen. Die meiste Zeit habe ich überhaupt nicht kapiert, wovon die reden.“

McDonald kam vor vier Jahren aus Kansas City nach Butcher’s Crossing. Er schickt Jagdtrupps los, die ihm Büffelfelle besorgen, die er dann gerbt und in St. Louis verkauft. Parallel dazu hat er sich nach und nach ein halbes Dutzend Parzellen Land gesichert, weil er damit rechnet, dass der Ort in zwei, drei Jahren mit der Eisenbahn erschlossen wird. Er bietet William Andrews einen Job an: Der junge Mann könnte ihm den lästigen Papierkram abnehmen. Doch um Büroarbeit zu erledigen, hat Will nicht sein Studium abgebrochen. Ihn drängt es in die Natur. Widerstrebend nennt McDonald ihm den Namen eines erfahrenen Jägers.

Will findet Miller in Jackson’s Saloon. Er sitzt da mit dem halb verrückten Alkoholiker Charley Hoge, dem er im Winter 1862 die erfrorene rechte Hand mit einem Messer abschnitt, als sie in den Bergen eingeschneit waren. Miller kam vor vier Jahren nach Butcher’s Crossing, zur selben Zeit wie McDonald, aber er arbeitet nicht für den Fellgerber.

„Für McDonald sind ständig dreißig bis vierzig Trupps unterwegs, die ihm jede Menge Häute bringen, aber bei dem, was er zahlt, können die Männer froh sein, wenn sie damit über den Winter kommen. Ich jage deshalb nur auf eigene Faust – oder gar nicht.“

Im Herbst 1863 entdeckte er zufällig in einem abgeschiedenen Hochtal der Berge in Colorado eine riesige Büffelherde. Nun glaubt er, in dem unerfahrenen Mann aus Boston endlich einen Geldgeber für die Organisation der Jagd gefunden zu haben. Obwohl Will alles finanzieren soll, bietet ihm Miller lediglich einen Anteil von 40 Prozent am Erlös. Eine Woche benötigt Miller, um in Ellsworth drei Reitpferde, acht Ochsen als Zugtiere, ein Fuhrwerk und die restliche Ausrüstung zu besorgen. Außerdem engagiert er den erfahrenen Häuter Fred Schneider, der Will sein Handwerk beibringen soll. Miller selbst wird das Schießen übernehmen, und Charley Hoge teilt er als Kutscher ein.

Am Abend vor dem Aufbruch nimmt wird Will von der aus Deutschland stammenden jungen Hure Francine mit aufs Zimmer über Jackson’s Saloon genommen. Sie möchte mit ihm schlafen und versichert ihm, dass sie dafür keine Bezahlung erwarte: „Ich arbeite jetzt nicht.“ Will, der noch nie mit einer Frau zusammen war, schämt sich und läuft weg.

Miller schätzt, dass sie bis zu dem Hochtal in Colorado zwei Wochen unterwegs sein werden. Die vier Männer passieren Knochenfelder von abgeschlachteten Büffelherden. Als ihnen das Wasser ausgeht und sie tagelang kein frisches Wasser finden, nutzt Miller den letzten Liter, um die geschwollenen Zungen der Ochsen und Pferde mit einem Lappen zu befeuchten. Nur so überleben die Tiere, bis sie endlich an einen Bach gelangen. Der kommt aus den Bergen. Wegen der Steigung müssen sich die Männer mit den Schultern in die Speichen des Fuhrwerks stemmen, weil die acht Ochsen es allein nicht schaffen, das schwere Gefährt zu ziehen.

Weil Fred Schneider nicht glaubt, dass die vor zehn Jahren entdeckte Büffelherde noch existiert, hat er sich statt eines Anteils einen festen Monatslohn ausbedungen. Aber von einem Pass aus sehen sie schätzungsweise 5000 Büffel. Sie richten ein Lager ein und bereiten sich auf die Arbeit vor. Schneider wetzt die Messer für das Häuten. Miller gießt Bleikugeln und platziert sie zusammen mit Zündhütchen in Patronenhülsen aus Messing, die er mit Schießpulver auffüllt.

Miller und Will Andrews pirschen sich an die Herde heran. Der erfahrene Jäger weiß, dass er das Leittier an der Flucht hindern muss, um eine Stampede zu vermeiden. Nach dem alten, mit Narben übersäten Büffel erschießt er den jeweils unruhigsten Bullen, der dabei ist, zum neuen Leittier zu avancieren. Das Fehlen von Leittieren macht die Herde orientierungslos. Will erhält den Auftrag, ein zweites Gewehr und einen Eimer Wasser zu holen, denn die Waffen werden rasch heiß. Während Miller Stunde um Stunde schießt, muss Will die Gewehre kühlen und reinigen.

Seine Augen brannten vom Blinzeln im Pulverdampf, die Lungen schmerzten, weil sie ihn eingeatmet hatten; der Kopf hämmerte vom Lärm der Schüsse, und an einer Hand wuchsen Blasen vom Hantieren mit dem heißen Gewehrlauf.

135 Büffel schießt Miller am ersten Tag. Schneider zeigt Will Andrews, wie man den toten Tieren das Fell abzieht: Nach sorgfältig gesetzten Schnitten wird ein Stück Fell mit einem dünnen Seil an einen Sattelknauf gebunden, und mit jedem Rückwärtsschritt des Pferdes schält sich das Fell ein Stück weiter ab.

Nach einer Woche drängt Schneider zum Aufbruch:

„Wir haben mehr Felle, als wir zurückbringen können. Was spricht also dagegen, dass wir morgen von hier verschwinden?“
Miller stierte ihn an, als wäre er ein Fremder. „Das meinst du doch nicht ernst, Fred, oder?“

Obwohl der Wintereinbruch bevorsteht, will Miller nicht aufhören, bis er die ganze Herde getötet hat. Sein Plan ist es, so viele Felle wie möglich auf dem Fuhrwerk abzutransportieren und den aufgestapelten Rest im Frühjahr zu holen.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Am 25. Tag im Hochtal sind von den 5000 Büffeln noch knapp 300 am Leben, die sich in kleine Herden aufgeteilt haben. Erste Schneeflocken fallen: Vorboten eines Blizzards, der zwei Tage und drei Nächte lang wütet.

Die Männer haben zwei der drei Pferde und alle acht Ochsen freigelassen. In Fellsäcken liegend, überleben sie den Schneesturm trotz der Kälte. Als sich das Wetter beruhigt, zünden sie ein Feuer an und bauen aus Kiefernästen und Büffelfellen einen Unterstand. Sie sind eingeschneit und werden sechs oder acht Monate warten müssen, bis sie das Tal verlassen können.

Als der Schnee Ende April endlich so weit getaut ist, dass sie sich auf den Rückweg machen können, fangen sie die Zug- und Reittiere ein. Miller lässt den Wagen gefährlich hoch mit etwa 1500 Büffelfellen beladen. Zwei weitere Fuhren werden notwendig sein, um die restlichen 3000 Felle abzutransportieren. Damit das Fuhrwerk auf dem unebenen Boden nicht umkippt, gehen alle bis auf den Kutscher zu Fuß und halten die Ladung mit drei hoch oben angebrachten Seilen in der Balance.

Sie sind froh, als sie die Ebene erreichen. In dem Fluss, den sie überqueren müssen, finden sie eine Furt. Die vorderen Ochsen haben fast das andere Ufer erreicht, als Schneiders Pferd von einem im tosenden Wasser treibenden Baumstamm getroffen wird. Im Todeskampf zertrümmert das Pferd mit einem Huf den Schädel des abgeworfenen Reiters, und im nächsten Augenblick werden beide gegen das Fuhrwerk geschleudert. Es kippt um und reißt die Ochsen mit.

Charley Hoge, der rechtzeitig abgesprungen ist, steigt schließlich zu Miller mit aufs Pferd.

Ende Mai erreichen die drei Überlebenden Butcher’s Crossing. Die Hütte des Fellgerbers steht leer, und es sieht so aus, als sei McDonald schon lange nicht mehr da gewesen. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Im Hotel treffen die Rückkehrer auf einen Fremden, der ihnen auch nicht viel erklären kann.

„Keine Ahnung, Mister. Bin selbst erst seit ein paar Tagen hier. War auf dem Weg nach Denver, als mir das Geld ausging. Irgendwer hat gesagt, wenn ich auf dieses Haus aufpasse, kann ich behalten, was ich einnehme. Mehr weiß ich auch nicht.“

Will, der sich wie Miller und Charley Hoge monatelang nicht gewaschen und die getragenen Sachen nicht gewechselt hat, ist froh, sich in einer Wanne mit warmem Wasser abschrubben zu können. Währenddessen kauft ihm der Durchreisende, der sich vorübergehend um das Hotel kümmert, frische Sachen zum Anziehen.

McDonald finden sie im Schlafhaus. Vor dem Aufbruch zur Jagd hatte Miller mit ihm eine Abmachung getroffen: vier Dollar pro Winterfell versprach McDonald zu zahlen. Miller teilt dem Vertragspartner mit, dass noch 3000 Büffelfelle bester Qualität im Tal gestapelt seien. McDonald fragt die Besucher, ob sie die 30 000 bis 40 000 Felle vor seiner Hütte gesehen haben und erklärt ihnen, dass der Markt zusammengebrochen sei. Plötzlich will niemand mehr ein Büffelfell. Nur das Fleisch der erlegten Tiere, das nun in den Rocky Mountains vermodert, hätte verkauft werden können, und zwar an die Arbeiter, die Gleise verlegen. Allerdings wird die Eisenbahntrasse in einiger Entfernung von Butcher’s Crossing gebaut. Deshalb sind McDonalds Grundstücke wertlos. Er ist ruiniert.

Miller setzt nicht nur McDonalds Hütte in Brand, sondern schiebt mit dem Pferd auch alle Fellstapel ins Feuer. Dabei reitet er das Tier zu Tode.

Will Andrews sucht Francine auf. Diesmal läuft er nicht davon. Nach fünf Tagen und Nächten nimmt er zwei Scheine von seinem restlichen Geld, legt die übrigen ordentlich gestapelt auf den Tisch und verschwindet, während Francine noch schläft.

Er begriff jetzt kaum noch, welche Leidenschaft ihn in dieses Zimmer, zu diesem Körper gelockt hatte, fast wie durch einen subtilen Magnetismus; noch konnte er sich an die Macht jener anderen Passion erinnern, die ihn gedrängt hatte, einen halben Kontinent zu durchqueren, um in eine Wildnis vorzudringen, von der er sich erträumt hatte, er könne dort wie in einer Vision sein unveränderliches Selbst finden. Nahezu ohne Bedauern vermochte er sich nun die Eitelkeit einzugestehen, der diese Leidenschaften entsprungen waren.

William Andrews reitet los. Wohin weiß er noch nicht. Ihm ist nur klar, dass er nicht nach Boston zurückkehren wird.

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John Williams‘ Romanfigur William Stoner wird 1891 auf einer kleinen Farm in Missouri geboren. Er studiert an der Universität zunächst Landwirtschaft, dann Literatur. Statt auf die Farm zurückzukehren, bleibt er in der Stadt und wird Professor. William Andrews wächst dagegen als Sohn eines Geistlichen in Boston auf, und er bricht das Studium ab, um seinen Weg in der Wildnis zu suchen.

John Williams veröffentlichte „Butcher’s Crossing“ 1960, aber erst seit 2016 gibt es eine deutsche Übersetzung, und zwar von Bernhard Robben, der drei Jahre zuvor auch „Stoner“ ins Deutsche übertrug.

„Butcher’s Crossing“ ist ein gegen den Strich gebürsteter Western ohne Revolverhelden und Klischees. Von den normalerweise in diesem Genre verherrlichten Idealen lässt John Williams nichts übrig. Der Jäger Miller, der das Land und die Natur kennt, wie kaum ein anderer, erweist sich als Zerstörer: Mit Blasen an den Händen schießt er Stunde um Stunde, Tag um Tag, bis er fast alle 5000 Büffel einer Herde erlegt hat. Und am Ende erweisen sich alle Strapazen und der Tod eines der Beteiligten als völlig sinnlos – nicht weil die Natur zurückschlägt, sondern weil sich die Bedingungen des Geschäftemachens ändern.

Bis die kleine Gruppe von Jägern den Ort Butcher’s Crossing verlässt, nimmt sich John Williams sehr viel Zeit für Beschreibungen, aber die Lektüre entwickelt bereits auf den ersten Seiten einen Sog, weil der Autor mit stupender Sachkenntnis uns unbekannte Dinge anschaulich darstellt. Sobald dann das Abenteuer beginnt, steigert sich die Handlung bis zur erschütternden Klimax. Dabei bleibt die Sprache lakonisch, sachlich und unaufgeregt. John Williams erzählt chronologisch, stringent, leise und schnörkellos.

Es ist ein Jammer, dass dieser außergewöhnliche, großartige Roman jahrzehntelang in Vergessenheit geraten war.

Den Roman „Butcher’s Crossing“ von John Williams gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Johann von Bülow (Bearbeitung: Hannes Hametner, Regie: Ralph Schäfer, ISBN 978-3-86231-491-1).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © dtv Verlagsgesellschaft

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.