Kernspaltung
Ernest Lord Rutherford von Nelson (Nobelpreis 1906) verwirklichte den alten Traum der Alchimisten und verwandelte Elemente künstlich in andere: 1919 bestrahlte er Stickstoff mit Heliumkernen (Alpha-Teilchen) und erzeugte auf diese Weise ein Sauerstoffisotop. Mit künstlich beschleunigten Heliumkernen beschossen John Douglas Cockcroft und Ernest Welton 1932 Atomkerne, um Element-Umwandlungen hervorzurufen. Sie wurden dafür neunzehn Jahre später gemeinsam mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Ebenfalls zu Beginn der Dreißigerjahre stellte der amerikanische Physiker Ernest Orlando Lawrence (Nobelpreis 1939) mit Hilfe eines ringförmigen Akzelerators (Zyklotron) zahlreiche Isotope her. Als Irène Joliot-Curie ? die Tochter Marie Curies ? und ihr Ehemann Frédéric Joliot 1934 Bor-, Aluminium- und Magnesiumatome mit Alpha-Teilchen beschossen, erzeugten sie die ersten künstlich radioaktiven Elemente. 1935 wurden sie mit dem Nobelpreis für Physik geehrt. Den gleichen Preis erhielten 1951 die Amerikaner Edwin Mattison McMillen und Glenn Theodore Seaborg, die ? unabhängig voneinander ? zu Beginn der Vierzigerjahre die ersten Transurane gefunden hatten: radioaktive Elemente mit höheren Kernladungszahlen als Uran.
Transurane herzustellen versuchten auch Otto Hahn (Nobelpreis 1944), Lise Meitner und Fritz Straßmann am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin. Als Otto Hahn und Fritz Straßmann zu diesem Zweck im Dezember 1938 Uran mit Neutronen bombardierten, stellten sie überrascht fest, dass sie dabei waren, Uran-Atome in mittelschwere Atome (Barium, Krypton) zu zertrümmern. Das hatte man bis dahin für unmöglich gehalten! Der im Januar 1939 von Otto Hahn veröffentlichte Bericht über die Kernspaltungs-Experimente ließ deshalb die Welt aufhorchen.
Das einzige natürlich vorkommende spaltbare Element ist das Uran-Isotop mit der Massezahl 235, von dem das Uranerz etwa sieben Promille enthält. Bei der Kernspaltung entstehen nicht immer die gleichen Elemente und Isotope, aber in jedem Fall wird ein Teil der Ursprungsmasse zerstrahlt („Massendefekt“). Deshalb wurde darüber nachgedacht, wie diese Energie genutzt werden könnte.
Bei Otto Hahns Versuchen blieben die Zahl der gespaltenen Kerne und die dabei frei werdende Energie gering. Aber schon wenige Monate nach seiner Veröffentlichung entdeckte Frédéric Joliot,
dass bei der Kernspaltung durch Neutronenbeschuss weitere zwei, drei (Sekundär-)Neutronen frei werden, die ihrerseits weitere Kerne zu spalten in der Lage sind (Kettenreaktion). Bei einer zu kleinen Uranmasse entweichen zu viele Neutronen durch die relativ große Oberfläche nach außen, und die Kettenreaktion reißt ab (unterkritische Masse). Erst wenn zwei unterkritische Massen zusammengefügt werden, kann die atomare Kettenreaktion ablaufen ? kontrolliert im Kernreaktor oder explosionsartig bei der Atombombe.
Literatur zum Thema Kernspaltung
- Horst Wohlfarth: 40 Jahre Kernspaltung. Eine Einführung in die Originalliteratur (1979)
- Joachim Kahlert: Unheimliche Energie. Kernspaltung zwischen Bombe und Kraftwerk (1986)
© Dieter Wunderlich 2004
Lise Meitner (Kurzbiografie)
Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
Reaktorkatastrophe in Tschernobyl