Erich Maria Remarque : Die Nacht von Lissabon

Die Nacht von Lissabon
Die Nacht von Lissabon Kiepenheuer & Witsch, Köln / Berlin 1962 302 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein Emigrantenpaar hat es zwar 1942 bis nach Lissabon geschafft, doch um Europa verlassen zu können, wären Visa und Schiffskarten erforderlich. Ein anderer, ebenfalls aus Deutschland stammender Flüchtling bietet dem verzweifelten Mann die beiden Visa, Pässe und Schiffskarten an, die er für sich und seine Frau besorgt hat. Dafür erwartet er kein Geld, sondern dass der andere sich anhört, was er in den letzten drei Jahren erlebte ...
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Kritik

Erich Maria Remarque veranschaulicht mit seinem Roman "Die Nacht von Lissabon" was es bedeutete, vor dem Terror der Nationalsozialisten fliehen zu müssen. Die Enthumanisierung kontrastiert mit der Menschlichkeit der Hauptfiguren und einer tragischen Liebesgeschichte. Das Ergebnis: eine erschütternde Lektüre in eindrucksvollen, mitreißenden Szenen.
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Ein deutscher Emigrant, dessen Namen wir nicht erfahren, befindet sich 1942 in Lissabon und hofft darauf, mit seiner Ehefrau Ruth in die USA weiterreisen zu können. Im Hafen liegt ein Überseedampfer, der jedoch seit Wochen ausgebucht ist. In der irrwitzigen Hoffnung, im Spielkasino Glück zu haben und von dem Gewinn doch noch Schiffskarten kaufen zu können, hat er an diesem Abend sein letztes Geld verspielt. Selbst wenn Ruth und er noch Plätze auf dem Schiff bekämen, würde man sie nicht mit nach Amerika nehmen, weil sie keine Einreisevisa vorweisen könnten.

Ein anderer Deutscher, dem aufgefallen ist, wie er den Dampfer im Tejo angestarrt hat, spricht ihn an und bietet ihm zwei Karten für das Schiff an. Er will kein Geld dafür, sondern erwartet als Gegenleistung lediglich, dass der andere zuhört, wenn er von seinem Emigrantenschicksal berichtet. Der Fremde nennt sich Josef Schwarz, weist aber sogleich darauf hin, dass das nicht sein richtiger Name sei. Der Bericht dauert die ganze Nacht, und die beiden Männer müssen mehrmals von einer Lokalität in eine andere weiterziehen, weil geschlossen wird.

Josef Schwarz hatte 1930 in Osnabrück geheiratet. Georg Jürgens, der Bruder seiner Frau Helen, denunzierte ihn nach Hitlers Machtergreifung als Regimegegner. Man sperrte ihn einige Zeit in einem Konzentrationslager ein und bürgerte ihn aus. 1934 emigrierte er. Fünf Jahre lang hörte er nichts von Helen.

Obwohl er davon ausgehen muss, dass sie sich inzwischen von ihm scheiden ließ und mit einem anderen Mann zusammen lebt, nimmt er im Sommer 1939 das Risiko auf sich, noch einmal von Frankreich über die Schweiz und Österreich ins Deutsche Reich zurückzukehren, um sie wiederzusehen. In Paris bekam er 1938 den Pass eines sterbenden Österreichers. Seither ist er Josef Schwarz. Es gelingt ihm, die Grenzen zu passieren und unbehelligt nach Osnabrück zu kommen. Aber er wagt es nicht, Helen anzurufen, denn möglicherweise würde jemand anderes abheben und Verdacht schöpfen. Der befreundete Familienarzt Dr. Rudolf Martens übernimmt es, Helen zu unterrichten.

Sie hat sich nicht scheiden lassen. Mit dem geliehenen Auto einer Freundin bringt sie ihren Mann nach Münster, wo ihn niemand kennt. Sie besteht darauf, mit ihm ins Ausland zu gehen, und weil sie über einen gültigen Pass verfügt, will sie ihm mit dem Zug nach Zürich nachreisen. Ihrer Familie wird sie sagen, sie müsse sich in der Schweiz erneut einer ärztlichen Behandlung unterziehen.

An der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz wird Josef Schwarz zwar aufgegriffen, aber die Polizei findet in seinem Gepäck ein Dokument, in dem Obersturmbannführer Georg Jürgens bestätigt, dass Josef Schwarz in geheimer Mission unterwegs sei. Der Betroffene ahnte nichts von dem Papier. Helen muss es gefälscht und ihm untergeschoben haben. Damit darf Josef Schwarz die Grenze zur Schweiz überqueren. Und in Zürich trifft er seine Frau wieder.

Sie fliehen weiter über Ascona nach Paris. Dort taucht Georg Jürgens auf. Er trägt in Frankreich Zivilkleidung statt der SS-Uniform, und kann nichts dagegen unternehmen, dass Helen sich weigert, mit ihm nach Deutschland zurückzukehren.

Zehn Tage später beginnt der Krieg, und die Grenzen werden gesperrt. Die Franzosen bringen Deutsche und andere Ausländer in Internierungslager. Josef gelingt es, aus Le Vernet zu entkommen und sich zu Helens Lager durchzuschlagen. Er tauscht seine Kleidung gegen einen Monteuranzug, gibt sich als Elektriker aus und erkundigt sich nach Helen Baumann. Jeden Abend kriecht sie durch den Stacheldraht, um mit ihm im Wald zusammen zu sein.

Als die beiden erfahren, dass ihnen Georg Jürgens auf den Fersen ist, entkommt Helen aus dem Lager und sie fliehen nach Biarritz. Dort erleidet Helen einen krampfartigen Anfall. Der Arzt, den ihr Mann gegen ihren Willen holt, verschreibt ein starkes Beruhigungsmittel und klärt den Ehemann darüber auf, dass Helen unheilbar an Krebs erkrankt ist. Sie weiß es seit einer in Zürich durchgeführten Operation, hat sich gegen weitere Eingriffe entschieden und möchte weiter als Frau statt als Patientin wahrgenommen werden.

In Marseille begegnet das Paar einem Amerikaner Mitte 20, der sie gedankenlos auffordert, ihn auf der Schiffsreise in die USA zu begleiten. Als er begreift, dass dies für die Exilanten unmöglich ist, begleitet er Josef zum Konsulat seines Heimatlandes und sorgt dafür, dass der Antrag auf Visa angenommen wird, indem er für die beiden bürgt.

Kurz darauf wird Josef von Franzosen verhaftet und der Gestapo übergeben. Zunächst foltert ihn ein Sadist, dann übernimmt Georg Jürgens das Verhör. Wo Helen zu finden ist, will er wissen. Schließlich erklärt Josef sich zum Schein bereit, ihn zu ihr zu bringen. Während der Autofahrt reißt er unbemerkt den Hosenaufschlag auf, zieht eine Rasierklinge heraus und schneidet damit dem den SS-Obersturmbannführer tief in den Hals. Der röchelnde Schwerverletzte verliert die Kontrolle über den Wagen, und als sie von einem Gebüsch gestoppt werden, fällt er sterbend aus dem Fahrzeug.

Ein Fälscher ersetzt Georg Jürgens‘ Passbild durch eines von Josef. Der holt daraufhin  Helen ab. Die deutsche Limousine lenkt den Hass der vor einem Konsulat anstehenden Emigranten auf die Insassen, aber die Beamten stellen dem vermeintlichen SS-Obersturmbannführer die gewünschten Papiere aus. Auf diese Weise schaffen Josef und Helen es durch Spanien und bis nach Lissabon.

Dort tritt einige Zeit später das erhoffte Wunder ein: Josef erhält auf dem US-Konsulat die angeforderten Einreisevisa für die Staaten. Und er kauft zwei Schiffskarten.

Als er zurückkommt, liegt Helen tot am Boden. Sie hat Gift geschluckt.

Josef sieht daraufhin in einer Emigration nach Amerika keinen Sinn mehr. Er beschließt, sich der Fremdenlegion anzuschließen und gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen.

Durch seinen stundenlangen Bericht will er erreichen, dass sich jemand außer ihm an Helen erinnert. Dafür schenkt er seinem Zuhörer die beiden für ihn wertlos gewordenen Pässe mit den Visa und die Schiffskarten. Er selbst nimmt den Pass des anderen entgegen. Damit will er über die Grenze kommen. Bei der Fremdenlegion wird dann niemand nach Papieren fragen.

Das am Abend auslaufende Schiff bringt Ruth und ihren Mann nach New York.

Ein halbes Jahr später lässt sie sich von ihm scheiden.

Als der Krieg vorbei ist, kehrt er nach Europa zurück. Seinen Pass schenkt er einem nach Deutschland geflohenen Russen.

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Erich Maria Remarque veranschaulicht mit seinem Roman „Die Nacht von Lissabon“, was es bedeutete, vor dem Terror der Nationalsozialisten fliehen zu müssen.

Der Mensch war um diese Zeit nichts mehr, ein gültiger Pass alles.

Die Enthumanisierung kontrastiert mit der Menschlichkeit der Hauptfiguren und einer tragischen Liebesgeschichte. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Flüchtlingen in „Die Nacht von Lissabon“ nicht um Juden aus Deutschland, sondern um nichtjüdische Regimegegner handelt, Verfolgte wie Erich Maria Remarque selbst.

SA-Trupps verhinderten Ende 1930 die in Berlin geplante deutsche Uraufführung der Verfilmung des Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“. 1933 wurden die Schriften des Pazifisten Erich Maria Remarque (bürgerlich: Erich Paul Remark, 1898 – 1970) öffentlich verbrannt. Schon vorher hatte der aus Osnabrück stammende Schriftsteller das Deutsche Reich verlassen und sich in der Schweiz niedergelassen. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Fünf Jahre später verurteilte Roland Freisler die als Schneidermeisterin in Dresden lebende Schwester des Schriftstellers wegen regimekritischer Äußerungen („Wehrkraftzersetzung“) zum Tod. Elfriede Scholz starb am 16. Dezember 1943 in Berlin-Plötzensee unter dem Fallbeil. Erich Maria Remarque widmete ihr später den Roman „Der Funke Leben“ (1952).

Die eigentliche Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Ein deutscher Emigrant schildert einem Leidensgenossen 1942 in Lissabon, was er seit 1939 mit seiner Frau Helen auf der Flucht erlebte. Während diese Rahmenhandlung von einem namenlosen Ich-Erzähler dargestellt wird, erfahren wir alles andere aus der subjektiven Perspektive des Mannes, der sich vorübergehend Josef Schwarz nennt. (Sein wirklicher Name könnte Josef Baumann lauten, denn Helen spricht ihn mit demselben Vornamen an, und er fragt im Internierungslager der Frauen nach Helen Baumann.)

„Die Nacht von Lissabon“ bietet eine erschütternde Lektüre in eindrucksvollen Bildern und mitreißenden Szenen.

Der Roman gehört zu seiner Tetralogie über die Emigration aus dem Deutschen Reich von 1933 bis 1945: „Liebe Deinen Nächsten“ (1941) und „Arc de Triomphe“ (1945), „Die Nacht von Lissabon“ (1962) und  „Schatten im Paradies“ (1971).

Zbyněk Brynych verfilmte „Die Nacht von Lissabon“ fürs ZDF (Erstausstrahlung: 9. April 1971).

Originaltitel: Die Nacht von Lissabon – Regie: Zbyněk Brynych – Drehbuch: Zbyněk Brynych nach dem Roman „Die Nacht von Lissabon“ von Erich Maria Remarque – Kamera: Rolf Kästel – Schnitt: – Musik: Peter Thomas – Darsteller: Martin Benrath, Erika Pluhar, Horst Frank, Vadim Glowna, Hans Schweikart, Charles Regnier, Herbert Tiede, Peter Lühr, Elfriede Nossing, Tilo von Berlepsch u.a. –  Minuten

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Inhaltsangabe und Buchbesprechung: © Dieter Wunderlich 2018

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