Miranda July : Auf allen Vieren

Auf allen Vieren
All Fours Riverhead Books, New York 2024 Auf allen Vieren Übersetzung: Stefanie Jacobs Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024 ISBN 978-3-462-00117-4, 407 Seiten ISBN 978-3-462-30283-7 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eine 45-jährige Schriftstellerin bricht den geplanten Road Trip quer über den nordamerikanischen Kontinent nach ein paar Kilometern ab und verwendet ihr ganzes Geld dafür, ein schäbiges Motelzimmer neu einrichten zu lassen, das sie zwei Wochen lang bewohnen will. Warum? Weil sie einen 31-jährigen Mann begehrt, der ihr an der Tankstelle die Frontscheibe putzte.
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Kritik

Der Roman "Auf allen Vieren" dreht sich um eine Frau in der Perimenopause. Trotz des ernsten Themas hat sich Miranda July für einen nicht besonders realistischen Plot mit einer gehörigen Portion Schalk entschieden. Formal zeigt sie mit "Auf allen Vieren" keine besonderen Ambitionen. Und ihre provokativ-vulgäre Ausdrucksweise ist nichts für zarte Gemüter.
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Die Familie

Bei der Ich-Erzählerin handelt es sich um eine 45 Jahre alte Schriftstellerin. In diesem Alter stürzte sich ihre Großmutter aus dem Fenster, und deren Tochter Ruthie beendete ihr Leben 23 Jahre danach auf die gleiche Weise.

Die Schriftstellerin war 30, als sie Harris kennenlernte, ihren heutigen Ehemann. Sie leben in Los Angeles und haben ein Kind: Sam.

„Sam ist nonbinär. Geschlechtsneutrale Pronomen, dey/demm.“

Statt wie Großmutter und Tante mit Mitte 40 aus einem Fenster zu springen, beabsichtigt sie, allein mit dem Auto quer über den Kontinent nach New York zu fahren. Allerdings muss sie in knapp drei Wochen zurück sein, weil sie dann eine Verabredung mit dem weltberühmten Popstar Arkanda in Malibu hat.

Road Trip

Als sie bemerkt, dass er Tank nicht voll ist, hält sie nach 35 Kilometern an einer Tankstelle in Monrovia/Kalifornien. Unaufgefordert putzt ihr ein Mann die Frontscheibe. Das gehöre wohl zum Service, denkt sie.

Kurz darauf trifft sie ihn wieder, und es stellt sich heraus, dass Davey Boutros – so heißt der 31-Jährige – gar nicht an der Tankstelle jobbt, sondern für seinen Onkel arbeitet, der Franchise-Filialen eines Autoverleihers betreibt. Meistens sitzt er am Schalter, aber zwischendurch fährt er auch Autos von einem Standort zum anderen.

Statt ihre Fahrt nach New York fortzusetzen, nimmt sich die Schriftstellerin ein Zimmer im Motel Excelsior in Monrovia. Das für die Reise gedachte Geld, 20.000 Dollar, verwendet sie, um das schäbige Zimmer 321 renovieren und umgestalten zu lassen, und zwar von Daveys Ehefrau Claire, die an der Rezeption eines Innenarchitektenbüros arbeitet. Es bleibt nicht bei neuen Vorhängen und neuen Kacheln, sondern beispielsweise wird auch die Badewanne ausgetauscht.

Sie verabredet sich mit Davey.

Ich bereitete mich den ganzen Tag auf das Treffen mit ihm vor, duschte und cremte mich von Kopf bis Fuß ein. Ich steckte mir einen Finger tief in die Pussy und leckte ihn ab, so als wäre bald seine Zunge darin und als hätte ich die Möglichkeit, noch etwas am Geschmack zu verändern. Aber er war gut. Ein junger Mann mit hartem Schwanz fände ihn sicher zufriedenstellend, dachte ich.

Davey kommt auch in den folgenden Tagen zu ihr ins Motel-Zimmer, aber sie träumt vergeblich von Sex mit ihm, denn er will seine Ehe nicht aufs Spiel setzen, sondern sobald wie möglich mit Claire ein Haus kaufen und ein Kind zeugen.

Als er ins Bad geht, folgt sie ihm spontan.

Ich sprang auf, und bevor er es richtig merkte, kniete ich hinter ihm, streckte den Arm aus und fing seine warme Pisse in meiner überlaufenden Hand auf.

Danach darf er ihr den Tampon wechseln.

„Zuerst muss der alte raus“, sagte ich und wollte unwillkürlich zwischen meine Beine greifen. Er schob meine Hand weg. Ich saß da und spürte, wie seine großen Finger nach dem Faden fischten wie sonst normalerweise meine. Er klebte oben zwischen den Schamlippen, die wahrscheinlich nicht ganz frei von Blut waren.

Wechseljahre

Arkanda lässt den vereinbarten Termin zwar absagen, aber die Schriftstellerin kehrt planmäßig zu Mann und Kind zurück, die glauben, sie käme aus New York und nicht ahnen, dass sie sich die ganze Zeit über in einem Vorort von Los Angeles aufhielt.

Dass es ihr schwer fällt, sich wieder in das gewohnte Leben einzufügen, bleibt Harris nicht verborgen, und als er nach einiger Zeit fragt, was mit ihr los sei, antwortet sie:

„Ich … ich komm in die Wechseljahre.“
„Oh. […] Die Wechseljahre. Da muss ich mich wohl mal einlesen.“

Ihre Gedanken kommen von Davey nicht los, und in einem Telefongespräch mit ihrer Freundin Jordi meint sie:

Glaubst du, er denkt beim Wichsen noch an mich? […] Ich muss nur wissen, dass er beim Abspritzen an meinen Arsch denkt.

Harris und sie gestehen sich schließlich jeweils einen ehefreien Tag pro Woche zu, und die Erzählerin kehrt daraufhin mittwochs in „ihr“ Zimmer im Motel Excelsior zurück.

Dort trifft sie sich mit Audra, einer Freundin von Daveys Mutter Irene und erfährt, dass Davey und Claire vor zwei Monaten ein Haus in Sacramento gekauft haben und umgezogen sind. Audra ist zwar deutlich älter als sie, aber Davey war zwei Jahre lang ihr Liebhaber. Die Affäre endete erst, als seine Beziehung mit Claire ernst wurde. Während Audra weitererzählt, spielt die Zuhörerin an sich herum.

Am Anfang masturbierte ich noch halbwegs vorzeigbar – so, wie ich glaubte, dass andere Frauen masturbierten –, aber schließlich gab ich es auf, verkrampfte meinen ganzen Körper zu einer hässlichen Leichenstarre und ließ meiner wild rubbelnden Hand freien Lauf.

Die beiden Frauen befriedigen sich gegenseitig.

Ich war fassungslos, dass ich meine Lust – das kostbare letzte Aufwallen! – zu bekämpfen versucht hatte wie eine schlechte Angewohnheit, eine Sucht. Genau das Gegenteil war jetzt gefragt.

Harris hat bald eine Geliebte: Paige, eine gemeinsame Freundin. Die Affäre seiner Frau mit der Künstlerin Kris ist dagegen nur von kurzer Dauer.

Indem Harris die Rolle eines anderen Mannes spielt, kann seine Frau mit ihm reden und auch Sex mit ihm haben.

Meine Fotze sprang so heftig an, als wäre ich gebissen worden und bekäme die plötzliche Wirkung eines Gifts auf mein Nervensystem zu spüren.

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Der Roman „Auf allen Vieren“ von Miranda July dreht sich um eine 45-jährige Frau in der Perimenopause. Sie erschrickt, als sie eine Grafik anschaut, die zeigt, wie die Sexualhormone in der Pubertät hochschießen, beim Mann (Testosteron) dann allmählich absinken, bei der Frau (Östrogen) jedoch in der Menopause steil abfallen. Sie nimmt das nicht hin, sondern akzeptiert ihre neu erwachenden sexuellen Bedürfnisse – und befreit sich dadurch von den Konventionen der patriarchalischen Gesellschaft.

Der Titel „Auf allen Vieren“ bezieht sich auf eine Äußerung Jordis, der besten Freundin der Protagonistin:

Wir betrachteten zusammen die Figur aus grünem Marmor, schwarz geädert und auf Hochglanz poliert.
Es war eine Frau ohne Kopf, auf Händen und Knien.
„Es heißt immer, Doggystyle wäre so verletzlich“, sagte Jordi, „dabei ist es eigentlich die stabilste Position. Wie ein Tisch. Auf allen Vieren wirft einen so leicht nichts um.“

In Bezug auf Sam, das Kind der Hauptfigur und ihres Ehemanns Harris, lässt Miranda July die Ich-Erzählerin konsequent nur geschlechtsneutrale Pronomen wie „dey“ und „demm“ verwenden.

Obwohl es in „Auf allen Vieren“ um ein ernstes und schwieriges Thema geht, hat sich Miranda July für einen nicht besonders realistischen Plot mit einer gehörigen Portion Schalk entschieden: Eine halbwegs erfolgreiche Schriftstellerin bricht den geplanten Road Trip quer über den nordamerikanischen Kontinent nach ein paar Kilometern ab und verwendet ihr ganzes Geld dafür, ein schäbiges Motelzimmer neu einrichten zu lassen, das sie zwei Wochen lang bewohnen will. Warum? Weil sie einen 31-jährigen Mann begehrt, der ihr an der Tankstelle die Frontscheibe putzte und am Ort lebt – übrigens mit der Frau, die den Auftrag erhält, das Motelzimmer umzugestalten.

Formal zeigt Miranda July mit ihrem Roman „Auf allen Vieren“ keine besonderen Ambitionen. Und ihre provokativ-vulgäre Ausdrucksweise ist nichts für zarte Gemüter.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.