"Ehrenmord"

Einige patriarchalische, muslimische Gesellschaften halten das Individuum für unbedeutend. Sie ordnen alles den Belangen des Clans und der Familie unter. Für individuelle Rechte, Freiheit und Selbstverwirklichung gibt es in diesen Gesellschaften keinen Raum. Die Ehre der männlichen Clan- bzw. Familienmitglieder hängt nicht zuletzt davon ab, dass sie innerhalb ihres Verantwortungsbereiches ein normgerechtes Verhalten durchsetzen, also ihre Macht ausüben. Verstößt eine Angehörige oder ein Angehöriger gegen die traditionellen Regeln, wird die gesamte Familie bzw. der Clan als entehrt angesehen, von der übrigen Gemeinschaft ausgegrenzt und gemobbt – bis jemand die vermeintliche Ehre ggf. durch einen Mord wiederhergestellt hat.

In diesem Zusammenhang sind die Blutrache und der sogenannten „Ehrenmord“ zu sehen.

Opfer von „Ehrenmorden“ sind bis auf wenige Ausnahmen Frauen. Es werden aber auch homosexuelle Männer getötet (z. B.:
Ahmet Yildiz am 15. Juni 2009 in Istanbul). Die vermeintliche Entehrung wird vor allem von Frauen verursacht, die gegen die Sexualmoral ihrer Gesellschaft verstoßen, etwa durch vor- oder außerehelichen Geschlechtsverkehr. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Frau den Mann verführt hat oder vergewaltigt worden ist. Es reicht schon aus, dass sie in den Verdacht geraten ist, gegen den Moralkodex verstoßen zu haben. Auch von einer Frau, die sich gegen eine Zwangsheirat sträubt oder die westliche Lebensart übernimmt, wird angenommen, dass sie Schande über die Familie bringt.

Es geht dann nicht darum, die Frau zu bestrafen, sondern den „Schandfleck“ auszumerzen. Nur durch die Tötung der Frau, glaubt man, sei die Familienehre wiederherzustellen. Ein „Ehrenmord“ wird deshalb nicht im Affekt begangen, sondern es handelt sich um eine vorsätzliche, in der Familie beschlossene Tötung. Ausgeführt wird der „Ehrenmord“ in der Regel von nahen männlichen Verwandten, etwa dem Vater, Brüdern oder dem Ehemann. Die Täter sind stolz, weil sie überzeugt sind, durch den „Ehrenmord“ die Familienehre wiederhergestellt zu haben.

Wieviele Menschen einem „Ehrenmord“ zum Opfer fallen, ist unbekannt. Im Weltbevölkerungsbericht der UNO wird die Zahl der „Ehrenmorde“ pro Jahr auf 5000 geschätzt. Die Freiburger Kriminologen Dietrich Oberwittler und Julia Kasselt fanden in Zeitungsberichten von 1996 bis 2005 Hinweise auf 125 Gewaltverbrechen „im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände“ in Deutschland (Süddeutsche Zeitung, 1. August 2011).

Feo Aladag drehte zum Thema Ehrenmord den Kinofilm „Die Fremde“.

Literatur zum Thema „Ehrenmord“

  • Nourig Apfeld: Ich bin Zeugin des Ehrenmords an meiner Schwester. Reinbek 2010
  • Dagmar Burkhart: Eine Geschichte der Ehre. Darmstadt 2006
  • Serap Cileli: Eure Ehre, unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord. München 2010
  • Anna Caroline Cöster: Ehrenmord in Deutschland. Marburg 2009
  • Bahar Erbil: Toleranz für Ehrenmörder? Soziokulturelle Motive im Strafrecht unter besonderer Berücksichtigung des türkischen Ehrbegriffs. Berlin 2008
  • Hanife Gashi: Mein Schmerz trägt Deinen Namen. Ein Ehrenmord in Deutschland.
    Reinbek 2005
  • Franziska Harnisch und Anja Bruhn: Ehrenmorde als mutierte Blutrache in der globalisierten Welt. In: Jonas Grutzpalk et al (Hg.): Beiträge zu einer vergleichenden Soziologie der Polizei (Potsdam 2009)
  • Bernhard Heininger (Hg.): Ehrenmord und Emanzipation. Die Geschlechterfrage in Ritualen von Parallelgesellschaften. Berlin / Münster 2009
  • Ilhan Kizilhan: „Ehrenmorde“. Der unmögliche Versuch einer Erklärung. Hintergründe, Analysen, Fallbeispiele. Berlin 2006
  • Aylin Korkmaz mit Tanja Moser: Ich schrie um mein Leben. Ehrenmord mitten in Deutschland. Köln 2010
  • Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn: Die Hälfte des Himmels.
    Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen
    . München 2010
  • Ayse Önal: Warum tötet ihr? Ehrenmorde in der Türkei. Übersetzung: Elisabeth Liebl. München 2008
  • Erol Rudolf Pohlreich: „Ehrenmorde“ im Wandel des Strafrechts. Eine vergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung des römischen, französischen, türkischen und deutschen Rechts. Berlin 2009
  • Werner Schiffauer: Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt. Frankfurt 1983
  • Christine Schirrmacher: Ehrenmord. Ein Verbrechen zwischen Migration und Tradition. Rechtliche, soziologische und religiöse Aspekte. Flaach 2008
  • Souad: Bei lebendigem Leib. München 2005
  • Juno Stein: Narun. Ein Ehrenmord. Leipzig 2013

Einen Film über Hatun Sürücü drehte Sherry Horman nach einem Drehbuch von Florian Oeller und mit Almila Bagriacik in der Hauptrolle: „Nur eine Frau“.

Originaltitel: Nur eine Frau – Regie: Sherry Hormann – Drehbuch: Florian Oeller – Kamera: Judith Kaufmann – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: Fabian Römer – Darsteller: Almila Bagriacik, Aram Arami, Merve Aksoy, Mehmet Atesci, Samir Fuchs, Özgür Karadeniz, Christian Kuchenbuch, Jacob Matschenz, Meral Perin, Rauand Taleb, Lea Willkowsky, Lara Aylin Winkler u.a. – 2019; 90 Minuten

Liz Jensen - Die da kommen
Dass "Die da kommen" als Thriller verkauft wird, ist irreführend. Wer am Ende eine Auflösung, eine überraschende Erklärung der geschilderten Ereignisse erwartet, wird das Buch enttäuscht zuklappen.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.