Biergarten


Biergärten sind beliebt. Deshalb werben auch Gaststätten überall in Deutschland, die ein paar Tische und Stühle im Freien aufgestellt haben, mit Schildern, auf denen „Biergarten geöffnet“ steht. Aber nicht jede Gartenwirtschaft, jeder Wirtsgarten oder jedes Ausflugslokal ist ein Biergarten.

In einem Biergarten, der seinen Namen verdient, verzehren die Gäste Speisen, die sie selbst mitgebracht haben. Nur das Bier kaufen sie im Maßkrug an einem Ausschank. Es gibt Biergarten-Besucher, die erst einmal eine Tischdecke ausbreiten, bevor sie Teller und Besteck verteilen. Aus ihren Körben

holen sie dann Leberkäs, Wurst und Käse, Brot, Bretzn und Butter, Tomaten, Essiggurken, Rettich oder Radieschen, Senf, Salz und Pfeffer. Eine Gartenwirtschaft, in der man das nicht darf, ist kein Biergarten. Allerdings gibt es auch in den meisten Biergärten die Möglichkeit, an einem Stand Schweinswürstl, Haxen, Emmentaler, Obatztn oder einen Rettich zu kaufen. Und in dem einen oder anderen Biergarten ist ein kleines Areal abgeteilt, in dem wie in einer „normalen“ Gartenwirtschaft an gedeckten Tischen serviert wird. Übrigens: Man sollte nicht auf die Idee kommen, sich eine Pizza in den Biergarten liefern zu lassen. Das wäre ein unverzeihlicher Fauxpas. Erlaubt sind nur bayrische Schmankerl.

Die ersten Biergärten entstanden wohl schon im 18. Jahrhundert in München. Die untergärigen Biere, die damals getrunken wurden, konnten nur in der kalten Jahreszeit gebraut werden, weil die Gärung eine Temperatur zwischen vier und acht Grad Celsius voraussetzte. Deshalb und wegen der im Sommer höheren Brandgefahr beim Sieden hatte die bayerische Brauordnung von 1539 festgelegt, dass nur zwischen 29. September und 23. April Bier gebraut werden durfte. Um auch im Sommer Bier ausschenken zu können, lagerten die Brauereien das Bier im Keller. Bevor sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Kältemaschinen durchsetzten, konnte zwar im Winter Eis in den Bierkeller geschaufelt werden, aber im Sommer musste die Brauerei ohne Kühlung auskommen. Damit die Temperaturen dennoch auch im Sommer niedrig blieben, pflanzte man über den dicken Gewölben der acht bis zwölf Meter tiefen Bierkeller Kastanien an und bestreute den Boden mit Kies.

Wenn damals vorwiegend obergäriges Weißbier getrunken worden wäre, gäbe es keine Biergärten, denn das konnte man auch im Sommer brauen. Allerdings durften ohnehin nur zwei Brauereien Weizenbier herstellen. Es entsprach ja nicht dem Reinheitsgebot von 1516. Herzog Wilhelm IV. hatte 1548 den Degenberger Grafen das erste Privileg erteilt, sein Enkel Wilhelm V. erlaubte es 1586 auch Ottheinrich von Schwarzenberg in Winzer an der Donau. 1603 erwarb Maximilian I. die beiden einzigen Weißbier-Brauereien und verschaffte damit den Wittelsbachern ein lukratives Monopol.

Zurück zum Braunbier: In so einem Bierkeller konnte sich der Münchner das Bier – wie in fast jeder anderen Wirtschaft auch – in einen mitgebrachten Maßkrug füllen lassen, den er mit nach Hause nahm oder an Ort und Stelle, also im Biergarten, in Gesellschaft anderer Männer austrank. Die Brauereien stellten Tische und Stühle im Freien auf, und die Biergärten wurden im Sommer als Ausflugsziele immer beliebter. Weil die anderen Gaststätten um ihr Geschäft fürchteten, wurde 1790 angeordnet, dass das Bier im Bierkeller nur fassweise verkauft werden durfte. Aber das war nicht durchsetzbar. Deshalb erließ König Maximilian I. von Bayern am 4. Januar 1812 ein Dekret, demzufolge die Bierkeller bzw. Biergärten zwar weiterhin Bier ausschenken, aber außer Brot keine Speisen anbieten durften. Wer also im Biergarten essen wollte, musste sich selbst etwas mitbringen. Dieses Dekret gilt als Geburtsstunde des Biergartens.

Den hiesigen Bierbrauern gestattet seyn solle, auf ihren eigenen Märzenkellern in den Monaten Juni, Juli, August und September selbst gebrautes Märzenbier in Minuto zu verschleißen, und ihre Gäste dortselbst mit Bier u. Brod zu bedienen. Das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten. (Dekret vom 4. Januar 1812)

Das Verbot, Speisen im Biergarten zu verkaufen, gilt heute nicht mehr. Aber die Gepflogenheit, selbst welche mitzubringen, blieb erhalten. So heißt es in der gültigen Biergartenverordnung vom 20. April 1999:

Kennzeichnend für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung sind vor allem zwei Merkmale:
– der Gartencharakter und
– die traditionelle Betriebsform, speziell die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können, was ihn von sonstigen Außengaststätten unterscheidet.
[…] Ein Biergarten ist grundsätzlich eher Schank- als Speisewirtschaft. Solange keine Verpflichtung zur Abnahme besteht, steht die Verabreichung von Speisen dem Biergartenbegriff nicht entgegen.

Weiter heißt es in der Biergartenverordnung:

Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen, weil sie seit jeher beliebter Treffpunkt breiter Schichten der Bevölkerung sind und ein ungezwungenes, soziale Unterschiede überwindendes Miteinander ermöglichen. Die Geselligkeit und das Zusammensein im Freien wirken Vereinsamungserscheinungen im Alltag entgegen. Sie sind vor allem für die Verdichtungsräume ein ideales und unersetzliches Nahziel zur Freizeitgestaltung im Grünen. Sie sind regelmäßig gut zu erreichen und bieten gerade Besuchern mit niedrigem Einkommen und Familien, insbesondere durch die Möglichkeit zum Verzehr mitgebrachter Speisen, eine erschwingliche Gelegenheit zum Einkehren. Gerade in Gebieten mit großer Bebauungsdichte ersetzen sie vielen Bürgern den Garten.

Aufgrund ihrer Bedeutung dürfen Biergärten in Bayern trotz des unvermeidlichen Lärms am Abend länger als andere Außengaststätten geöffnet bleiben: „[…] ist die Betriebszeit so zu beenden, dass der zurechenbare Straßenverkehr bis 23.00 Uhr abgewickelt ist“, heißt es in der Biergartenverordnung vom 20. April 1999.

Biergärten gibt es in allen Größen. Der größte Münchner Biergarten, der Hirschgarten, bietet sage und schreibe 8000 Gästen Platz.

Literaturhinweise:

  • Astrid Assél, Christian Huber: München und das Bier. Auf großer Biertour durch 850 Jahre Braugeschichte (Volk Verlag, München 2009, 216 Seiten, ISBN 978-3-937200-59-0)
  • Astrid Assél, Christian Huber: Münchens vergessene Kellerstadt. Biergeschichte aus dem Untergrund (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2016, 144 Seiten, ISBN 978-3-7917-2789-9)
  • Curt Schneider, Klaus Gderra, Stefan Keil, Ernst Stürzenhofecker: Der Biergartenführer. Echte Biergärten in München und Umgebung (Knürr Verlag, München 2015, 216 Seiten, ISBN 978-3-928432-54-2)
  • Alfons Schweiggert: Ganz Bayern ist ein großer Biergarten. Interessantes und Heiteres rund um eine urbayerische Kultstätte. Mit Zeichnungen von Franz Eder (Husum Verlag, Husum 2011, 159 Seiten, ISBN 978-3898765435)

© Dieter Wunderlich 2012

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.