Tonya Harding


Tonya Harding wurde am 12. November 1970 in Portland, Oregon, als Tochter von Al Harding und dessen Ehefrau LaVona geboren. Die Familie lebte in einem Wohnwagen, und es scheint eine Menge Streit gegeben zu haben. Die Mutter brachte es im Lauf der Zeit auf sechs Ehen und eine entsprechende Anzahl Scheidungen. Tonyas Halbbruder Chris Davison starb früh, und außer ihm hatte sie keine Geschwister. Obwohl sie von klein auf an Asthma litt, entwickelte sich Tonya Harding zu einer herausragenden Eiskunstläuferin, sprang mit zwölf einen dreifachen »Lutz« und wurde bereits während der Schulzeit zu internationalen Wettbewerben eingeladen. Sie brach zwar die Highschool im zweiten Jahr ab, nahm jedoch später erfolgreich am »General Educational Development Test« teil, dessen Bestehen mit dem Highschool-Abschluss vergleichbar ist.

Zielstrebig kämpfte sich Tonya Harding zur Weltspitze der Eiskunstläuferinnen vor. Die 1,55 Meter große Sportlerin erhielt bei den US-Meisterschaften 1991 als erste Eiskunstläuferin eine 6.0-Wertung und wurde bei der vom 12. bis 17. März 1991 in München ausgetragenen Weltmeisterschaft nur von der zwanzigjährigen Kristi Yamaguchi übertroffen. Viermal versuchte sie in diesem Jahr bei offiziellen Wettkämpfen einen dreifachen »Axel«, und alle vier dieser extrem schwierigen Sprünge glückten ihr. Dafür wurde Tonya Harding bejubelt, und sie galt als eine der besten Eiskunstläuferinnen der Welt.

Leider erwies sich später, dass 1991 ihr bestes Jahr gewesen war. 1993 gelang es ihr nicht einmal, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren.

Im August desselben Jahres wurde die 1990 geschlossene Ehe der Zweiundzwanzigjährigen mit Jeff Gillooly geschieden. Obwohl Tonya Harding und ihr zwei Jahre jüngerer Mann sich während der Ehe heftig gestritten hatten, versöhnten sie sich nach der Scheidung und zogen wieder zusammen.

1994 drohten Tonya Harding weitere Misserfolge, doch dann gewann sie die US-Meisterschaften – allerdings auf dubiose Weise.

Nancy Kerrigan hatte bei der Weltmeisterschaft 1991 neben Kristi Yamaguchi und Tonya Harding auf dem Siegertreppchen gestanden und eine Bronzemedaille bekommen. Mit Dreiundzwanzig hatte sie 1993 die US-Meisterschaften gewonnen. Als Nancy Kerrigan am 6. Januar 1994 während des Trainings für die US-Meisterschaften in der Cobo Arena in Detroit die Eisfläche verließ, und die Reporterin Dana Scarton ihr ein paar Fragen stellen wollte, lief ein Mann auf sie zu, bückte sich und schlug der Eiskunstläuferin mit einer Eisenstange gegen das rechte Knie. Während Nancy Kerrigan zu Boden stürzte, rannte der Attentäter davon und sprang durch eine verschlossene Plexiglastür ins Freie, wo ein Komplize im Fluchtauto auf ihn wartete.

Die Fotos von der am Boden liegenden, vor Schreck und Schmerzen schreienden Eiskunstläuferin gingen um die Welt. Erst acht Monate zuvor, am 30. April 1993, hatte ein Fan von Steffi Graf deren Konkurrentin Monica Seles beim Viertelfinale des Internationalen Tennisturniers in Hamburg von hinten mit einem Messer in die rechte Schulter gestochen.

Nancy Kerrigan, die außer einer schmerzhaften Prellung am Knie einen Schock erlitten hatte, musste eine Woche lang im Krankenhaus behandelt werden und konnte deshalb weder an den Wettkämpfen in den USA teilnehmen noch sich für die bevorstehenden Olmypischen Winterspiele qualifizieren. Tonya Harding gewann dagegen die US-Meisterschaft.

Mitte Januar wurden Tonya Hardings sechsundzwanzigjähriger Leibwächter Shawn Eric Eckardt und ihr Ex-Mann Jeff Gillooly beschuldigt, das Attentat gegen Nancy Kerrigan initiiert zu haben.

Der neunundzwanzigjährige Derrick B. Smith gab schließlich zu, er sei am Steuer des Fluchtautos gesessen, und in Chandler, Arizona, nahm die Polizei am 15. Januar seinen zweiundzwanzigjährigen Neffen Shane Minoaka Stant fest, der mit der Eisenstange zugeschlagen hatte. Tonya Harding, die sich nun endgültig von Jeff Gillooly getrennt hatte, verlas in einer Pressekonferenz Ende Januar eine vorbereitete Erklärung, in der sie zugab, eine Woche nach dem Anschlag von der Beteiligung einiger Personen aus ihrem Umfeld erfahren und dies der Polizei zunächst verschwiegen zu haben. Eckardt und Gillooly sagten jedoch aus, Tonya Harding sei von Anfang an in die Pläne eingeweiht gewesen und habe dem Plan am 28. Dezember 2003 ausdrücklich zugestimmt.

Paparazzi und Klatschreporter jagten die »Eishexe« Tonya Harding; Fernsehsender berichteten über jeden ihrer Schritte. Sogar auf die Titelblätter der Magazine »Time« und »Newsweek« schaffte sie es. Nancy Kerrigan wiederum verkaufte Disney die ihre Person und das Attentat betreffenden Filmrechte und soll in den zwölf Monaten nach dem Anschlag 11 Millionen Dollar aus Werbeverträgen eingenommen haben. Der Skandal machte Tonya Harding und Nancy Kerrigan auch bei Leuten bekannt, die sich nicht für den Eiskunstlauf interessierten. Mit sportlichen Leistungen allein wäre das nicht zu erreichen gewesen.

Aufgrund des Verdachts, Tonya Harding sei in den Anschlag gegen Nancy Kerrigan verstrickt, drängten die Sportfunktionäre sie, auf ihre Teilnahme an den Olympischen Winterspielen vom 12. bis 27. Februar 1994 in Lillehammer zu verzichten, aber Tonya Harding ließ sich nicht davon abhalten. »Ich werde der Welt beweisen, dass ich eine Olympische Goldmedaille gewinnen kann«, prahlte sie bei ihrer Abreise aus Portland gegenüber den Reportern. Aber sie schaffte es in Lillehammer nur auf Platz 8. Nancy Kerrigan, die sich inzwischen von ihrer Verletzung erholt hatte und ausnahmsweise ohne Qualifikation zugelassen worden war, gewann dagegen eine Silbermedaille und unterlag der sechzehnjährigen Goldmedaillen-Gewinnerin Oksana Baiul aus der Ukraine nur mit einem Zehntel-Punkt.

Weil sich die Staatsanwaltschaft auf einen Deal mit Tonya Harding einließ, wurde die Frage, ob sie an dem Anschlag auf Nancy Kerrigan beteiligt gewesen war, gerichtlich nicht geklärt. Sie gab am 16. März 2004 zu, bei ihrer Vernehmung einiges verschwiegen zu haben und akzeptierte im Gegenzug eine Verurteilung wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen. Dafür erhielt sie eine dreijährige Haftstrafe, die das Gericht jedoch zur Bewährung aussetzte; sie musste 160 000 Dollar bezahlen und fünfhundert Stunden gemeinnützige Arbeit in einem Seniorenheim leisten. Bis heute beteuert Tonya Harding, von den Anschlagsplänen nichts gewusst zu haben: »Das hatte mein Ex-Mann allein eingefädelt«, sagte sie 2007 in einem »Stern«-Interview. »Den Ruf, ein Biest zu sein, werde ich aber nicht mehr los.«

Obwohl eine gerichtliche Klärung der entscheidenden Fragen unterblieb, erkannte die »U. S. Figure Skating Association« Tonya Harding den Meisterschaftstitel am 30. Juni 1994 ab und sperrte sie auf Lebenszeit von allen Wettbewerben im Eiskunstlauf.

Bevor Jeff Gillooly am 14. Juli zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde, verkaufte er einem Revolverblatt ein in der Hochzeitsnacht gedrehtes, einundzwanzig Minuten langes Heimvideo, auf dem er und Tonya Harding beim Sex zu sehen waren. Einige Aufnahmen aus dem Film erschienen in der September-Ausgabe des Männermagazins »Penthouse«.

Tonya Harding sorgte auch später noch für Schlagzeilen, etwa indem sie am 12. Februar 1997 behauptete, sie sei von einem Unbekannten entführt worden, habe aber unterwegs in einen Wald fliehen können. Die Polizei fand allerdings keine weiteren Indizien für einen Entführungsversuch.

Mehrmals kam Tonya Harding mit dem Gesetz in Konflikt. Am 24. Februar 2000 wurde sie beispielsweise zu drei Tagen Haft und zehn Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt, weil sie am Vortag ihren Jugendfreund Darren Silver mit der Faust ins Gesicht geschlagen und mit einer Radkappe beworfen hatte.

Trotz Asthmas und Übergewichts begann Tonya Harding zu boxen: 2002 gewann sie einen von 15,5 Millionen Amerikanern im Fernsehen verfolgten Schaukampf gegen Paula Jones, die Bill Clinton wegen sexueller Belästigung verklagt hatte [mehr dazu]. Am 22. Februar 2003 trat Tonya Harding zu ihrem ersten offiziellen Profi-Boxkampf an, den sie in der vierten Runde verlor. Bevor sich die Vierunddreißigjährige Anfang 2005 nach drei Siegen und ebenso vielen Niederlagen vom Profi-Boxen zurückzog, sagte sie den Journalisten: »Ich gehe zurück zum Eiskunstlaufen. Ich will den Nachwuchs trainieren. Nebenbei werde ich boxen, schauspielern und in die Werbung einsteigen.« Das blieben alles Träume.

Elizabeth Searle verarbeitete den Aufstieg und Fall von Tonya Harding in ihrem 2001 veröffentlichten Roman »Celebrities in Disgrace« und schrieb das Libretto für die im Mai 2006 uraufgeführte Rockoper »Tonya and Nancy« (Musik: Abigail Al-Doory Cross).

© Dieter Wunderlich 2007

Raoul Schrott - Das schweigende Kind
Mit dem Thema Kindesentzug und väterliches Besuchsrecht setzt Raoul Schrott sich ausschließlich literarisch auseinander. Die Sprache, die er für "Das schweigende Kind" gewählt hat, ist anspruchsvoll, geschliffen und pathetisch.

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.