Sarah Bernhardt


Die lebensfrohe holländische Putzmacherin Judith van Hard zog in jungen Jahren nach Paris und verfügte dort als Geliebte reicher Männer über sehr viel mehr Geld als je zuvor. Am 23. Oktober 1844 wurde sie von einer Tochter entbunden, deren Vater möglicherweise der Jurastudent Edouard Bernard war, der jedenfalls Alimente zahlte, ausreichend, um das lästige Kind einer Amme in Quimperlé zu überlassen. Zwei Jahre nach der Niederkunft konnte Judith van Hard sich sogar ein Haus in Neuilly für die Amme und ihre kleine Tochter Henriette-Rosine („Sarah“) leisten.

Im Alter von acht Jahren kam Sarah in ein Pensionat in Auteuil, zwei Jahre später auf Empfehlung eines aristokratischen Liebhabers ihrer Mutter auf die renommierte Klosterschule Grandchamps in Versailles.

Nach der Schulzeit schlug Judiths Gelieber Duc de Morny vor, Sarah solle Schauspielerin werden, und um sie zu überzeugen, lud er Mutter und Tochter in eine Aufführung des „Britannicus“ von Racine in der Comédie Française ein. Der Funke sprang über. Durch seine Beziehungen verschaffte der Herzog der Vierzehnjährigen die Möglichkeit, vorzusprechen und mit einer Schauspielausbildung zu beginnen. Im August 1862 debütierte Sarah Bernhardt, wie sie sich jetzt nannte, in der Comédie Française mit der Titelrolle des Stücks „Iphigenie“ von Racine.

Ein Vierteljahr später drohte die Karriere aufgrund einer handgreiflichen Auseinandersetzung von Sarah Bernhardt mit einer anderen Schauspielerin in den Kulissen zu enden: Nach ihrer Entlassung von der Comédie Française spielte sie jahrelang nur unbedeutende Rollen.

Von einem Aufenthalt in Brüssel kehrte sie schwanger nach Paris zurück. Ihre Mutter zeigte dafür trotz ihres eigenen Lebenswandels kein Verständnis, sondern warf ihre Tochter hinaus. Sarah zog mit ihrer jüngeren Halbschwester Régina in ein Apartment. Am 22. Dezember 1864 brachte sie ihr einziges Kind zur Welt: Maurice.

Unerwartet tauchte der belgische Fürst Henri de Ligne bei ihr auf, nachdem er von irgendjemand erfahren hatte, er sei Vater geworden. Er zeigte sich sogar bereit, Sarah zu heiraten, aber seine Familie drohte ihn zu enterben und redete ihm die Absichten aus.

Den Durchbruch schaffte Sarah Bernhardt 1868 mit „Kean“ von Alexandre Dumas dem Älteren im „Odéon“, einem Theater in der Nähe des Jardin du Luxembourg.

Ein Brand in ihrer Wohnung vernichtete ihre Einrichtung, und weil sie für die Schäden in Nachbarwohnungen aufkommen musste, stand sie danach auch ohne Geld da. Da gab die berühmte Sängerin Adelina Patti ein Benefizkonzert zu ihren Gunsten, damit sie ihre Schulden tilgen und eine neue Wohnungseinrichtung kaufen konnte.

Nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, in dem das „Odéon“ wie alle anderen Theater auch geschlossen blieb, gelang es Sarah Bernhardt, an die Comédie Française zurückzukehren.

Am 27. Oktober 1880 kam sie mit dem Schiff in New York an und begann eine Tournee durch 51 US-Städte, die ein halbes Jahr dauerte. Es folgte eine Gastspielreise durch England, Südfrankreich, Russland, Italien, Griechenland, Ungarn, die Schweiz, Belgien und Holland. In London ließ Königin Victoria es sich nicht nehmen, eine Aufführung der „Kameliendame“ von Alexandre Dumas dem Jüngeren

mit Sarah Bernhardt in der Hauptrolle zu besuchen, und in St. Petersburg spielte die 37-jährige Französin mit Zar Alexander III. im Publikum.

Vor ihrer Abreise nach Russland lernte sie Jacques Damala kennen, einen elf Jahre jüngeren Griechen aus einer angesehenen Familie, der als Attaché der griechischen Botschaft nach Paris gekommen war. Er folgte ihr nach St. Petersburg, ließ sich von ihrer Begeisterung für das Theater anstecken und wurde selbst Schauspieler. Am 4. April 1882 feierten die beiden in London Hochzeit.

Für ihren Ehemann eröffnete Sarah Bernhardt ein eigenes Theater unter der Leitung ihres Sohnes Maurice. Aber sie konnte nicht verhindern, dass der morphiumsüchtige Jacques Damala in ihrem Schatten stand. Nach einem besonderen Bühnenerfolg Sarah Bernhardts am 12. Dezember 1882 provozierte er einen Streit mit ihr und verließ sie.

Weil Maurice Spielschulden aus der Theaterkasse beglichen hatte, stand auch ihr Theater vor dem Bankrott. Um Geld zu verdienen, unternahm sie wieder eine Europatournee.

Bei ihrer Rückkehr nach Paris tauchte überraschend Jacques Damala wieder auf. Aber er betrog sie weiterhin und kam auch nicht von seiner Sucht los. Der endgültige Bruch folgte bald. Der Grieche hauste schließlich in einem kleinen Hotelzimmer am Stadtrand von Paris und starb 1889 an den Folgen des Morphinismus. (Fünf Jahre vorher war bereits Sarah Bernhardts Halbschwester Jeanne an der Sucht gestorben.)

Seit einer Knieverletzung litt Sarah Bernhardt unter starken Schmerzen und an einer Gehbehinderung. Nach Jahren gipsten die Ärzte das Bein ein, doch darunter starb das Gewebe ab, und am 22. Februar 1915 musste der 70-Jährigen das Bein unterhalb der Hüfte amputiert werden.

Trotz der Behinderung spielte die französische Patriotin – die sich stets geweigert hatte, in Deutschland aufzutreten – im Ersten Weltkrieg hinter der Front in Zelten, Scheunen und Lazaretten für die Soldaten. Sie unternahm sogar noch einmal eine Tournee durch die USA.

Am 25. März 1923 starb Sarah Bernhardt, die neben der vierzehn Jahre jüngeren Eleonora Duse die berühmteste Schauspielerin ihrer Zeit war und wie diese einer der ersten Weltstars überhaupt.

Ellen Sandberg - Die Vergessenen
Ellen Sandberg plädiert dafür, sich mit NS- und Kriegsverbrechen auseinanderzusetzen. Zugleich wirft sie einen kritischen Blick auf die Justiz, der es in vielen Fällen nicht gelingt, Kapitalverbrecher zu bestrafen und für Gerechtigkeit zu sorgen. "Die Vergessenen" ist ein packender, spannender Roman mit Tiefgang und einem ernsthaften Anliegen.
Die Vergessenen