Stein der Geduld

Stein der Geduld

Stein der Geduld

Stein der Geduld – Originaltitel: Syngué sabour, pierre de patience – Regie: Atiq Rahimi – Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Atiq Rahimi nach dem Roman "Stein der Geduld" von Atiq Rahimi – Kamera: Thierry Arbogast – Schnitt: Hervé de Luze – Musik: Max Richter; Mirvaïs Ahmadzaï – Darsteller: Golshifteh Farahani, Hassina Burgan, Massi Mrowat, Djavdan Djavdan u.a. – 2012; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Eine junge Afghanin pflegt ihren infolge einer Schussverletzung im Koma liegenden Ehemann. Für einen Arzt oder gar eine Krankenhausbehandlung fehlt das Geld. Ihre beiden kleinen Töchter hat sie bei einer Tante untergebracht. Sie sitzt neben dem leblosen Mann auf dem Fußboden und erzählt, was ihr durch den Kopf geht. Seit ihrer Hochzeit war sie ihm unterworfen, aber durch das Reden emanzipiert sich die Frau, und sie entscheidet jetzt selbst, was zu tun ist ...
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Kritik

"Stein der Geduld" – die Verfilmung eines Romans von Atiq Rahimi durch den Autor selbst – ist ein berührendes Kammerspiel über die Emanzipation einer Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft.
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In einer umkämpften afghanischen Kleinstadt pflegt eine junge Frau (Golshifteh Farahani) ihren sehr viel älteren, im Koma liegenden Ehemann (Hamid Djavadan). Er war in einen Streit geraten, und nun steckt ein Projektil in seinem Nacken. Für einen Arzt oder gar eine Krankenhausbehandlung fehlt das Geld. Die Frau, die auch zwei kleine Töchter (Hiba Lharrak, Aya Abida) zu versorgen hat, versucht, ihren Mann am Leben zu halten, denn ein eigenständiges Leben kennt sie nicht. Die Schwiegermutter, die Brüder und alle anderen Verwandten haben den Ort bereits wegen der fortwährenden Kämpfe verlassen.

Als die Frau von einer Besorgung zurückkommt, irrt die ebenfalls junge Nachbarin (Malak Djaham Khazal) durch den Innenhof. Sie ist verrückt geworden. Soldaten haben nicht nur ihren Ehemann (Mustapha Lamsawab) und ihren Sohn (Mostafa Jamai) ermordet und mit den Köpfen nach unten aufhängt, sondern auch ihre Tochter (Ghaya El Marouane) vergewaltigt und umgebracht.

Dem leblosen Mann nebenan haben sie die Uhr und den Ring gestohlen.

Dessen junge Frau will daraufhin ihre beiden kleinen Kinder wegbringen. Durch ihre Beharrlichkeit findet sie die neue Adresse einer Tante (Hassina Burgan) heraus, die ans andere Ende der Stadt gezogen ist. Die Tante, die sich als Prostituierte durchschlägt, nimmt ihre Nichte und deren Töchter bei sich auf. Die Nichte schläft allerdings nur bei der Tante; tagsüber kümmert sie sich um ihren Mann.

Sie setzt sich zu ihm und erzählt, was ihr durch den Kopf geht. Beispielsweise beklagt sie sich darüber, dass er in den zehn Jahren Ehe nur selten bei ihr war. Sie erinnert sich an ihren gewalttätigen Vater, der mit Kampfwachteln vergeblich Geld zu verdienen versuchte. Als er seine Wettkampfschulden nicht mehr bezahlen konnte, bot er dem 40-jährigen Gläubiger seine jüngste Tochter an.

Zwei Soldaten kommen ins Haus. Der jüngere der beiden (Massi Mrowat) stottert und wird von dem älteren und ranghöheren Soldaten fortgeschickt, der sich dann bei der jungen Frau, die ihren komatösen Ehemann hinter einem Vorhang versteckt hat, für die Nacht einrichtet. Um ihn zu vertreiben, behauptet sie, eine Prostituierte zu sein. Tatsächlich verlässt er angewidert das Haus.

Aber am nächsten Tag taucht der stotternde Soldat wieder auf und fragt die Frau, wie viel er zu bezahlen habe. Er wirft ihr Geld hin und vergewaltigt sie. An seiner Ungeschicklichkeit merkt die Frau, dass es seine erste Erfahrung mit einer Frau ist. Unter einem Kissen liegt ein Messer bereit, aber sie bringt es nicht fertig, den Jungen zu töten.

Nachdem er das Haus verlassen hat, erinnert sie sich an ihre Defloration in der Hochzeitsnacht. Obwohl sie bis dahin noch Jungfrau gewesen war, hatte sie auf Anraten der erfahrenen Tante das Laken vorsichtshalber mit Menstruationsblut befleckt.

Der junge, stotternde Soldat will erneut mit ihr zusammen sein. Während sie von ihrem Ehemann wie ein Stück Fleisch behandelt wurde, lässt sich der unerfahrene Junge bereitwillig von ihr zeigen, welche Zärtlichkeiten sie möchte. Als sie nach den Narben auf seiner Brust und seinem Rücken fragt, erfährt sie, dass es sich bei dem Stotterer um einen Waisen handelt, den der Offizier zwingt, ihm auch nachts im Bett zu dienen.

Die Frau ist ihrem Ehemann nicht länger ausgeliefert. Ohne darüber nachzu­denken, masturbiert sie ihn. Aber dann erschrickt sie darüber und sucht den Koran. Der liegt nicht mehr auf dem Wandbrett. Nachdem sie sich beruhigt hat, spricht sie weiter. Sie erzählt, dass sie sich seit der Hochzeitsnacht selbst befriedigte. Und sie gesteht, dass die beiden Töchter nicht von ihrem Ehemann gezeugt wurden. Als sie kein Kind bekam, und die Schwiegermutter ihren Sohn drängte, eine andere Frau zu heiraten, log sie der Älteren vor, sie lasse sich von einem wundertätigen Gelehrten helfen. Bei dem Mann handelte es sich jedoch um den Zuhälter ihrer Tante. Der brachte sie so lange in einem dunklen Raum mit einem Unbekannten zusammen, bis sie schwanger wurde. Auf diese Weise bekam sie auch das zweite Mädchen, obwohl ihr Ehemann unfruchtbar war.

Während sie das erzählt, kommt er zu sich. Er packt ihre Hand und versucht dann, sie zu erwürgen. In ihrer Not zieht die Frau das Messer unter einem Kissen hervor und ersticht ihn.

Der junge Soldat schaut zur Tür herein und sieht sie neben dem Toten liegen.

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Atiq Rahimi verfilmte seinen eigenen, 2008 veröffentlichten Roman „Stein der Geduld“ (Übersetzung: Lis Künzli, Ullstein Verlag, Berlin 2009, 169 Seiten). Allerdings fügte er Figuren und Handlungselemente hinzu.

Der Film „Stein der Geduld“ dreht sich um eine Frau in einer fundamentalistisch-islamischen Gesellschaft. Seit ihrer Hochzeit vor zehn Jahren war sie ihrem Mann unterworfen. Aber nun liegt er im Koma, und sie kann tun und lassen, was sie will. Durch eine Tante hat sie vom legendären Stein der Geduld gehört, dem die Menschen alles anvertrauen, bis er eines Tages zerspringt und sie vom Ballast der Vergangenheit befreit. Der komatöse Mann wird zu ihrem Stein der Geduld. Sie erzählt ihm, was ihr durch den Kopf geht. Durch das Reden emanzipiert sich die Frau, und sie entscheidet jetzt selbst, was zu tun ist.

Über die Vorgeschichte der Frau erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, ob sie eine Schule besuchte und können deshalb auch nicht beurteilen, ob die verbalen Fähigkeiten, die Atiq Rahimi ihr zuschreibt, realistisch sind.

Atiq Rahimi erzählt die berührende Geschichte im Wechsel zwischen äußeren Ereignissen und Monologen der neben ihrem komatösen Ehemann am Boden kauernden Protagonistin. Getragen wird das ruhige Kammerspiel „Stein der Geduld“ von der iranischen, in Frankreich lebenden Schauspielerin Golshifteh Farahani.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

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Bernard Ostersiek erzählt in seinem Roman "In der Kälte des Schattens" eine erschütternde Geschichte. Aber es fehlt unter anderem an Licht­blicken, die mit den vielen Ungerech­tig­keiten kontrastieren würden.
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