Maria Sibylla Merian
Eine Forscherin reist nach Südamerika –
100 Jahre vor Alexander von Humboldt
In ihren viel beachteten Büchern kombiniert Maria Sibylla Merian die Ästhetik ihrer Kupferstiche mit naturwissenschaftlichen Beschreibungen.
In einer Zeit, in der es sich für eine Frau nicht schickt, ohne männliche Begleitung ins nächste Dorf zu fahren, reist Maria Sibylla Merian mit ihrer Tochter Dorothea Maria nach Surinam, um Tiere und Pflanzen im Regenwald zu erforschen.
Maria Sibylla Merian:
Surinam
Leseprobe aus
Dieter Wunderlich: EigenSinnige Frauen. 10 Porträts
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1999 / Piper Taschenbuch, München 2004 (12. Auflage: 2011)
Im Juni 1699 schifft sich die Zweiundfünfzigjährige mit ihrer dreißig Jahre jüngeren unverheirateten Tochter auf dem Dreimaster „Willem de Ruyter“ nach Südamerika ein – genau hundert Jahre vor Alexander von Humboldt. Und das in einer Zeit, in der eine Frau ohne männliche Begleitung noch nicht einmal mit der Postkutsche in die nächste Stadt fahren darf! In die Kolonien reist eine ehrbare Frau nur mit Männern aus ihrer Familie. Allein überqueren in der Regel nur „Zuchthaushuren, betrunkene Straßenferkel und Diebinnen“ den Atlantik […]
Am Rand der 20 Kilometer von der Suriname-Mündung entfernten Hauptstadt Paramaribo richten sich Mutter und Tochter in einem Holzhaus ein, das ihnen ein gutmütiger Pflanzer zur Verfügung stellt. Kopfschüttelnd beobachten die Siedler, was die Neuankömmlinge auspacken: Präparierinstrumente, Gläser und Schachteln, Pergament, Pinsel und Farben. Keiner der Kolonisten begreift, wieso zwei Frauen solche Risiken und Anstrengungen in Kauf nehmen, um Tiere und Pflanzen zu studieren.
Ein halbes Jahr nach der Ankunft in Surinam fahren sie 65 km weiter stromaufwärts zur Plantage Providentia. Den einzigen Weg durch die Sümpfe, Mangrove- und Regenwälder bildet der braune Fluss:
Während Myriaden von Mücken die Insassen des Einbaums verfolgen, paddeln drei Indianer zwei Tage lang gegen die Strömung; dann erblicken die beiden Forscherinnen die ersten Anpflanzungen der Siedlung […]
Um nicht in der Mittagshitze arbeiten zu müssen, klettern Maria Sybilla und Dorothea Maria Merian frühmorgens aus ihren Hängematten. Indianer führen sie durch einen Urwald, „so dicht mit Disteln und Dornen verwachsen, dass ich meine Sklaven mit Beilen in der Hand vorwegschicken musste, damit sie für mich eine Öffnung hackten.“ Körbeweise sammeln die beiden Europäerinnen Schmetterlinge, Käfer und Spinnen, Schlangen und Eidechsen, Guajavefrüchte, Wunderbaumblätter und blühende Jasminzweige, die sie abends präparieren und als Vorlagen für spätere Ausarbeitungen malen. Außerdem hält Maria Sibylla Merian ihre Beobachtungen in einem Journal fest […]
In dem ebenso feuchten wie heißen Klima erkrankt Maria Sibylla Merian Anfang 1701: Kopfschmerzen wecken sie aus dem Schlaf; sie erbricht Blut und wird tagelang von Fieberanfällen geschüttelt: wahrscheinlich Gelbfieber.
Die Siedler staunen, daß sie die Krankheit überlebt. Allerdings kann sie nicht daran denken, ihre Forschungen in Surinam fortzusetzen.
Ein deutschsprachiger Nachdruck des von Maria Sibylla Merian 1705 veröffentlichten Buches „Metamorphosis Insectorum Surinamensium“ erschien 2002 im Insel-Verlag unter dem Titel „Das Insektenbuch“.
Quelle: Dieter Wunderlich, EigenSinnige Frauen. 10 Porträts
© Pustet Verlag, Regensburg 1999
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Fußnoten wurden in der Leseprobe weggelassen. Zitate:
Natalie Zemon Davis: Drei Frauenleben, 1996, S. 201 / 210