Martin Guerre


Martin Daguerre wurde um 1524 in Hendaye geboren. Drei Jahre später zog seine Familie in das Pyrenäen-Dorf Artigat. Dort änderte die Familie ihren Namen in Guerre. Als Vierzehnjähriger heiratete Martin Guerre die aus einer wohlhabenden Familie stammende Bertrande de Rols, die nach acht Jahren ihr erstes Kind zur Welt brachte: einen Sohn.

Von seinem eigenen Vater als Dieb verdächtigt, verschwand Martin Guerre 1548 spurlos. Solange er nicht für tot erklärt wurde, durfte sich Bertrande nicht wieder verheiraten.

Acht Jahre nach dem Verschwinden des Bauern tauchte ein Fremder in Artigat auf und gab sich als Martin Guerre aus. Weil er sich an Einzelheiten seines früheren Lebens zu erinnern schien, glaubten ihm die meisten Dorfbewohner, darunter auch Bertrande und seine vier Schwestern.

In den folgenden drei Jahren bekamen Martin und Bertrande Guerre noch zwei Töchter, von denen die eine allerdings nur kurz lebte.

Schließlich beanspruchte Martin Guerre das Erbe seines inzwischen verstorbenen Vaters von dessen Bruder Pierre, der mit Bertrandes verwitweter Mutter verheiratet war. Pierre Guerre und seine Frau begannen daraufhin, dem Mann zu misstrauen, der sich seit dem Sommer 1556 als Martin Guerre ausgab, zumal ein Soldat behauptete, der echte Martin Guerre habe im Krieg ein Bein verloren. Bertrande versuchte, ihren Stiefvater davon abzuhalten, etwas gegen ihren Mann zu unternehmen.

Pierre Guerre ging jedoch weiter seinem Verdacht nach und fand heraus, dass es sich bei dem Mann, der mit Bertrande zusammenlebte, vermutlich um Arnaud du Tilh aus Sajas handelte. Er und seine Frau zwangen Bertrande 1560, einer neuen Anklage gegen den mutmaßlichen Hochstapler zuzustimmen.

Das Gericht tagte in Rieux. 150 Zeugen wurden vernommen. Obwohl ihre Aussagen widersprüchlich waren und niemand den Angeklagten unzweifelhaft identifizieren konnte, verurteilte ihn das Gericht zum Tod.

Gegen das Urteil legte der Mann, bei dem es sich vielleicht um Martin Guerre, vielleicht aber auch um Arnaud du Tilh handelte, Berufung beim Parlament in Toulouse ein. Daraufhin wurden Bertrand und Pierre Guerre unter dem Verdacht festgenommen, Falschaussagen gemacht zu haben.

Martin Guerre / Arnaud du Tilh warf Pierre Guerre vor, Bertrande zum Meineid gezwungen zu haben, um das Erbe seines Bruders nicht herausgeben zu müssen. Die Richter ließen sich von dem redegewandten Martin Guerre / Arnaud du Tilh beeindrucken, zumal dieser jede ihrer Fragen klar beantworten konnte. Es sah nach einem Freispruch aus. Doch im letzten Augenblick tauchte ein Mann mit einem Holzbein auf und behauptete glaubhaft, der echte Martin Guerre zu sein. Daraufhin wurde das Todesurteil gegen Arnaud du Tilh bestätigt.

Das Urteil wurde am 12. September 1560 offiziell verkündet und vier Tage später am Galgen vollstreckt.

Der echte Martin Guerre war 1548 nach Spanien gegangen und Soldat geworden. Am 10. August 1557 hatte er in der Schlacht bei St. Quentin gegen die Franzosen gekämpft und war dabei so schwer am Bein verwundet worden, dass man es hatte amputieren müssen.

Der Jurist François Gayot de Pitaval (1673 – 1743) nahm den Fall in seine berühmte Sammlung von Kriminalfällen auf: „Causes célèbres et intéressantes, avec les jugemens qui les ont décidées“. Eine Auswahl davon wurde von Friedrich Schiller übersetzt und 1792 bis 1794 unter dem Titel „Unerhörte Kriminalfälle. Eine Sammlung berühmter und merkwürdiger Kriminalfälle“

herausgegeben (neubearbeitete Ausgabe: Paderborn 2005).

Die amerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis (* 1928) veröffentlichte 1983 das Buch „Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre“ (Übersetzung: Ute und Wolf Heinrich Leube, Wagenbach Verlag, Berlin 2004). Sie hatte zuvor Daniel Vigne bei der Inszenierung des Films „Die Wiederkehr des Martin Guerre“ beraten. Aus der Geschichte machten Claude-Michel Schönberg (Musik) und Alain Boubil (Libretto) in den Neunzigerjahren das Musical „Martin Guerre“. Jon Amiel verlagerte sie in seinem Remake „Sommersby“ vom 16. ins 19. Jahrhundert und von Südfrankreich nach Tennessee.

© Dieter Wunderlich 2008

Daniel Vigne: Die Wiederkehr des Martin Guerre
Jon Amiel: Sommersby

Patrícia Melo - Gestapelte Frauen
In ihrem ebenso zornigen wie kunstvollen Roman "Gestapelte Frauen" prangert Patrícia Melo den systemisch grundierten Femizid in einer Gesellschaft an, in der weiße Männer das Sagen haben und indigene Frauen als Freiwild gelten. Man kann das Buch als Kriminalroman lesen. Aber es ist sehr viel mehr.
Gestapelte Frauen

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.