Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe. La vie d'Adèle – Originaltitel: La vie d'Adèle – Regie: Abdellatif Kechiche – Drehbuch: Abdellatif Kechiche, Ghalia Lacroix nach dem Comic "Le Bleu est une couleur chaude" von Julie Maroh – Kamera: Sofian El Fani – Schnitt: Sophie Brunet, Ghalia Lacroix, Albertine Lastera, Jean-Marie Lengelle, Camille Toubkis – Musik: Junkie XL – Darsteller: Léa Seydoux, Adèle Exarchopoulos, Salim Kechiouche, Aurélien Recoing, Catherine Salée, Benjamin Siksou, Mona Walravens, Alma Jodorowsky, Jérémie Laheurte, Anne Loiret, Benoît Pilot, Sandor Funtek, Fanny Maurin, Maelys Cabezon u.a. – 2013; 180 Minuten

Inhaltsangabe

Nach einer unbefriedigenden Affäre mit einem Mitschüler verliebt die 17-jährige Adèle sich in Emma, eine Kunststudentin mit blau gefärbten Haaren. Während Emma und deren großbürgerliche Eltern ganz unbefangen mit der lesbischen Beziehung umgehen, verheimlicht Adèle ihren kleinbürgerlichen Eltern, dass sie mit einer Frau zusammen ist. Nach dem Schulabschluss fängt sie als Lehrerin an und ist zufrieden damit, obwohl die ehrgeizige Künstlerin Emma immer wieder versucht, sie zum Schreiben anzuregen ...
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Kritik

Sehenswert ist "Blau ist eine warme Farbe" – die Verfilmung einer Graphic Novel von Julie Maroh durch Abdellatif Kechiche – vor allem wegen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos, die den Film tragen und außergewöhnlich intensiv spielen.
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Die 17-jährige Adèle (Adèle Exarchopoulos) gehört zu einer Schulklasse in Lille, die sich mit einigen Kapiteln des Romanfragments „La vie de Marianne“ von Pierre de Marivaux beschäftigt. Die Handlung dreht sich um eine junge Frau im 18. Jahrhundert, die als Findelkind aufwuchs und von einem Aristokraten geheiratet wird. Aber Pierre de Marivaux, der keine Mitgift für seine Tochter aufbringen konnte und sie deshalb ins Kloster schickte, brach das Werk ab, weil er eine Liebesbeziehung über Klassengegensätze hinweg für utopisch hielt.

Adèle ist von der Geschichte fasziniert. Ihre Eltern (Aurélien Recoing, Catherine Salée) essen mit Vorliebe Spaghetti und legen keinen Wert auf Tischsitten.

Auf Drängen ihrer Clique lässt sie sich auf eine Affäre mit dem etwas älteren Mitschüler Thomas (Jérémie Laheurte) ein. Sie schlafen miteinander, aber Adèle beendet die Beziehung bald wieder.

Kurz darauf sagt ihr die Mitschülerin Béatrice (Alma Jodorowsky), sie sei schön und küsst sie überraschend auf den Mund. Am nächsten Tag überfällt Adèle Béatrice im Waschraum und küsst sie, aber Béatrice wehrt sie ab und erklärt ihr, sie habe aus einer Laune gehandelt und nicht, weil sie an einer lesbischen Beziehung mit ihr interessiert sei.

Während Adèle noch mit Thomas zusammen war, fiel ihr auf der Straße ein burschikoses Mädchen mit blaugefärbten Haaren auf. Als ihr Mitschüler Valentin (Sandor Funtek) sie in eine Schwulendisko mitnimmt und Adèle anschließend noch in eine Lesbenbar geht, sieht sie die junge Frau mit den blauen Haaren wieder. Sie kommen ins Gespräch. Die Frau heißt Emma (Léa Seydoux) und studiert Kunst. Bevor sie mit ihren lesbischen Freundinnen weiterzieht, fragt sie Adèle, in welche Schule diese geht.

Und am nächsten Tag holt sie Adèle dort ab. Das entgeht deren Mitschülerinnen nicht, und weil sie die Studentin aufgrund ihres Aussehens und Verhaltens für lesbisch halten, hänseln sie Adèle. Darüber kommt es zum Streit und sogar zu einer Prügelei.

Adèle und Emma treffen sich jeden Tag. Schließlich küsst Adèle ihre neue Freundin, und daraufhin geht diese mit ihr ins Bett. Es entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung zwischen den beiden jungen Frauen.

Emma stellt Adèle ihrer Mutter (Anne Loiret) und ihrem Stiefvater (Benoît Pilot) vor, die ganz unbefangen damit umgehen, dass die beiden Mädchen ein lesbisches Paar sind. Für den Abend haben sie eigens Schalentiere gekauft – ohne zu ahnen, dass Adèle so etwas nicht essen mag. Aber Emma bringt sie dazu, die Austern zu probieren.

Anders als Emma verheimlicht Adèle ihren Eltern die lesbische Beziehung und gibt Emma als Nachhilfelehrerin aus.

Emma malt Adèle und hängt die Aktbilder in ihrer Wohnung auf. Nachdem Adèle die Schule abgeschlossen und als Vorschullehrerin zu arbeiten angefangen hat, zieht sie zu Emma.

Die ehrgeizige Malerin drängt ihre Geliebte immer wieder dazu, etwas Künstlerisches zu tun und zu schreiben. Aber Adèle hält nichts davon; sie fühlt sich wohl in ihrem Beruf und arbeitet gern mit Kindern.

Als Emma ihr Diplom an der Kunstakademie erhält, organisiert Adèle eine Gartenparty und bereitet auch selbst das Essen vor. Emmas Freunde loben die Spaghetti, aber Adèle fühlt, dass sie nicht zu dem kultivierten Kreis gehört, der sich fachkundig über Künstler unterhält.

Weil sich Emmas Bilder kaum verkaufen, führt sie grafische Auftragsarbeiten aus und hat dabei häufig mit ihrer früheren Lebensgefährtin Lise (Mona Walravens) zu tun, die gerade ein Kind erwartet.

Entsprechend oft ist Adèle allein zu Hause. Weil sie sich einsam fühlt, lässt sie sich auf eine Affäre mit einem Kollegen ein. Als dieser sie nach Hause bringt und zum Abschied küsst, werden sie von Emma gesehen. Kompromisslos wirft Emma ihre Lebensgefährtin hinaus.

Verzweifelt versucht Adèle über die gescheiterte Beziehung hinwegzukommen.

Drei Jahre später verabredet sie sich mit Emma in einem Café, und sie sehen sich zum ersten Mal wieder. Emma lebt jetzt mit Lise und deren kleiner Tochter zusammen. Adèle hat einige unbedeutende Affären hinter sich, war aber nicht in der Lage, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, weil sie Emma nach wie vor liebt. Augenscheinlich empfindet auch Emma noch immer viel für sie, aber sie lässt keinen Zweifel daran, dass Adèle nur noch eine gute Freundin sein kann.

Als Emma endlich ihre erste Ausstellung in einer Galerie hat, schickt sie auch Adèle eine Einladung zur Vernissage. Adèle zieht ein blaues Kleid an und geht hin. Emma hat nicht viel Zeit für sie, denn sie muss die Fragen der Kunstinteressierten beantworten. Adèle fühlt sich verloren, bis Samir (Salim Kechiouche) sie anspricht. Sie lernten sich bei Emmas Diplomfeier vor drei Jahren kennen. Damals träumte Samir von einer Karriere als Schauspieler. Inzwischen ist er desillusioniert und verdient sein Geld als Immobilienmakler.

Nach einem kurzen Gespräch wird Samir von einem Bekannten zur Seite genommen. Adèle verlässt die Galerie und geht nach Hause. Sobald Samir ihr Fehlen bemerkt, läuft er ihr nach, sucht sie jedoch links von der Galerie, während Adèle zur anderen Seite ging.

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Der 1960 in Tunis geborene Film- und Theaterregisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Abdellatif Kechiche verfilmte die 2010 von Julie Maroh (* 1985) veröffentlichte Graphic Novel „Le Bleu est une couleur chaude“ („Blau ist eine warme Farbe“, Übersetzung: Tanja Krämling, Splitter Verlag, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-86869-695-0). Allerdings distanzierte sich Julie Maroh von dem Film „Blau ist eine warme Farbe“. Abdellatif Kechiche und Ghalia Lacroix, die zusammen das Drehbuch schrieben, halten sich auch nicht eng an die Vorlage. Beispielsweise lassen sie eine der beiden Hauptfiguren – die sie Adèle statt Clémentine nennen – nicht wie im Comic sterben.

Der Film „Blau ist eine warme Farbe. La vie d’Adèle“ bezieht sich außerdem auf ein Romanfragment aus dem 18. Jahrhundert: „La vie de Marianne“. Deshalb lautet der komplette Originaltitel „La vie d’Adèle. Chapitres 1 et 2“. Pierre Carlet de Marivaux (1688 – 1763) brach die 1726 begonnene Arbeit an dem monumentalen Roman allerdings 1742 ab. Bis dahin waren bereits zehn Bände (1731 – 1742) gedruckt worden.

Abdellatif Kechiche geht es in „Blau ist eine warme Farbe“ um eine Jugendliche auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität und die Geschichte einer leidenschaftliche Liebesbeziehung. Dass es sich dabei um zwei Frauen handelt, hält er für nebensächlich. Auch die Homophobie von Adèles Mitschülerinnen streift er nur kurz. Wichtiger ist ihm die Schwierigkeit, die sich aus der Zugehörigkeit der beiden Liebenden zu verschiedenen Gesellschaftsschichten ergibt. Damit korrespondieren auch Emmas Ehrgeiz als Künstlerin und Adèles bescheidene Ambitionen als Vor- bzw. Grundschullehrerin.

„Blau ist eine warme Farbe“ wird in abgehackten Episoden erzählt. Die Schnitte dazwischen erfolgen abrupt, und es gibt keine Überleitungen. Ein Erzählfluss entsteht also nicht. Abdellatif Kechiche legt in „Blau ist eine warme Farbe“ auch keinen Wert auf Bildkompositionen. Sofian El Fani geht mit der Kamera einfach immer dicht an die Gesichter heran. Dadurch wird der durch scheinbar belanglose Dialoge erzeugte Eindruck von Authentizität unterstrichen.

Ins Gespräch kam „Blau ist eine warme Farbe“ nicht zuletzt durch explizite Sexszenen. Sehenswert ist der Film jedoch vor allem, weil die beiden Hauptdarstellerinnen – die bei den Dreharbeiten 27 Jahre alte Léa Seydoux und die achteinhalb Jahre jüngere Adèle Exarchopoulos – außergewöhnlich intensiv spielen und den Film tragen. Adèle Exarchopoulos, die Tochter einer Krankenschwester und eines Musiklehrers, begann bereits als Kind, Theater zu spielen. Mit zwölf war sie im Fernsehen zu sehen, und 2007 gehörte sie zur Besetzung des Films „Boxes“ von Jane Birkin. Léa Seydoux ist die Tochter des Unternehmers Henri Seydoux und seiner ersten Ehefrau Valérie Schlumberger. Schauspielerin wurde sie im Alter von 21 Jahren. Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos beeindruckten auch die Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes vom 15. bis 26. Mai 2013. Deshalb wurde die „Goldene Palme“ für „Blau ist eine warme Farbe“ ausnahmsweise nicht nur dem Regisseur, sondern auch den beiden Hauptdarstellerinnen verliehen.

Die Dreharbeiten für „Blau ist eine warme Farbe“ fanden von März bis August 2012 statt. Ursprünglich hatte man nur zweieinhalb Monate dafür vorgesehen, aber damit kam der Perfektionist Abdellatif Kechiche trotz zahlreicher Überstunden nicht aus. Es heißt, er habe einzelne Szenen bis zu hundertmal wiederholen lassen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

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Die Grausamkeit, mit der die (west-)pakistanische Regierung 1971 versuchte, die Unabhängigkeit Ostpakistans zu verhindern, wird von Tahmima Anam in "Zeit der Verheißungen" am Beispiel weniger Figuren aufwühlend dargestellt.
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