Anna Maria Jokl : Die Perlmutterfarbe

Die Perlmutterfarbe
Die Perlmutterfarbe Originalausgabe: Dietz Verlag, Berlin 1948 Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt/M 1992 Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt/M 2008 ISBN: 978-3-518-46039-9, 284 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Mikrokosmos von zwei Schulklassen steht in "Die Perlmutterfarbe" für eine Gesellschaft, in der ein Außenseiter sich beweisen will, durch Lügen, Erpressung und Intrigen die Macht an sich reißt und seine Anhänger mit Feindbildern und falschen Idealen indoktriniert. Es geht auch um Ressentiments und Ausgrenzung, Feigheit und Mitläufertum. Wer in diesem Umfeld kritische Fragen stellt, wird bekämpft und verleumdet ...
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Kritik

Vielleicht stellt Anna Maria Jokl das Lehrhafte in "Die Perlmutterfarbe" ein wenig zu stark heraus. Aber sie hat sich dazu auch eine vielschichtige Geschichte ausgedacht, in der die psychologischen und gruppendynamischen Vorgänge anschaulich werden.
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Karli aus der B-Klasse, der zur Unterscheidung von seinem Namensvetter in der A-Klasse „B-Karli“ gerufen wird, bekommt von seinem Vater zum 13. Geburtstag das Buch „Wir sind alle Menschen“. Um den teuren Band mit zahlreichen Abbildungen kaufen zu können, hatte der Vater längere Zeit gespart. Am nächsten Tag nimmt B-Karli das Buch mit in die Schule. Alexander aus der A-Klasse wird darauf aufmerksam und bittet B-Karli, es ihm zu leihen, aber der hat es selbst noch nicht ganz gelesen und vertröstet Alexander deshalb auf später. In diesem Augenblick kommt der selbst in der eigenen Klasse unbeliebte Albert Gruber vorbei und tadelt seinen Klassenkameraden Alexander: „Was stellst du dich so lange mit dem blöden B hin?!“ Da reißt Alexander B-Karli das Buch aus der Hand und rennt davon.

Zu Hause bedauert er sein rüdes Verhalten. Weil er weiß, dass es nicht richtig war, zumal B-Karli immer freundlich zu ihm war, nimmt er sich vor, das Buch am nächsten Tag zurückzugeben und eine griechische Briefmarke als Entschädigung dazuzulegen.

An diesem Morgen hatte er im Zeichensaal ein Fläschchen mit Perlmutterfarbe angesehen, das seinem Freund und Mitschüler Maulwurf gehört. Als es klingelte, packte Alexander die Perlmutterfarbe ein, ohne sich etwas dabei zu denken, und niemand bemerkte es. Bevor er sie wieder mit in die Schule nimmt, probiert er sie aus und pinselt ein wenig auf ein Blatt in seinem Zeichenheft. Versehentlich stößt er das Fläschchen um, und die Perlmutterfarbe ergießt sich über das Buch „Wir sind alle Menschen“. Nun kann Alexander weder die Farbe noch das Buch zurückgeben. Stattdessen schleudert er das leere Fläschchen aus dem offenen Fenster und verbrennt das Buch im Ofen.

Am nächsten Vormittag in der Schule fürchtet Alexander sich vor dem, was auf ihn zukommt. Aber Maulwurf hat noch gar nicht gemerkt, dass die Perlmutterfarbe fehlt. Weil aber Pospischil einen Füllbleistift vermisst, Heihei drei Briefmarken und Mausi ihr neues Zeichenheft, gründet er eine Selbstschutzgruppe gegen Diebstahl und fordert Alexander arglos auf, dabei mitzumachen.

In der Pause fragt B-Karli nach seinem Buch. Alexander tut so, als wisse er nicht, von was der andere redet: „Was für ein Buch. Ich weiß von keinem Buch.“ In seiner Verzweiflung ruft B-Karli den langen Gruber als Zeugen herbei, aber der behauptet, gestern in der Pause mit Alexander zusammen im Turnsaal gewesen zu sein. „Wir sind nämlich Freunde und machen alles zusammen. Nicht wahr, Alexander? Und wenn er im Turnsaal war, wie kann er da dein Buch weggenommen haben?“

Erst am darauffolgenden Tag vermisst Maulwurf die Perlmutterfarbe und bringt es zur Sprache. Der Verdacht fällt sofort auf die B-Klasse. Die benutzt den Zeichensaal jeweils nach der A-Klasse, und die Schüler der A halten von denen der B ohnehin nicht viel. Jemand weist darauf hin, dass B-Karli auf Maulwurfs Platz sitzt. Der habe vermutlich die Perlmutterfarbe genommen, heißt es.

Am Nachmittag wird Alexander zu seiner Verwunderung erstmals von Gruber besucht. Angeblich will dieser eine Rechenaufgabe abschreiben, aber sobald er im Wohnzimmer ist, interessiert er sich nicht weiter dafür. Alexander soll ihm ein Glas Wasser aus der Küche bringen und den Hahn erst einmal eine Weile aufgedreht lassen, damit es schön kühl ist. Nachdem Gruber einen kleinen Schluck davon getrunken hat, geht er wieder.

B-Karli wird am nächsten Vormittag in die A-Klasse zitiert und zur Rede gestellt. Glaubwürdig beteuert er, die Perlmutterfarbe weder gesehen noch weggenommen zu haben, aber jemand schlägt vor, seinen Schulranzen zu durchsuchen. Gruber geht ins Klassenzimmer der B und holt ihn. Als B-Karli ihn ausleert, fällt ein zerknülltes, mit Perlmutterfarbe bemaltes Stück Papier heraus. Alexander starrt es beinahe ebenso entgeistert an wie B-Karli. Gruber muss das Blatt genommen haben, als er in der Küche war und das Wasser holte. Der „Beweis“ ist Gruber aber noch nicht genug: Er fordert Mausi auf, zu sagen, ob das Blatt aus ihrem gestohlenen Zeichenheft stammt. Obwohl ein Zeichenheft wie das andere ist, bestätigt Mausi den Verdacht. Damit scheint klar zu sein, dass B-Karli gestohlen hat und lügt. Nur Maulwurf und Lotte glauben ihm; Gruber und Alexander wissen es ohnehin besser.

Maulwurf wundert sich darüber, dass Alexander kaum noch mit ihm spricht, aber dafür ständig mit Gruber zusammen ist, der Maulwurf noch nie leiden konnte. Um die Vorwürfe gegen B-Karli aufzuklären, geht er mit Lotte, Hugo, A-Karli und Knockout hinüber zur B-Klasse. Dass jemand von der A in die B kommt, das gab es noch nie. Lächerlich finden die die Schüler der B zunächst, dass ein Mädchen zu der Abordnung gehört, aber Lotte verschafft sich schon bald mit klugen Äußerungen Respekt. Als Wortführer wird Zentner aus der B gewählt. B-Karli beteuert noch einmal seine Unschuld. Außerdem möchte er etwas sagen, aber nicht vor der ganzen Klasse, sondern vor einigen wenigen Mitschülern. Also gehen Zentner, Maulwurf, Stichflamme, Lotte, A-Karli und Brillenmeisel mit ihm hinaus. Zunächst druckst B-Karli herum, aber dann erzählt er, wie Alexander ihm das Buch stahl und Gruber den Dieb deckte. Das wollte er im Klassenzimmer nicht sagen, weil sonst nur der Koch-Hans noch mehr Argumente für seine Hetze gegen die A bekommen hätte. Maulwurf, Zentner und die anderen beschließen, B-Karlis Bericht vorerst geheim zu halten, um erst einmal weiter nachforschen zu können. Den anderen sagen sie nur, B-Karli habe sie von seiner Unschuld überzeugt.

Kurz darauf beruft Gruber eine Versammlung in Alexanders Wohnung ein und lässt sich auch durch dessen Protest nicht davon abhalten. Alexanders Mutter Klari ist zum Glück nicht zu Hause, sondern bei der Arbeit. Gruber lässt die anderen warten. Dann tritt er auf, beschwört die Gemeinschaft, bezeichnet die Mitglieder als „stolze As“ und schlägt einen ehrenvollen Gruß vor, der nur für sie gelten soll. Man einigt sich auf „ELDSA“, die Abkürzung von „Es lebe die stolze A“. Gruber hetzt gegen die Klassenkameraden, die B-Karli glauben und bezichtigt sie, mit der B-Klasse gemeinsame Sache zu machen. Das sei noch übler, behauptet er, als zur B zu gehören. Er ordnet an, ab sofort in der Pause Wachen aufzustellen, um jeden Kontakt zwischen der A und der B zu verhindern. Darüber hinaus verlangt Gruber, dass jedes ELDSA-Mitglied einen wöchentlichen Beitrag zahlt und ernennt Alexander zum Kassenwart.

Sobald Alexander jedoch das Geld eingesammelt hat und Gruber mit ihm allein ist, nimmt er es ihm ab. Er benötige es für geheime Angelegenheiten, behauptet er. Bevor er weggeht, überlässt er Alexander noch gnädig eine Mark. Davon kauft dieser sich eine Creme-Schnitte. Die schlingt er in der Konditorei hinunter. Sie schmeckt ihm überhaupt nicht, und es wird ihm übel davon.

Maulwurf und Zentner gelingt es, ein Geheimtreffen zu vereinbaren, zu dem Maulwurf seine Anhänger mitbringen soll. Weil Knockout an diesem Nachmittag seinem Vater helfen muss, der als Hausmeister beschäftigt ist, findet die Versammlung in dem Heizungskesselraum statt, in dem Knockout arbeitet. Die Teilnehmer beratschlagen, wie sie B-Karli rehabilitieren und was sie gegen die ELDSA unternehmen können. Plötzlich merkt Lotte, dass statt Hugo dessen Zwillingsbruder Heini bei ihnen sitzt, der – anders als Hugo – zu Grubers Anhängern gehört. Offenbar sollte er spionieren. Heini gibt alles zu. Um anstelle seines Bruders in den Heizungskeller kommen zu können, spielte er ihm eine gefälschte Nachricht zu, in der es heißt, das Treffen finde am Wasserturm statt. Heini befürchtet Prügel, aber er kommt mit einer Ohrfeige davon und erhält den Rat, sich am nächsten Tag krank melden zu lassen, um Gruber keinen Bericht erstatten zu müssen.

An einem der nächsten Tage erzählt Mausi, sie habe ihr Zeichenheft wiedergefunden, es sei ihr also gar nicht gestohlen worden. Gruber will nicht, dass die anderen es erfahren. Während er mit Mausi redet, stürmen einige Schüler der B-Klasse zusammen mit Maulwurf und dessen Anhängern durch den Korridor, und die ELDSA-Wache kann sie nicht aufhalten. Diese Niederlage schadet Grubers Ruf, und es kommt im eigenen Lager zu einem Aufstand: Rabe und Marhat werden daraufhin aus der Gruppe verstoßen und verprügelt.

Gruber nimmt Alexander mit zu einem geheimen Treffen mit Koch-Hans in einer Gaststätte, denn er hat gemerkt, dass Alexander unsicher geworden ist und will ihn damit beeindrucken, dass er sogar in der B-Klasse einen Verbündeten hat. Alexander begreift jedoch aufgrund der Zusammenkunft, dass es Gruber gar nicht um die Überlegenheit der A gegen die B geht, sondern um die eigene Macht. Dafür paktiert er sogar mit einem Schüler der B-Klasse. Entsetzt stellt Alexander fest, dass es sich bei den Idealen, an die Gruber ihn glauben ließ, um Selbsttäuschungen handelte. Am liebsten würde er sich von Gruber lossagen, doch als er zur Tür geht, erinnert Gruber ihn daran, dass er weiß, wer das Buch und die Perlmutterfarbe gestohlen hat.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Der Mathematiklehrer Magnetmaxl, der gegen alle Gepflogenheiten außer der A auch die B übernommen hat, unternimmt mit beiden Klassen einen Ausflug.

Während der Wanderung versuchen die ELDSA mehrmals, eine Rauferei auszulösen, aber Maulwurf, Zentner und deren Anhänger lassen sich nicht provozieren. Sie wissen, dass Gruber etwas im Schilde führt und beobachten alles genau.

Als es Magnetmaxl warm wird und er seine Jacke auszieht, gibt Meyer keine Ruhe, bevor der Lehrer ihn nicht das Kleidungsstück tragen lässt. Zwei Stunden später wird es kühl, und Magnetmaxl verlangt nach seiner Jacke. Meyer gab sie jedoch Leitner weiter. Der hat sie auch nicht mehr; nach Heihei, Zippel und Pospischil trägt Hugo sie jetzt. Der Lehrer zieht sie wieder an.

In einem Gasthaus bestellen die Schüler Suppe und Limonade. Dazu essen sie die mitgebrachten Brote. Zu Beginn des Ausflugs vertrauten einige ihr Geld dem Lehrer an. Als sie nun bezahlen wollen, vermisst Magnetmaxl seine Brieftasche. Die war in der Jacke. Herausgefallen kann sie nicht sein, weil die Innentasche zugeknöpft ist. Wer hat sie genommen? Maulwurf meldet sich und holt die Brieftasche aus seinem Rucksack. Es kommt zu einer Prügelei, bei der Gruber und seine Anhänger unterliegen.

Danach meldet Maulwurf sich zu Wort. Er und seine Leute wussten, dass Gruber eine Gemeinheit plante. Weil sie besonders aufmerksam waren, entging es ihnen nicht, dass Meyer und Gruber für kurze Zeit mit der Jacke des Lehrers in einem Gebüsch verschwanden. Gleich darauf spürte Maulwurf, dass jemand ihm etwas in den Rucksack steckte. So wie Gruber vor drei Wochen B-Karli Belastungsmaterial unterschob, machte man es mit ihm, um ihn als Dieb hinzustellen. Schließlich hält Alexander es nicht länger aus und legt ein volles Geständnis ab. Als er über die Verschwörung von Gruber und Koch-Hans berichtet, sind es die ELDSAs, die am lautesten schreien, denn sie begreifen, dass Gruber sie an der Nase herumgeführt hat.

Eine Abordnung von Schülern berät über das weitere Vorgehen. Sie treten dafür ein, Alexander noch eine Chance zu geben, Gruber jedoch von der Schule zu relegieren.

Magnetmaxl, der bis dahin geschwiegen hat, hält das für einen klugen Vorschlag. Er erzählt den Schülern, die Lehrer hätten gemerkt, dass sich etwas zusammenbraute, aber er habe seine Kollegen und den Rektor überreden können, die Lösung des Problems den Schülern zu überlassen, statt sie zu bevormunden. Sein Vertrauen in die Schüler hat sich voll bewährt.

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„Die Perlmutterfarbe“ ist ein Schulroman und – so der Untertitel – „ein Kinderroman für fast alle Leute“. Der Mikrokosmos von zwei Schulklassen steht hier für eine Gesellschaft, in der ein zu kurz gekommenes Mitglied sich beweisen will, durch Lügen, Erpressung und Intrigen die Macht an sich reißt und seine Anhänger mit Feindbildern und falschen Idealen indoktriniert. Es geht auch um Ressentiments und Ausgrenzung, Feigheit und Mitläufertum. Wer in diesem Umfeld kritische Fragen stellt, wird bekämpft und verleumdet. Die Schüler, die sich in „Die Perlmutterfarbe“ dem Tyrannen nicht unterordnen, treffen sich konspirativ in einem Heizungskeller, also gewissermaßen im Untergrund. Anna Maria Jokl hat „Die Perlmutterfarbe“ aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus geschrieben, aber der Roman prangert wie „Die Farm der Tiere“ oder „Der Herr der Fliegen“ jede Art von Totalitarismus an.

Die Lebensumstände der Schülerinnen und Schüler sind für die Dreißigerjahre typisch. Beispielsweise schreiben sie ihre Mitteilungen auf Zettel, die während des Unterrichts weitergereicht werden – SMS kennen sie noch nicht. Vielleicht stellt Anna Maria Jokl das Lehrhafte in „Die Perlmutterfarbe“ ein wenig zu stark heraus. Aber sie hat sich dazu auch eine vielschichtige Geschichte ausgedacht, bei der ein Rädchen ins andere greift. Sehr konkret und anschaulich schildert Anna Maria Jokl nicht nur die Gruppendynamik, sondern auch Skrupel und Zweifel, Gewissenskonflikte und Selbsttäuschungen eines Beteiligten.

Der Roman „Die Perlmutterfarbe“ von Anna Maria Jokl sollte bereits 1950 in Ostberlin verfilmt werden, aber die DDR-Behörden verhinderten es. Erst 2008 verfilmte Marcus H. Rosenmüller den Roman: „Die Perlmutterfarbe“.

Anna Maria Jokl wurde am 23. Januar 1911 in Wien geboren. 1927 zog die Familie nach Berlin. Den Roman „Die Perlmutterfarbe“ schrieb sie 1937 im Exil in Prag, aber das Manuskript musste sie im März 1939 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten zurücklassen. Ein Schmuggler, dem sie davon erzählt hatte, brachte es ihr zwei Wochen später aus eigenen Stücken über die polnische Grenze nach Kattowitz, wo sie auf ein Visum für England wartete. So konnte „Die Perlmutterfarbe“ 1948 veröffentlicht werden. Inzwischen war Anna Maria Jokl von England in die Schweiz emigriert. Nach dem Krieg wohnte und arbeitete sie wieder in Berlin. Von 1965 bis zu ihrem Tod am 21. Oktober 2001 lebte Anna Maria Jokl in Jerusalem.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag

Marcus H. Rosenmüller: Die Perlmutterfarbe

Marcel Beyer - Kaltenburg
Marcel Beyer verzichtet in seinem Roman "Kaltenburg" weitgehend auf dramatische Zuspitzungen, begnügt sich vielfach mit Andeutungen und schildert die Figuren und das Geschehen mitunter wie im Nebel beobachtet.
Kaltenburg