Bohumil Hrabal : Ich habe den englischen König bedient

Ich habe den englischen König bedient
Originalausgabe: Obsluhoval jsem anglického krále, 1971 Ich habe den englischen König bedient Übersetzung: Karl-Heinz Jähn Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1988 ISBN: 3-518-02295-4, 300 Seiten Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M 1990 Neuauflage: 2007 ISBN 3-518-38254-3, 303 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende kleinwüchsige Protagonist erzählt, wie er als Pikkolo im Hotel "Goldenes Prag" anfing, bald glaubte, begriffen zu haben, worauf es im Leben ankommt und deshalb beschloss, Millionär zu werden. Von Hotel zu Hotel arbeitete er sich hoch und übertraf selbst den Oberkellner Skrivanek, der den englischen König bedient hatte: Er durfte dem abessinischen Kaiser servieren ...
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Kritik

Bohumil Hrabal hat seinen Schelmenroman "Ich habe den englischen König bedient" im Duktus des mündlichen Erzählens geschrieben, und der Protagonist flunkert auch gehörig. Pech und Glück, Klamauk und Poesie liegen hier nah beieinander.
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Der Ich-Erzähler, der als uneheliches Kind bei seiner Großmutter in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, wird mit vierzehn Jahren Pikkolo im Hotel „Goldenes Prag“ in einer tschechischen Kleinstadt. Zu seinen Aufgaben gehört es, am Bahnsteig Würstchen zu verkaufen. Dass viele der Reisenden kein passendes Geld, sondern nur größere Geldscheine bei sich haben, nutzt der neue Pikkolo schamlos aus.

[…] dann klimperte ich in der Tasche mit dem Kleingeld, doch der Fahrgast schrie, ich solle das Kleingeld behalten, Hauptsache, ich gäbe die Scheine raus, und ich klaubte langsam in der Tasche die Scheine zusammen, und der Vorsteher pfiff schon, und ich zog langsam die Scheine hervor, und der Zug rollte bereits an, und ich lief neben dem Zug her, und wenn der Zug an Tempo gewann, dann hob ich die Hand, und die Geldscheine berührten gerade noch die Finger des sich streckenden Reisenden […] (Seite 8)

Als er genügend Geld ergaunert hat, klettert er eines Nachts aus dem Fenster seiner Kammer im Hotel „Goldenes Prag“ und schleicht sich ins Bordell „Bei Rajský“. Dort führt ihn Jaruska in die Liebe ein.

[…] mir war heiß, doch ich legte nur die Jacke ab, und sie sagte, auch ihr sei heiß und ob sie wohl ebenfalls das Kleid ausziehen dürfe, und ich half ihr und legte ihr Kleid ordentlich über den Stuhl, und sie knöpfte mir den Hosenlatz auf, und ich wusste nun, dass es bei Rajský weder hübsch noch schön, noch wunderbar war, sondern paradiesisch. (Seite 16)

Als er nach dem Akt durstig aus Jaruskas Glas trinkt, merkt er, dass sie statt Champagner Limonade getrunken hat. Er nimmt den Betrug nicht schwer, achtet allerdings bei seinen weiteren Bordellbesuchen darauf, dass es nicht wieder vorkommt. Ein fürstliches Trinkgeld verschafft ihm Anerkennung.

Auf der Straße fällt ihm ein Mann auf, der auf allen Vieren herumkriecht und nach einer verlorenen Münze sucht. Da wartet er, bis noch ein paar mehr Leute vorbeikommen, wirft dann eine Handvoll Kleingeld in die Luft und amüsiert sich darüber, wie die Passanten auf der Erde herumkriechen und sich über die Münzen streiten.

Herr Walden, ein überaus korpulenter Vertreter der Firma van Berkel, isst im Hotel „Goldenes Prag“ alles, was auf der Speisekarte steht und wirft zwischendurch Kleingeld auf die Straße. Als der Hotelier höflich fragt, was er da mache, antwortet er: „Dasselbe wie Sie.“ Dadurch neugierig geworden, lässt der Hotelbesitzer sich von Herrn Walden eine Präzisionswaage und ein Maschine vorführen, mit der hauchdünne Wurstscheiben geschnitten werden können.

Auf der Ablagefläche türmte sich der Aufschnitt, er wuchs, als hätte er fast die ganze Wurst in Scheiben geschnitten, obwohl sie kaum kleiner geworden war. (Seite 32)

In der Erwartung, damit viel sparen zu können, kauft der Hotelier die Geräte. Als der Pikkolo Herrn Walden eine Flasche Wasser aufs Zimmer bringt, sieht er, wie der dicke Gast am Boden liegt und die gesamte Fläche mit Banknoten auslegt. Walden, der den Pikkolo respektiert, weil er schon einmal von ihm am Bahnsteig hereingelegt wurde, rät ihm:

„Merk dir, das Geld öffnet dir den Weg in die ganze Welt.“ (Seite 51)

Durch die Vermittlung Herrn Waldens wechselt der Erzähler nach drei Jahren zum Hotel „Tichota“ in Prag. Bevor er seinen Dienst als zweiter Kellner unter dem Oberkellner Zdenek antritt, lässt er sich von einer Schneiderfirma in Pardubice einen neuen Frack anfertigen. Durch ein neuartiges System erspart das Unternehmen den Kunden zeitraubende Anproben: Ein Reisender bepflastert den Interessenten mit passenden Papierstücken. Die klebt man in der Schneiderwerkstatt auf einen Ballon und bläst diesen solange auf, bis er genau dieselbe Form wie die Büste des Kunden hat. Wie ein neugeborenes Kind mit einem Namensschildchen versehen, schweben diese Ballons bei der Schneiderfirma unter der Decke und werden bei Bedarf für die Anproben heruntergeholt.

Der Hotelier Tichota sitzt wegen seiner Leibesfülle im Rollstuhl, aber er führt ein scharfes Regiment mit seiner Trillerpfeife.

Einmal wird ein General von seinem Chauffeur gebracht. Er isst und trinkt Unmengen, obwohl er bei jedem Gang das Gesicht verzieht und behauptet, es schmecke abscheulich. Als er betrunken ist, schießt er ein Glas vom Fensterbrett. Herr Tichota gratuliert ihm zu dem Schuss und fordert ihn auf, eine geschliffene Glasträne vom venezianischen Lüster zu schießen. Dann weist er den General auf ein Einschussloch über dem Kamin hin und erzählt, es stamme von Fürst Schwarzenberg, der hier ein in die Luft geworfenes Fünfkronenstück zerschossen habe.

Am nächsten Tag kommt der General erneut, diesmal mit einem dicken Dichter, einer Musikkapelle und Fräulein, mit denen die Herren abwechselnd jeweils für ein Viertelstündchen nach oben verschwinden. Am anderen Morgen, während die Arbeiter zur Schicht unterwegs sind, lassen die Gäste sich vom Chauffeur des Generals mit einem sechssitzigen Hispano-Suizia abholen. Eines der Fräulein trägt das offen gelassene Uniform-Jackett des Generals über den blanken Brüsten und stellt sich wie eine Galionsfigur in den offenen Wagen.

Ein anderes Mal übernachtet der Staatspräsident mit einer eigens eingeflogenen Französin im Hotel „Tichota“. Aber sie lieben sich nicht im Zimmer, sondern in einem Heuhaufen auf dem Gelände.

Der Hausknecht des Hotels quetscht einen Kater, der seiner Katze nachsteigt, mit einem Ziegelstein gegen die Wand, zerhackt ihm mit einer Axt den Rücken und rammt das Tier zwischen die Stäbe eines Gitterfensters, wo es nach zwei Tagen verendet. Die Katze scheucht er fort.

Zu Unrecht als Dieb verdächtigt, wird der Erzähler hinausgeworfen. Gleich darauf trifft er zufällig Herrn Walden, der ihm ein Empfehlungsschreiben für das Hotel „Paris“ von Herrn Brandejs ausstellt.

Dort geht es jeden Donnerstag hoch her, wenn die Börsenleute in den chambres séparées die während der Woche erzielten Erfolge feiern. Das Aufräumen bleibt dem Kellner Karel vorbehalten, der dabei zwischen den Polstern das aus den Taschen gerutschte Geld, manchmal auch einen Ring, einsammelt. Eines Tages wird Karel jedoch von einem heftig niesenden Gast gestoßen, während er auf einer hoch erhobenen Hand ein Tablett mit zwölf Essen hereinbringt. Zwei der Teller gehen zu Bruch. Daraufhin wirft Karel auch alles übrige auf den Boden, wütet über seine verlorene Kellner-Ehre in der Küche, reißt das Ofenrohr heraus und lässt sich im Hotel „Paris“ nie mehr sehen.

In die frei gewordene Position des Platzkellners unter Oberkellner Skrivanek rückt der Erzähler auf. Er übernimmt auch die Betreuung der Separees, beispielsweise des so genannten Visitationskabinetts. Das hat seinen Namen deshalb, weil dort die älteren Börsenleute jede Woche ein anderes Fräulein auf den Tisch legen, ausziehen und eingehend studieren, während sie sich Kaviar und Champagner servieren lassen.

[…] setzten sie die Brillen auf und betrachteten jede Falte dieses schönen Frauenleibes und baten das Mädchen, wie auf einer Modenschau oder wie im Atelier einer Malerakademie, sich hinzustellen, aufzurichten, sich hinzuknien […] Mit unverminderter Begeisterung beschauten sich diese Greise aus der Nähe und durch die Brille hindurch hier einen angewinkelten Ellenbogen, dort von unten her die gelöste Haarfülle, da einen Spann und einen Knöchel, dann wieder den Bauch, ein anderer wieder schob sanft die schönen Gesäßbacken auseinander und betrachtete voll kindlicher Bewunderung, was sich seinen Augen darbot, ein anderer wieder schrie vor Begeisterung auf und blickte zur Zimmerdecke hinauf, als wolle er Gott selber dafür danken, dass er zwischen die gespreizten Beine des Fräuleins sehen und mit Fingern oder Lippen berühren durfte, was ihm ganz besonders gefiel … (Seite 125f)

Die Fräulein werden durch die „Visitation“ so erregt, dass sie am Ende keuchend darauf warten, dass der Erzähler zu Ende führt, was die Alten begonnen haben.

Der neue Platzkellner bewundert die Menschenkenntnis des Oberkellners Skrivanek, der nicht nur die Nationalität eintretender Gäste errät, sondern auch vorhersagen kann, was sie bestellen und wieviel Geld sie ausgeben werden. Wie er das gelernt habe, fragt der Erzähler. Die Antwort lautet:

„Ich habe den englischen König bedient.“ (Seite 120)

Einige Zeit später wird der abessinische Kaiser Haile Selassie mit seinem Gefolge in Prag erwartet. Da es in der Burg an Goldbestecken fehlt und Herr Brandejs nicht bereit ist, das Goldbesteck für 325 Gedecke des Hotels „Paris“ auszuleihen, findet das Festmahl dort statt. Dazu wird ein Kamel geschächtet, mit zwei Antilopen gefüllt, die ihrerseits mit zwanzig gefüllten Truthähnen gefüllt sind und im Ganzen am Spieß gebraten. Während des Essens bemerkt der Erzähler, dass versäumt wurde, dem Kaiser vom Moselwein einzuschenken. Ohne nachzudenken, schiebt er eine Flasche in eine Serviette, sinkt vor dem Kaiser auf die Knie und füllt dessen Glas. Danach serviert er ihm auch von dem Kamel. Am Ende führt man ihn zum Kanzler des Kaiserreichs, der ihm mit Handschlag für die vorbildliche Bedienung des Kaisers dankt und ihm einen abessinischen Orden anheftet, zu dem eine blaue Schärpe gehört.

Doch die Freude über die Auszeichnung ist von kurzer Dauer: Beim Zählen des Goldbestecks fehlt ein Kaffeelöffelchen, und der Kellner, der den abessinischen Kaiser bediente, wird verdächtigt, es gestohlen zu haben. Verzweifelt fährt der Erzähler mit einem Taxi in den Park und lässt sich von dem Fahrer einen Strick mitgeben, damit er sich an einem Ast aufhängen kann. Im Dunkeln stößt er gegen die Leiche eines Selbstmörders und prallt erschrocken zurück. In den Armen des Oberkellners Skrivanek kommt er wieder zu sich. Das Löffelchen hat man inzwischen im Abfluss der Spüle gefunden.

[…] ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Millionär zu werden, mit allen gleichzuziehen und mir später ein kleines Hotel, ein winziges Schmuckkästchen irgendwo im böhmischen Paradies zu pachten oder zu kaufen. Dann würde ich heiraten, mir eine reiche Braut nehmen und mein Geld und das meiner Frau zusammenlegen. Man würde mich achten wie andere Hoteliers auch, doch selbst wenn man mich nicht als Mensch anerkannte, als Millionär, als Hotel- und Realitätenbesitzer würde man mich anerkennen müssen […] (Seite 151f)

Bei einem Kinobesuch tritt der Erzähler unabsichtlich einer sudetendeutschen Turnlehrerin auf den Fuß. Lisa Elisabeth Papanek ist Gaumeisterin im Schwimmen, Mitglied der Partei von Konrad Henlein und stammt aus Eger, wo ihr Vater das Hotel „Zur Stadt Amsterdam“ besitzt. Um ihren neuen Freund zu sehen, kommt Lisa ins Hotel „Paris“. Das wird diesem zum Verhängnis: Weil er sich mit einer Deutschen abgibt, meiden ihn die Kollegen, und der Hotelier entlässt ihn.

Als die Deutschen in Böhmen das Sagen übernommen haben, führt der Arbeitslose seine Freundin Lisa in dem jetzt von deutschen Offizieren frequentierten Hotel „Paris“ zum Essen aus. Herr Brandejs entschuldigt sich bei ihm, aber er nimmt die Entschuldigung nicht an und zum Oberkellner Skrivanek sagt er:

„Nun, da sehen Sie, einen Dreck hat es Ihnen geholfen, dass Sie den englischen König bedient haben.“ (Seite 160)

Danach nimmt Lisa ihn mit in ihre Wohnung.

Lisa zitterte und bebte entsetzlich, und mir wurde zum erstenmal bewusst, dass ich verliebt war und geliebt wurde, es war ganz anders als früher, sie bat mich gar nicht erst, aufzupassen oder vorsichtig zu sein […] (Seite 162)

Er dekoriert ihre Scham mit Fichtenreisig aus einer Vase, wie er es sich bei den Fräulein im Bordell „Bei Rajský“ angewöhnt hatte. Lisa sorgt dafür, dass er zunächst Kellner, später Oberkellner in der ersten europäischen Station zur Edelzucht von Menschen wird, die die Nationalsozialisten in den Bergen von Tetschen eingerichtet haben. Hier wird er mit „Herr Ditie“ angesprochen, aber die schwangeren Frauen, die sich nach dem Schwimmen sonnen, betrachten ihn offenbar nicht als Mann, sondern nur als Diener, denn sie bleiben ungeniert splitternackt, wenn er ihnen kühle Getränke serviert, während sie sich kreischend Handtücher vorhalten, wenn ein betrunkener SS-Mann über den Zaun schaut oder ein Flugzeug zu hören ist.

Um Lisa heiraten zu können, lässt er sich entsprechend den Nürnberger Gesetzen untersuchen.

Und während in Prag wie auch in Brünn und bei den übrigen Gerichten, die das Exekutionsrecht besaßen, die Hinrichtungskommandos exekutierten, stand ich nackt vor dem Arzt, der mir mit einem Stöckchen das Geschlechtsteil anhob […] (Seite 175)

Um seinen Samen prüfen zu können, verlangt der Arzt von ihm, auf ein Blatt Papier zu ejakulieren.

Ich sah auf einmal, wie aus weiter Ferne, die Zeitungsberichte, dass an ein und demselben Tag die Deutschen Tschechen erschossen und ich hier an meinem Glied herumspielte, um für würdig befunden zu werden, eine Deutsche zu heiraten. Plötzlich packte mich ein Entsetzen darüber, dass ich hier, während anderswo Hinrichtungen stattfanden, vor dem Doktor stand, den Schwanz in der Hand und außerstande war, eine Erektion und ein paar Spermatropfen zu liefern. (Seite 175)

Eine Krankenschwester sorgt schließlich mit sachkundigen Griffen dafür, dass er der Aufforderung des Arztes nachkommt, und eine halbe Stunde später wird ihm mitgeteilt, dass sein Samen ausgezeichnet sei.

Also hatte das Amt zum Schutze deutscher Ehre und deutschen Blutes nichts dagegen einzuwenden, dass ich eine Arierin deutschen Blutes nahm, und man fertigte mir mit kräftigen Stempelhieben eine Heiratgenehmigung aus, während tschechische Patrioten mit den gleichen Hieben und den gleichen Stempeln zum Tode verurteilt wurden. (Seite 176f)

Die Hochzeit findet in Eger statt. Während der Feier weigern sich die deutschen Offiziere, dem tschechischen Knirps, den sie immer noch als Böhmaken verachten, die Hand zu reichen.

Sobald er mit Lisa wieder in Tetschen ist, legt Lisa tagelang Schallplatten mit Musik von Richard Wagner auf und kündigt an, dass sie von ihm erwartet, er werde einen Sohn mit ihr zeugen.

[…] ich konnte alles unter dem Eindruck des Augenblicks tun, doch als sie mir sagte, ich solle mich bereithalten, da wurde mir so zumute wie damals, als mich der Reichsdoktor entsprechend den Nürnberger Gesetzen bat, ihm auf weißem Papier ein wenig Samen zu liefern, genauso war es, als Lisa mir sagte, ich solle mich bereithalten […] (Seite 182)

Schließlich gelingt es ihm doch, Lisa zu begatten, und der neun Monate später geborene Sohn erhält den Namen Siegfried. Nach einiger Zeit ist allerdings nicht zu übersehen, dass es sich bei dem Kind um einen Kretin handelt.

Inzwischen arbeitet der Erzähler als Kellner im Restaurant „Körbchen“ in Komotau.

Als das Ende des Zweiten Weltkrieges bereits abzusehen ist, fährt er nach Prag, um Zdenek zu besuchen. Er entdeckt ihn schon am Bahnsteig: Zdenek blickt gerade genau wie er auf die Uhr. Doch bevor der Erzähler seinen früheren Oberkellner grüßen kann, wird er von drei Deutschen in Ledermänteln festgenommen und ins Gefängnis von Pankrác gebracht, wo man ihn verhört und blutig prügelt. Man hatte erfahren, dass ein Mitglied der verbotenen bolschewistischen Bewegung am Bahnsteig als Erkennungszeichen auf die Uhr sehen sollte. Dem Gefolterten wird klar, dass man ihn mit Zdenek verwechselt hat, aber er verrät ihn nicht, und nach zwei Wochen merken auch die Deutschen, dass sie einen Falschen erwischten. Sie lassen ihn frei, und er begleitet einen anderen Häftling, der zehn Jahre eingesperrt war. Er hatte seinen der Mutter untreuen Vater mit einer Axt erschlagen. Der Mörder kann es nicht glauben: Sein Heimatdorf Lidice existiert nicht mehr.

Aufgrund des falschen Verdachts wurde dem Erzähler inzwischen in Komotau gekündigt. Er fährt zu seiner Frau und den Schwiegereltern nach Eger, doch vom Hotel „Zur Stadt Amsterdam“ steht nach einem Fliegerangriff nur noch eine ausgebrannte Ruine. In den Trümmern gräbt er Lisas Leiche aus. Ihr fehlt allerdings der Kopf, und den findet er auch nicht. Bevor Lisa in einem Massengrab bestattet wird und der kleine Siegfried, der die Zerstörung überlebt hat, in ein Heim für schwachsinnige Kinder gebracht wird, reist der Witwer wieder ab.

Der kleine Koffer, den Lisa im Tod an den Körper gepresst hielt, enthält eine wertvolle Briefmarkensammlung, die sie in Lemberg nach dem Niederbrennen des Gettos und der Liquidation der Juden [Holocaust] erbeutet hatte. Vom Erlös kauft er sich ein Hotel am Rand von Prag. Weil er darin jedoch keinen Schlaf findet, erwirbt er einen Steinbruch in der Nähe von Prag, baut dort eine halbkreisförmige Hotelanlage um einen See und lässt den vierzig Meter hohen Felsen von Kletterern bepflanzen.

Die Kommunisten, die 1948 die Regierung übernehmen, sperren alle Millionäre in ein Sammellager. Der Erzähler wartet vergeblich darauf, dass er festgenommen wird. Man beschlagnahmt zwar sein neues Hotel, setzt ihn jedoch zugleich als Verwalter ein. Offenbar hat Zdenek, der inzwischen eine hohe Position einnimmt, dafür gesorgt. Statt dafür dankbar zu sein, verlangt der Erzähler, der noch nie etwas anderes sein wollte, als Millionär und Hotelbesitzer, wie die anderen Millionäre interniert zu werden. Allerdings wird er von den anderen mit ihm inhaftierten Millionären gemieden.

[…] wenn ich über meine Million zu sprechen begann, über meinen Hotelbetrieb im Steinbruch, dann verstummten die Millionäre alle und sahen weg, sie anerkannten meine Million, meine beiden Millionen nicht, und ich begriff, dass sie mich zwar unter sich duldeten, doch dass ich ihrer nicht würdig sei, denn die Millionäre hatten ihre Millionen schon lange besessen, schon vor diesem Krieg, ich dagegen war ein Kriegsgewinnler […] (Seite 241)

Da begreift er, dass er einem falschen Ziel hinterhergejagt war.

Um mehr zu sehen und zu erkennen, musste ich wahrscheinlich schwächer werden – so war das. (Seite 258)

Er meldet sich zu einer Waldarbeiter-Brigade und wird zusammen mit einem Literaturprofessor und der ehemaligen Schokoladenfabrik-Arbeiterin Marcela in einem Forsthaus einquartiert. Nach diesem Einsatz fährt er mit dem Bus nach Srní und meldet sich bei der Straßenverwaltung: Er will ein Jahr lang die Instandhaltungsarbeiten an einer unbefahrenen Bergstraße übernehmen. Mit einem Pony, einer Ziege und einem Wolfshund macht er sich auf den Weg zu seinem Einsatzort und löst dort eine Gruppe von drei Zigeunern ab, die froh sind, aus der Einsamkeit fortzukommen. Unterwegs ist ihm auch noch eine Katze zugelaufen.

Ich dachte daran, wie der Herr Literaturprofessor zu Marcela gesagt hatte, ein wahrer und welterfahrener Mensch sei, wer in die Anonymität treten könne, wer imstande sei, sich von seinem falschen Ich zu befreien. (Seite 292)

In der Einsamkeit schreibt er seine Erlebnisse auf, um sich über sein Leben klar zu werden.

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„Passen Sie auf, was ich Ihnen jetzt erzählen werde“, heißt es zu Beginn des Schelmenromans „Ich habe den englischen König bedient“, und jedes der fünf Kapitel wird durch eine ähnliche Aufforderung eingeleitet. Damit hebt Bohumil Hrabal die Bedeutung des Erzählens hervor. Dementsprechend sind die Geschichten vom Duktus des mündlichen Erzählens geprägt, und der Protagonist flunkert auch gehörig. Da liegen Pech und Glück, Lächerliches und Entscheidendes, Klamauk und Poesie nahe beieinander. Die Episoden stehen im Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen wie der Zusammenarbeit der Sudetendeutschen Partei mit den Nationalsozialisten, die Bildung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ (1939), dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und der Umwandlung der Tschechoslowakischen Republik in eine Volksdemokratie unter Führung der Kommunistischen Partei (1948).

Wegen des damals für ihn geltenden Publikationsverbotes konnte Bohumil Hrabal den 1971 fertig gestellten Roman „Ich habe den englischen König bedient“ zunächst nur inoffiziell im Selbstverlag veröffentlichen. Erst 1978 erschien das Buch in einem Kölner Exilverlag.

Der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal wurde am 28. März 1914 in Brünn geboren und wuchs in der Familie eines Brauereiangestellten in Nymburk auf. Sein 1934 in Prag begonnenes Jurastudium konnte er wegen der Schließung aller tschechischen Hochschulen durch die Nationalsozialisten erst 1946 mit der Promotion abschließen. Doch statt sich als Rechtsanwalt zu betätigen, hielt Bohumil Hrabal sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, bis ihm Mitte der Sechzigerjahre mit Erzählungen der Durchbruch als Schriftsteller gelang.

Weil Bohumil Hrabal 1968 gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts protestiert hatte, belegte man ihn mit einem Publikationsverbot, das nach einer „Selbstkritik“ 1976 aufgehoben wurde.

Bohumil Hrabal starb am 3. Februar 1997 in Prag. Er war aus einem Fenster im fünften Stock eines Krankenhauses gestürzt. Angeblich hatte er Tauben füttern wollen.

Jiri Menzel, der 1966 bereits die Erzählung „Reise nach Sondervorschrift“ von Bohumil Hrabal unter dem Titel „Liebe nach Fahrplan“ verfilmt hatte, adaptierte 2006 auch den Roman „Ich habe den englischen König bedient“ fürs Kino. In Deutschland kam der Film am 21. August 2008 in die Kinos.

Ich habe den englischen König bedient – Originaltitel: Obsluhoval jsem anglického krále – Regie: Jiri Menzel – Drehbuch: Jiri Menzel, nach dem Roman „Ich habe den englischen König bedient“ von Bohumil Hrabal – Kamera: Jaromír Sofr – Schnitt: Jirí Brozek – Darsteller: Ivan Barnev, Oldrich Kaiser, Julia Jentsch u. a. – 120 Minuten; 2006

Jede Einstellung ist ausgesprochen delikat in diesem Film, jeder einzelne Moment wird ausgekostet […] Dies ist ein kleiner Film über den Opportunismus als Triebkraft in der Weltgeschichte – aber nicht wirklich moralisch gemeint und sicher nicht satirisch […] Zwei Haltungen reiben sich aneinander, die Aufsteiger mit ihrer Wendig- und Windigkeit und daneben die aufrechten Männer mit ihren ehernen Prinzipien. (Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 21. August 2008)

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007 / 2008
Textauszüge: © Verlag Volk und Welt

Bohumil Hrabal: Ich dachte an die goldenen Zeiten

Ben Aaronovitch - Ein Wispern unter Baker Street
"Ein Wispern unter Baker Street" ist zwar keine wirklich spannende, aber durchaus amüsante Lektüre aus dem Fantasy-Genre. Ben Aaronovitch hat mit seinen bisher drei Romanen über den Londoner Constable und Zauberlehrling Peter Grant bereits viele Fans gewonnen.
Ein Wispern unter Baker Street