Sofia Andruchowytsch : Die Geschichte von Romana

Die Geschichte von Romana
Amadoka (Амадока), Lwiw 2020 Die Geschichte von Romana Amadoka-Epos 1 Übersetzung: Alexander Kratochvil, Maria Weissenböck Residenz Verlag, Salzburg / Wien 2023 ISBN 978-3-7017-1763-7, 304 Seiten ISBN 978-3-7017-4695-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Archivarin (!) Romana versucht, einem namenlos und schwerverwundet aus dem Krieg im Donbass zurückgekehrten Mann, der sich an nichts erinnern kann, eine persönliche Geschichte zu vermitteln. Romana gibt sich überzeugt, dass es sich bei ihm um den Archäologen (!) Bohdan Krywodjak handelt, mit dem sie eine Nacht verbrachte, bevor er am nächsten Morgen verschwand.
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Kritik

"Die Geschichte von Romana" ist der erste Teil des "Amadoka-Epos" von Sofia Andruchowytsch. Der Roman ist nicht einfach zu lesen, denn die ukrainische Schriftstellerin hält sich nicht mit Einführungen oder Erläuterungen auf. Sofia Andruchowytsch lässt offen, ob es sich bei dem Kriegsheimkehrer tatsächlich um Bohdan handelt, wie Romana behauptet.
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Die Archivarin

Romana wohnt in einer Datscha. Zur Arbeit fährt die Archivarin mit dem Bus nach Kiew. Das Archiv befindet sich in einem Gewölbe auf dem Areal der Sophienkathedrale.

Der Ort war völlig isoliert und abgeschieden, hatte keinen Bezug zur Stadt außerhalb der Mauern.

Der Archäologe Bohdan Krywodjak schleppt vier Koffer voll Fotos und Aufzeichnungen an, die von einer Schwester seiner Großmutter im Erdkeller aufbewahrt wurden.

Bohdan sei sich sicher, dass die Koffer genau hierher gehörten, ins Museum, damit die Archivmitarbeiterinnen ihre Arbeit tun und er dank ihnen allen, dank ihr, Romana, wer weiß was noch über seine Familie und ihre Geschichte erfahren würde.

Kurze Zeit später hält Bohdan mit dem Auto mitten im Stadtverkehr. Er hat Romana als Fußgängerin entdeckt und fordert sie zum Einsteigen auf. Bohdan nimmt sie mit in die Wohnung seines Vaters in der Prytysko-Mykilska-Straße, an deren Wänden Fotos von Patientinnen und Patienten des plastischen Chirurgen hängen. Professor Krywodjak ist nicht da. Bohdan durchwühlt Schränke und Schubfächer. Nachdem Romana sich ausgezogen hat, legt er sie auf eine übers Bett ausgebreitete Rettungsdecke.

Die Notfalldecke quietschte kalt und hart unter Romanas nacktem Rücken.

Am nächsten Morgen ging Romana nicht zur Arbeit.

Bohdan verschwindet, wie angekündigt.

Eine Prüfung des Inhalts der vier von Bohdan abgegebenen Koffer ergibt, dass nichts Bemerkenswertes dabei ist. Die Direktorin hat nichts dagegen, dass Romana das Material mitnimmt und in ihre Datscha bringt.

Der Gesichtschirurg

Romana fühlt sich auf der Straße bedroht, flüchtet in einen Hauseingang und rennt die Treppe hinauf. Eine Wohnungstür steht offen, und plötzlich steht Romana vor einem Mann, der Bohdan ähnlich sieht: Professor Krywodjak! Der sieht zunächst verblüfft aus, sagt dann aber erleichtert:

„Können Sie sofort mit der Arbeit beginnen? Hier ist etwas Unvorhergesehenes passiert. […] Sie sind doch die Putzfrau, oder? […] Ein mysteriöser Zufall: Sie sollten doch erst in einer Woche kommen, und ich hatte sogar vergessen, dass ich gebeten hatte, eine neue Putzfrau zu suchen. Was für ein glücklicher Zufall!

Krywodjak ist froh, dass die Frau sofort mit dem Aufräumen der Wohnung beginnen kann, denn Schränke stehen offen und Schubladen sind herausgezogen. Er hat bereits einen Einbruch angezeigt, und kurz nachdem Romana mit der Arbeit angefangen hat, kommen deshalb eine Polizistin und ein Polizist. Der Professor will die Anzeige jedoch zurückziehen, denn er hat seinen Sohn in Verdacht.

„Mein Sohn ist mir spinnefeind.“

Der 40-Jährige habe sich zu einem Freiwilligenbataillon gemeldet und ihm eine kurze Notiz zukommen lassen, erklärt er.

Die Ehefrau des plastischen Chirurgen, eine Musiklehrerin, liegt mit Krebs im Endstadium im Krankenhaus, und Bohdan hat sich geweigert, seine Mutter zu besuchen,

„die mittlerweile fast wie eine vertrocknete Grille oder eine skythische Mumie aus dem vierten Jahrhundert vor Christus aussieht. Genau solche hat mein Sohn zu Dutzenden bei seinen archäologischen Ausgrabungen gefunden, und jetzt will er seine eigene Mutter nicht besuchen.“

Als die Polizei fort ist, weist der Professor Romana darauf hin, dass das Haus zwischen zwei symbolischen Gefängnissen stehe, einem Kloster und einer Kaserne.

„Das erste Gefängnis ist für Frauen, das zweite für Männer“, sagte der Professor höflich und blinzelte dabei mit einem Auge. „Freiwillig und lebenslang das erste und meist unfreiwillig und zeitlich begrenzt das zweite.“

Nachdenklich fährt er fort:

„Die Zeit läuft rückwärts, weit, weit zurück, dorthin, wo meine physische Existenz noch nicht (wirklich) vorhergesehen, nicht vermutet wurde, und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, ich kann es nicht rationalisieren, dass mein Gedächtnis, das doch eine Funktion meines physiologischen Gehirns sein sollte, bis dorthin reicht.“ Der Professor verstummte, dann fuhr er zögernd fort: „Oder vielmehr kommt es, mein Gedächtnis, von dort, irgendwo dort hat es seinen Ursprung, dort schlägt es Wurzeln, und erst später, im Laufe der Jahrhunderte und Jahrzehnte, nimmt es einen physischen Körper an. Und so bin ich anscheinend aus dem Gedächtnis entstanden und nicht aus einer befruchteten Eizelle“, endete der Professor überraschend.

Er erzählt von seiner Mutter Uljana Frasuljak, die versucht hatte, sich die Pulsadern zu öffnen und dann – noch vor seiner Geburt – alles daran setzte, im Kloster von Jaslowez aufgenommen zu werden.

„Die Vorsteherin war überzeugt, dass Mutter vom Teufel besessen sei.“

Ein Hauptmann Krasowskyj vom NKWD kam schließlich in das Kloster und überredete Uljana, zu ihrer Mutter Sena und ihren beiden jüngeren Schwestern Nusja und Chrystja zurückzukehren. Man hatte ihr auch eine Anstellung als Krankenschwester im Rajon-Krankenhaus besorgt. Dort traf sie auf den Patienten Matwij Krywodjak.

Krywodjak, ein Seminarist des nach dem Heiligen Josaphat benannten Missionsinstituts, erkrankt an einer unbekannten Krankheit, der dann Partisan im Wald geworden war. Krywodjak fiel mehrmals am Tag in Ohnmacht, konnte fast keine Nahrung verdauen, litt unter Kopfschmerzen und Augenflimmern. Ein Krüppel, dessen Haut immer so dünn und trocken wie Pergament und dessen flüchtiger, knochiger Körper völlig haarlos war. Krywodjak hatte nicht einmal Augenbrauen oder Wimpern und nicht den geringsten Flaum in seinem Gesicht. Er hatte jahrelang unter der Erde gehockt, ohne frische Luft, Wasser und Nahrung. Er hatte absichtlich gegen Gottes Gebote verstoßen, obwohl er doch sein Leben einst Gott hatte weihen wollen. Uljana hatte ihm mehrmals Lebensmittel, Medizin und wichtige Informationen in den Wald gebracht. Er war immer gejagt worden: zuerst von den Deutschen, dann von NKWD-Leuten. Krywodjak, der schon lange in der Erde verwesen sollte.

Als Uljana schwanger wurde, brach Krasowskyj den Kontakt zu ihr verärgert ab und sorgte dafür, dass sie vom Krankenhaus entlassen wurde, während man Krywodjak in ein Arbeitslager in Norilsk sperrte.

Zoya

Ausführlich erzählt der Professor von seiner Affäre mit Zoya Krasowskyj. Er lernte sie als Patientin kennen. Obwohl sie ungewöhnlich schön aussah, bat sie ihn um ein anderes Gesicht.

„›Warum?‹, fragte ich von wachsender Unruhe geplagt.
›Weil dieses Gesicht nicht meins ist. So sollte ich nicht aussehen.‹“

Er operierte sie, sie wurde seine Geliebte, und er mietete eine Wohnung, in der sie sich treffen konnten. Dort trieben sie es so schamlos, dass sich die Nachbarn mehrmals bei der Polizei beschwerten.

Ob sie verheiratet sei, fragte er Zoya.

„›Ja‹, antwortete sie, ›ich habe einen Ehemann. Er ist sehr freundlich.‹“

Zoyas Großvater, der vor seiner Pensionierung ein wichtiger Mann in der Fünften Abteilung der Sicherheitsdienste gewesen war, hatte sie mit einem seiner Untergebenen zusammengebracht, der dann ihr Ehemann wurde.

„Nach seiner Pensionierung verhalf mein Großvater meinem Mann zu einer Stelle. Er bekämpft nun Verbrechen, beobachtet Studenten, Touristen, Sowjetbürger und ausländische Journalisten.“

Der Großvater liebte seine Ehefrau, die er in Moskau kennengelernt und nach dem Zweiten Weltkrieg aus Russland mitgebracht hatte. Weil sie keine Kinder bekommen konnte, brachte der Großvater eines Tages ein zehn oder elf Jahres Kind mit nach Hause, „eine stumme Wilde mit geballten Fäusten und verschlossenem Gesicht“. Dieses Mädchen wurde Zoyas Mutter. Von ihrem Vater wusste sie nichts.

Der Professor gibt unumwunden zu, dass er zahlreiche Affären hatte.

Der Sohn Bohdan wuchs bei der Großmutter Sena Frasuljak und ihren drei Töchtern auf, der Krankenschwester Uljana, der Bibliothekarin Nusja und Chrystja, die in der Schule Hauswirtschaft unterrichtete.

Der Großvater

Nach dem Abbruch der Affäre suchte der Professor nach Zoya und fragte bei Familien mit dem Namen Krasowskyj nach ihr, aber wenn er versuchte, Zoya zu beschreiben, geriet er ins Stocken.

Der Professor wusste weder mit Sicherheit, welche Augenfarbe seine Geliebte hatte (grün oder grau? Vielleicht gelb-braun? mal schwarz, mal blau, wie bei Emma Bovary?), noch, welche Frisur sie trug (dunkles oder blondes Haar? glatt oder gelockt?), auch über ihr Alter (28? 36? 42?) und über ihre Größe und Statur (klein und zart? Oder so groß wie er?) konnte er nichts Genaues sagen.
Der Professor beschrieb die Narben in ihrem Gesicht, die er genau kannte, da sie seinen eigenen Händen entstammten, aber auch diese Information war nicht von Nutzen. Die Krasowskyjs verschiedener Adressen und Telefonnummern zuckten nur mit den Schultern.

Während seiner Nachforschungen wurde der Professor von drei Männern auf der Straße umringt, durch mehrere Innenhöfe geführt und in einen Keller gestoßen. Dort tauchte ein Greis auf, der sich als Zoyas Großvater Krasowskyj vorstellte.

„Ich habe nicht nur eine Ihrer Tanten und Ihre Mutter gut gekannt, sondern auch Ihren Vater, den Sie nie zu Gesicht bekommen haben. Er war ein guter Mensch. Wenn auch ein Verbrecher. […]
Ich begünstigte die Treffen Ihrer Eltern. Organisierte ihnen Rendezvous […]. Ohne mich, ohne mein Zutun, gäbe es Sie nicht, Professor.“

Zoya habe es zu weit getrieben, meinte Krasowskyj finster. Das Wichigste sei für sie die Illusion von Freiheit.

„Zoya ist gewohnt, alles zu bekommen, was sie will. Nur weiß Zoya selbst nicht, was sie will.“

„Sie haben ihr keinen Schaden zugefügt. Ihr Äußeres hat sich ein wenig verändert, aber das ist noch immer sie. Es ist Zoya, die ich kenne und erkenne, meine Enkelin.“

„Vergessen Sie sie. Sie hat Ihnen den Kopf verdreht. Aber dahinter war kein böser Wille. Sie ist einfach ein Kind, ein eigenwilliges Kind. Sie weiß selbst nicht, was sie will.
[…] Vergessen Sie alles, was geschehen ist. Und Ihnen wird nichts geschehen. Weder Ihnen noch Ihrer Familie. Ich sage doch: Ich konnte mich mit Ihrer Familie immer einigen“, konstatierte Krasowskyj milde.

Die Abreise des Professors

Vergeblich versucht Romana, den Professor zu überreden, seine sterbenskranke Frau nach Hause zu holen. Sie ist entsetzt, als sie erfährt, dass der Chirurg beabsichtigt, mit ihr nach Israel zu fliegen, wo neue Therapien erprobt werden.

„Ich habe Flugtickets gekauft, einen speziellen Transport organisiert.“

Während seiner Abwesenheit soll Romana die Wohnung hüten und die Blumen gießen. Zum Abschied fragt ihn Romana, ob er etwas von seinem Sohn gehört habe. Ein Kommandant habe ihm am Telefon versichert, dass Bohdan am Leben sei. Mehr wisse er nicht, antwortet der Professor.

Ihr Mann

Während Romana auf die Wohnung des Professors aufpasst, schaut sie auch die Mails in seinem Posteingang durch – und erstarrt, als sie auf einem Foto eines Krankenhauspatienten, dessen Gesicht fast völlig von einem Verband bedeckt ist, die Lippen zu erkennen glaubt. Bohdan! In der Mail geht es um einen Mann, der bei einem Kriegseinsatz im Osten der Ukraine schwer verwundet wurde.

Es gebe kein Geld für seine Behandlung, der Fall sei hoffnungslos. Vor einer Woche sei der unbekannte Mann zu sich gekommen, aber er leide, wie nicht verwunderlich, an einer besonders schweren Form von retrograder Amnesie. Die Identität des Mannes habe man bislang nicht feststellen können. Gesicht und Körper seien derart entstellt, dass die Chance einer Identifikation durch einen Verwandten verschwindend gering sei. Andererseits warte bestimmt jemand auf ihn, schrieb die Volontärin.
Man bitte den Professor um eine Konsultation bezüglich der gebrochenen Nase, des Kiefers und des in Stückchen zerbröselten Schädelknochens. Die Anfrage erfolge schriftlich, da der Professor telefonisch nicht erreichbar gewesen sei.

Romana verkauft Gegenstände aus dem Zimmer der Frau des Professors und schmiert damit den Oberarzt in der Rehabilitationsklinik, damit sie den Patienten besuchen darf. Sein Name sei Bohdan Krywodjak, erklärt sie.

Romana wiederholte ihre Geschichte: In diesem Krankenhaus liege ein verletzter Kämpfer ohne Gedächtnis, der ihr Mann sei. Sie hätten viele Jahre zusammengelebt, was aber durch keinerlei Dokumente belegt sei. Sie hätten die Hochzeit aufgeschoben, seien irgendwie nie zu dieser Formalität gekommen.

Die meisten Verbände wurden abgenommen, und er glich nicht mehr einer Mumie. Nun hatte sie ein Monster vor sich. […]
Er erinnerte sich an nichts. Konnte fast nicht sprechen, seine Zunge war in Mitleidenschaft gezogen […].
Im Großen und Ganzen reagierte er praktisch auf nichts, schlief die meiste Zeit oder befand sich in einer Art Starre oder Lähmung. Seine gläsernen Augen waren völlig ausdruckslos. Anstelle des Gesichts war da eine reglose, verunstaltete Maske.

Wenn sich die Stationsschwester Ljubow über den Patienten im Bett beugt, streift sie ihn mit ihrem üppigen Busen. Eifersüchtig beobachtet Romana, dass ihr Mann auf niemanden außer der Psychiaterin Slonowa reagiert.

Nur eines begriff unser Held an diesem unschuldigen Morgen am Höhepunkt des Frühlings, erfüllt von weißem Sonnenlicht und irrwitzigem Vogelgeschrei vor den Fenstern, nicht: Wer war diese unbekannte Frau, die ohne zu blinzeln in sein entstelltes Gesicht blickte […]?
Hinter ihr standen die Ärzte: der Chefarzt mit seinen dreisten Brauen, Slonowa, skeptisch und unzufrieden, die Augen verengt, die Nasenflügel gebläht, der Internist, der Röntgenologe, die Stationsschwester mit Namen Ljubow […].
„Erkennen Sie diese Frau?“, fragte Slonowa hastig und streng mit seltsam kehliger Stimme.
„Nein?“, fragte der Mann relativ sicher zurück.
[…] Ohne den Blick von unserem Helden zu wenden, hörte die Frau mit der Brille endlich auf, an ihrer Unterlippe zu nagen […].
„Natürlich wird er mich erkennen. Er ist mein Mann. Ich bin seine Frau. Bohdan, ich bin’s, Romana.“

Schließlich nimmt Romana ihn mit in die Datscha außerhalb von Kiew. Unermüdlich erzählt sie ihm Einzelheiten aus seinem Leben, aber er erinnert sich an nichts.

„Du bist Bohdan Krywodjak. Du wurdest in einer kleinen Stadt in der Westukraine geboren. Du hast ein schwieriges Verhältnis zu deiner Familie. Du bist Archäologe. Du kennst dich mit Barock und Rokoko aus. Du warst im Krieg in der Ostukraine. Du hast Dinge erlebt, die nur wenige Menschen erleben müssen. Du wärst beinahe gestorben. Du hast dein Gedächtnis verloren. Aber du bist am Leben und in Sicherheit. Du bist zu Hause. Du bist bei mir. Ich bin deine Frau, Romana. Alles ist gut, mein Junge. Komm her.“

„Welche Schuhgröße habe ich?“, fragte Bohdan.
Romana, die vor ihm kniete, hob den Blick.
„Fünfundvierzig.“
„Der Krankenschwester hast du gesagt, ich hätte sechsundvierzigeinhalb.“

Da ist er: ihr Mann. Da sind die dunklen Abdrücke seiner Finger auf ihrem Unterarm. Die Blutergüsse an Gesäß und Oberschenkeln. Frische Schürfwunden an ihren Knien. Da sind die Schmerzen in der Wirbelsäule, bei dem Versuch, ihren Körper am Boden zu halten, hat er sie auf den durchgescheuerten Teppich geworfen und niedergedrückt. Eine leichte Verrenkung der Schulter schränkt nun ihren Bewegungsspielraum ein und verleiht ihrer Lust eine eigene Note. […]
Sein Gesicht hat wenig Ähnlichkeit mit dem Gesicht eines Menschen: die Gesichtszüge unstimmig und zusammenhanglos, die Nasenlöcher verdreht, die Konturen von Kiefer und Schädelknochen zeichnen sich unnatürlich unter der Haut ab, dunkle eingefallene Stellen bedecken Wangen und Stirn.
Sie zittert, während sie ihn betrachtet. Das ist ihr Mann. Das ist ihr persönliches Monster.

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Die ukrainische Schriftstellerin und Übersetzerin Sofia Andruchowytsch (*1982) veröffentlichte 2020 in Lwiw die Romantrilogie „Amadoka“. Der Titel spielt auf die ukrainische Sage von einem verschwundenen See an. Der symbolisiert den Verlust der Erinnerung an die Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert, gegen den Sofia Andruchowytsch mit „Amadoka“ anschreibt.

Eine deutschsprachige Übertragung von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck erscheint 2023/24 im Residenz Verlag in drei Bänden, beginnend mit „Die Geschichte von Romana. Amadoka-Epos 1“.

Romana ist Archivarin. Sie bewahrt also Dokumente auf. Sie versucht, einem namenlos und schwerverwundet aus dem Krieg im Donbass zurückgekehrten Mann, der sich an nichts erinnern kann, eine persönliche Geschichte zu vermitteln. Romana gibt sich überzeugt, dass es sich bei ihm um den Archäologen (!) Bohdan Krywodjak handelt, mit dem sie eine Nacht verbrachte, bevor er am nächsten Morgen verschwand. Sofia Andruchowytsch lässt offen, ob es sich bei dem Mann tatsächlich um Bohdan handelt. Es könnte gut sein, dass Romana sich nur etwas vormacht. Aus der unzuverlässigen Perspektive dieser Archivarin erzählt Sofia Andruchowytsch „Die Geschichte von Romana“.

Der Roman ist nicht einfach zu lesen, denn Sofia Andruchowytsch hält sich nicht mit Einführungen oder Erläuterungen auf. Manches bleibt bruchstückhaft, oder die Autorin deutet es nur an. Außerdem wechselt sie übergangslos zwischen Szenen und Handlungssträngen. Sofia Andruchowytsch schreibt expressiv und arbeitet sowohl mit Überlagerungen als auch mit Spiegelungen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Residenz Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.