Sara Mesa : Eine Liebe
Inhaltsangabe
Kritik
Einzug
Natalia („Nat“) gibt mit Ende 20 ihre Anstellung auf, übernimmt freiberuflich einen Übersetzungs-Auftrag von einem Verlag und mietet in dem vom Berg El Glauco überragten spanischen Dorf La Escapa ein verwahrlostes Haus. Zum nächsten größeren Ort, Petacas, ist man mit dem Auto eine Viertelstunde unterwegs.
Der in Petacas wohnende Hauseigentümer, der die Miete bar kassiert, bringt Nat einen Hund, der allerdings auf Distanz bleibt. Sie nennt ihn Sieso (Nichtsnutz). Als Nat einen tropfenden Wasserhahn moniert, fordert der Vermieter sie zunächst auf, sich selbst darum zu kümmern, aber am nächsten Morgen – als sie bereits einen Klempner aus Petacas bestellt hat ‒ wacht sie durch Geräusche in der Küche auf: Der Vermieter ist ins Haus gekommen, während sie noch schlief.
Nat verabredet sich mit einem Glaser namens Píter. Sie legt sich eine Ausrede zurecht, um nicht mit ihm schlafen zu müssen, ist dann aber enttäuscht, als er sie nach Hause bringt und nicht einmal versucht, sie zu küssen.
Der Deutsche
Beim ersten Regen merkt Nat, dass das Dach undicht ist.
Als der Vermieter am Monatsende in seinem schmuddeligen Overall auftaucht, weist Nat ihn auf die Flecken hin, und er kneift die Augen zusammen, um sie genauer zu betrachten. Sie erzählt von dem Platzregen, den Pfützen und Eimern. Und fügt hinzu, dass der Holzboden deshalb so verfault ist. Das lässt sich nicht wegdiskutieren, denkt sie sich, diesmal kann er die Wahrheit nicht abstreiten.
„Na ja, Kleine, aber es gießt ja auch nicht jeden Tag so.“
„Jeden Tag nicht. Aber es kann wieder passieren. Ich meine, im Herbst regnet es bestimmt, oder? […] Und davon geht der Boden kaputt.“
Während sie spricht, starrt der Vermieter ihr unablässig auf die Brüste. Das macht er absichtlich, sagt sich Nat. Um sie durcheinanderzubringen. Und sie zu demütigen. Mit verkniffenem Mund erwidert er, dass es nicht ihr Problem sei, wenn der Boden verfault. Ist ja schließlich nicht ihr Haus, oder?
Ein Mann Ende 30, der in einem Holzhaus wohnt und Gemüse aus seinem Garten verkauft, wird von den anderen Bewohnern nur „der Deutsche“ genannt, obwohl er gewiss nicht aus Deutschland stammt. Er bietet Nat an, das Dach zu reparieren. Sie erklärt ihm, dass sie kein Geld dafür habe, aber er schlägt ihr eine andere Lösung vor:
„Ich kann dir das Dach reparieren, und dafür lässt du mich ein Weilchen in dich rein.“
Weil kein Geld im Spiel ist und „der Deutsche“ bemüht ist, alles weder schmutzig noch erniedrigend wirken zu lassen, gelingt es Nat, es nicht als Prostitution aufzufassen.
Der Deutsche hat ihr seine Bedürfnisse vorgebracht, eine Bitte an sie gerichtet und im Tausch dafür etwas angeboten, etwas, das sie wirklich brauchen kann.
Am nächsten Tag repariert er das Dach. Damit sind sie quitt, aber Nat geht von sich aus wieder zu ihm. Nat gelingt es nicht, dem Mann näher zu kommen oder ihn aus der Ruhe zu bringen. Ohne Beschönigung verneint er ihre Frage, ob sie ihm von Anfang an gefallen habe. Hat er einfach nichts Besseres gefunden? Der Gedanke schmerzt Nat. Anfangs essen sie nach dem Sex, aber bald vertauschen sie die Reihenfolge.
Andreas – so heißt er – kam vor fünf Jahren nach La Escapa. Seine Mutter, eine Kurdin aus dem Nordirak, war vor den Kriegen zu Fuß mit ihm als Baby in die Türkei geflohen und von dort weiter nach Deutschland gelangt.
Schließlich beschränkt Andreas den Gemüseanbau im Garten auf den Eigenbedarf und fängt als Vermessungstechniker bei einem Bekannten in Petaca an. Nat ist überrascht, als sie erfährt, dass er Geografie an der Universität in Cárdena studierte.
Sie spioniert ihm nach. Als sie herausfindet, dass er den Wurf seiner Katze ertränkte, ist sie entsetzt. Noch am selben Abend macht Andreas Schluss mit ihr. Seine Geduld sei erschöpft, erklärt er.
Auszug
Nat setzt das so zu, dass sie tagelang das Haus nicht mehr verlässt. Sie kann auch dem erblindenden Greis Joaquín nicht mehr gegen ein geringes Salär im Haushalt und bei der Pflege seiner dementen Frau Roberta helfen.
Der Hund, der sich zuletzt ein wenig zutraulicher gegenüber Nat verhalten hat, zerfleischt das Gesicht des sechs Jahre alten Nachbarmädchens. Die männlichen Dorfbewohner suchen nach dem Tier, aber Sieso gelingt es, unbemerkt zurückzukommen. Hilfe suchend ruft Nat Píter an, aber der ist nicht bereit, den Hund zu verstecken. Im Gegenteil: Er sorgt dafür, dass Sieso von der Polizei abgeholt wird.
Noch deutlicher als bisher wird Nat von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt.
Als der Vermieter die monatliche Miete kassiert, packt er Nat und fragt: „Soll ich’s dir nicht auch mal besorgen?“ Sie gerät in Panik, aber er lässt sie wieder los und sagt:
„Du hast doch nicht etwa gedacht, ich würde dich vergewaltigen, oder?“
[…] Mit jeder anderen Frau, aber doch nicht mit ihr. Bevor er’s mit ihr macht, macht er’s lieber mit einer Ziege oder einer Kuh.
Nat zieht aus La Escapa fort und mietet in einem nahen Ort ein altes Haus. Píter besucht sie dort ab und zu.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Sie begreift, dass man ein Ziel nicht erreicht, indem man es darauf anlegt, im Gegenteil, es gelingt nur wie aus Versehen, über Verzögerungen und Umwege, fast zufällig.
Sie erkennt, dass alles zu diesem Augenblick hingeführt hat. Selbst das, was scheinbar nirgendwohin führte.
In ihrem Roman „Eine Liebe“ erzählt Sara Mesa von Natalia („Nat“), einer Übersetzerin Ende 20, die ihre Anstellung aufgibt und in ein spanisches Dorf zieht. Anfangs interessiert sich für sie noch eine Schulabbrecherin, die im Laden ihrer Eltern arbeitet, aber vorhat, den Ort zu verlassen, sobald sie 18 ist. Nat gehört als Fremde zu den Außenseitern in La Escapa wie die Roma-Familie und die als „Hexe“ verschriene demente Greisin Roberta. Ein Mann Ende 30, der vor fünf Jahren nach La Escapa kam und das in seinem Garten gezüchtete Gemüse verkauft, wird „Der Deutsche“ genannt, obwohl es sich um den Sohn einer Kurdin aus dem Nordirak handelt.
Die Menschen verstehen einander nicht, reden nicht wirklich miteinander und bleiben ihren Vorurteilen verhaftet. Auch Nats Verhalten beruht auf Missverständnissen.
„Eine Liebe“ veranschaulicht eine dysfunktionale Gesellschaft und deren Gruppendynamik, zu der auch Macht und Abhängigkeit gehören. Die Grenzen zwischen Moral und Unmoral sind verschwommen. Sara Mesa leuchtet tief hinein in die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Protagonistin, aus deren Perspektive sie die verstörende Geschichte entwickelt, die von Romantik weit entfernt ist und den Buchtitel „Eine Liebe“ als Zynismus entlarvt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach
Sara Mesa: Quasi