Reinhold Schneider : Las Casas vor Karl V.
Inhaltsangabe
Kritik
Bartolomé de Las Casas
Bartolomé de Las Casas, ein um die 60 Jahre alter Dominikanermönch, reist in den Vierzigerjahren des 16. Jahrhunderts mit seinem Diener Comacho von der mexikanischen Hafenstadt Veracruz über Havanna, die Bermudas und die Kanarischen Inseln nach Spanien zurück, denn Kaiser Karl V. hat den Indienrat unter dem Präsidenten Kardinal Louisa von Sevilla in Valladolid einberufen, um vor seiner Abreise zum Reichstag in Regensburg die Ordnung und Verwaltung der Kolonien zu überdenken.
Bernardino de Lares
Während der Überfahrt lernt Bartolomé de Las Casas den schwerkranken Ritter Bernardino de Lares aus Valladolid kennen, der gleich zu Beginn ihrer Gespräche meint:
„Manches von dem, was du gesagt und geschrieben hast, ist mir an die Ohren gedrungen; du meinst, dass wir kein Recht hätten, die Indios als Knechte zu gebrauchen, dass wir kein Recht hätten auf ihr Land und ihr Gut und dass damit alle Spanier jenseits des Meeres im Stande himmelschreiender Sünde und in gräuelvollem Unrecht leben. Dann wäre auch mein Leben vom zwanzigsten Jahre an ein einziges Unrecht gewesen.“
Bernardino de Lares berichtet nicht nur von den Raubzügen anderer Spanier in der Neuen Welt, sondern auch von seinen eigenen Gräueltaten. Als Großgrundbesitzer auf Puerto Rico kaufte er auf dem Sklavenmarkt in Puerto Plata auf der größeren Nachbarinsel ein, um seine Goldminen und Zuckerrohr-Plantagen bewirtschaften zu können.
„Wir sind mit Menschen umgegangen, als seien sie da zu unserm Nutzen und zur Sättigung unserer Gier geschaffen, uns oder Spanien zu dienen […]“
Als der Dominikaner Juan Garcés nach Puerto Rico kam, begann Bernardino de Lares umzudenken. Der Mönch war in Haiti selbst Großgrundbesitzer gewesen, hatte die Tochter eines einheimischen Fürsten geheiratet und sie erschlagen lassen, als er ihrer überdrüssig geworden war. Unter dem Einfluss des reuigen Dominikaners verkaufte Bernardino de Lares seinen Landbesitz und ließ die Sklaven frei. Als er abreiste, blieben die Indios ratlos zurück, denn Selbstbestimmung kannten sie nicht und sie mussten ohnehin damit rechnen, erneut von Sklavenjägern gefangen zu werden.
Valladolid
Weil Bartolomé de Las Casas anlässlich der Tagung des Indienrats, also der obersten Verwaltungsbehörde des spanischen Kolonialreichs, eine Disputation mit dem Philosophen Juan Ginés de Sepúlveda führen soll, dem Verfasser eines Buches „über die gerechten Gründe des Krieges gegen die Indios“, reist er nach einem kurzen Aufenthalt in seiner Heimatstadt Sevilla weiter nach Valladolid und quartiert sich dort im Kollegium des heiligen Gregor seines Ordens ein.
Gleich nach seiner Ankunft – wenige Tage vor dem Beginn der Disputation – sucht Las Casas in Valladolid nach seinem Reisegefährten Bernardino de Lares, wird jedoch bei beiden Brüdern des Ritters abgewiesen. Ein alter Diener läuft ihm nach und bringt ihn zu einem armseligen Gasthof, in dem Bernardino de Lares wie ein Bettler Unterschlupf gefunden hat. Inzwischen ist er todkrank.
Warum er sich als Bettler verkleide, fragt der Mönch. Bernardino de Lares berichtet, dass er als Erstes seinen engsten Freund in Valladolid besuchte. Der hatte ein Vermögen geerbt, aber seine Ehefrau klagte, dass der Besitz durch das viele Gold aus Übersee massiv an Wert verloren habe. Weil dem Ritter der Neid und die Gier des Ehepaars nicht entging, wollte er seine Brüder auf die Probe stellen, indem er sich als Bettler verkleidete. Wie befürchtet, wollten sie nichts mit ihm zu tun haben.
Disputation
Las Casas besucht den Sterbenden fast täglich.
Er erzählte kurz von der Disputation, die sich in dem erwarteten erbitterten Streite bewegte über das etwaige Recht eines Volkes, ein anderes zu beherrschen […]
Juan Ginés de Sepúlveda vertritt die Mehrheitsmeinung, der zufolge Gott die Spanier als Ordnungsmacht in den Kolonien eingesetzt habe. Weil Ordnung jedoch nur mit Gewalt durchgesetzt werden könne, müsse die Unterwerfung der Indios ihrer Bekehrung zum Christentum vorausgehen.
Bartolomé de Las Casas hält das für falsch. Er setzt das Natur- über das Staatsrecht und ist überzeugt, dass man die Indios ohne Zwang zu missionieren und ihre Seelen zu respektieren habe. Die Annahme, es gebe inferiore Völker, sei menschenverachtend.
„Im Namen Gottes erklärte ich die Eroberungskriege der Spanier, die bisher geschehen sind, für rechtswidrig, tyrannisch und höllisch, für schlimmer und grausamer als das, was Türken und Mauren getan haben!“ – „Nichts“, rief Sepúlveda scharf zurück, „ist ein größerer Gräuel als Unordnung; niemand verderblicher als der Unruhestifter.“
Ginés de Sepúlveda hält seinem Gegner vor, dass er während seines Jura-Studiums in Salamanca einen von seinem Vater aus Haiti mitgebrachten Sklaven hatte. Bartolomé de Las Casas sei dann selbst übers Meer gefahren, habe sich an der Eroberung Kubas durch Diego Velázquez de Cuéllar und am Kriegszug gegen den Kaziken Cocabunò in Higuey an der Südostspitze Haitis beteiligt. Er habe nicht nur Landbesitz zusammengerafft, sondern auch Eingeborene gezwungen, seine Goldminen auszubeuten.
Las Casas bestätigt das alles und fügt hinzu, dass eine Predigt des Dominikanerpriors Pedro von Córdoba sein Leben verändert habe.
Erst die Predigt frommer und gelehrter Brüder des Ordens habe ihm auf Haiti und Kuba die Augen geöffnet für die Hoheit des Rechts und die grauenvolle Misshandlung, die es erlitt […]
1514 erklärte er Diego Velázquez de Cuéllar, dem Gouverneur von Kuba, dass er auf seinen gesamten Besitz verzichte, und seither kämpft er gegen das Vorgehen der spanischen Eroberer.
Bartolomé de Las Casas wendet sich an den Kaiser:
„Herr, dein Volk ist krank, lass es gesunden. Zerbrich das Unrecht, in dem es erstickt.“
Bevor Karl V. reagieren kann, greift Ginés de Sepúlveda ein:
„Herr, wenn die Stimme der Notwendigkeit, der Fürsten und Völker unterworfen sind, ein Recht hat, dich zu warnen, so in diesem Augenblick. Sie verzeiht es niemals, wenn sie missachtet wurde. Höre nicht auf den Träumer; er zerstört dein Reich!“
Als der Kaiser weiter schweigt, wird Las Casas zornig. Das bereut er später im Gespräch mit Bernardino de Lares, denn damit könnte er seine ohnehin geringen Chancen auf eine Änderung der Bestimmungen in seinem Sinn zerstört haben.
Kurz vor dem Tod befolgt der Ritter den Rat des Mönchs und entsagt seinem Besitz. Nicht als Bettler verkleidet, sondern tatsächlich mittellos liegt er auf dem Sterbebett. Als er nach der letzten Ölung verlangt, bringt Las Casas den unehelichen Sohn des Sterbenden zu ihm, einen im Kloster aufgewachsenen jungen Priester.
Las Casas vor Karl V.
Mitten in der Nacht wird Bartolomé de Las Casas zum Kaiser in den Palast gerufen. Karl V. gibt ihm die Neuen Gesetze zu lesen, die er in Kürze erlassen wird. Sie verbieten die Kriegsführung gegen die Indios und deren Versklavung.
Karl V. beabsichtigt außerdem, den Dominikaner als Bischof des verwaisten peruanischen Bistums Cuzco vorzuschlagen. Es ist eines der bedeutendsten im Westen. Weil sich Las Casas jedoch gegen Amtswürden sträubt, lässt der Kaiser ihm die Wahl zwischen Cuzco und Chiapa im Süden von Mexiko, einem der ärmsten Bistümer überhaupt – und der Dominikaner entscheidet sich für Chiapa.
Zur Unterstützung bei seiner neuen Aufgabe rekrutiert er eine Gruppe junger Geistlicher, darunter auch den Sohn des verstorbenen Ritters Bernardino de Lares.
Die Flotte, mit der sie das Meer überqueren wollen, muss noch auf Donna Maria de Toledo warten, die Witwe des Vizekönigs Diego Kolumbus, die in Haiti für die angefochtenen Rechte ihrer Söhne – der Enkel des Entdeckers Christoph Kolumbus – kämpfen will.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Die Erzählung „Las Casas vor Karl V. – Szenen aus der Konquistadorenzeit“ spielt zwar im 16. Jahrhundert und betrifft die spanische Kolonialherrschaft, aber als Reinhold Schneider Mitte der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts das Manuskript verfasste, dachte er vor allem an die nationalsozialistischen Barbaren, die sich als „Herrenmenschen“ über andere „Rassen“ erhoben und zusätzlichen „Lebensraum“ beanspruchten. Juan Ginés de Sepúlveda meint, die Spanier hätten das Recht, die Indios in den Kolonien gewaltsam zu unterjochen und ihnen ihre Ordnung aufzuzwingen. Das sei die Voraussetzung für eine Erfolg versprechende Missionierung. Bartolomé de Las Casas widerspricht ihm. Er stellt das Natur- über das Staatsrecht und verlangt von seinen Landsleuten, die Indios als ebenbürtig zu behandeln.
Für Bartolomé de Las Casas, Juan Ginés de Sepúlveda, Karl V. und einige andere Romanfiguren gibt es historische Vorbilder. Aber mit den Fakten geht Reinhold Schneider in „Las Casas vor Karl V.“ locker um. In der Erzählung erlässt der Kaiser die „Neuen Gesetze“ (Leyes Nuevas) wenige Tage nach der Disputation von Bartolomé de Las Casas und Juan Ginés de Sepúlveda in Valladolid und kurz vor der Abreise Karls V. zum Reichstag in Regensburg. Tatsächlich wurden die Gesetze 1542 erlassen, acht Jahre bevor die Disputation stattfand, und nach Regensburg reiste der Kaiser 1546. Zum Bischof von Chiapas ernannt wurde Las Casas 1543; in der Erzählung erhält er den Hirtenstab kurz nach einer (fiktiven) nächtlichen Audienz beim Kaiser im Anschluss an die Disputation.
Übrigens sorgten die spanischen Siedler in den Kolonien dafür, dass die Leyes Nuevas unwirksam blieben und die Sklaverei nicht abgeschafft wurde.
Reinhold Schneider erwähnte die Idee für die Erzählung „Las Casas vor Karl V.“ erstmals am 14. September 1934 in seinem Tagebuch. Im Winter 1937/38 verfasste er das Manuskript, und der damals in Leipzig residierende Insel Verlag veröffentlichte es 1938.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Insel Verlag