Expedition Endurance


Nachdem Roald Amundsen (1872 – 1928) am 14. Dezember 1911 als erster Mensch den Südpol erreicht hatte, strebte Ernest Shackleton (1874 – 1922) mit der „Imperial Trans-Antarctic Expedition“ eine andere Pionierleistung an: Er wollte die Antarktis überqueren. Zwei Schiffe wurden für die „Imperial Trans-Antarctic Expedition“ verwendet: die „Endurance“ und die „Aurora“. Ernest Shackleton selbst wollte auf der „Endurance“ ins Weddell-Meer vorstoßen und sich von der Vahsel-Bucht aus mit sechs Männern auf den 2900 Kilometer weiten Marsch quer über die Antarktis zum Rossmeer machen. Den anderen Teil der Expediton leitete Aeneas Mackintosh (1879 – 1916). Sein Ziel war die Rossmeer-Basis im McMurdo-Sund auf der anderen Seite der Antarktis („Ross Sea Party“). Von dort aus sollte eine Mannschaft auf dem Ross-Schelfeis bis zum Beardmore-Gletscher Nachschubdepots für Ernest Shackleton und seine Männer anlegen.

Mit einer Anzeige suchte Ernest Shackleton Männer für seine Expedition:

Men wanted for hazardous journey. Small wages. Bitter cold. Long months of complete darkness. Constant danger. Safe return doubtful. Honour and recognition in case of success.

Am 8. August 1914 lief die „Endurance“ in Plymouth aus. Bei einem Zwischenaufenthalt in Buenos Aires verließen einige Männer den Dreimaster, drei andere kamen an Bord (Frank Hurley, William Bakewell, Perce Blackboro). Die Mannschaft bestand nun aus Ernest Shackleton, seinem Stellvertreter Frank Wild, Kapitän Frank Worsley, den Schiffsärzten Alexander Macklin und James McIlroy, dem Geologen James Wordie, dem Meteorologen Leonard Hussey, dem Physiker Reginald James, dem Biologen Robert Clark, dem Fotografen Frank Hurley, dem Zeichner George Marston, dem Proviantmeister Thomas Orde-Lees, fünfzehn weiteren Seeleuten und dem blinden Passagier Perce Blackboro.

In Grytviken, Südgeorgien, wartete die „Endurance“ einen Monat lang auf den richtigen Zeitpunkt für die Weiterreise. Am 5. Dezember 1914 stach sie erneut in See. Bereits nach zwei Tagen gab es erste Probleme mit Drifteis, und am

14. Dezember fror die „Endurance“ eine Nacht lang fest. Anfang Januar 1915 drang das Schiff ins Weddell-Meer vor, und am 17. Januar entdeckte die Mannschaft bei 76° 27′ S Land, dem Ernest Shackleton zu Ehren von Sir James Caird den Namen Caird-Küste gab. Doch ab dem 19. Januar saß die „Endurance“ im Packeis fest. Aufgrund der extremen geografischen Lage konnten Funksignale weder gesendet noch empfangen werden. Weil gar nicht daran zu denken war, vor dem Frühling freizukommen, wurden die Schlittenhunde an Land in aus Schnee und Eis gebauten „dogloos“ untergebracht.

Bis Anfang April driftete die „Endurance“ 180 Kilometer ab, dann nahm die Geschwindigkeit des Eises zu. Von Mai bis Juli ging die Sonne nicht auf, denn es war Winter auf der Südhalbkugel der Erde.

Ende Juli begann das Eis aufzubrechen. Der Druck der Eismassen auf das Schiff verstärkte sich. Am 24. Oktober splitterte die Bordwand auf der Steuerbordseite. Während ein Teil der Besatzung das einströmende Wasser abzupumpen versuchte, ließ Shackleton die drei Rettungsboote „James Caird“, „Dudley Docker“ und „Stancomb Wills“ mit Notvorräten beladen und aufs Eis absetzen. Als die Männer die „Endurance“ aufgeben mussten, befanden sie sich ungefähr auf dem 69. Breitengrad. An eine Überquerung der Antarktis war nicht mehr zu denken; jetzt ging es nur noch ums Überleben.

Am 30. Oktober 1915 marschierten die Männer los und zogen drei Rettungsboote, doch weil das Eis meterhohe Druckkämme gebildet hatte, kamen sie in zwei Tagen nur ganze drei Kilometer weit. So hätten sie es nie bis zu einer Walfangbasis schaffen können. Shackleton beschloss, ein Lager zu errichten (Ocean Camp). Von dort aus beobachteten die Gestrandeten am 21. November den Untergang des Wracks der „Endurance“. Aufgrund der Drift passierten die Männer am 5. Dezember den 68. Breitengrad und trieben weiter nach Nordosten.

Am 23. Dezember 1915 brach die Mannschaft erneut auf, diesmal nur noch mit zwei Booten. Am vierten Tag meuterte der Schiffszimmermann Harry McNeish. Ernest Shackleton setzte sich zwar durch, aber am Abend des 29. Dezember gab er sein Vorhaben auf, die 400 Kilometer entfernte Pauletinsel zu erreichen, denn in den sieben Tagen hatten die Schiffbrüchigen gerade einmal zwölf Kilometer zurückgelegt. Wieder wurde ein Zeltlager eingerichtet (Patience Camp). Hier mussten die Männer drei Monate lang bleiben. Kleine Trupps holten das dritte Boot und zurückgelassene Vorräte aus dem Ocean Camp. Weil die Hunde nicht mehr gefüttert werden konnten, ließ Shackleton alle erschießen. Es gab kaum noch etwas anderes als Robbenfleisch – und das Fleisch der getöteten Hunde. In 90 Kilometer Entfernung driftete das Lager an der Pauletinsel vorbei.

Am Abend des 8. April 1916 zerbrach die Eisscholle, auf der sich das Patience Camp befand. Am nächsten Tag wurden die drei Rettungsboote zu Wasser gelassen. Nur durch Rinnen, die zwischen Eisschollen aufbrachen, konnten die drei Gruppen rudern. Bei bis zu minus 30 Grad wurden die Insassen der Boote immer wieder von Brechern durchnässt. Wasser und Nahrung waren knapp. Am 14. April erreichten die Männer zwar Elephant Island, eine unbewohnte Insel, aber die Klippen auf der Südseite waren unüberwindlich. Im Norden fanden die Schiffbrüchigen schließlich eine Bucht (Point Wild).

Hier sollten die meisten von ihnen unter dem Kommando von Frank Wild ausharren, während eine kleine Gruppe – Ernest Shackleton, Frank Worsley, Thomas Crean, Harry McNeish, John Vincent und Timothy McCarthy – am 24. April mit dem 6,85 Meter langen, inzwischen mit Mast und Segel ausgerüsteten Boot „James Caird“ aufbrach, um Hilfe zu holen.

Die auf Elephant Island zurückgebliebenen Männer schichteten niedrige Steinmauern auf und deckten sie mit den beiden umgedrehten Booten ab. Den so entstandenen Unterschlupf dichteten sie so weit wie möglich mit Leinwand ab. Sie lebten von erlegten Robben und Pinguinen.

Das Boot „James Caird“ wäre bei einem Sturm am 5. Mai beinahe zerstört worden. Drei Tage später kam Land in Sicht: Südgeorgien, und am 10. Mai strandete die Bootsbesatzung in der King Haakon Bay. Die Walfangstationen befanden sich allerdings auf der anderen Seite der Insel. Bevor die erschöpften Männer in der Lage waren, die Insel zu überqueren, mussten sie erst wieder einigermaßen zu Kräften kommen. Nach fünf Tagen Rast fuhren sie mit dem Boot ein Stück nach Osten. Dort – im Peggotty Camp – blieben McNeish, Vincent und McCarthy zurück, während Shackleton, Worsley und Crean in der Nacht zum 19. Mai losgingen. Bis zum Morgengrauen stiegen sie bis auf 1000 Meter Höhe auf, und nach einem sechsunddreißig Stunden langen Marsch erreichten sie die Walfangstation Stromness. Zum Schluss hatten sie sich noch durch einen Eiswasserfall abseilen müssen.

Mit einem Walfänger wurden McNeish, Vincent und McCarthy geholt.

Am 22. Mai ging Ernest Shackleton an Bord des Walfängers „The Southern Sky“, um die zweiundzwanzig Schiffbrüchigen auf Elephant Island zu retten. Gut hundert Kilometer vor Elephant Island stieß er jedoch auf eine unüberwindbare Packeisbarriere. Deshalb drehte er ab und lief Port Stanley auf den Falklandinseln an. Der britische Gesandte in Montevideo half ihm, sich in Uruguay einen Fischdampfer zu leihen. Am 10. Juni war Shackleton wieder auf See, aber die „Instituto de Pesca No. 1“ konnte das Packeis auch nicht durchqueren. Als Nächstes lieh Shackleton sich in Chile am 12. Juli den Schoner „Emma“, der dem Briten Allan MacDonald gehörte. Erst der vierte Rettungsversuch mit dem chilenischen Dampfer „Yelcho“ unter Kapitän Luis Pardo gelang: Am 30. August wurden die Schiffbrüchigen an Bord geholt.

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Aeneas Mackintosh war am 24. Dezember 1914 an Bord der „Aurora“ aufgebrochen. Von Australien segelte er zum McMurdo-Sund, wo er am 15. Januar 1915 eintraf. Vier Tage später fror die „Endurance“ im Eis fest, aber das konnte Mackintosh nicht wissen.

Bevor man die „Aurora“ entladen hatte, wurde sie im Mai 1915 durch einen Sturm aus der Verankerung gerissen, abgetrieben und vom Eis eingeschlossen. Das Schiff driftete 2600 Kilometer weit ab, bis es am 12. Februar 1916 wieder freikam und Kurs auf Neuseeland nahm.

Zum Zeitpunkt des Sturms waren Mackintosh und neun seiner Männer auf dem Ross-Schelfeis unterwegs gewesen, um Depots für Ernest Shackleton anzulegen. Ihnen fehlte jetzt nicht nur das Schiff, sondern auch das Material, das sich an Bord befand. Die Gruppe erkrankte an Skorbut. Der Kaplan und Fotograf Arnold Spencer-Smith starb. Die anderen neun Männer fanden Zuflucht in einer Hütte am Hut Point. Mackintosh und Victor Hayword gingen am 8. Mai 1916 los. Ihr Ziel war Kap Evans. Dort trafen sie jedoch nie ein; offenbar waren sie in einem zwei Tage dauernden Blizzard ums Leben gekommen.

Die sieben Schiffbrüchigen, die am Hut Point ausharrten, wurden am 10. Januar 1917 von der „Aurora“ geholt. An Bord befand sich auch Ernest Shackleton. Erst jetzt erfuhren die Geretteten, dass die Anlage der Depots sinnlos gewesen war.

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Am 29. Mai 1917 traf Ernest Shackleton wieder in England ein. Wenige Wochen vor dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde er als Major nach Murmansk abkommandiert.

Die erste Landüberquerung der Antarktis gelang erst Jahrzehnte später („Commonwealth Trans-Antarctic Expedition“, 1955 – 1958).

Mirko Bonné schrieb über die Expedition Endurance den Roman „Der eiskalte Himmel“.

© Dieter Wunderlich 2009

Ernest Shackleton (Kurzbiografie)
Mirko Bonné: Der eiskalte Himmel

Zülfü Livaneli - Der Fischer und der Sohn
Zülfü Livaneli erzählt eindrucksvoll, gefühlvoll und warmherzig. "Der Fischer und der Sohn" trägt märchenhafte Züge. Die dramatische Handlung dreht sich um das Schicksal von Flüchtlingen, die von Schleppern übers Meer gebracht werden wollen. Der Roman ist zugleich ein eindringliches Plädoyer für Mitmenschlichkeit.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.