Mirko Bonné : Der eiskalte Himmel

Der eiskalte Himmel
Der eiskalte Himmel Originalausgabe: Schöffling Verlagsbuchhandlung, Frankfurt/M 2006 ISBN: 978-3-89561-401-9, 432 Seiten Heyne Taschenbuch, München 2007 ISBN: 978-3-453-81168-3, 432 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mit 17 heuert der Waliser Merce Blackboro 1914 auf einem Frachter an. Nach einem Schiffbruch vor Montevideo lässt er sich als blinder Passagier auf das Expeditionsschiff "Endurance" schmuggeln, mit dem Sir Ernest Shackleton unterwegs zur Antarktis ist. Erst auf hoher See wird er entdeckt und als Hilfskraft eingesetzt. Als die "Endurance" Anfang 1915 für Monate vom Eis eingeschlossen wird, scheitert die Expedition und es geht nur noch ums Überleben ...
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Kritik

Lesenswert ist der Roman "Der eiskalte Himmel", weil Mirko Bonné eine abenteuerliche Expeditionsreise zur Antarktis und einen vorbildlichen Charakter anschaulich und in einer anspruchsvollen Sprache darstellt.
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Merce Blackboro stammt aus Pillgwenlly in Wales. Er hat zwei ältere Geschwister: Dafydd und Regyn. Mit siebzehn arbeitet er als Hilfskraft auf der Werft in Newport, wo sein Vater Emyr seit vierzig Jahren als Innenausstatter beschäftigt ist. Wenn er zum jüdischen Schiffsausrüster Muldoon geschickt wird, hat er nur Augen für dessen Tochter Ennid. Dass sie hinkt, stört ihn nicht. Schließlich bewirbt er sich auf dem Frachter „John London“ als Matrose. Er wird zwar angeheuert, jedoch nur als Küchenhilfe. Kurz vor der Abreise ist er zum ersten Mal mit Ennid allein. Sie schenkt ihm einen bunten Fisch aus Holz als Talismann, setzt sich auf seinen Schoß, öffnet ihm die Hose, greift unter ihren Rock und keucht.

Auf der „John London“ freundet Merce sich mit dem sechsundzwanzigjährigen Matrosen William Backwell an, der mit elf aus seinem Elternhaus in Joliet, Illinois, fortlief.

Nach neun Wochen gerät die „John London“ vor der südamerikanischen Küste in einen Orkan. Neunzehn von zweiunddreißig Besatzungsmitgliedern kommen bei dem Unwetter ums Leben. Das Wrack läuft vor Montevideo auf eine Sandbank. Nach sieben Tagen werden die Überlebenden von einem Küstenfischer gerettet.

Backwell heuert auf dem Expeditionsschiff „Endurance“ an, das auf dem Weg von London nach Buenos Aires in Montevideo anlegt. Einen Siebzehnjährigen wie Merce Blackboro hält der Expeditionsleiter Sir Ernest Shackleton für zu jung. Immerhin wollte er in die Antarktis. Damit die Freunde sich nicht trennen müssen, überredet William Backwell die beiden Matrosen Walter How und Thomas McLeod, den Jungen an Bord zu schmuggeln und in einem Spind für Ölzeug zu verstecken.

Als die „Endurance“ längst auf hoher See ist, entdecken die beiden Heizer William Stevenson und Ernest Holness den blinden Passagier. Kapitän Frank Worsley ordnet an, ihn als Küchenhilfe zu beschäftigen.

Einen Monat lang ankert die „Endurance“ in der Ostcumberland-Bucht vor Grytviken, Südgeorgien. Dort sind die Männer Gäste des Leiters der Walfangstation, Kapitän Fridjof Jacobsen und seiner Frau Stina. Einmal darf Merce auf einem Walfänger mitfahren und zusehen, wie ein Blauwal harpuniert wird.

Der Wal begann das Schiff davonzuziehen. Er schleppte die STAR X südwärts, in die Richtung, in der seine Schule verschwunden war. Noch immer machte er gute acht Knoten Fahrt. Larsen feuerte einen zweiten Sprengsatz in ihn hinein. Die Männer schätzten seine Länge auf 26 Meter. Der Wal wurde langsamer, und eine Stunde später stieg er an die Oberfläche und stieß blutigen Nebel aus dem Blasloch. Er regte sich nicht mehr. Kurz bevor er in die Tiefe sank, schloss sich sein Auge. Hurley, der jedes Stadium der Agonie mit der Kamera festhielt, kam es wie das Auge des erlegten Riesen vor, von dem es im Märchen hieß, er habe mit den Lidern Kokosnüsse knacken können.
Mithilfe einer Hohlharpune wurde Luft durch den Walspeck in die Körperhöhle gepumpt. Der Kadaver schwoll an und kam an die Oberfläche zurück. Die Norweger vertäuten ihn am Schiffsrumpf, und zwei jüngere Langbärte zogen Nagelstiefel an, stiegen auf den Wal und hieben ihm die wertlose Fluke ab. (Seite 144)

Am 5. Dezember 1914 sticht die „Endurance“ wieder in See und nimmt Kurs auf die Antarktis. Nach wenigen Wochen wird das Schiff im Weddell-Meer vom Eis eingeschlossen, und es ist damit zu rechnen, dass die achtundzwanzig Mann Besatzung bis in den – auf der Südhalbkugel der Erde im September beginnenden – Frühling festsitzen.

Am 25. Februar 1915 werden die Männer in der Messe von einem lauten Knall überrascht.

„Alle Mann raus!“, brüllen Shackleton, Greenstreet und Vincent. Das Mittagessen ist zu Ende, die Robbenroulade mit Kartoffeln wird niemand mehr essen, wir schmeißen das Besteck von uns und stürmen an Deck.
Der Anblick, der sich uns dort bietet, ist ein völlig anderer als erwartet und lässt mich wie alle diejenigen, die keine Ahnung haben, in wilden Jubel ausbrechen. Unmittelbar vorm Bug der ENDURANCE ist eine Scholle entzweigebrochen. Eine Rinne hat sich gebildet, und nur 250 Meter trennen das Schiff von einem freien See im Eis, auf dem wir wegkämen, südwärts.
Niemand braucht uns zu sagen, was zu tun ist. Mit Spaten, Pickeln und Sägen bewaffnet springen wir über Bord […]
Kaum fließt das Wasser, wird es schon träge, wird zu Brei und erstarrt […] Sinnlos, die Rinne offen halten zu wollen. Die Kälte ist schneller. (Seite 204)

Und eines frühen Morgens, als das Schiff ohne unser Zutun plötzlich freikommt und mitten auf dem Meer in einem Teich umgeben von Schollen schwimmt, gelingt es uns nicht, die Kessel hochzufahren, weil Eis in den Rohren ein Leck in die Wasserleitungen gesprengt hat. Stunden vergehen, bis wir alle gefrorenen Segel gesetzt haben. Und wir kommen 100 Meter weiter, ehe die kaum merkliche Dünung wieder zu Brei gefriert und uns seelenruhig einschließt. (Seite 254f)

Das driftende Eis presst die „Endurance“ immer stärker zusammen. Im Oktober 1916 wird die Bordwand eingedrückt.

Unter Deck hört man Pfosten und Spanten ächzen, bevor sie mit lautem Knall brechen. (Seite 256)

Die Besatzung muss das Wrack verlassen. Shackleton befiehlt, alles Entbehrliche unabhängig von seinem finanziellen Wert abzulegen. Am 30. Oktober 1915 marschieren die Männer los und ziehen drei Rettungsboote übers Eis, aber sie kommen nicht weit und beschließen, ein Camp einzurichten. Als am 8. April 1916 die Eisscholle bricht, auf der die Schiffbrüchigen seit Monaten lagern, lassen sie die drei Rettungsboote zu Wasser. Nach knapp einer Woche erreichen sie die unbewohnte Elefanten-Insel. Von dort brechen sechs Mann – darunter Merce Blackboro – mit einem der Boote auf, während die anderen in einer Bucht auf Rettung warten müssen. Die Bootsbesatzung strandet nach gut zwei Wochen in der King Haakon Bay von Südgeorgien. Hier bleiben Frank Worsley, John Vincent und William Bakewell zurück, während Ernest Shackleton, Thomas Crean und Merce Blackboro die Insel zu Fuß überqueren und in der von Roald Amundsens Schwager Thoralf Sørlle geleiteteten Walfangstation Stromness Hilfe finden.

Als Merce Blackboro endlich wieder in Pillgwenlly eintrifft, bestaunt er den Säugling seiner Schwester, die inzwischen mit einem Fabrikanten verheiratet ist. Merces Schwager Herman muss nach Frankreich in den Krieg. Bald darauf heißt es, er sei verschollen.

Bei einem Volksfest sieht Merce Ennid wieder, die jetzt mit dem Flieger Mickie Mannock zusammen ist. Obwohl es Merce schmerzt, Ennid verloren zu haben, schenkt er Mannock seinen Talismann. Der hilft dem Flieger allerdings nicht: Vierzehn Monate später, im Juli 1918, wird er von der deutschen Infanterie abgeschossen.

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Mirko Bonné (* 1965) erzählt in seinem Abenteuer-Roman „Der eiskalte Himmel“ von der „Imperial Trans-Antarctic Expedition“, die inoffiziell auch nach dem dabei verwendeten Hauptschiff als „Expedition Endurance“ bezeichnet wird. Die Fakten schmückt Mirko Bonné aus, indem er aus dem blinden Passagier Perce Blackboro, der sich tatsächlich an Bord der „Endurance“ befand, den fiktiven Ich-Erzähler Merce Blackboro macht, einen zu Beginn der Expediton im Jahr 1914 siebzehnjährigen, vielbelesenen blinden Passagier. Dieser Junge schildert seine Erlebnisse während der gescheiterten Antarktis-Expedition im Präsens. Am 24. April 1916 blieb Perce Blackboro mit einundzwanzig anderen Schiffbrüchigen zurück, als Ernest Shackleton, Frank Worsley, Thomas Crean, Harry McNeish, John Vincent und Timothy McCarthy mit einem der Beiboote aufbrachen, um Hilfe zu holen. Damit der Ich-Erzähler in „Der eiskalte Himmel“ jedoch über die dramatische Rettungsaktion berichten und noch bis zur King Haakon Bay mit seinem Freund William Bakewell zusammen sein kann, vertauscht Mirko Bonné die beiden mit dem Zimmermann Harry McNeish und dem Matrosen Timothy McCarthy.

Schade ist, dass Mikro Bonné die vier Seereisen auf vier verschiedenen Schiffen, die der Expeditionsleiter Ernest Shackleton von Mai bis August 1916 durchführte, um die auf Elephant Island zurückgelassenen Schiffbrüchigen zu bergen, nur mit einem Satz erwähnt. Denn gerade diese Anstrengungen bewiesen, dass Shackleton seine Männer nicht im Stich ließ. Obwohl die „Imperial Trans-Antarctic Expedition“ schon sehr früh scheiterte und sich nahezu unmenschliche Schwierigkeiten auftaten, gelang es Shackleton, alle Männer, die mit ihm auf der „Endurance“ aufgebrochen waren, lebend zurückzubringen. Das war seine besondere Leistung.

Lesenswert ist „Der eiskalte Himmel“, weil hier eine abenteuerliche Expeditionsreise zur Antarktis und ein vorbildlicher Charakter anschaulich und in einer anspruchsvollen Sprache dargestellt werden.

Den Roman „Der eiskalte Himmel“ gibt es auch als Hörbuch, gesprochen von Andreas Pietschmann (Regie: Franziska Paesch, Hamburg 2006, 4 CDs, ISBN: 978-3-8337-1585-3).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Schöffling

Ernest Shackleton (Kurzbiografie)
Expedition Endurance

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