Harvey Milk


Harvey Bernard Milk wurde am 22. Mai 1930 in Woodmere/New York geboren. Seine jüdischen Eltern Bill und Minerva Milk kamen aus Litauen. Sie zogen 1945 mit ihm und seinem vier Jahre älteren Bruder fünfzig Kilometer nach Westen und siedelte sich in Bay Shore/New York an.

Von 1947 bis 1951 studierte Harvey Milk am New York State College for Teachers Mathematik und Geschichte fürs Lehramt. Danach diente er vier Jahre lang als Kampfschwimmer bei der US-Marine und avancierte zum Leutnant. Erst 1957 begann er in seinem Beruf als Lehrer zu arbeiten, und zwar an der George W. Hewlett High School in Long Island. Aus Unzufriedenheit beendete Harvey Milk die Lehrertätigkeit und ging als Versicherungsmathematiker nach New York City. 1963 wechselte er dort als Finanzanalytiker zu der Investmentfirma Bache & Company.

1962 hatte Harvey Milk nach sechs Jahren seine homosexuelle Freundschaft mit Joe Campbell beendet. Als sein neuer Partner, der 17 Jahre jüngere, an einer

bipolaren Störung leidende John Galen McKinley, die Regie für eine „Hair“-Aufführung in San Francisco übernahm, folgte Harvey Milk ihm und setzte seine Tätigkeit als Analyst in einem kalifornischen Unternehmen fort. Die Beziehung zerbrach 1968. Während John Galen McKinley nach New York zurückkehrte, blieb Harvey Milk noch zwei Jahre länger in San Francisco, und nach einem Aufenthalt von 1970 bis 1972 in New York wurde die Hippie-Metropole seine Wahlheimat. Nach dem Vorbild von Craig Rodwell (1940 – 1993), der am 24. November 1967 in San Francisco die erste Buchhandlung für Schwule und Lesben (Oscar Wilde Memorial Bookshop) eröffnet hatte, richtete auch Harvey Milk 1973 mit seinem Partner Joseph Scott Smith zusammen einen Laden in einem Schwulen-Viertel der Stadt ein, und zwar ein Fotogeschäft (Castro Camera).

Etwa zur gleichen Zeit beschloss Harvey Milk, sich in der Bürgerrechtsbewegung zu engagieren. Er kandidierte 1973 für den Stadtrat, erhielt jedoch kein Mandat. Im Jahr darauf gründete er für sich und andere schwule Einzelhändler eine Interessenvertretung und organisierte unter dem Namen „Castro Street Fair“ ein Straßenfest in dem Schwulenviertel. Damit riskierte er eine Haftstrafe, denn Homosexualität stand damals noch unter Strafe und galt als „Verbrechen wider die Natur“. 1975 kandidierte er erneut für den Stadtrat, obwohl er wegen seiner Eigenwilligkeit von den bestehenden Schwulen-Organisationen abgelehnt wurde. Um auch für konventionelle Bürger wählbar zu sein, legte Harvey Milk seinen Hippie-Look ab, ließ sich das Haar kürzen und begann Anzüge zu tragen.

Am 22. September 1975 kam US-Präsident Gerald Ford nach San Francisco. Der schwule Marinesoldat Oliver Sipple (1941 – 1989), der früher wie Harvey Milk mit Joe Campbell zusammen gewesen war, verhinderte durch sein beherztes Eingreifen ein Attentat auf Ford. Zwar wollte sich Oliver Sipple nicht als homosexuell outen, aber Harvey Milk wies in den Medien darauf hin, dass es auch schwule Helden gebe und beklagte, dass Sipple wegen seiner sexuellen Orientierung nicht die ihm gebührende Anerkennung erhalten habe.

Bei der Wahl zum Stadtrat schaffte es Harvey Milk wieder nicht, einen Sitz zu bekommen. Bürgermeister wurde George Moscone (1929 – 1978), ein Liberaler, der sich dafür einsetzte, Homosexualität nicht länger zu kriminalisieren. Moscone holte Harvey Milk Anfang 1976 in den Berufungsausschuss für Lizenzen der Stadt San Francisco, aber nach fünf Wochen schied das neue Mitglied schon wieder aus, um sich für einen Sitz im Parlament des kalifornischen Staates zu bewerben. John Ryckman wurde sein Wahlkampfmanager. Gewählt wurde jedoch nicht Harvey Milk, sondern dessen Konkurrent Art Agnos.

Joseph Scott Smith verließ im August 1976 das gemeinsame Haus in San Francisco und ging wieder seine eigenen Wege.

Als Dade County in Florida die Diskriminierung aufgrund von Homosexualität 1977 verbot, initiierte Anita Bryant (* 1940) unter dem Motto „Save Our Children“ eine Kampagne zur Rücknahme der Liberalisierung. Die Sängerin und ehemalige „Miss Oklahoma“ warb dafür mit der Behauptung, Homosexuelle würden Kinder sexuell umpolen. Am 7. Juni 1977 erreichte Anita Bryant ihr Ziel: Die Verordnung wurde zurückgenommen. Dieser Erfolg rüttelte die Schwulenbewegung auf. Harvey Milk führte einen Demonstrationszug an. Man warf Anita Bryant Torten ins Gesicht und rief zum Orangensaft-Boykott auf, weil sie dafür Reklame machte.

Am 8. November 1977 wurde Harvey Milk mit Unterstützung seiner Wahlkampfmanagerin Anne Kronenberg endlich in den Stadtrat von San Francisco gewählt. Seine Vereidigung erfolgte am 9. Januar 1978.

Zu dieser Zeit wurde der Mexikaner Jack Lira sein Lebensgefährte.

Anita Bryants Erfolg spornte den kalifornischen Senator John Briggs (* 1930) zu Initiativen gegen Homosexuelle an. In der Proposition 6 (The Briggs Initiative) verlangte er die Entfernung von Schwulen und Lesben sowie deren Sympathisanten aus dem Schuldienst. Aber die Initiative des Republikaners scheiterte bei einer Volksabstimmung am 7. November 1978.

Weil er einen Anschlag auf sein Leben für möglich hielt, besprach Harvey Milk ein Tonband mit seinem politischen Testament. Darin heißt es: „Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass jemand wie ich, ein Aktivist der Schwulenbewegung, zur Zielscheibe für jemanden werden kann, der innerlich verunsichert, erschreckt, ängstlich oder verwirrt ist.“ (zit. Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2009)

Am 27. November 1978 wurden Harvey Milk und der Bürgermeister George Moscone von dem kurz zuvor zurückgetretenen Stadtrat Daniel James („Dan“) White (1946 – 1985), einem früheren Polizisten, in der City Hall von San Francisco erschossen. Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Stadtrats von San Francisco, gab den Tod der beiden Männer bekannt.

Weil Dan White, der wütend darüber gewesen war, dass Moscone ihn nicht wieder in sein Amt eingesetzt hatte, im Mai 1979 nur zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, protestierten die Schwulen, und es kam zu blutigen Straßenkämpfen mit der Polizei (White Night Riots), bei denen auch Harvey Milks Fotogeschäft verwüstet wurde.

Am 30. Juli 2009 verlieh man Harvey Milk postum die Presidential Medal of Freedom. Und ein Vierteljahr später erklärte der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger den Geburtstag des ersten Politikers in den USA, der sich zu seiner Homosexualität bekannt hatte, zum Harvey Milk-Gedenktag.

Unter dem Titel „The Life and Death of Harvey Milk“ veröffentlichte Randy Shilts (1951 – 1994) im März 1979 im Christopher Street Magazine ein Porträt, das er 1982 zum Buch erweiterte: „The Mayor of Castro Street. The Life and Times of Harvey Milk“ („Harvey Milk. Ein Leben für die Community“, Übersetzung: Bernhard Schmid, Bruno Gmünder Verlag, Berlin 2009, 599 Seiten, ISBN 978-3-86787-127-3).

Der Komponist Stewart Wallace und der Librettist Michael Korie schrieben die Oper „Harvey Milk“, die im Januar 1995 an der Houston Grand Opera uraufgeführt wurde.

Rob Epstein (* 1955) drehte 1984 den Dokumentarfilm „Wer war Harvey Milk?“, der mit einem „Oscar“ ausgezeichnet wurde.

Wer war Harvey Milk? – Originaltitel: The Times of Harvey Milk – Regie: Rob Epstein – Drehbuch: Judith Coburn, Rob Epstein, Carter Wilson – Kamera: Frances Reid – Schnitt: Rob Epstein, Deborah Hoffmann – Musik: Mark Isham – 1984; 90 Minuten

In dem ebenfalls „Oscar“-prämierten Kinofilm „Milk“ spielt Sean Penn unter der Regie von Gus Van Sant die Titelrolle.

© Dieter Wunderlich 2012

Gus Van Sant: Milk

Eugen Ruge - Cabo de Gata
Eugen Ruge lässt ein namenloses Ich aus der Einnerung erzählen und täuscht durch die Konstruktion des Romans "Cabo de Gata" Authentizität vor. Es fehlt nicht an Selbstironie. Die Sprache ist schlicht, unaufgeregt und lakonisch.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.