Edith Piaf


Anetta Maillard betrieb in Paris eine Reitbahn, doch weil die Einnahmen nicht zum Leben reichten, sang sie außerdem in Kneipen und auf der Straße.

1914: Mit sechzehn heiratete sie den doppelt so alten Zirkusakrobaten Louis Gassion.

19. Dezember 1915: Anetta Gassion kam auf dem Regenumhang eines Pariser Polizisten in einem Hauseingang in der Rue de Belleville mit einer Tochter nieder.

Was sollte sie mit einem Kind anfangen? Ihr Mann war inzwischen im Krieg. Anetta Gassion brachte die kleine Edith zu ihrer kabylischen Mutter Edith, die den Säugling nicht weniger lästig fand und ihm deshalb Rotwein in die Milch mischte. Der Alkohol sollte das Baby nicht nur schläfrig machen, sondern zugleich Bazillen abtöten, denn seine Großmutter hielt von anderen hygienischen Maßnahmen nicht viel.

1917: Als Louis Gassion Heimaturlaub bekam und sah, wie schmutzig seine Tochter war, nahm er sie seiner Schwiegermutter weg und brachte sie zu seiner eigenen Mutter, die in Bernay in der Normandie ein Bordell führte.

Nachdem Edith Gassion in Bernay eingeschult worden war, fanden die Eltern ihrer Mitschülerinnen rasch heraus, wo sie lebte – und sorgten dafür, dass Edith die Schule wieder verlassen musste. Der Pfarrer drängte ihren Vater, das Kind aus der sündigen Umgebung zu entfernen. Von da an begleitete Edith ihren Vater, der weiterhin mit dem Wanderzirkus herumzog und assistierte ihm abends in der Manege. Zur Schule konnte sie nur gehen, wenn sie wenigstens ein paar Tage an einem Ort blieben.

1931: Im Alter von fünfzehn Jahren verließ Edith ihren Vater nach einem heftigen Streit und schlug sich als Straßensängerin in Paris durch. Dabei freundete sie sich mit der ein paar Monate jüngeren Simone Berteaut (»Momone«) an, die ebenfalls obdachlos war und an Straßenecken sang. Die beiden gaben sich als Schwestern aus.

1932: Mit sechzehn begegnete Edith dem ein Jahr älteren Gelegenheitsarbeiter Louis Dupont und wurde schwanger.

11. Februar 1933: Sie gebar eine Tochter, der sie den Namen Marcelle (»Cécelle«) gab.

Mit ihr und Louis lebte sie in einem schäbigen kleinen Apartment.

Nach einem heftigen Streit mit Louis‘ Adoptivmutter Georgette, bei dem ihre mit einem Schürhaken bewaffnete Gegnerin zu Boden ging und sich die Stirn an einem Eimer blutig schlug, warf ihr Ehemann sie hinaus. Zuflucht suchte sie bei einem Legionär. Als Louis Dupont feststellte, dass Edith die Kleine mitnahm, wenn sie mit Simone Berteaut durch Straßen und Hinterhöfe zog, passte er sie ab und entriss ihr Marcelle. Edith sah ihr Kind nie wieder.

1934: Marcelle starb im Alter von eineinhalb Jahren an einer Hirnhautentzündung. Edith Piaf erzählt in ihrer Autobiografie »Mein Leben«, sie sei für 10 Francs mit einem Freier aufs Zimmer gegangen, um das Begräbnis bezahlen zu können. Angeblich weinte sie aber so, dass der Mann Mitleid bekam und ihr das Geld ohne Gegenleistung überließ.

Kurze Zeit später schaffte sie für einen Zuhälter namens Albert an, doch statt auf den Strich zu gehen, soll sie ihm das beim Singen eingesammelte Geld gegeben haben. Albert sei anfangs damit einverstanden gewesen, behauptet Edith Piaf, solange sie ihm wenigstens ebenso viel einbrachte wie die Prostituierte Rosita, die auch für ihn arbeitete. Nach einer Weile verlangte er allerdings von Edith, dass sie Frauen für ihn ausspähte, die wertvollen Schmuck trugen. Die beraubte er dann auf der Straße.

Als Edith sich von ihm trennte, schoss er angeblich in der Bar »Nouvelle Athènes« am Pigalle auf sie und verletzte sie am Hals.


Dieter Wunderlich: AußerOrdentliche Frauen. © Piper Verlag 2009

Ein literarisches Porträt von Edith Piaf finden Sie in dem Buch
„AußerOrdentliche Frauen. 18 Porträts“ von Dieter Wunderlich.
Piper Verlag, München 2009 – Leseprobe


Zufällig hörte Louis Leplée, der Direktor des Cabarets »Gerny’s«, Edith Gassion an einer Straßenecke. Daraufhin lud er sie zum Vorsingen ein. Obwohl sie eine Stunde zu spät kam, bestand sie die Prüfung, und Louis Leplée gab ihr den Künstlernamen »Piaf«. Bei ihrem erfolgreichen Debüt im Oktober 1935 war auch Maurice Chevalier zugegen.

Oktober 1935: Durch Louis Leplée lernte Edith Piaf den vierzehn Jahre älteren Chanson-Texter Raymond Asso kennen.

6. April 1936: Louis Leplée fiel einem Raubmord zum Opfer. Wenige Stunden zuvor hatte er in seinem Cabaret erzählt, er habe gerade ein Apartment gegen Bargeld verkauft. Die Polizei hielt Edith Piaf für verdächtig und nahm sie fest, aber die Zwanzigjährige musste bald wieder freigelassen werden, denn sie hatte mit dem Verbrechen nichts zu tun.

Simone Berteaut begleitete Edith Piaf zu Gastspielen in Brest und Nizza.

Zurück in Paris, wandte sich Edith Piaf an Raymond Asso. Er nahm sich ihrer an, erklärte ihr nicht nur, worauf es bei Chansons ankam, sondern hielt sie auch zu mehr Körperpflege an, riet ihr zu einer vorteilhafteren Frisur und brachte ihr die korrekte Aussprache des Französischen bei.

1936: Edith Piaf freundete sich mit der gut zwölf Jahre älteren Pianistin und Komponistin Marguerite Monnot an. Die Freundschaft hielt ein Leben lang.

Frühjahr 1937: Raymond Asso überredete Mitty Goldin, den Direktor des »Théâtre de l’A. B. C«, Edith Piaf eine Chance zu geben. Die 1,47 Meter große Sängerin trat in einem schwarzen Kleid mit weißem Spitzenkragen auf – und überzeugte das Publikum.

August 1939: Einen Tag bevor Edith Piaf in Deauville mit einer von ihm organisierten Tournee begann, musste sich Asso zum Militärdienst melden.

Als er sie nach einigen Monaten wiedersah, traf er sie mit dem Schauspieler Paul Meurisse in seinem Zimmer im Hotel »Alsina« an.

Asso habe aus Edith Piaf ein »gedrilltes Zirkuspferd« gemacht, behauptete Meurisse, der Sohn eines Bankdirektors, der sie nun in die gehobene Gesellschaft einführte und der drei Jahre Jüngeren zeigte, wie man sich in diesen Kreisen benahm.

Edith Piaf mietete ihr erstes eigenes Apartment. Dort prügelte sie sich mit ihrem Geliebten, denn sobald sie argwöhnte, dass eine Beziehung ein Käfig für sie werden könnte, wehrte sie sich dagegen.

1940: Andrée Bigard, die 1940 bis 1952 als Sekretärin für Edith Piaf arbeitete, soll ihr den ersten Büstenhalter gekauft haben. Ihre Chefin mochte das beengende Kleidungsstück jedoch nicht: Bevor sie sich auf der Bühne mit auf dem Rücken verschränkten Armen verbeugte, hakte sie den BH auf und nach kurzer Zeit ließ sie ihn wieder ganz weg.

April 1940: Edith Piaf spielte in dem Theaterstück »Le bel indifférent« von Jean Cocteau mit.

1942 bis Kriegsende: Edith Piaf und Andrée Bigard fanden Zuflucht im »L’Étoile de Kléber«, einem der bekanntesten Bordelle in Paris, das von Aline Soccodato (»Madame Billy«) geführt wurde.

Sommer 1944: Lou Barrier, der neue Impresario des »Moulin Rouge«, engagierte die zierliche Chansonsängerin für zwei Wochen.

Dabei lernte sie den sechs Jahre jüngeren Yves Montand kennen, der gerade erst aus Südfrankreich nach Paris gekommen war und am Anfang seiner Karriere als Sänger und Schauspieler stand. Sie förderte ihn zunächst, aber die Liebesaffäre der beiden endete nach kurzer Zeit, denn Edith Piaf kam von einer Tournee im Elsass mit Jean-Louis Jaubert zurück, einem der acht, später neun »Compagnons de la Chanson«. Zu dieser Zeit schrieb Edith Piaf den Text des Chansons »La vie en rose«, und Louis Louiguy komponierte die Musik dazu. Mit diesem Lied wurde sie berühmt.

August 1945: Ediths Mutter Anetta starb an einer Überdosis Morphium.

Oktober 1945: Bei der ersten Show von Yves Montand im »Théâtre de l’Étoile« saß Edith Piaf im Publikum.

1947: Edith Piaf reiste erstmals in die USA. Das Publikum im New Yorker »Playhouse« applaudierte verhalten. Vielleicht lag es daran, dass die Amerikaner die Texte der französischen Lieder nicht verstanden und ein Conférencier deshalb vor jedem Chanson kurz kurz den Inhalt erklärte. Der Misserfolg spornte Edith Piaf an: Prompt eroberte sie in dem berühmten New Yorker Nachtklub »Versailles« das Publikum und schaffte auf diese Weise den Durchbruch. Fünf Monate blieb sie in den USA. Sogar Marlene Dietrich kam nach New York, um Edith Piaf zu hören, und die beiden Stars freundeten sich an.

Bei einer Cocktailparty in New York lernte Edith Piaf den Boxer Marcel Cerdan kennen. Obwohl er in Casablanca eine Frau und drei Kinder hatte, wurde er ihr Liebhaber.

28. Oktober 1949: Marcel Cerdan, der es inzwischen zum Weltmeister im Mittelgewicht gebracht hatte, wollte sich mit Edith Piaf in New York treffen. Weil sie es kaum erwarten konnte, drängte sie ihn, einen früheren Flug als geplant zu nehmen. Ausgerechnet die Maschine, in der Marcel Cerdan saß, zerschellte auf den Azoren. Obwohl die Nachricht Edith Piaf niederschmetterte, trat sie am Abend im »Versailles« auf. Aber es war zu viel für sie: Sie brach zusammen.

17. Februar 1950: Marinette, die Witwe von Marcel Cerdan, lud Edith Piaf nach Casablanca ein. Die Sängerin folgte der Einladung und bot Marinette ihre Hilfe an.

Der plötzliche Tod ihres Geliebten und die Vorwürfe, die sie sich machte, weil sie ihn gebeten hatte, seinen Flug umzubuchen, belasteten Edith Piaf schwer. Sie trank deshalb mehr als sonst und nahm abwechselnd Aufputsch- und Beruhigungsmittel.

24. Juli 1950: Bei einem Autounfall nahe Tarascon brach sie sich den linken Arm und einige Rippen. Gegen die Schmerzen injizierte ihr eine Krankenschwester Morphium. Auf diese Weise begann Edith Piafs Abhängigkeit von dieser Droge. Es war ein Teufelskreis: Ohne Alkohol und Drogen konnte sie nicht auftreten, aber sie musste singen, denn sie benötigte die Gagen, um das Morphium zu bezahlen.

Während sie sich von den Folgen des Unfalls in ihrem Haus in Boulogne-sur-Seine erholte, kümmerte sich der Radrennfahrer André Pousse um sie.

1951: Edith Piaf verhalf dem Sänger und angehenden Filmschauspieler Eddie Constantine zu einer Rolle in einem Bühnenstück von Marcel Archard. Sieben Monate lang wurde es gespielt. Genauso lang dauerte die Affäre von Eddie Constantine mit Edith Piaf.

14. Juli 1951: Charles Aznavour verunglückte mit Edith Piaf auf dem Beifahrersitz bei Cerisiers. Sie stürzten in die Yonne, blieben aber unverletzt.

29. Juli 1952: Edith Piaf heiratete den Sänger Jacques Pills (bürgerlich: René Ducos) auf einem Standesamt in Paris, und bei der kirchlichen Vermählung in New York am 20. September fungierte Marlene Dietrich als Trauzeugin.

1953: Vor einem Auftritt im Casino von Royat hatte sie so viel getrunken, dass sie sich nicht mehr an den Text erinnern konnte und lallte. Erst als sie Pfiffe aus dem Publikum hörte, riss sie sich zusammen.

Das Zusammenleben des Ehepaars wurde durch die Alkoholkrankheit und die Drogensucht Edith Piafs, aber auch durch ihre Exzentrik zur Qual.

1954: Edith Piaf war zum zweiten Mal in einer Entzugsklinik.

1956: Jacques Pills reichte die Scheidung ein.

Beim dritten Aufenthalt in einer Entzugsklinik gelang es Edith Piaf, ihre Sucht für längere Zeit zu überwinden.

1956/57: Edith Piaf trat als erste Varieté-Sängerin in der für ihre Akustik berühmten »Carnegie Hall« in New York auf.

1957: Zur Entourage der Zweiundvierzigjährigen stieß der neunzehn Jahre jüngere George Moustaki, der in Alexandria geborene Sohn eines jüdisch-griechischen Buchhändlers, der seit sechs Jahren in Paris lebte und als Liedermacher reüssierte.

1958: Edith Piaf sang drei Monate lang en suite im »Olympia« in Paris.

September 1958: Autounfall mit George Moustaki

September 1959: Edith Piaf wurde nach einem Auftritt im Hotel »Waldorf Astoria« in Manhattan mit einem Magendurchbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Bei den Untersuchungen vor und nach der Operation diagnostizierten die Ärzte außerdem Leberkrebs. Während sie im Krankenbett lag, trennte sich George Moustaki von ihr.

1959: Edith Piaf sang erstmals das von Marguerite Monnot (Musik) und George Moustaki (Text) für sie geschriebene Chanson »Milord«.

10. November 1960: Edith Piaf intonierte erstmals das 1956 von Charles Dumont (Musik) und Michel Vaucaire (Text) geschriebene Chanson »Non, je ne regrette rien«.

Februar 1962: Edith Piaf lernte den zwanzig Jahre jüngeren Griechen Theophanis Lamboukas kennen, dessen Eltern in La Frette-sur-Seine bei Paris einen Friseursalon betrieben. Er hatte sich an Edith Piaf gewandt, weil er Sänger werden wollte. Sie verliebte sich in ihn, kaufte ihm eine elektrische Eisenbahn, gab ihm den Künstlernamen Théo Sarapo und begann ihn aufzubauen.

16. Juli 1962: Théo Sarapo stellte Edith Piaf seinen Eltern und seinen Schwestern Christie und Cathy in La Frette vor.

9. Oktober 1962: Scheinbar unbeeindruckt von hämischen Kommentaren vermählte sich das ungleiche Paar auf dem Standesamt und in einer griechisch-orthodoxen Kirche in Paris.

Bald darauf mietete Théo Sarapo eine Villa in Plascassier bei Grasse, um sich mit der Todkranken zurückziehen zu können.

10. Oktober 1963: Edith Piaf starb dort im Alter von siebenundvierzig Jahren.

14. Oktober 1963: Vierzigtausend Menschen drängten sich, als sie auf dem Pariser Prominentenfriedhof Père Lachaise beerdigt wurde.

Olivier Dahan drehte mit Marion Cotillard in der Titelrolle den Film „La vie en rose“.

© Dieter Wunderlich 2003 / 2008

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