Das Attentat von Sarajewo


Am 26. Juni 1914 kam Erzherzog Franz Ferdinand mit seiner Frau in die bosnische Hauptstadt Sarajewo. An diesem Sonntag erinnerte das benachbarte serbische Königreich erstmals mit einem offiziellen Staatsfeiertag an die Schlacht auf dem Amselfeld: Dort hatten die Osmanen am 28. Juni 1389 die serbischen Völker vernichtend geschlagen und fast den gesamten serbischen Adel ausgerottet.

Bei der Ankunft entging das österreichische Thronfolgerpaar nur knapp einem Bombenanschlag. Um die dabei Verletzten im Krankenhaus aufzusuchen, bestiegen Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie Gräfin Chotek, Herzogin von Hohenberg, nach einem Empfang im Rathaus einen Wagen. Da sprang ein serbischer Gymnasiast aus der Menge hervor und schoss. Er traf Franz Ferdinand in die Schläfe und Sophie in den Unterleib. Der Thronfolger war sofort tot; seine Frau starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

An Ort und Stelle festgenommen wurde der Täter, Gavrilo Princip (1895 – 1918). Princip gehörte zu der 1911 im serbischen Königreich gegründeten nationalistischen Geheimorganisation „Ujedin jenje ili smrt“ (Einheit oder Tod); „Schwarze Hand“ wurde sie auch genannt.

Auf Franz Ferdinand hatten es die Verschwörer abgesehen, weil dieser die Slawen als Gegengewicht zu den Ungarn zur dritten Staatsnation der Habsburger Monarchie hatte erheben wollen – und damit den slawischen Nationalisten den Wind aus den Segeln genommen hätte.

Der serbische Regierungschef Nikola Pasic ahnte wohl seit Anfang Juni etwas von dem in Bosnien geplanten Attentat, befürwortete es zwar nicht, verhinderte es aber auch nicht.

Zwei Tage nach dem Mord in Sarajewo erklärte der österreichisch-ungarische Außenminister Leopold Graf von Berchtold dem deutschen Botschafter in Wien, dass gegen die Serben vorgegangen werden müsse. Dazu hatte sich die Wiener Regierung schon vor dem 26. Juni entschlossen; das blutige Attentat in Bosnien lieferte bloß noch den geeigneten Vorwand dafür.

Das serbische Königreich dominierte auf der Balkanhalbinsel und bereitete sich darauf vor, zum „Piemont der Südslawen“ zu werden. Auf dem Balkan prallten die österreichischen und die russischen Interessen aufeinander: Die Habsburger Monarchie, die ohnehin zu zerreißen drohte, sah sich durch den südslawischen Nationalismus und dessen serbische Machtbasis ernsthaft bedroht. Die Russen dagegen unterstützten die nationalistischen Bewegungen und betonten, dass sie selbst zu den Slawen gehörten, weil sie glaubten, dadurch ihren Einflussbereich ausweiten zu können. Jede militärische Intervention auf dem Balkan beschwor einen russisch-österreichischen und – infolge der Bündnissysteme – europäischen Krieg herauf.

Auf das Wagnis, trotzdem gegen Serbien loszuschlagen, konnte sich die österreichische Regierung allenfalls einlassen, wenn sie von der politischen und militärischen Führung in Berlin unterstützt wurde.

Der deutsche Botschafter in Wien, Heinrich von Tschirschky und Boegendorff, warnte davor, auf dem Balkan einzugreifen, aber Kaiser Wilhelm II. schrieb an den Rand seines Berichtes vom 30. Juni: „Mit den Serben muss aufgeräumt werden, und zwar bald. – Jetzt oder nie.“ Als der österreichische Sondergesandte Alexander Graf von Hoyos und der österreichische Botschafter in Berlin, Ladislaus Graf Szögyény-Marich, den deutschen Standpunkt sondierten (Hoyos-Mission, 4. – 6. Juli 1914), sagte der Kaiser am 5. Juli die deutsche Rückendeckung auch für den Fall einer Ausweitung des Konfliktes zu („Blankoscheck“), und der Reichskanzler bestätigte dies am folgenden Tag in einer Unterredung mit den Grafen Hoyos und Szögyény.

Die deutsche Staatsführung sorgte sich, dass ihr einziger verlässlicher Bundesgenosse durch die nationalistischen Bewegungen zerbrechen könnte und sie dann vollends isoliert der feindlichen Allianz gegenüberstünde. Ein Krieg werde sich ohnehin nicht auf Dauer vermeiden lassen – das offenbare sich in den fortwährenden Krisen auf dem Balkan und in Nordafrika; es gehe letztendlich um den Aufstieg des Deutschen Reichs zur Weltmacht oder den Niedergang zum ohnmächtigen Staat dritter Ordnung. Die Zeit arbeitete gegen die Mittelmächte: zusehends wuchs die feindliche Übermacht. Die deutschen Militärs glaubten, dass die in Sarajewo ausgelöste Krise die letzte Gelegenheit bot, den Zusammenbruch des Partners zu verhindern, die Einkreisung zu durchbrechen und einen Krieg zu gewinnen. Die Berliner Regierung hoffte, der Krieg werde sich auf den Balkan begrenzen lassen, weil weder Russland noch Frankreich kriegsbereit seien und Großbritannien nicht eingreifen werde.

Dreieinhalb Wochen nach dem Attentat in Sarajewo, am späten Nachmittag des 23. Juli, stellte Österreich-Ungarn dem serbischen Königreich ein auf achtundvierzig Stunden befristetes Ultimatum. Die Belgrader Regierung sollte zusichern, alle gegen Österreich-Ungarn gerichteten Veröffentlichungen zu zensieren und mit Hilfe österreichischer Beamter gegen die in Serbien vermuteten Hintermänner des Anschlages polizeilich vorzugehen.

Die Serben antworteten fristgerecht am 25. Juli, gingen in dem ausführlichen Schreiben auf beinahe alle österreichischen Forderungen ein, betonten ihre Verständigungsbereitschaft, machten allerdings Vorbehalte hinsichtlich ihrer Souveränitätsrechte und ordneten parallel dazu die Teilmobilmachung an. Die Regierung in Wien brach die diplomatischen Beziehungen zum serbischen Königreich daraufhin ab und erließ noch am selben Tag ebenfalls einen Teilmobilmachungsbefehl.

Der britische Außenminister Sir Edward Grey versuchte zu vermitteln und schlug vor, den serbisch-österreichischen Konflikt auf einer internationalen Botschafter-Konferenz beizulegen (26./27. Juli 1914). Am frühen Morgen des 28. Juli las Kaiser Wilhelm II. den Text der serbischen Antwortnote, meinte: „Damit fällt jeder Kriegsgrund fort“, und wies das Auswärtige Amt an, den Österreichern zu raten, sich mit den Russen über einen begrenzten Schlag gegen Serbien zu verständigen und auf jede weitreichende militärische Operation gänzlich zu verzichten. Es war schon zu spät. Noch an diesem Morgen erklärte die Wiener Regierung dem serbischen Königreich den Krieg.

Fortsetzung

© Dieter Wunderlich 2006

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.