Wilhelm Conrad Röntgen


Wilhelm Conrad Röntgen wurde am 27. März 1845 als einziges Kind des Tuchfabrikanten Friedrich Röntgen (1801 – 1884) und dessen Ehefrau und Cousine Charlotte Constanze (1806 – 1888) in Lennep (heute: Remscheid) geboren. Drei Jahre später zog die Familie ins niederländische Apeldoorn. Von der Technischen Schule in Utrecht, die Wilhelm Conrad Röntgen ab 1861 besuchte, wurde er nach zwei Jahren relegiert, weil ihn sein Klassenlehrer irrtümlich für den Urheber einer despektierlichen Karikatur hielt.

Ohne Abiturzeugnis konnte Wilhelm Conrad Röntgen an der Universität in Utrecht nur als Gasthörer studieren, aber nach zwei Semestern immatrikulierte er sich an der 1855 gegründeten Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich für ein Maschinenbau-Studium, denn dort kam es nicht aufs Abitur, sondern auf eine Aufnahmeprüfung an – und die wurde ihm wegen seiner exzellenten Schulnoten auch noch erlassen. 1868 machte er sein Diplom. Danach absolvierte er ein Physik-Aufbaustudium und promovierte an der Universität Zürich mit »Studien über Gase«. Den Doktortitel erhielt er am 22. Juni 1869.

Im Jahr darauf folgte Wilhelm Conrad Röntgen seinem nur sechs Jahre älteren Physikprofessor August Kundt (1839 – 1894) als Assistent an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Dort wollte er sich habilitieren, aber das wurde ihm wegen des fehlenden Abiturs nicht gestattet. Deshalb wechselte er nach zwei Jahren mit August Kundt an das Physikalische Institut der Universität Straßburg und habilitierte sich dort am 13. März 1874. Ein Jahr später erfolgte die Berufung zum außerordentlichen Professor für Physik der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim; 1876 kehrte er zur Universität Straßburg zurück, und vier Tage nach seinem 34. Geburtstag erhielt er an der Universität in Gießen einen Lehrstuhl für Physik.

Wilhelm Conrad Röntgen war seit 19. Januar 1872 mit einer sechs Jahre älteren Frau verheiratet, mit Anna Bertha, einer der drei Töchter von Johann Gottfried Ludwig, dem Wirt der Gaststätte »Zum grünen Glas« in Zürich. Das kinderlos gebliebene Paar nahm 1887 Josephina Bertha Ludwig auf, die sechsjährige Nichte Berthas, die später von den Röntgens adoptiert wurde.

Es war nicht einfach, zu dem zurückhaltenden, introvertierten und schweigsamen, mitunter auch schroffen Menschen Wilhelm Conrad Röntgen Zugang zu finden. Wenn er über ein wissenschaftliches Problem nachdachte, konnte es vorkommen, dass selbst seine Frau keine Antwort auf eine an ihn gerichtete Frage erhielt. Bei seinen Veröffentlichungen kam es ihm nicht auf den Ruhm an, sondern auf die sachliche Mitteilung sorgfältig geprüfter Forschungsergebnisse. Erholung suchte er bei der Jagd und bei Bergwanderungen in den Alpen.

Angebote aus Jena und Utrecht lehnte Wilhelm Conrad Röntgen ab, aber am 1. Oktober 1888 ließ er sich von der Universität Würzburg zum Ordinarius für Physik ernennen. Dieselbe Hochschule, die ihm die Habilitation verwehrt hatte, berief ihn nun – da er dennoch Professor geworden war – auf einen Lehrstuhl. Sechs Jahre später wurde Wilhelm Conrad Röntgen sogar zum Rektor gewählt.

Am 8. November 1895 untersuchte Wilhelm Conrad Röntgen die Elektrizitätsleitung in Gasen und arbeitete dabei mit einer Kathodenstrahlröhre. Wenn er die mit schwarzem Karton ummantelte Röhre im verdunkelten Laboratorium einschaltete,

bemerkte er, dass auf dem Tisch herumliegende Kristalle fluoreszierten, und auf einer zwei Meter entfernten, mit Bariumplatincyanür-Kristallen beschichteten Platte wurde ein grünliches Schimmern sichtbar. Das verblüffte ihn, denn weder Licht noch Kathodenstrahlung konnten aus der umhüllten Röhre entweichen. Es musste sich also um bisher unbekannte, für das menschliche Auge unsichtbare Strahlen handeln. Diese ließen sich nicht wie die Kathodenstrahlung durch Magnete ablenken, aber sie durchleuchteten alles mit Ausnahme von Blei- und Platinplatten. Auch den menschlichen Körper! Bald darauf durchleuchtete Wilhelm Conrad Röntgen die Hand seiner Frau und hielt das Bild fest. Heute erschrecken wir, wenn wir erfahren, dass Bertha Röntgen ihre Hand dazu 25 Minuten lang in die Röntgenstrahlung halten musste, aber von den Risiken der Strahlenbelastung ahnte man damals noch nichts.

Die nächsten Wochen verbrachte Wilhelm Conrad Röntgen fast rund um die Uhr in seinem Laboratorium; er aß und schlief sogar dort. Bevor er etwas von seiner Entdeckung verlauten ließ, wollte er das Phänomen erst mit der ihm eigenen Gründlichkeit untersuchen. Über Weihnachten verfasste er den ersten von drei Forschungsberichten »über eine neue Art von Strahlen«. Schon Anfang Januar 1896 tauchten Zeitungsmeldungen über die »Zauberstrahlen« nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in England und in den USA auf.
Kaiser Wilhelm II. ließ sich am 13. Januar 1896 persönlich von Wilhelm Conrad Röntgen in Berlin über die Entdeckung unterrichten. Zehn Tage später sprach Wilhelm Conrad Röntgen vor der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft in Würzburg. Am Ende seiner Ausführungen bat er den berühmten, achtundsiebzigjährigen Mediziner Rudolph Albert von Kölliker aufs Podium und durchleuchtete dessen Hand. Das überzeugte auch Skeptiker. Geheimrat von Kölliker schlug vor, die »neue Art von Strahlen« nach ihrem Erfinder zu nennen, und das Publikum reagierte darauf mit stehenden Ovationen für Wilhelm Conrad Röntgen, aber der zog die Bezeichnung »X-Strahlen« vor.

Auf eine Patentanmeldung verzichtete Wilhelm Conrad Röntgen, denn er war der Meinung, dass die Entdeckung der Allgemeinheit gehörte und nicht durch Patente, Lizenzverträge und dergleichen einzelnen Unternehmungen vorbehalten bleiben sollte. Er wurde mit Ehrungen regelrecht überschüttet, aber er selbst betrachtete die X-Strahlen nur als eines von vielen Forschungsthemen, mit denen er sich beschäftigte. Neben den drei Berichten darüber veröffentlichte er 57 weitere wissenschaftliche Arbeiten.

Am 1. April 1900 folgte Wilhelm Conrad Röntgen einem Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er genau zwanzig Jahre lang – bis zu seiner Emeritierung am 1. April 1920 – als Direktor des physikalischen Instituts wirkte.

Die ersten Nobelpreise wurden am 10. Dezember 1901 – dem 5. Todestag des Stifters Alfred Nobel – verliehen, und Wilhelm Conrad Röntgen gehörte aufgrund des »außerordentlichen Verdienstes, den er sich durch die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen erworben hat[te]« – so die offizielle Begründung –, zu den Preisträgern. Zwar reiste er nach Stockholm und nahm den Preis aus der Hand des schwedischen Kronprinzen entgegen, aber die Bitte, einen Nobelvortrag zu halten, erfüllte der öffentlichkeitsscheue Wissenschaftler nicht.

Nach dem Tod seiner Frau Bertha am 31. Oktober 1919 vereinsamte Wilhelm Conrad Röntgen und begann zu kränkeln. Am 10. Februar 1923 erlag er im Alter von 77 Jahren in München einem Darmkrebsleiden. Bestattet wurde er auf dem Alten Friedhof in Gießen, wo auch seine Eltern und seine Frau die letzte Ruhe gefunden hatten.

Gegen den erklärten Willen des bescheidenen Forschers wurden die von ihm entdeckten Strahlen im deutschen Sprachraum nach ihm benannt. Der Name Röntgen wird auch als Verb benutzt; gemeint ist damit der Vorgang des Durchleuchtens. Außer zahlreichen Schulen, Straßen und Plätzen tragen ein chemisches Element (Roentgenium) und ein Asteroid (Roentgen) den Namen des Wissenschaftlers. Auch der ICE, der am 3. Juni 1998 bei Eschede wegen eines gebrochenen Radreifens entgleiste – ein Unfall, bei dem 101 Menschen umkamen – hieß »Wilhelm Conrad Röntgen«.

Zur Erforschung von Anwendungsmöglichkeiten der Röntgenstrahlung entwickelte sich eine eigene Fachrichtung: die Röntgenologie. Dass organisches Gewebe Röntgenstrahlen je nach Dichte verschieden absorbiert und deshalb zum Beispiel Knochen dunkler als Fleisch abgebildet werden, hatte Wilhelm Conrad Röntgen von Anfang an erkannt. Röntgenreihenuntersuchungen trugen nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich dazu bei, die Tuberkulose in Europa zu besiegen. Dass die Strahlenbelastung durch jährlich wiederholte Thoraxaufnahmen Zellen schädigen und Krebserkrankungen auslösen kann, stellte sich erst im Lauf der Zeit heraus. Seit den Siebzigerjahren ist man deshalb nicht nur vorsichtiger im Umgang mit Röntgenstrahlen, sondern entwickelte auch strahlungsärmere Geräte.

Durch die Kombination von Röntgengeräten und Computern lassen sich inzwischen dreidimensionale Abbildungen des Körperinneren herstellen (Computertomografie, CT). 2006 wurde in München ein Computertomograf in Betrieb genommen, mit dem sich ein schlagendes Herz beobachten lässt. Außerdem gibt es heute in der medizinischen Diagnostik eine Reihe weiterer bildgebender Untersuchungen wie zum Beispiel Sonografie, Szintigrafie, Magnetresonanztomografie (MRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Digitale Subtraktionsangiographie (DSA).

Röntgenuntersuchungen werden nicht nur in der Medizin eingesetzt, sondern beispielsweise auch in der Materialprüfung, weil man bei der Durchleuchtung Risse und Hohlräume im Inneren von Werkstoffen feststellen kann. Röntgenstrahlen helfen sowohl bei der Erforschung des Mikrokosmos (Röntgenmikroskop) als auch des Weltalls (Röntgenspektroskopie).

Literatur über Wilhelm Conrad Röntgen und seine Erfindung

  • Walter Beier: Wilhelm Conrad Röntgen (1999)
  • Roland Berger: Moderne bildgebende Verfahren der medizinischen Diagnostik. Ein Weg zu interessanterem Physikunterricht (2000)
  • Olaf Dössel: Bildgebende Verfahren in der Medizin. Von der Technik zur medizinischen Anwendung (2000)
  • Albrecht Fölsing: Wilhelm Conrad Röntgen. Aufbruch ins Innere der Materie (2002)
  • Dieter Voth: Nach der Jäger Weise. Wilhelm Conrad Röntgen. Forscher und Jäger (2003)

© Dieter Wunderlich 2006

Claudia Petrucci - Die Übung
Claudia Petrucci veranschaulicht in ihrem eindrucksvollen Debütroman "Die Übung", wie wir auch im Alltag Masken tragen und Rollen spielen. Sie zeigt, was geschehen kann, wenn jemand einen anderen Menschen nach seinen eigenen Vorlieben und Vorstellungen zu verändern oder gar neu zu erfinden versucht. Es geht um Sein und Schein, Identität, Liebe, Manipulation und Fremdbestimmung.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.